Blog Blindgaengerin

Juli 2015

Heil

Heil-igs Blechle, was war dees? Heute gehört uns Prittwitz, und morgen? Prittwitz gibt es wirklich, und zwar als Name eines alten sehr weit verzweigten schlesischen Adelsgeschlechts. Den Schauplatz des filmischen „Heil“-losen Durcheinanders, Prittwitz in Brandenburg, sucht man genauso vergebens wie das Dreiländereck Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Tauscht man Sachsen gegen Sachsen-Anhalt, sieht die Sache schon ganz anders aus. So leise und mit feinsinnigen Humor der Film „Señor Kaplan“ an die braune Vergangenheit herangeht, so laut und chaotisch läßt der Regisseur Dietrich Brüggemann seine Figuren durch die braune Szene von heute poltern. An Akteuren hat er nicht gespart und ich versuche, mich an so viele wie möglich zu erinnern. Johnny und Kalle repräsentieren das Prittwitzer braune Jungdummvolk, das in blindem Gehorsam dem Führer der Prittwitzer Kameradschaft, Sven Stanislawski, folgt. Die beiden tragen besonders bei der Umsetzung des geplanten Einmarsches in Polen maßgeblich zur allgemeinen Erheiterung bei. Doreen, die Prittwitzer blonde Rasse(n)schönheit, läßt ihre Verehrer mit dem Hitlergruß abblitzen und weist darauf hin, daß diese, bevor sie nicht in Polen einmarschiert seien, auch bei ihr kein Land gewinnen könnten. Herr Georgi aus Hamburg täuscht als „Nipster“ mit seinem für Nazis untypischen Outfit über seine wahre braune Gesinnung hinweg und versucht als harmloser Saubermann der Nation sein Glück. Auch seine Söhne müssen, ob sie wollen oder nicht, für das Image des Vaters herhalten. Einige verwirrt wirkende Antifa-Kämpfer versuchen mehr oder weniger erfolgreich, die braune Suppe zu versalzen. Den afrodeutschen Antirassismus-Bestsellerautor Sebastian Klein verschlägt es anläßlich seiner Lesereise nach Prittwitz. Eine unsanfte Begegnung mit dem braunen Schlägervolk macht ihn unfreiwillig zu dessen willenlosem Sprachrohr, verziert mit einem Hakenkreuz-Tattoo auf der Stirn. Seine hochschwangere und höchst besorgte Freundin Nina bedient das Klischee einer „Prenzlauer Berg-Ökomutti“. Der auf dem rechten Auge blinde Bürgermeister macht dem mit beiden Augen hinschauenden Dorfpolizisten das Leben schwer. Schwer haben es auch die nichtdeutschen Imbißbetreiber in Prittwitz. Dann mischen noch einige Nachrichtendienste und ein TV-Moderator mit. In zwei Talkshows prallen einige dieser Pappnasen aufeinander. Talkshows gehören nicht gerade zu meinen Lieblingsfernsehformaten, aber in diesem Fall mußte ich zweimal eine Ausnahme machen. Bei dieser Vielfalt an Personen und Aktionen hätte ich mich sehr über einen einst von Ulrich Roski besungenen „Mann im Ohr“ gefreut. In diesem Film wäre es, wie mir die federführende Hörfilmautorin verriet, eine Sprecherin gewesen. Bei Filmen, in denen männliche Stimmen dominieren, wählt sie als Gegenpol gerne eine Frauenstimme und umgekehrt. Die bestimmt liebevoll erstellte Hörfilmbeschreibung ist zwar auf einer der Tonspuren des DCP im Kinosaal gelandet, war für mich aber mangels einer speziellen Technik vor Ort nicht nutzbar und stand auch nicht über die App von Greta zur Verfügung. Das DCP heißt „Digital Cinema Package“ und ist ein standardisiertes Medium, das seit einigen Jahren in fast allen Kinos die altehrwürdige Filmrolle ablöst. Man könnte meinen, daß es bei dialogstarken Filmen möglich sei, dem Geschehen auch ohne Bildbeschreibung weitgehend folgen zu können. Das war mir allerdings bei der Menge der Personen, die in einem irren Tempo von einem Chaos ins nächste jagten, nur sehr eingeschränkt möglich. Bis ich geschnackelt hatte, wer da gerade irgendwelche Dämlichkeiten von sich gibt, wurden mir schon wieder die nächsten Sprüche um die Ohren gehauen. Auch das fröhliche