Blog Blindgaengerin

Mai 2015

Offener Brief an den Runden Tisch der Filmförderungsanstalt (am 29.05.2015)

Guten Tag! Mit diesem offenen Brief wende ich mich an all diejenigen, die, eingeladen von der Filmförderungsanstalt FFA zu einem Runden Tisch, an demselben Platz genommen haben. Seitdem jeder mit Geldern der FFA geförderte Film per Gesetz mit einer barrierefreien Fassung ausgestattet sein muß, haben viele Neuanbieter diesen Markt für sich entdeckt. Diejenigen Hörfilmbeschreiber, die mit viel Sorgfalt und damit viel Zeit und immer mit einem entsprechend ausgebildeten Blinden arbeiten, können bei dem herrschenden Preiskampf nicht mithalten. Um auch in Zukunft qualitativ hochwertige Audiodeskriptionen/ Untertitel zu gewährleisten, soll sich die Expertenrunde unter anderem auf Standards einigen, die beim Erstellen der barrierefreien Fassungen eingehalten werden müssen. Des Weiteren soll es darum gehen, wie die barrierefreien Filmfassungen im Kinosaal in die Ohren bzw. vor die Augen der jeweiligen Zielgruppe kommen. Bislang ist der Löwenanteil der teuer erstellten barrierefreien Filmfassungen für den Kinobesucher nicht zugänglich und bleibt im Verborgenen. Das Geld wurde umsonst ausgegeben, weil so gut wie kein Kinosaal über die nötige Wiedergabetechnik verfügt. Ein barrierefreier Kinobesuch ist aber immer möglich, wenn die Hörfilmbeschreibung und die Untertitel über die App von Greta und Starks verfügbar sind. Ob das geschieht, hängt vom jeweiligen Filmverleiher ab. Die Liste der Filmtitel auf der App von Greta und Starks ist zwar schon beachtlich, aber leider scheuen noch viele Filmverleiher diesen letzten und vergleichsweise kleinen Schritt oder gehen ihn nur bei einigen ausgewählten Filmen. Ich glaube, hier besteht auch Unsicherheit darüber, inwieweit dies noch förderfähig ist oder nicht. Wegen dieser mißlichen Situation hatte ich vor einigen Wochen bei der FFA nachgefragt und so zufällig von dem Runden Tisch am 29.05.2015 erfahren. Vertreten sind die Firmen Sennheiser und Arri, die beide die Kinosäle mit ihrer eigens entwickelten Technik ausrüsten wollen. Erfreulicherweise wurde kurzfristig auch noch das Team von Greta und Starks eingeladen. Da aber die eigentlichen Zielgruppen meines Wissens nach nicht dabei sein können, wende ich mich nun als www.blindgaengerin.com an die Runde und gebe Folgendes zu bedenken: Solange es kein wirklich flächendeckendes mit der entsprechenden Technik ausgerüstetes Netz von Kinos gibt, führt an der App von Greta und Starks kein Weg vorbei. Inklusion heißt jedenfalls nicht, vor jedem Kinobesuch zu überprüfen, ob der Film in einem entsprechend ausgerüsteten Kino gezeigt wird. Was, wenn nicht, oder wenn der Film kurzfristig in einem anderen Saal gezeigt wird? So hat das übrigens auch die Grünenpolitikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth klipp und klar erklärt, als sie den Hörfilmpreis an das Team von Greta und Starks übergab. Ich hoffe, ein bißchen Gehör zu finden, und verbleibe mit erwartungsvollen Grüßen Die Blindgängerin Barbara Fickert

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Das Versprechen eines Lebens

