Blog Blindgaengerin

Juni 2015

Täglich grüßt das Murmeltier

Murmeltier müßte man sein! Sich den Winter über einigeln und Ende Januar, Anfang Februar seinem Instinkt vertrauend einmal ganz vorsichtig mit einem Auge blinzelnd nach draußen luken, ob das Schlimmste bereits überstanden ist. Diesen Murmeltierinstinkt machen sich die Bewohner eines Landstriches irgendwo in Amerika zunutze, die nach den sehr langen frostigen Wintern den Frühling herbeisehnen. Ein Murmeltier wird ganz vorsichtig in seinem Zuhause aufgesucht und beäugt, um nach dessen Wachheitsgrad auf das mehr oder weniger nahende Ende des Winters zu schließen. Überall auf der Welt finden die Menschen mit Leichtigkeit einen Grund zum Feiern, leider fast genauso leicht einen, um sich die Köpfe einzuschlagen. In dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ von 1993 wird das Aufsuchen eines solchen Tierchens mit einem Volksfest begangen. Der Bürgermeister befragt dieses quasi in der Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben, ob und wann es nun Frühling werde und anschließend wird gefeiert. Die Presse darf dabei natürlich nicht fehlen. Zur Live-Übertragung des Spektakels schickt ein Fernsehsender ein Kamerateam und einen TV-Wettermoderator, so eine Art Kachelmann, in die Provinz. Kaum ein Schauspieler kann schlechte Laune auf der Leinwand so inbrünstig verbreiten wie Bill Murray. Ich bin immer wieder von seiner deutschen Stimme fasziniert. Ohne seine Mimik sehen zu können, springt mich die Übellaunigkeit förmlich an. Das ist ein dickes Kompliment an den Sprecher und die Stimmensucher, die bei der Wahl der Stimme ein glückliches Händchen bewiesen!!! Murray mault sich als eben der Wetterman durch den Tag, er täte alles andere lieber, als in der Einöde in einer Kleinststadt über ein orakelndes wettervorhersagendes Murmeltier zu berichten. Zu allem Überfluß gerät er dort aus Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, in eine Dauerschleife. Jeden Morgen um 6 Uhr in seinem Hotelzimmer tröten dieselben Meldungen aus einem Radiowecker und reißen ihn aus seinen Träumen. Er reagiert ähnlich verärgert wie wahrscheinlich ein zu früh aus dem Winterschlaf geholtes Murmeltier. Ihm ist es unfreiwillig gelungen, die Zeit anzuhalten. Jeden Morgen ist der zweite Februar und zugleich Murmeltiertag, bis schließlich…, weiß ich auch nicht mehr, was dann geschieht. Auch ich befinde mich gerade in einer Dauerschleife. Allerdings wache ich jeden Morgen ohne Wecker recht spät bei blitzblauem Himmel und einer jeglichen Aktivitätssinn niederbretzelnden Sonne auf. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als über den Holzweg an den Strand, ins Meer, in die Strandbar und irgendwann über den Holzweg wieder zurück zu wandeln. Damit ist heute leider Schluß! Die Hör- und Lesebücher sind abgearbeitet und es ist Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Auf dem Rückweg über die Provence kommen meine Sinne noch einmal so richtig auf ihre Kosten. Die Grillen grillen, der Lavendel blüht und überall duftet es nach den typischen provencalischen Kräutern. Der britische Schriftsteller Peter Mayle hat mit seinem Buch „Mein Jahr in der Provence“ in den 90er Jahren einen unglaublichen Run, insbesondere unter seinen Landsleuten, auf die in seinem Buch erwähnten Orte ausgelöst. Gemütlicher und urwüchsiger geht es in den Städtchen zu, die ihm nicht unter die Feder kamen. Der Schriftsteller hat sich übrigens wegen des Rummels nach Kanada abgesetzt. Zu Hause angekommen geht es dann recht schnell durch die popcorngeschwängerte Luft der Foyers in dunkle Kinosäle. Das mit dem Popcorn im Kino scheint ein ähnlicher Automatismus zu sein wie der des Tomatensaftes im Flugzeug. Popcorn kaufe ich mir eher selten, aber fliegen geht nur mit Tomatensaft. Jetzt bekomme ich gerade den Saft aus der Dose abgedreht und der Akku ist natürlich auch leer. Das ist die Gelegenheit, ein Gläschen auf die ersten sechs Monate meines nicht mehr blogfreien Daseins zu trinken. Das nächste Mal lasse ich zwei, drei Tage später als gewohnt von mir hören!