Geräuscheraten half mir wenig. Was nützt es, wenn man jemanden mit einer Spraydose herumhantieren hört und weder weiß, wer derjenige ist, noch, was er sprüht. Daß geprügelt, geschossen und explodiert wurde, war einfach zu erraten, aber wer sich mit wem prügelte und wen es erwischte, blieb mir meistens verborgen. Verkompliziert haben das Geschehen dann auch noch die Beamten der Nachrichtendienste des Dreiländerecks beim natürlich nicht miteinander abgesprochenen Rekrutieren ihrer V-Leute aus der Prittwitzer Kameradschaft. Letztlich wußte ich genauso wenig wie die braunen Dödels, ob sie gerade als überzeugte Nazis oder als V-Leute und wenn ja, für welchen Nachrichtendienst, über die Leinwand tobten. Aber die Verfassungsschützer waren genauso überfordert. Eine große Herausforderung war der Film auch für das Team der Hörfilmbeschreiber. Im selben wahnsinnigen Tempo wie die Filmhandlung mußte die Sprecherin den Text der Bildbeschreibung, oft nur ein Wort, in die nur sehr kurzen Dialogpausen platzieren, sofern es überhaupt Pausen gab. Um den Sprechern die Arbeit im Tonstudio zu erleichtern, werden solche Stellen im Skript mit den Buchstaben ss für „super schnell“ lesen gekennzeichnet. Das Skript für den Film „Heil“ war nur so gespickt mit den wohlgemerkt kleingeschriebenen Buchstaben ss! Die Wortgefechte haben mich nicht immer unbedingt vom Hocker gerissen und gegen Ende des Filmes war mein Aufnahmevermögen auch weitgehend erschöpft. Entgangen sind mir leider unzählige äußerst witzige und fantasievolle visuelle Details, die den Film erst zu der grotesken, absurd-komischen Satire machen. Eine „Frau im Ohr“ hätte mir zwar das Verstehen der Handlung erleichtert, für diese unverzichtbaren Details aber sicher keine Zeit gehabt. Schade, aber nicht zu ändern!

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Señor Kaplan

Ein Kaplan ist der Inhaber eines geistlichen Amtes, heißt auf polnisch „Priester“ und auf türkisch „Tiger“. Ein Asteroid namens Kaplan kreist um die Sonne, der gleichnamige Ort im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana tut das zwar auch, ist dabei aber nicht so allein. Ansonsten ist Kaplan sowohl als Vorname als auch über den gesamten Globus verteilt als Familienname zu finden. Jacobo ist einer dieser Namensträger und die liebenswerte Hauptfigur des Filmes „Señor Kaplan“. Als kleiner Junge ist er der Einzige einer jüdischen Familie, der kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der damals tödlichen Falle Polen in Richtung Südamerika entkommt. Dem Großvater des Regisseurs Álvaro Brechner aus Uruguay widerfuhr einst ein ähnliches Schicksal. Jacobo strandet in Montevideo, der Hauptstadt des kleinsten spanischsprachigen, im südlichen Südamerika gelegenen Staates Uruguay mit drei Us. Dort lebt er bis heute glücklich mit seiner Frau Rebecca, seinen beiden erwachsenen Söhnen und der 18-jährigen Enkelin Lotti. Inzwischen 77 Jahre alt, führt er ein recht unbeschwertes, von der Sonne verwöhntes Rentnerdasein. Uruguay ist ungefähr halb so groß wie Deutschland. Von den ca. 3,4 Millionen Einwohnern leben knapp 40% in der Hauptstadt. Montevideo gilt als eine der zehn sichersten Städte Lateinamerikas und als die mit der höchsten Lebensqualität. Eigentlich gibt es für Jacobo, der rege am gesellschaftlichen Leben der jüdischen Gemeinde teilnimmt, keinen Grund zum Meckern, wären da nicht die allmählich sich anschleichenden Alterserscheinungen. Die Knochen tun ihre Dienste nicht mehr so zuverlässig wie gewohnt und das nachlassende Sehvermögen macht ihm besonders zu schaffen. Das Autofahren ist inzwischen eine Mutprobe für den Beifahrer und nach einer Karambolage mit Blechschaden ist die Pappe weg, da hilft auch kein Schummeln beim