Ein türkischer Sonntagnachmittag mit Greta! Beschleunigt mit einem Taxi ging‘s am Sonntagnachmittag zum Berliner Zoopalast in den Film „Das Versprechen eines Lebens“. Während der Fahrt habe ich die Neugierde des türkischen Taxifahrers auf den Film geweckt und er hat sich für den Tipp ausdrücklich bedankt. Bei dem netten Servicepersonal des Zoopalastes bin ich inzwischen ganz gut bekannt und so ging alles wie immer freundlich und reibungslos seinen Gang. Die ersten Filmminuten spielen 1919 im australischen Nordwest-Victoria. Dort ist der Farmer Joshua Connor, begleitet von seinem Hund, mit der Wünschelrute auf der Suche nach einer Wasserader. Er wird natürlich fündig. Im Original heißt der Film „The Water Diviner“, der Wünschelrutengänger. Nach einer mehrere Monate dauernden Überfahrt von Down Under geht Joshua im Hafen von Istanbul an Land. Kaum angekommen, stibitzt dem Neuankömmling ein kleiner Junge die Tasche und die Verfolgungsjagd führt den Australier in das von der Familie des kleinen Diebes geführte Hotel. Gar nicht so schlecht, die Geschäftsidee! Der traurige Anlaß der langen Reise Joshuas liegt vier Jahre zurück. Seine drei Söhne kämpften wie viele Australier während des Ersten Weltkrieges an der Seite der Briten gegen das Osmanische Reich. 1915, gegen Ende der berühmt-berüchtigten Schlacht von Gallipoli, einer türkischen Halbinsel, rücken türkische Truppen so massiv gegen die australischen Streitkräfte vor, daß diese den Rückzug über das Meer antreten. Unter den australischen Soldaten waren auch alle drei Söhne der Connors und gelten seitdem als verschollen. Sie wurden wahrscheinlich mit zigtausend türkischen und australischen gefallenen Soldaten in Massengräbern auf der Halbinsel verscharrt. Kurz vor seiner Überfahrt in die Türkei mußte Joshua in Nordwest-Victoria seine Frau zu Grabe tragen, die sich aus Kummer über den Verlust aller drei Söhne das Leben nahm. Das Einzige, was er glaubt, für seine Frau noch tun zu können und zu müssen, ist die Jungs in der Türkei aufzuspüren und an der Seite ihrer Mutter in heimatlicher Erde beizusetzen. Also macht er sich mit seiner Wünschelrute trotz bürokratischer Hürden von Istanbul aus auf den Weg nach Gallippoli. Dabei hilft ihm Ayshe (Olga Kurylenko), die wunderschöne verwitwete Tochter des Hotelbesitzers. Auf Gallipoli haben die noch vor einem Jahr erbittert verfeindeten Türken und Briten gemeinsam begonnen, die Massengräber auszuheben, die Toten nach Nationalität zu sortieren, und jedem seine letzte Ruhestätte zu geben. Dies ist der Beginn der traurigen Kultur der Soldatenfriedhöfe und der Kriegsgräberpflege. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde alles und jeder inklusive Pferd und Waffen wahllos in Massengräbern verscharrt. Die Türken wie insbesondere auch die Briten sind von Joshuas Auftauchen wenig begeistert und empfinden ihn als Störfaktor. Aber schon nach kurzer Zeit entsteht zwischen ihm und dem türkischen Major Hasan, der auch bei der Schlacht von Gallipoli mitgekämpft hatte, eine enge Männerfreundschaft. Die beiden bestehen gemeinsam das eine oder andere Abenteuer, einmal rettet Joshua dem Major sogar das Leben. Sie flüchten im Schweinsgalopp auf den Pferden griechischer Soldaten, die zuvor im Grenzgebiet türkische Dörfer überfielen, abfackelten und die Bevölkerung massakrierten. Kaum ist der eine Krieg beendet, geht’s an der nächsten Front weiter. In den Satteltaschen finden sie als Proviant Brot und ein hochprozentiges Getränk. Das Brot wird ignoriert und das Getränk Ouzo, auch wenn es kein Raki ist, dankend verzehrt. Ob Ouzo oder Raki, spielt keine Rolle, es gibt keinen Unterschied, sagt Hasan. Wenigstens in dieser Hinsicht eine Annäherung! Es wird noch viel gestorben, gelitten und gemetzelt, aber wo Schatten ist, ist auch Licht, mehr sage ich nicht. Das Ende ist zwar vorhersehbar, der Film aber trotzdem für einige Überraschungen gut. Zum Schluß versuche ich, ein bißchen intensiver als sonst auf die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr einzugehen. Die Protagonisten wurden sehr genau beschrieben. Bei Filmen in der Jetztzeit ist mir die genaue Beschreibung der Kleidung nicht so wichtig. Das gilt z.B. für die Farbe der männlichen Cordhose, des Hemdes und der Jacke, auch bei den Frauen ist das meistens für mich verzichtbar, vorausgesetzt, es dient nicht dem Verständnis der Handlung. Aber bei historischen Filmkulissen ist das natürlich etwas anderes. Jedenfalls weiß ich jetzt ziemlich genau, wie gut Joshua, gespielt von Russel Crowe, gebaut ist. Von der Stadt Istanbul und den Landschaften hatte ich immer recht schnell ein genaues Bild vor meinem geistigen Auge. Ob das den Bildern auf der Leinwand entspricht, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich gehe mal davon aus! In diversen Rückblenden nimmt uns der Film mit in die Schützengräben. Das ist so schrecklich grausam und auch sehr detailliert beschrieben, so genau will jedenfalls ich das immer gar nicht wissen. Weil sehr viel türkisch gesprochen wurde, mußte die Hörfilmbeschreibung auch noch dolmetschen. Also alles in allem: Daumen hoch für die Hörfilmbeschreibung! Abgerundet wurde der türkische Sonntagnachmittag von wieder einem türkischen Taxifahrer auf dem Heimweg, den ich für den Film allerdings nicht begeistern konnte!