Täglich grüßt das Murmeltier Read More »

Die Blindgängerin steht im knietiefen Wasser mit Blick auf einen langen Sandstrand. Sie trägt einen rot und weiß gestreiften Bikini und hat eine Taucherbrille auf die Stirn geschoben. Mit der linken Hand deckt sie die Augen gegen das Sonnenlicht ab und schaut suchend Richtung Strand, auf dem viele Badegäste lagern.

Und wo ist jetzt mein Handtuch?

Statt in dunkle Kinosäle stürze ich mich gerade in Südfrankreich bei hochsommerlichen Temperaturen an einem kilometerlangen Sandstrand in die Fluten des Mittelmeeres. Wasser ist mein Element und ich schwimme leidenschaftlich gerne und gut. Im Meer kann ich nach Herzenslust ohne Kollisionsgefahr drauflos kraulen und allenfalls im Eifer des Gefechts zu weit ins offene Meer gen Afrika, genauer gesagt Algerien, abdriften. Der längst verstorbene Genosse und SPD-Politiker Herbert Wehner schnauzte einst in den 70er Jahren bei einer hitzigen Bundestagsdebatte den Mitgliedern der Opposition, die empört den Plenarsaal verließen, hinterher: „Das ist der Nachteil derer, die herausgehen, sie müssen auch wieder hereinkommen“, und zwar spätestens zur Abstimmung. Dieser in die Geschichte eingegangene Spruch gilt jetzt auch für mich, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Den Einstieg ins Meer zu finden ist unproblematisch, aber irgendwann muß ich auch wieder heraus, und das ist an einer völlig anderen Stelle als der Einstieg. Ich stehe also knietief am Ufer, die Wellen umspielen sanft meine Beine, ich suche natürlich vergebens kritischen Blickes den so langen Strand ab und frage mich: „Wo ist jetzt mein Handtuch?“ Einen Strandläufer nach dem Weg zu fragen kommt nicht in Frage. Wenn ich jemanden anspreche, wie beispielsweise „Pardon Monsieur, könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich hinwill“, ernte ich höchstwahrscheinlich nur ein befremdetes Schulterzucken. Bleiben also Geruchssinn, Tastsinn und die Ohren. Ein Handtuch, das ich über diese Entfernung noch erriechen kann, möchte ich erst gar nicht wiederfinden. Sich mit dem Langstock tastend eine Route zu erarbeiten, könnte wie folgt aussehen: 10 Schritte geradeaus, an der Sandburg nach links und bei der vierten Muschel noch fünf Schritte nach rechts. Aber bei so vielen sich stets ändernden Spuren im Sand ist das keine gute Idee. Die Sandburg kann jederzeit geflutet und die Muschel verbuddelt werden. Der Teleskopstock reagiert auf das kleinste Sandkörnchen höchst allergisch und bleibt zudem auf dem Handtuch zurück. Jetzt bleiben nur noch die Ohren, aber Handtücher geben an sich leider oder glücklicherweise keine Geräusche von sich. Ich könnte einen Hund darauf Platz nehmen lassen und als freudig bellenden Abholservice einsetzen. Aber isch abe gar keinen Hund. Gibt es vielleicht eine Handtuchaufspür-App? Oder könnte man in das Handtuch einen GPS-Sender einnähen und über die wasserdichte Applewatch anfunken? Aber bis dies technisch realisiert ist, wird mein Handtuch mit den Gezeiten wohl verappt sein. Der Rettungsanker ist wie so oft im Leben die Bar, am Strand die Strandbar. Mit dem Handtuch wie die Touristen auf Malle einen Barhocker blockieren und nach dem durstig machenden Bade die Bar dank der Musik erhören und notfalls einen Strandläufer befragen. Nach einem Getränk wäre ich dann wieder einmal direkt auf dem an die Bar angrenzenden Holzweg zur Düne und hätte so das perfekte taktile Leitsystem für den Rückweg. All diese Überlegungen sind ehrlicherweise rein hypothetischer Natur. Derjenige, der mich fotografiert, geleitet mich zu meinem Handtuch, das praktischerweise neben seinem liegt, und dann geht’s erst einmal in die Strandbar. Hab ich ein Glück!!! Allerdings hat mich vor vielen Jahren genau an diesem Strand der Fotograf, damals der Lesende, einmal vergessen. Das Buch war zu spannend, um sich mit mir abzukühlen und um, wie versprochen, gelegentlich nach mir Ausschau zu halten. Ich saß wie bestellt und nicht abgeholt sehr lange an der Waterkant, die Erfrischung war längst hinüber und mein rechtes Ohr von der Sonne feuerrot und elefantös angeschwollen. Der Lesende hatte dafür einen geschwollenen rechten Knöchel, wir waren damit quitt! Einen hab ich noch, der ist allerdings nicht von mir (der oft Lesende ist manchmal auch der Schwafelnde): Zum Schwimmen einen Blindenseehund mitnehmen und vorher neben das Handtuch einen leckeren Fisch als Köder auslegen. Dann mit dem Seehund sozusagen als Blindensehhund das verdammte Handtuch finden. Man darf also keinen blinden Seehund nehmen. Aber nicht zu lange im Wasser bleiben, sonst haben die Möwen inzwischen den Fisch geklaut!

