Blog Blindgaengerin

August 2015

Der Sommer mit Mamã

Dieser alles auf den Kopf stellende Sommer mit Mama spielt sich hauptsächlich auf einem sehr luxuriösen Anwesen in der brasilianischen Metropole São Paulo ab und endet dort mit einem Befreiungsschlag im Swimmingpool. Mit durchschlagendem Erfolg hat sich der Film bereits im letzten Winter bei der Berlinale gegen die Konkurrenz durchgesetzt und den Panorama Publikumspreis gewonnen. Ohne die konkurrierenden Filme zu kennen: Ich hätte bestimmt auch für den „Sommer“ gestimmt und das nicht etwa, weil ich im Februar den Winter schon mehr als leid bin. Ich denke, die eigentliche Preisträgerin des Publikumspreises ist Val (Regina Casé), die gute Seele nicht nur des Filmes, sondern auch des Hauses mit dem bedeutungsschwangeren Swimmingpool. Val ist die Abkürzung für den schönen Mädchennamen Valerie, der seine Wurzeln in dem lateinischen Verb „valere“ (gesund sein, stark sein) hat. Seit über zehn Jahren kümmert sich Val als Haushälterin und Kindermädchen um Wohl und Wehe der drei Bewohner des Latifundiums, und das so ziemlich rund um die Uhr. Wenn sie nicht den inzwischen 17-jährigen Sohn des Hauses Fabinho mit ihrer Liebe und Fürsorge überschüttet, hat sie damit zu tun, die pausenlos geäußerten Wünsche ihrer Herrschaften zu erfüllen. Das einzige, was die Bewohner alleine bewerkstelligen, ist es, die Gabel oder das gerade servierte Getränk zum Munde zu führen. Auch der verwöhnte Sprößling wird frühzeitig an seinen Status als Befehlsgeber herangeführt. Der Herr des Hauses, Herr Carlos, wurde mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren und ermöglicht so seiner Familie ein sorgenloses und luxuriöses Leben. Neben Val gibt es auch noch eine Putzfrau und einen Chauffeur. Gelangweilt und ein bißchen lebensmüde schleppt sich Carlos durch den Tag und wird von Val ständig an das Einnehmen seiner Medikamente erinnert. Dagegen strotzt die Dame des Hauses, Frau Barbara, vor Energie, allerdings nur, um sich selbst darzustellen und an ihrer Karriere in der Modebranche zu basteln. Ihre Rolle als Mutter hat sie für die letzten zehn Jahre dankbar an Val abgetreten. Anhand der Stimmen und dem, was sie wie sagen, habe ich mir ein Bild von den drei Figuren gemacht. Der Lektor hat sich einfach den Trailer angeschaut und dann haben wir unsere Ergebnisse verglichen. Von den Stimmen auf das Äußere zu schließen kann ganz schön schief gehen, aber hier lag ich gar nicht so falsch. Meiner Namensvetterin habe ich ein ziemlich unsympathisches Äußeres verpaßt. Ihre Stimme klingt mal schrill, mal genervt, und immer aufgesetzt. Das entspricht auch ihrer Erscheinung, wie sie sich kleidet, schminkt und frisiert. Wenn sie sich überhaupt zu Hause blicken läßt, stolziert sie Befehle erteilend durch die Räumlichkeiten und beendet jeden zweiten Satz mit „Schätzchen, Küßchen“. Unter Val habe ich mir eine etwas kräftiger gebaute robuste Frau vorgestellt, die ihr Päckchen zu tragen hat und mitten im Leben steht. Ihre tiefe Stimme klingt mal energisch streng, mal müde, mal gütig warmherzig, oder sie lacht ihr ehrliches befreiendes Lachen. Sie ist keine Schönheit, aber wenn sie ihr Lachen lacht, werden ihre kantigen Gesichtszüge weich und ihre Augen funkeln lebenslustig. Der Mann des Hauses geht mit seiner angenehm ruhigen und leisen Stimme zwischen den beiden Frauen etwas unter. Er hat in mir nicht gerade die Vorstellung eines glutäugig schwarzgelockten temperamentvollen Brasileiros geweckt. Sein eher unauffälliges Äußeres entspricht ein bißchen der ihm in der Familie zugedachten Rolle. Eines Tages platzt Val mit der Neuigkeit heraus, daß ihre Tochter Jéssica nach São Paulo komme, um an einer Aufnahmeprüfung für die Universität teilzunehmen. Jéssica ist natürlich herzlich willkommen und bekommt in Vals Kemenate Asyl. Vor zehn Jahren mußte Val, anders als Barbara, ihre Mutterrolle gezwungenermaßen an eine Verwandte abtreten. Um ihre Tochter und sich ernähren zu können, ging sie schweren Herzens vom Land nach São Paulo und zog liebevoll, aber stets von Gewissensbissen geplagt, den damals siebenjährigen Fabinho auf statt ihre eigene Tochter. Während dieser Zeit hatten Mutter und Tochter so gut wie keinen Kontakt und bei ihrem Wiedersehen stehen sie sich wie zwei Fremde gegenüber. Jéssica ist eine moderne, selbstbewußte, attraktive junge Frau und erweckt zu Barbaras Mißfallen die Lebensgeister und die Gunst des Senioren des Hauses. Von Vals besserer Besenkammer darf sie in das Gästezimmer mit eigenem Bad umziehen, diniert mit dem Hausherrn am selben Tisch und wird so zwangsläufig von ihrer Mutter mit bedient. Sie darf sogar das den Herrschaften vorbehaltene Erste-Klasse-Eis verspeisen. Val versteht die Welt nicht mehr und das ihr eigentlich Halt gebende Weltbild gerät ins Wanken. Mutter und Tochter beginnen, sich aneinander zu reiben und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Regisseurin Anna Muylaert versteht es, an vielen alltäglichen Kleinigkeiten das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich in Brasilien aufzuzeigen. Sie tut dies feinfühlig und mit Witz, ohne daß Val dabei ihr Gesicht verliert. Anna wurde selbst von einem Kindermädchen betreut, das in einem sklavenähnlichen Verhältnis im elterlichen Haus lebte. Für die Betreuung ihrer eigenen Kinder beschäftigt sie eine Tagesmutter mit festen Arbeitszeiten. Der Himmel über dem Swimmingpool ist immer blitzeblau und das glasklare Wasser verlockt verführerisch, sich mit einem Sprung ins kühlende Naß der flimmernden Hitze zu entziehen. Aber Val verbietet ihrer Tochter schon den Gedanken daran, der Pool sei für sie ein absolutes Tabu. Das kümmert den Kronsohn wenig und er befördert Jéssica aus Jux und Dollerei in voller Montur in das Heiligtum. Barbara ist entsetzt und veranlaßt unter dem Vorwand, eine Ratte am Wasser gesehen zu haben, den Pool zu leeren. Jéssica hat verstanden und verläßt so schnell wie möglich die ungastliche Stätte, worauf Barbara ja schon seit längerem drängt. Weil Jéssica nicht nur hübsch, sondern auch intelligent ist, besteht sie im Gegensatz zu Fabinho die Aufnahmeprüfung sogar mit Bravour. Val kann sich gar nicht oft genug mit stolzgeschwellter Brust die Punktzahl auf der Zunge zergehen lassen, natürlich nur in Barbaras Gegenwart. Ob genau das ihr die Kraft gibt, sich aus dem Herrschaftsgefüge zu lösen, kann sie nur selbst beantworten. Jedenfalls sitzt sie plötzlich quietschvergnügt planschend in dem nur knietief gefüllten Tabu und telefoniert dabei lachend mit ihrer Tochter. Als nächstes trifft sie selbstbewußt einige Entscheidungen, damit sich ihr tragisches Schicksal nicht bei Jéssica wiederholt. Ich drücke den beiden beide Daumen!