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Im Treppenhaus eines Geschäftshauses steht die Blindgängerin in der offenen Aufzugtür, in ihrem Rücken die Kabine. Die Blindgängerin hält den weißen Langstock quer, so daß die Schiebetüren des Aufzuges sich nicht schließen können.

Hedi Schneider steckt fest

Zunächst steckt Hedi Schneider auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle „nur“ in einem Aufzug fest. Das Wörtchen „nur“ habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil das Feststecken im Aufzug auch im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ich an ihrer Stelle nach einer Minute bereits kollabiert wäre. Hedi radelt, begleitet von richtig schöner Gute-Laune-Musik durch die Straßen Berlins. Sie schließt ihr Fahrrad an und verschwindet mit den Zuschauern in einem Gebäude und dort in einem Aufzug. Die Tür gleitet zu, sie drückt den Knopf, die Kabine setzt sich erst einmal ganz normal in Bewegung. Plötzlich hat die Fahrt ein jähes Ende und der Aufzug geht geräuschvoll ein bißchen in die Knie. Hedi drückt den Notrufknopf und erwidert auf die krächzend quakend fragende Stimme aus dem Lautsprecher: „Ich bin Hedi Schneider und stecke fest!“ Der Notknopfmann verspricht mit ziemlich vagen Zeitangaben ihre Befreiung und gibt ihr Tipps, wie sie einer Panikattacke vorbeugen könne. Ein bißchen resigniert, aber ruhig, läßt sie sich auf den Boden nieder, versucht aber zuvor, so lange wie möglich die Wartezeit quatschend mit dem Notknopfmann zu überbrücken. Nachdem der Aufzug sie freigegeben hat, hetzt sie in ein Großraumbüro, setzt sich mit einem großen Kaffeebecher bewaffnet an ihren Arbeitsplatz und haut wild in die Tasten. Unterbrochen wird sie von dem Eigentümer des Kaffeebechers, einem eigentümlichen Kollegen, der sie zur unverzüglichen Herausgabe desselben auffordert. Mit riesigen geräuschvollen Schlucken gulpt sie den Kaffee herunter, übergibt wortlos den namentlich gekennzeichneten Becher und tippt weiter. Nach der Arbeit kümmert sie sich, von Gewissensbissen geplagt, um die Wohnungsauflösung ihrer gerade einsam verstorbenen Tante. Als Andenken nimmt sie eine von der alten Dame in Handarbeit eigens für sie angefertigte Mütze mit. Zu Hause angekommen, stülpt sie die wohl merkwürdig geratene Mütze unsanft, fast verbissen und vom Gelächter der Zuschauer quittiert, ihrem sich sträubenden ca. fünfjährigen Sohn über den Kopf. Am nächsten Morgen im Büro erfährt sie vom dramatischen Selbstmordversuch des eigentümlichen Kaffeebechereigentümers und bekommt zu ihrem Entsetzen auch noch dessen Akten aufs Auge gedrückt. So ganz allmählich legen sich leichte Schatten auf ihr so sonniges und verspieltes Gemüt. Am Abend scheint alles erst einmal wieder gut zu sein. Sie verführt spielerisch ihren Mann Ulli, doch auch dieses Spiel hat ein jähes Ende. Hedi überfällt schlagartig die panische Angst, genau jetzt an einem Schlaganfall zu versterben. Alle Versuche, an Hedi heranzukommen und sie zu beruhigen, scheitern, bis Ulli schließlich Hedis geschrienem Verlangen nachkommt, einen Notarzt zu rufen. Die Notaufnahme entläßt sie medikamentös ruhig gestellt und mit dem Rat, sich einmal richtig auszuschlafen. Am nächsten Morgen erscheinen auf ihrem Bildschirm im Büro nur kryptische Buchstaben und ihr Chef fragt, ob er sie genau so langsam bezahlen solle, wie sie arbeite. Nach einem Gespräch, in dem er ernsthaft um sie besorgt und bemüht ist, schickt er sie nach Hause. Das bis jetzt glückliche Zuhause