Und wo ist jetzt mein Handtuch? Read More »

Mädchen im Eis

Gerade noch rechtzeitig vor der Eisschmelze habe ich es mit Greta zu dem Roadmovie „Mädchen im Eis“ in einen der Kinosäle der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg geschafft. Roadmovies spielen überwiegend auf Landstraßen oder Highways. Die Reise wird laut Wikipedia zur Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität der Protagonisten. Das gemeinsame Ziel des Mädchens und aller anderen sehr verschiedenen Filmfiguren ist ein heruntergekommenes Hotel in der Schnee- und Eiswüste am russischen Polarkreis, welches sie aus den unterschiedlichsten Motiven mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen zu erreichen versuchen. Zurzeit wird intensiv über Qualitätsstandards diskutiert, an denen sich alle, die bei der Erstellung von Audiodeskriptionen mitwirken, zukünftig orientieren können und sollen. Beteiligt an diesem Prozeß ist unter anderen die Vereinigung Deutscher Filmbeschreiber. Zwar wird momentan auch die Homepage vom Hörfilm e.V. (www.hoerfilmev.de) technisch, optisch und inhaltlich überarbeitet, aber die Kerninhalte bleiben erhalten. Ich schlüpfe jetzt einmal in die Rolle eines Hörfilmbeschreibers und versuche getreu nach diesen Kerninhalten, die etwas chaotische Filmhandlung und die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr aufzudröseln. Handlungsorte: Um sich die Orte des Geschehens vorstellen zu können, reicht es meistens, wenn man diese einfach beim Namen nennt. Die wichtigsten Orte sind hier eine russische Tankstelle, auf der sich die meisten Figuren schon einmal mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen und das heruntergekommene Hotel nebst Zimmer im gewachsenen Nichts am russischen Polarkreis. Zwischendurch besuchen wir immer wieder ein Pinguingehege mit Wasserbecken. Handlungszeitpunkt: Eine konkrete Zeitangabe ist nur erlaubt, wenn diese beispielsweise auf einer Uhr auch für den Zuschauer ersichtlich ist. Ansonsten wird mit Begriffen wie „es ist Abend“, „am nächsten Morgen“ usw. der zeitliche Geschehensablauf vermittelt. Die Tage im Hotel wurden durch die Mahlzeiten Frühstück, Mittag- und Abendessen strukturiert. Nachts wurde geschlafen oder auch nicht. Handelnde Personen: Insbesondere bei dialogfreien Szenen ist es wichtig zu erklären, wer gerade auf der Leinwand agiert. Getreu dem Grundsatz, daß der Filmbeschreiber der Handlung nie vorgreifen darf, sind die Namen erst dann ins Spiel zu bringen, wenn auch der Zuschauer diese erfährt. Bis dahin behilft man sich mit äußerlichen Umschreibungen oder Eigenschaften wie hier im Film das Mädchen, der Große, der Schmächtige, der Bärtige, der Blonde, der Videokünstler, der Geliebte und zugleich Ehegatte, die Ehefrau mit ihrer Biathlontrainerin und ein Baby. Für die quasi „Taufe“ der Handelnden soll eine Dialogpause gewählt werden, die genug Zeit läßt, die Person genauer unter die Lupe zu nehmen. Dem Blonden wird ziemlich schnell der Schädel eingeschlagen, ich glaube, einen Namen erhält er erst post mortem. Den Namen des Großen, einer zwielichtigen Gestalt, habe ich vergessen. Beauftragt von dem Bärtigen soll er 100 lebende Pinguine für Videoaufnahmen zu dem Hotel befördern, erreicht dieses aber leider mit 100 sehr frostigen