Sehtest. Aber sein Hauptproblem ist die große Frage nach dem Sinn des Lebens. Vom Alltag gelangweilt, sehnt er sich danach, für die Nachwelt ein außergewöhnliches Denkmal von sich zu setzen, die Welt einfach ein bißchen besser zu machen, wie auch immer. Unverhofft kommt oft, und zwar beim heimlichen Rauchen mit seiner immer mit Kopfhörern zugestöpselten Enkelin auf dem Balkon nach einem Abendessen mit der versammelten Mischpoke. Auf die Frage des Großvaters, wo und wie sie ihre Freizeit verbringt, erzählt Lotti von einem bei den Jugendlichen beliebten Strand mit einer Strandbar, von deren Besitzer, einem älteren Deutschen, alle ganz selbstverständlich als von „dem Nazi“ sprechen. Schlagartig wittert Jacobo die Chance seines Lebens, einen Altnazi, der sich wie so viele nach dem Kriegsende nach Südamerika abgesetzt hatte, seiner längst überfälligen Strafe in Israel zuzuführen. Da kommt ihm Wilson, der Jacobo von seiner Familie eigentlich als Chauffeur aufs Auge gedrückt wird, als Helfershelfer gerade recht. Der dem Alkohol sehr zugeneigte Pechpilz Wilson wurde gerade zu Unrecht unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen und von Frau und allen fünf Kindern verlassen, von allen guten Geistern irgendwie auch. Das Dreamteam macht sich also sehr auffällig und ungeschickt ans Recherchieren, zieht nicht unbedingt immer die richtigen Schlußfolgerungen, und schlittert von einem Schlamassel ins nächste. Immer wieder läßt sich Wilson von Jacobos Einfällen und Ungeschick zu wahnsinnigem Gelächter hinreißen. Eine dieser gar nicht enden wollenden Lachsalven ruft Jacobo mit seinem Plan hervor, den Nazi zu kidnappen und über den Seeweg mit einem kleinen Fischerboot nach Israel zu verschleppen. Die Lachsalve auch deshalb, weil die beiden passionierte Nichtschwimmer sind. Bei ihren ungeschickten Observierungen an dem wunderschönen Traumstrand des Atlantischen Ozeans stellen sie vor allem fest, daß sich der durchtrainierte Deutsche wie ein Fisch im Wasser bewegt. Als der sich von dem Duo verfolgt fühlt, spricht er eine scharfe Drohung aus. Aber letzten Endes gehen dann alle drei gemeinsam baden. Bis zur letzten Filmminute konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Jacobo ein Gelingen seiner Mission wünsche und ob er sich mit der Überführung des Julius Reich ein Denkmal als Weltverbesserer setzen kann oder er sich einfach schrecklich irrt. Letztlich hat mir der Regisseur die Entscheidung darüber abgenommen. Die vielen Dialoge werden, besonders wenn die Kaplans unter sich sind, in einem rasanten südamerikanisch-temperamentvollen Tempo gesprochen. Die Sprecherin der Audiodeskription, deren schöne klare Stimme es mir angetan hat, mußte sich ganz schön sputen, alle Informationen rechtzeitig in den Pausen unterzubringen, was ihr immer gelungen ist. Bei der Familie Kaplan fliegen verbal ganz schön die Fetzen. Die sehr unterschiedlichen Söhne Jacobos beharken sich und die besorgte Rebecca schimpft ständig mit ihrem störrischen Gatten, der heimlich raucht und trotz eines Schlaganfalles einfach nicht von seinem Vorhaben abrückt. Die Enkelin Lotti ist die Einzige, die ihren geliebten Großvater so nimmt, wie er ist. Das Tempo der Erzählung wird auch von der Musik bestimmt, mal von jüdischer Folklore, mal von wunderschönen lateinamerikanischen Rhythmen. Rolf Becker, der als der Deutsche Julius Reich eine sehr gute Figur macht, meinte bei der Premierenvorstellung im Kinosaal sinngemäß: Dem Regisseur Álvaro Brechner ist es bei „Señor Kaplan“ ebenso wie unter anderem Ernst Lubitsch bei dem Film „Sein oder Nichtsein“ gelungen, eine Geschichte aus dem düsteren Kapitel deutscher Vergangenheit mit einer erträglichen Leichtigkeit zu erzählen. Das ist ein schönes Schlußwort!