verwandelt sich in einen Käfig, in dem Hedi in Depressionen und Angst- und Panikattacken feststeckt. Mitgefangen in diesem Käfig sind aber auch Ehemann Ulli und der gemeinsame Sohn Finn. Ehrlich gesagt stecke ich auch gerade fest, und zwar beim Beschreiben des weiteren Verlaufs der Dinge, aber ich versuch’s! Nachdem der erste große Schritt geschafft ist, jedenfalls intern die Depressionen als Krankheit zu akzeptieren und entsprechend zu therapieren, sieht Hedi ihre Rettung im unkontrollierten Einnehmen von Psychopharmaka ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen. Ihr entgeht nicht, daß ihr Sohn Finn sie als sonderbar abstempelt und sich von ihr abwendet. Aus Verzweiflung sucht sie völlig zugedröhnt ein Zoogeschäft auf, um Finn mit einem Kuscheltier zu beglücken. Eigentlich entscheidungsunfähig, entscheidet sie sich schließlich für einen Futterhasen, genauer gesagt einen Verfütterhasen. Der Verkäufer setzt sich, nur um Hedi loszuwerden, über das Verkaufsverbot von lebenden Futterhasen hinweg. So retten die beiden dem Tier, das sonst bestimmt einer Schlange zum Fraß vorgeworfen worden wäre, das Leben. Ich weiß, es gilt fressen und gefressen werden, aber Schlangen rangieren auf meiner persönlichen Horrorliste auf Platz EINS, weit vor im Aufzug stecken zu bleiben! Einem Therapeuten gelingt es, Hedi wenigstens die Angst zu nehmen, genauso wie Jack Nicholson in dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu enden, nämlich von einem Indianer erlösend mit einem Kopfkissen erstickt zu werden. Ehemann Ulli bringt unglaublich lange unglaublich viel Geduld auf und versucht, Hedi mit Hilfe von Entspannungsübungen und durch gemeinsames Wegschreien der Ängste zu helfen. Die Mutter meint es gut und glaubt, mit dem Anschleppen von Selbstgekochtem helfen zu können, meint dann aber resigniert: „Ich hätte nie gedacht, daß du einmal so etwas bekommst.“ Als Hedi sich von Ulli beim Räumen von Weingläsern wie ein „Füsch“ (Fisch mit einem preußischen Ü) beobachtet fühlt, flippt sie aus und die beiden gehen sich verbal fast an die Gurgel. Sie wollte doch nur einmal wieder ein bißchen Normalität in ihr Leben bringen. Aber die Nerven liegen blank und Ulli ist mit seiner Geduld am Ende. Danach passiert von mir subjektiv empfunden für eine Ewigkeit nichts, jedenfalls wird nichts gesprochen. Getröstet über die Durststrecke hat mich die Musik. Gesprochen wird erst wieder in Norwegen, wo die Familie während eines Urlaubs versucht, wieder zueinander zu finden. Die gemeinsam gewählte Strategie scheint zu funktionieren und es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Aus dem Schneider sind Hedi und ihre Familie allerdings noch lange nicht! Vielleicht ist es mir gelungen, ein bißchen Neugierde auf den Film zu wecken, trotz des schweren Themas. Der Regisseurin Sonja Heiss ist es zu 100 % gelungen, die Berührungsängste vor der lange tabuisierten Krankheit „Depression“ zu überwinden. Sie erzählt mit einem weinenden und vielen lachenden Augen, wie es aus scheinbar heiterem Himmel jeden treffen kann, wie es aber auch einen Ausweg gibt. Den größten Anteil am Gelingen haben die Hauptdarsteller Hans Löw und vor allem Laura Tonke, die man, ob tröstend oder sich mit ihr freuend, immer in die Arme nehmen möchte. Ich wurde zwei-, dreimal angestupst, mich intensiver über die Qualität der Hörfilmbeschreibungen zu äußern. Dieses Mal bin ich jedenfalls aus dem Schneider, weil, was nicht in mein Ohr kommt, kann ich auch nicht beurteilen!