Komparsen. Was sich in und um das Hotel herum abspielt und damit die Filmgeschichte, erzählt der Große als Rückblende. Er arbeitet inzwischen als Tierpfleger in einem Pinguingehege, wo er zur Belustigung insbesondere der Kinder die possierlich aussehenden Tiere mit Makrelen füttert. Als der Schmächtige das Gehege besucht, entlarvt er den Großen als Mörder der 100 erfrorenen Pinguine. Um sich zu rechtfertigen, packt der Große vor den Besuchern aus. Er läßt an keinem der Hotelbewohner ein gutes Haar und auch die Pinguine, denen er einen sehr häßlichen Charakter nachsagt, bekommen ihr Fett weg. Immer, wenn der Große in dem Gehege mit Makrelen in Richtung der Tiere oder auch einmal des Schmächtigen wirft, spielt der Film in der Jetztzeit, um dann mit dessen Erzählung stets wieder in die Rückblende überzugehen. Der Bärtige entpuppt sich als russischer Oligarch und zugleich selbsternannter Ökoaktivist namens Starych. Er beauftragt den im Hotel eintrudelnden Videokünstler, mit und über ihn einen agitatorischen Kurzfilm zu drehen, und zwar eigentlich mit lebenden Pinguinen. Das schlanke, aus Deutschland stammende Mädchen Winja mit einem ovalen Gesicht, schulterlangem schwarzen Haar und natürlich wunderschönen großen blauen Augen, verliebte sich in Frankfurt/ Main unsterblich in einen Russen. Sie nimmt die strapaziöse Reise Richtung Polarkreis in der Hoffnung auf sich, dort den Geliebten zu finden. Sie fährt mal mit dem Bärtigen, mal mit dem Großen per Anhalter durch die Schneewüste. Wenig begeistert muß sie mit ansehen, wie der Geliebte mit Frau, einem Baby und der stets herumstänkernden Biathlontrainerin der Konkurrentin in dem Hotel auftaucht. Die Liebesgeschichte fand ich nicht so aufregend, das lag wahrscheinlich an dem Darsteller des russischen Geliebten, dem wäre ich bestimmt nicht bis ans Ende dieser eisigen Welt gefolgt. Umso spannender war die Figur des charismatischen Oligarchen, der man viel mehr filmische Aufmerksamkeit hätte widmen sollen. Die genaue Beschreibung der Mannsbilder konnte ich mir leider nicht merken. Erläuterung der Geräusche: Geräusche und Soundeffekte dürfen nur übersprochen werden, wenn sie sich nicht von selbst erklären. Daß es sich um Explosionen handelte, an denen letztlich fast alle Figuren mitwirkten, war unschwer zu erraten. Allerdings wäre mir ohne die gut gemachte Bildbeschreibung sehr viel, insbesondere das dramatische Ende entgangen. Es wirbeln diverse Male Schneemassen und Eisblöcke mit Pinguinen durch die Lüfte, bis der Bärtige endlich zufrieden abnickt. Die Rolle, die er sich in seinem Film zugedacht hat, läßt nur einen Versuch zu. Beschreibung von Farben: Farben sind Geburtsblinden sehr schwer zu vermitteln. Farben werden entweder genannt oder ihre Wirkungsweise erkannt und beschrieben. Die vorherrschende Farbe im Film ist weiß wie Schnee und gelegentlich blutiges Rot. Fazit: All das, was ich so gerne mache, ist den Filmbeschreibern auf das Strengste untersagt, nämlich die Handlung aus der eigenen Sicht zu erzählen, vor- und zurückzugreifen und auch einmal etwas längere Sätze zu schreiben. Trotzdem soll die Stimmung und Atmosphäre des Filmes sich in der Beschreibung widerspiegeln. All das ist der Beschreibung beim „Mädchen im Eis“ sehr gut gelungen!!!