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Kafkas Der Bau

Franz Kafka ist ohne sein Wissen der Ziehvater des Filmes „Kafkas Der Bau“. Die Werke des 1883 in Prag geborenen deutschsprachigen Schriftstellers zählen nach einhelliger Meinung zur Weltliteratur. Die letzten zwei Jahre vor seinem frühen Tod im Jahr 1924 schrieb der schwer erkrankte Kafka an der unvollendet gebliebenen Erzählung „Der Bau“, die mit dem unvollständigen Satz endet „Aber es blieb alles unverändert, das . . .“ Der Schriftsteller Max Brod, sein langjähriger Freund und Weggefährte, strich das Wörtchen „das“ und ersetzte das Komma durch einen Punkt, bevor er das Werk 1931 veröffentlichte. Ungefähr 80 Jahre nach dem Tod des Ziehvaters beginnt der Oscarpreisträger Jochen Alexander Freydank an einem Drehbuch zu schreiben, dem er diese unvollständige Erzählung Kafkas zugrunde legt, sie in die Jetztzeit überträgt und mit dem Titel „Kafkas Der Bau“ als Regisseur erstmals verfilmt. Bis zur Fertigstellung des Filmes werden 10 Jahre vergehen. Franz Kafka läßt in „Der Bau“ ein dachsähnliches Tier als Ich-Erzähler dessen fanatischen, aber vergeblichen Kampf schildern, seinen riesigen labyrinthähnlichen Erdbau gegen Eindringlinge jeglicher Art zu sichern. Der Drehbuchautor Freydank gibt die Rolle des Ich-Erzählers in menschliche Hände und kann den Schauspieler Axel Prahl als seinen Wunschkandidaten für die Rolle des Franz gewinnen. Auch Franz plagen stets wachsende paranoiaartige Wahnvorstellungen, sich vor einem wie auch immer gearteten Feind durch eine Optimierung des Baus, seiner in den obersten Etagen eines Hochhauses gelegenen Wohnung, schützen zu müssen. „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohl gelungen. Das Schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch.“ Diese Sätze legt Franz Kafka seinem dachsähnlichen Tier in den Mund und der Regisseur läßt diese seinen Ich-Erzähler Franz als Einleitung in dessen Videokamera sprechen. Ab sofort bleibe ich bei der Filmgeschichte, bevor ich mich noch verFranze! Franz ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein schickes Auto und eine gute Stellung in einer Versicherung oder Bank. Er bezieht mit seiner Familie eine große luxuriös ausgestattete Wohnung in einem noblen, in knallroter Farbe gestrichenen Hochhaus mit Wachpersonal, einem Hausmeister, gespielt von Josef Hader, und allgegenwärtigen Überwachungskameras. Um das Glück festzuhalten, wird kurz nach dem Einzug ein „glückliche-Familie-Foto“ geschossen, wobei dem Teddy eines der Kinder nicht zum letzten Mal besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Und von da an ging‘s bergab! Damit habe ich auf keinen Fall zu viel verraten, weil der Prozeß des Verfalls von Mensch und Gebäude gleichermaßen das Nervenaufreibende ist. Besonders der äußerliche Verfall des anfangs sehr gepflegt aussehenden Franz ist so dramatisch, daß er irgendwann sein Spiegelbild nicht erkennt und, mit einer Brechstange auf sich selbst losgehend, den mannshohen Spiegel zum Bersten bringt. Seine Angst, jederzeit attackiert zu werden, ist nicht unbegründet. Auch ich habe mich vor vielen Jahren über mein Spiegelbild geärgert, das zielstrebig auf mich zu kam und einfach nicht ausweichen wollte. Das lag allerdings weniger an einer Verwandlung meinerseits und der große Wandspiegel