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Auf dem Berliner Gendarmenmarkt vor dem Deutschen Dom. Zwei Frauen stehen Rücken an Rücken und lachen in die Kamera. Links Verena im dunklen Etuikleid, rechts die Blindgängerin im braunen Lederkostüm. Beide halten Sektgläser.

Die abhandene Welt

Gerade noch rechtzeitig zum regulären Kinostart ist „Die abhandene Welt“ glücklicherweise in der Liste der App von Greta und Starks vorhanden. Dieses Glück war dem Film „Als wir träumten“ leider nicht vergönnt. Die beiden Filme liefen wie auch „Dora oder die sexuellen Neurosen…“ bereits im Februar als ein Berlinale Special mit einer live eingesprochenen Audiodeskription. An dieser Stelle möchte ich diesen Sprechern einmal meine Hochachtung kundtun. Während der 120 Filmminuten immer auf den Punkt genau den Text der Hörfilmbeschreibung in die Dialogpausen zu platzieren, ohne selbst auch nur für den Bruchteil einer Sekunde pausieren zu können, ist eine Riesenleistung! Die vorhandene Welt spielt in der Stadt Düsseldorf, in der Sophie, ihr Vater Paul und dessen Bruder bislang jeder mehr oder weniger für sich ihre eigenen Wege gehen. Eines Tages entdeckt Paul im Internet das Foto einer US-amerikanischen Operndiva, die seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht. Die in Italien aufgewachsene Opernsängerin Caterina Fabiani ist nur unerheblich älter als seine Tochter Sophie und lebt mit ihrer Familie in New York. Von der Idee besessen, daß die Ähnlichkeit kein Zufall sein kann, wittert Paul die Möglichkeit einer in der Vergangenheit liegenden, wie auch immer gearteten, aber abhanden gekommenen familiären Verbindung. Gesundheitlich angeschlagen, kann Paul der Sache nicht selbst auf den Grund gehen, und so geht er seiner Tochter Sophie so lange auf die Nerven, bis diese sich mit einem von ihm gesponserten Flugticket auf die Suche nach der möglicherweise „abhandenen Welt“ auf der anderen Seite des großen Teiches macht. Sophie ist anfangs wenig begeistert, sich ein Detektivmützchen aufzusetzen und wildfremden Menschen auf die Pelle zu rücken, doch wird die Reise nach New York ihr Leben völlig umkrempeln. Kurz vor ihrer Abreise bekommt sie von ihrem Freund den Laufpaß und ihre Auftritte als Jazzsängerin sind auch nicht gerade von Erfolg gekrönt. Um an die wenig kooperative Operndiva Caterina (Barbara Sukowa) heranzukommen, wendet sie sich hilfesuchend an deren Manager, der die Situation schamlos ausnutzt und Sophie ein „unmoralisches Angebot“ macht. Aber nur so kommt sie nach und nach der abhandenen Welt auf die Spur, verliebt sich in ihren Zwangsverbündeten und wird auch noch als Jazzsängerin in der New Yorker Clubszene gefeiert. Alles flutscht, fast wie im Film. Katja Riemann singt als Sophie übrigens personifiziert und macht das echt gut! Welche Welt ab wann, wie und warum abhanden ist, klärt sich