Mädchen im Eis Read More »

Tag der offenen Tür im Berufsförderungswerk Halle (Saale)

Ich halle an der Saale, Du hallst an der Saale, er, sie, es hallt an der Saale usw. läßt der Schriftsteller Curt Goetz die Patientin Maria Violetta Höllriegel im Bühnenstück „Dr. med. Hiob Prätorius“ die gleichnamige Stadt konjugieren. Wahrscheinlich wurde aus diesem Grund in Halle nach ihm eine Straße benannt. Ich hallte letzte Woche Donnerstag an der Saale, und zwar als das Berufsförderungswerk Halle (Saale) als Kompetenzzentrum „Rund um das Sehen“ zum 25. Mal seine Tore für die Allgemeinheit öffnete. Anfang März stellte ich meinen Blog www.blindgaengerin.com und damit mein Anliegen, Blinde, Sehbehinderte und alle anderen fürs Kino zu begeistern, per Mail bei Herrn Stemmler vor. Mein Gedanke war, in dem BFW viele Blinde und Sehbehinderte zu erreichen, die oft nicht in Vereinen organisiert sind. Herr Stemmler meinte wortwörtlich, da hätte ich voll ins Schwarze getroffen, und lud mich zum Tag der offenen Tür ein. Am 28. Mai um 10.00 Uhr begrüßte die Geschäftsführerin Kerstin Kölzner in der Aula im Haus 1 die sehr sehr zahlreich erschienenen Gäste und eröffnete den Tag der offenen Tür unter dem Motto „Steigende Sehanforderungen am Arbeitsplatz – Wir liefern Lösungen“. Anschließend referierte Herr Matthias Benninghofen über den Stand der Forschung bei dem von „Second Sight“ entwickelten Netzhautchip. Immerhin gelingt es unter gewissen Voraussetzungen, Vollblinden ein Hell-/ Dunkelsehen zu ermöglichen. Mein Sehrest ist zwar minimal, aber ich kann Kontraste sehr gut wahrnehmen. Ich falle also durchs Raster, aber Herr Benninghofen versprach, daß an der Weiterentwicklung der Technik fieberhaft gearbeitet werde. Dann hatte mein Stündlein geschlagen. Unter dem Motto „Smart mit dem Phone – Kino über die Ohren erleben“ stellte ich mich als Blindgängerin aus Berlin und meinen Blog so knapp wie möglich vor und verwies auf die Bibliothek eine Etage tiefer, die für vier Stunden mein Reich war. Die Audiodeskription war dort über mein an einer Lautsprecherbox angeschlossenes Smartphone zu hören. Ein Abspielgerät sorgte für das Bild und den Originalton der DVD des Filmes „Wir sind die Neuen“ in Dauerschleife. Ich konnte die Lautstärke der Audiodeskription und die des Films getrennt regeln und meinen Besuchern, die manchmal auch die Augen zukniffen, so sehr plastisch den Unterschied eines Filmerlebens mit und ohne Bildbeschreibung vorführen. Während der vier Stunden gesellten sich ungefähr 50 Sehende, Blinde und Sehbehinderte jung wie alt, zu mir, um sich über