blieb heil. Mit dem Prozeß der fortschreitenden Verwahrlosung und seelischen Verwirrung des Franz geht der äußerliche und innerliche Verfall des einst noblen knallrot gestrichenen Hochhauses einher. Je mehr der Mieter das Haus verlassen wie Ratten das sinkende Schiff, erobern zerlumpte, zwielichtige, in Müllbergen wühlende Gestalten das Gebäude. Bei seinen flotten Schrittes absolvierten Kontrollgängen muß sich Franz an den überall in den Fluren und dem Treppenhaus Kauernden vorbeilavieren und ich habe nur darauf gewartet, daß eine der Figuren ihn an seinen Fußgelenken packt. Ich wurde nicht enttäuscht. Mir ist das zum Glück nie passiert, als ich mich vor einer Ewigkeit auf dem Weg zu meinem Studentenzimmerchen in einem alten Gemäuer mitten in der Heidelberger Altstadt regelmäßig an auf dem Boden schlafenden, schnarchenden Bündeln vorbeimogeln mußte. Dialoge sind in diesem Film eher die Ausnahme. Meistens monologisiert Franz in seine Videokamera oder führt Selbstgespräche. Der Regisseur läßt die Bilder für sich sprechen, arbeitet oft mit Rückblenden und springt zwischen den Parallelwelten des Franz hin und her. Zudem gelingt es der Filmmusik und den merkwürdigsten Geräuschen, eine bedrohliche Stimmung zu verbreiten. Zu dem außergewöhnlichen Film kam dann auch eine sehr ungewöhnliche Hörfilmbeschreibung durch Greta in mein Ohr. Ortswechsel werden einige Male mit dem Begriff „Szenenwechsel“ angekündigt. Eigentlich reicht es, wenn der neue Handlungsort einfach benannt wird. Allerdings muß hier oft ein Zeitsprung angekündigt werden oder Franz befindet sich zwar in denselben Räumlichkeiten, aber in seiner Parallelwelt. Mindestens einmal wird erwähnt, daß die Kamera einen sehr langen Flur entlang schwenkt. Man hätte auch die Bilder beschreiben können, welche die Kamera einfängt. Aber erst durch das lange Schweigen, untermalt von der düsteren Musik, kam die bestimmt gewollte Beklemmung auf, die Kameraführung gehört also zur Eigenart des Filmes. Mehrmals werden die Geräusche erklärt, bevor sie zu hören sind. Bis auf eine Ausnahme ist das berechtigt, weil im Moment des Geräusches schon wieder neue Bilder zu erklären sind. Wie ich mich bei den netten Damen an meiner Seite im Kinosaal vergewissern konnte, war es schon für sehende Zuschauer nicht ganz einfach, das Geschehen auf der Leinwand zu deuten. Umso schwerer muß es für die Hörfilmbeschreiber gewesen sein, eine verständliche, der Stimmung des Filmes gerecht werdende Bildbeschreibung zu erstellen. Eine Autorin des Teams, bei dem auch Blinde beteiligt waren, hat mir das bestätigt. Wegen der langen dialogfreien Phasen kann der Sprecher langsamer als gewohnt seine Texte platzieren, auch das ist vom Hörfilmteam gewollt, um das Tempo des Sprechers dem des Filmes anzupassen. Mir war das ein bißchen zu langsam. Aber das alles ist wie immer Geschmackssache. Das Wichtigste ist, daß in meinem Kopf Bilder entstehen, die zu den gesprochenen Worten und den Geräuschen passen, und das war immer der Fall. Besonders gelungen ist die Beschreibung der Mimik des brillierenden Axel Prahl als Franz in all seinen Lebensphasen. Ich habe mich einfach in die Abgründe des Franz mitziehen lassen, war aber sehr erleichtert, das Kino noch bei den letzten Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher verlassen zu können.