nur so nach und nach dank der handgeschriebenen Briefe, die die älteren Herrschaften, also Paul (Matthias Habich), sein Bruder und Caterinas vermeintliche Mutter (Karin Dor) in kleinen Holzkästchen aufbewahren. Diese Holzkästchen hatten etwas Rührendes. Von einigen Herrschaften im Kinosaal um mich herum konnte ich Bemerkungen darüber aufschnappen, was der heutigen und den nachfolgenden digitalisierten Generationen einmal abhanden sein und bleiben wird: Vor allem Holzkästchen mit handgeschriebenen Briefen! Paul hatte auf jeden Fall den richtigen Riecher. Seine Frau brachte einige Jahre vor Sophies Geburt bereits ein Mädchen namens Caterina zur Welt, das sie aus einer Notlage heraus ihrer in Italien lebenden Freundin anvertraute. Zurück in Düsseldorf, muß sich Sophie jetzt auf die Suche nach dem leiblichen Vater ihrer Halbschwester machen. Das alles klingt komplizierter, als es ist, und am Schluß weiß jeder, wer zu wem gehört. Bis zur endgültigen Familienzusammenführung und den tragischen Erkenntnissen über abhandene und irrtümlich für vorhanden gehaltene Welten tragen diverse Szenen zur allgemeinen Erheiterung bei: Als zweites Standbein versucht sich Sophie als Rednerin auf Hochzeitsfeiern. Viele Brautpaare tauschen den kirchlichen Traualtar gegen eine nicht so durchstrukturierte Zeremonie ein, um sich das große lebenslängliche JA-Wort zu geben. Sophies Gespräche mit den jungen Leuten über deren Erwartungen an den schönsten Tag ihres Lebens, den Partner und die Liebe und die gemeinsame Zukunft sind schon wahnwitzig komisch. Bei einer längst überfälligen Aussprache zwischen Paul und seinem Bruder bleibt es nicht bei Verbalattacken. Die älteren Herren tänzeln wie wildgewordene Boxer umeinander herum und die daneben sitzende Sophie versucht lachend, die im Weg stehenden Kleinmöbel zu retten. Eine ähnliche Situation gab es vor Jahren in meiner Familie anläßlich einer Feier, nur daß wir Familienmitglieder erst einmal ziemlich bedröppelt dreingeschaut haben, bis wir die beiden Kampfhähne getrennt haben. Aber in der letzten Szene sitzen alle bei einem guten Essen mit reichlich Rotwein einträchtig zusammen, Ende gut, alles gut! Im Februar bei der Vorstellung mit der live eingesprochenen Hörfilmbeschreibung waren neben den Hauptdarstellern und der Regisseurin auch bestimmt 50 Kinoblindgänger inklusive meinereiner. Der Regisseurin, Margarethe von Trotta, ist übrigens im wirklichen Leben ein ähnliches Schicksal widerfahren wie Sophie in ihrem Film. Schön, daß jetzt auch Leute den Film mit Greta anschauen können, die damals keine Zeit hatten, kein Ticket ergattern konnten oder einfach nicht das Glück haben, in Berlin zu leben, halt ALLE!! Das Foto zu diesem Beitrag zeigt mich mit meiner Schwester Verena. Wir beide sind uns aber nie abhanden gekommen. Es trennt uns auch kein Ozean, sondern meist nur die Elbe.