die Audiodeskription im Allgemeinen zu informieren und zu erleben, wie einfach es sein kann, diese mit der App von Greta und Starks in die Ohren zu bekommen. Alle verließen begeistert die Bibliothek, bedankten sich, und vereinzelt konnte ich auch die Berührungsängste vor dem Smartphone wenigstens ein bißchen nehmen. Das war schön! Zwischendurch kamen die Herren Stemmler und Küchler und die Damen Frau Scheibe und Frau Sander nach mir schauen und sorgten für mein leibliches Wohl. Kurz bevor ich meine Zelte abbrechen mußte, erschien plötzlich das Fernsehteam von TV Halle in der Tür. Sie wollten einen kleinen Beitrag für die Sendung „Hallo Halle“ über mich drehen. Bevor ich nervös werden konnte, war schon alles vorbei. Es blieb leider keine Zeit, eine Runde über das parkähnliche Gelände des BFW zu drehen, auf dem bereits am 01. April 1898 die Provinzial-Blindenanstalt ihrer Bestimmung übergeben wurde. Die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurden liebevoll restauriert und die Mitarbeiter behaupten durchweg mit Stolz, das bundesweit kleinste, aber schönste BFW zu sein. In der Turnhalle war die größte Hilfsmittelausstellung des mitteldeutschen Raumes untergebracht. Dort war ich eigentlich locker mit Jette Förster und Andy Chyla, beide auch aus Berlin angereist, verabredet. Herr Chyla präsentierte das Hörfilmprojekt des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) und Frau Förster informierte als Jugendreferentin des Blinden- und Sehbehindertenvereines Sachsen-Anhalt. Die treuen vierbeinigen Begleiter durften natürlich auch nicht fehlen. Eine Blindenführhundschule zeigte die Arbeit und Ausbildung mit Führhunden. Ich habe zwar keinen Führhund, liebe aber Hunde und die Hunde eigentlich auch immer mich. Am nächsten Tag erfuhr ich über die im Internet noch bereitgestellte Sendung „Hallo Halle“ von den ungeahnten Möglichkeiten, den an sich schmucklosen weißen Langstock aufzupeppen. Den Griff und die Kugel passend zum Outfit und Anlaß austauschen, vielleicht auch einmal eine Diskokugel? Ich kenne da jemanden, die, wenn man sie ließe…, mon dieu!!! Das ist ein nur sehr kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen und bunten Programm, das über 500 Besucher nutzten, um sich über die Arbeit des BFW Halle zu informieren. Ich hoffe für meinen Teil, in Halle nicht verhallt zu sein, und fuhr gegen 16.00 Uhr, um in der Sprache der gelesenen Emoticons zu sprechen, mit glücklichem Gesicht und halbgeschlossenen müden Augen zurück in die Hauptstadt.

Tag der offenen Tür im Berufsförderungswerk Halle (Saale) Read More »