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Minions

Ein Abend in Berlin und immer noch über 30 Grad, was liegt da näher, als ins Kino zu gehen. Mir gleich taten es erstaunlich viele Leute mit sehr leicht und flipfloppig beschuhten Füßen, um sich mit den kleinen gelben Dingern, genannt Minions, einen lustigen Kinoabend zu machen, der sich übrigens als ein extrem lustiger entpuppte! Ihre ersten Auftritte, allerdings nur mit einer Gastrolle, hatten die Minions in den Filmen „Ich – Einfach unverbesserlich“ 1 und 2 in den Jahren 2010 und 2013. In dem aktuell laufenden US-amerikanischen 3D-Animationsfilm spielen die Gelben die Hauptrolle und lassen die menschlichen Figuren, die dieses Mal den Part der Gastrolle übernehmen, ziemlich blaß aussehen. Am Anfang ist die Ursoße, in der erst wenige und dann immer mehr gelbe Einzeller wabern, bis sie als etwa 50 cm große Wesen durch die Weltgeschichte blödeln. So wie mir diese Wesen mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr erklärt wurden, mußte ich sofort an die allseits bekannten Überraschungseier aus Plastik einer ganz bestimmten Schokoladensorte denken. Neben dem Herumblödeln ist der eigentliche Lebensinhalt der Minions, sich dem Bösen, am besten der bösesten Kreatur der Welt, zu unterwerfen und ihm zu dienen. Zuerst schließen sie sich dem Saurier T-Rex an, der recht schnell tödlich verunglückt. Das gleiche Schicksal ereilt Dschingis Khan, Dracula, einen Steinzeitführer und einen Ritter. Tragischerweise finden all diese Bösewichte durch die komischsten Mißgeschicke ihrer Lakaien, der Minions personifiziert, den Tod. Nachdem sie sich ihres Meisters Napoleon sehr einfallsreich, aber natürlich mal wieder ungewollt, entledigt und sich so schon verdächtig nahe in die Jetztzeit vorgearbeitet haben, verfallen sie frustriert in eine tiefe Depression. Sie kehren der Welt den Rücken und ziehen sich in eine eisige Höhle in der Antarktis zurück. Dort verharren sie mehr oder weniger erstarrt ungefähr 150 führerlose Jahre, wobei es an scheußlichen Kreaturen bestimmt nicht gemangelt hätte, mir fallen auf Anhieb mehr als genug ein. Im Jahre 1968 heckt der Schlaumeier Kevin einen Plan aus, um sich in der weiten Welt nach einem neuen Scheusal umzuschauen. Begleitet wird er von dem rebellischen Teenage-Minion Stuart und dem kindlichen Bob mit seinem Teddy. Die drei Überraschungseier schlagen nach einer strapaziösen Reise 1968 zunächst im damals von der Flower Power, Love & Peace-Bewegung beherrschten New York auf. Von dort trampen die drei abenteuerlich nach Orlando, wo sie hoffen, auf einer Schurkenmesse fündig zu werden. Das klappt auch und sie fliegen im Privatjet der Oberschurkin Scarlet Overkill nach England. Die neue Herrin möchte ihr Haupt mit der Krone der Queen schmücken und die Gelblinge sollen mal eben das Objekt ihrer Begierde aus dem bestbewachten Platz Englands, dem Tower of London, entwenden. Viel wichtiger als die Handlung ist es, den Minions zuzuschauen, wie sie von einer Katastrophe in die andere schlittern und immer wieder, meist in letzter Minute, ihren nicht vorhandenen Hals aus der Schlinge ziehen. Das alles geschieht in der Kulisse der wilden späten 60er-Jahre, angefangen bei der Kleidung bis hin zu allen möglichen zeittypischen Utensilien. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die Musik dieser Zeit, die Stones, die Kinks, die Beatles, The Who, Donovan und Bo Diddley. Als es dem Dreierteam trickreich gelingt, als Besucher in den Tower eingelassen zu werden, setzt es die Wachposten der Krone durch Hypnose außer Gefecht. Diese lassen bis auf die Unterhose die Hüllen fallen, schütteln ihr sehr langes buntes Haupthaar, und klatschen sich hüftenschwingend nach dem Titelsong des Musicals „Hair“ gegenseitig auf ihren Allerwertesten. Das war einfach großartig. Später müssen die drei über die Kanalisation flüchten und tauchen aus einem Gullydeckel an einem Zebrastreifen auf, über den gerade die wohl berühmtesten Pilzköpfe der Welt die Straße überqueren. Das sind nur zwei der unzähligen Szenen, die mit viel Liebe zum Detail und fantasievoll den damaligen Zeitgeist widerspiegeln. Inzwischen hat es die restliche Sippe der Minions geschafft, selbst in der Antarktis Ärger zu bekommen, sie sucht lieber das Weite. Auch deren Reise ist weit und beschwerlich. In Australien legen die Minions einen Teil der Strecke in den Beuteln der dort hopsenden Dinger, Kängurus genannt, fort. Schließlich verschlägt es auch sie nach England. Die Sprache der Minions wird übrigens nicht synchronisiert, sie ist ein Mischmasch aus den Sprachen aller Herren Länder. Erstaunlicherweise habe ich die liebenswerten Geschöpfe immer verstanden. Zum Abschluß noch ein „Chapeau!“ an die Hörfilmbeschreiber! Es gab wahnsinnig viel zu beschreiben und die kurzen Pausen, in denen die Gelblinge einmal nicht vor sich hingebrabbelt haben, wurden, wie ich fand, optimal genutzt.

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