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Die Blindgängerin beugt sich über ein Blumenbeet mit gelben Tulpen, in der rechten Hand ein kleines Gieskännchen. Sie hat die Haare zu einem Dutt gebunden und trägt lange goldene Ohrringe. Ihr wallendes Kleid ist kupferfarben und mit einem goldenen Gürtel gebunden. Sie trägt Gummistiefel. Neben ihr steht ein Korb mit Gartenwerkzeugen.

Die Gärtnerin von Versailles

Es war einmal ein sehr mächtiger König, genannt der Sonnenkönig, dem wurde sein Stadtschloß in Paris, der Louvre, zu klein und so beschloß er, sich vor den Toren Lutetias nach einem geeigneten Fleckchen Erde für ein neues Zuhause umzusehen. Er liebte weite Aussichten und große Wasserflächen und so fiel seine Wahl auf das Städtchen Versailles bei Paris, in dem seinem Vorgänger Ludwig XIII. bereits ein Jagdschloß im Stil des Barock errichtet wurde. Dort war genug Platz und Raum, um das vorhandene Schloß nebst Park nach seinen Vorstellungen umzubauen und zu erweitern, und 1661 ging’s los. Schon 21 Jahre später, im Mai 1682, bezog der französische Hof das fertiggestellte Château de Versailles, so wie man es heute noch besichtigen kann. Das für den gigantischen Umfang der damaligen Arbeiten rasante Bautempo läßt den einen oder anderen Politiker, Planer, Techniker von heute bestimmt vor Neid erblassen. Aber Ludwig mußte ja auch, wenn überhaupt, nur sich selbst Rechenschaft ablegen, frei nach dem Motto „L‘ Etat, c‘est moi“. Das bedeutet extrem verkürzte Dienstwege. Der bedeutende Landschafts- und Gartengestalter André Le Nôtre konzipierte den Stil des französischen Barockparks und begann Ende 1660 als oberster Gartenarchitekt von Ludwig XIV. mit der Durchführung des Großprojekts „Schloßpark von Versailles“. Heute nennen wir das Ausschreibungsverfahren, damals kamen jedenfalls die wichtigsten und möchtegernwichtigen Landschaftsgärtner Frankreichs mit ihren Plänen zu Le Nôtre, um ein kleines Stückchen vom riesigen Auftragskuchen Schloßpark zu ergattern. Vor dieser historischen Kulisse erzählt der Film „Die Gärtnerin von Versailles“, wie sich die Landschaftsgärtnerin Sabine de Barra, eine fiktive Filmfigur, unter die männliche Konkurrenz mischt. Von dieser abschätzend und mißbilligend beäugt, hat sie auch bei Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) erst einmal schlechte Karten. Ihre Pläne entsprechen nicht dem Prinzip des großflächigen symmetrischen Barockparks, das der Natur die Regeln der Mathematik auferlegt. Le Nôtre schmettert ihre Pläne als das totale Chaos ab. Im englischsprachigen Raum heißt der Film übrigens „A little chaos“. Beim Verlassen des Ateliers verschiebt sie einen der in Reih und Glied wie mit dem Lineal ausgerichteten und angeordneten Pflanzenkübel. Dem wachsamen Auge des Meisters entgeht das natürlich nicht. Dieser sehr kleine Eingriff in die Ordnung seiner Töpfe scheint auch in seinem Kopf etwas zu bewegen und Sabine bekommt – Ende gut, alles gut – den ersehnten Zuschlag. Die wunderschöne Gärtnerin, sehr glaubwürdig gespielt von der ebenso wunderschönen Kate Winslet, legt nun Hand an, wühlt im Schlamm, watet durchs Wasser und scheut keine noch so kräftezehrenden körperlichen Anstrengungen. Entstehen soll ein Ballsaal unter freiem Himmel in der Form eines Amphitheaters, bei dem Le Nôtre und