Mein Herz tanzt

Vor einigen Jahren brachte die Berliner Band Mia mit „Mein Herz tanzt“ in dem Song „Tanz der Moleküle“ die Herzen ihrer Fangemeinde zum Tanzen. Seit 14 Tagen spielt sich die Hauptfigur des gleichnamigen Filmes, Eyad, auf der Leinwand in die Herzen der Kinobesucher, und so auch in meines. Unter den ca. 8 Millionen Einwohnern Israels leben ungefähr 1,5 Millionen israelische Staatsbürger arabischer und palästinensischer Herkunft, also Menschen, die keine Juden sind, und deren ethnische und kulturelle Identität oder Sprache arabisch ist. Araber mit israelischen Bürgerrechten werden wahlweise als israelische Palästinenser oder arabische Israelis bezeichnet, wobei der letzte Begriff von der offiziellen Seite bevorzugt gebraucht wird. Der israelische Regisseur Eran Riklis gibt mit seinen Filmfiguren der arabischen Minderheit ein Gesicht und erzählt aus dem Leben des jungen Palästinensers Eyad, von 1982 bis Anfang der 90er Jahre. Eyads Familie lebt in einer von Arabern bewohnten Kleinstadt, so wie es sie in Galiläa, der östlichen Landesebene Israels, und dem nördlichen Teil des Negev gibt. Nur wenige Araber leben in den Städten Jerusalem, Haifa oder Akko. Eyad wächst behütet und von seinen Eltern traditionell erzogen mit seinem Bruder auf. Ein besonders inniges Verhältnis hat er zu seiner Großmutter. Er ist ein aufgewecktes pfiffiges Kerlchen und bekommt das erste Mal in der Schule Repressalien zu spüren. Vom Lehrer nach dem Beruf seines Vaters gefragt, antwortet Eyad: „Mein Vater ist Terrorist!“ Eindeutig die falsche Antwort. Mit Schlägen auf die Finger will der Lehrer die richtige Antwort, der Vater sei ein Tagelöhner, erzwingen. Aber Eyad bleibt mit tränenerstickter Stimme standhaft. Zum Stolz seiner Eltern schafft er den Absprung auf die Eliteschule Jerusalems schlechthin und tauscht jetzt als Teenager das traditionell ausgerichtete Familienleben in einer arabischen Kleinstadt gegen das freie Campusleben des modernen Israel ein. Rockmusik, Bars und Tanzen gehen muß er so nach und nach für sich entdecken. Dabei wird er von seinen ausnahmslos jüdischen Mitschülern teils ironisch, teils verächtlich, wegen seiner Unbedarftheit und als arabischer Sonderling aufgezogen. Auch im Unterricht hat er keinen leichten Stand. Als sich die politische Lage zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten um 1990 wieder bedrohlich anzuspannen beginnt, wird er auch von der Lehrerschaft fast ein bißchen dafür mitverantwortlich gemacht. Nur mit seinem jüdischen, an Multipler Sklerose erkrankten Mitschüler Yonatan verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Die beiden sehen sich zum Verwechseln ähnlich, und nur weil Eyad sich als Yonatan ausgibt, kann er ein Bankkonto eröffnen und einen Aushilfsjob als Kellner annehmen. Er wird nicht nur dieses eine Mal in Yonatans Identität schlüpfen. Auch die Liebe ist kompliziert. Seine jüdische Freundin, die ihn wirklich zu lieben scheint, traut sich nicht zu einem Coming-out, in dem Sinne, sich öffentlich zu ihrer Liebe zu einem Palästinenser zu bekennen. Zwischendurch muß sich Eyad, wenn er zu seiner Familie fährt, neugierigen Fragen über sein Leben in Jerusalem stellen. Diese Besuche werden immer häufiger von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gestört. Schon fast schizophren mutet es an, wenn seine Großmutter die Raketen anfeuert, diese mögen doch beispielsweise das israelische Regierungsviertel treffen, als ob man unter Feinden lebt. Auch dem eigentlich verhaßten Saddam Hussein werden die Daumen gedrückt, als die Amerikaner im 2. Golfkrieg 1991 mit ihrer Offensive „Desert Storm“ versuchen, ihm den Garaus zu machen. Der Großmutter mußte Eyad einst versprechen, dafür zu sorgen, daß sie in ein geweihtes Tuch gehüllt beerdigt werde. Da er jedoch zu spät zu ihrer Beerdigung kommt, findet das Tuch schließlich eine ganz andere Verwendung. Im Kino haben sich mir einmal wieder einige Szenen nicht erschlossen und einiges konnte ich mir ergoogeln. Mit der Autorin der Hörfilmbeschreibung habe ich dann noch einmal den Film Revue passieren lassen und mußte enorme Verständnislücken feststellen, die ich erst in diesem Gespräch schließen konnte. Ein kleiner Trost ist, daß ich mir mit der DVD den Film mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr noch einmal zu Gemüte führen kann. Das mache ich auch, aber Kino ist halt doch viel besser!

Mein Herz tanzt Read More »

Nach oben scrollen