Sabine jeweils mit ihrem Stil für die Gestaltung je einer Hälfte zuständig sind. Das enge und erfolgversprechende Zusammenwirken der beiden geht schon bald über ein reines Arbeitsverhältnis hinaus und zieht sowohl den Neid der männlichen Kollegen als auch Eifersüchteleien in der Damenwelt nach sich. Es wird, wie am Hofe üblich, intrigiert und boykottiert. Zu kämpfen hat die verwitwete Sabine auch noch mit einem traurigen Ereignis aus ihrer Vergangenheit. Die Erinnerung daran trägt sie ständig mit sich herum. Als Sabine zu Hofe zitiert wird, begegnet sie dort beide Male Liselotte von der Pfalz. Diese wurde aus machtpolitischen Gründen mit dem Bruder des Sonnenkönigs, Philipp I., Herzog von Orléans, verheiratet. Wegen dessen allgemein bekannter Homosexualität war Liselotte von Beginn an am französischen Hofe isoliert. In unzähligen Briefen, wovon heute noch einige erhalten sind, beschrieb sie sehr kritisch das höfische Leben und daß sie sich in Versailles inmitten der gepuderten Damen- wie Herrenwelt nie wohlgefühlt habe. Außerdem mußte sie von Ferne miterleben, wie die Franzosen ihre Heimatstädte Mannheim und Heidelberg inklusive des Heidelberger Schlosses in Schutt und Asche legten. Da wäre ich als gebürtige Mannheimerin und in Heidelberg aufgewachsen auch sehr böse gewesen. Hätten sich die Wege Liselottes und der Landschaftsgärtnerin wirklich gekreuzt, so wären die bodenständigen und für damalige Verhältnisse naturbelassenen Damen bestimmt beste Freundinnen geworden. Aber zu Ludwigs Zeiten hätte es niemals eine weibliche Landschaftsgärtnerin gegeben! Um Liselotte möglichst glaubhaft spielen zu können, reiste Paula Paul eigens nach Heidelberg. Sie hat die im Schloß ausgestellten Portraits der Kurpfälzerin angeschaut und sich einen Überblick über deren Leben verschafft. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt!!! „Wir trafen uns in einem Garten!“ hätte Sabine singen können. Genauer gesagt, handelt es sich um die Königliche Baumschule, die Sabine aufsucht, um sich unter der fachlichen Aufsicht des dortigen Maestros mit Pflanzen für ihr Projekt zu versorgen. Der Maestro hatte jedoch kurz vor dem Eintreffen Sabines auf das diskrete Handzeichen des Königs das Gelände verlassen. Diesem dient die Baumschule als sein Refugium, in dem er unerkannt seinen Gedanken nachhängen und sich der bestimmt juckenden Perücke entledigen kann. An diesem Tag trauert er seiner gerade verstorbenen Gemahlin, Maria Theresia von Spanien, nach. Sabine richtet ihre Worte und Fragen an den vermeintlichen Maestro und der König läßt sich auf das Spiel ein. Sie plaudern über Bäume im Allgemeinen und Birnbäume im Speziellen, essen Birnen, bis es Sabine dämmert, wen sie vor sich hat, weil sie ihn an der Stimme erkennt. Diese Stimme gehört übrigens Alan Rickman. Er verzaubert dieses Mal sein Publikum nicht als Magier, sondern ist das Oberhaupt sowohl im Film als auch am Set! Wenigstens im Film wird einmal etwas fertig und so dürfen wir mit dem König und seinem Gefolge den übrigens real existierenden „Salle de bal“ bestaunen. Ma copine francaise konnte sich an den Kostümen, der Landschaft und „hier ein Schloß und da ein Schloß“ kaum sattsehen. Ich gehe jetzt einmal wieder in den Garten an Tulpen schnuppern!

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