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Auf einem roten Ecksofa sitzt die Blindgängerin mit einer goldenen Pappkrone auf dem Kopf. Sie trägt ein goldenes Trägershirt und einen blauen Minirock. In der Hand einen Filzstift, schaut sie in einen Schreibtischkalender, auf dem schon alle Tage schwarz angekreuzt sind. Neben ihr liegt ein großer Wandkalender. Auf dem Tisch vor ihr eine Rechenmaschine und ein goldener Pokal mit der Zahl 1.

Dating Queen

Was ist eigentlich Monogamie, außer unrealistisch? Der Begriff Monogamie kommt aus dem Altgriechischen, monos heißt „alleine, einzig“ und gamos „Ehe“. Er bezeichnet eine lebenslange exklusive Fortpflanzungsgemeinschaft zwischen zwei Individuen einer Art, wie bei den Höckerschwänen und manchmal beim Menschen. Wenn Monogamie unrealistisch sein soll, ist dann Polygamie realistisch? Die Übersetzung für poly ist „viel“ und die für gamos wie gehabt „Ehe“. Polygamie bedeutet Vielehe und die Duldung von gleichzeitigen eheähnlichen Beziehungen. Eine der Varianten ist die Polygynie, auf Deutsch die Vielweiberei. Die sich seit knapp zwei Wochen durch die Kinos datende Queen Amy hat sich mit Haut und Haar der Polyandrie, der Vielmännerei, verschrieben. Dieses Wort gefällt mir und wird in sehr schnellen und witzigen 130 Filmminuten mit viel männlicher Präsenz zum Leben erweckt. Der Grund für Amys Vielmännerei könnte 23 Jahre zurückliegen, als der Vater ihr und der jüngeren Schwester Kim den Scheidungsgrund der Eltern so unkonventionell wie amüsant zu erklären versuchte. Mit der Puppe der jüngeren Kim in der Hand stellt er die Frage, ob sich die beiden vorstellen könnten, lebenslänglich immer nur mit dieser einen Puppe spielen zu müssen. Vielleicht möchte diese Puppe phasenweise auch gar nicht mehr so unbedingt angefaßt werden. Und was, wenn sich viel attraktivere Puppen dazugesellen? Er verspinnt sich in einem Netz von plötzlich auftauchenden und wieder verschwindenden Puppen, verpuppt sich, bis er sich wieder entpuppt und zwar zu einem Puppenspieler, er will ja nur spielen. Zu guter Letzt gibt er die Parole aus „Monogamie ist unrealistisch“, die er die ungefähr fünf- und siebenjährigen Mädchen gleich zweimal hintereinander im Chor nachplappern läßt. Was den Mädchen damals wie böhmische Dörfer vorgekommen sein muß, haben die inzwischen jungen Frauen natürlich längst verstanden. Amy tritt ganz anders als ihre jüngere Schwester Kim begeistert in die väterlichen Fußstapfen und traktiert das männliche Geschlecht. Die in den 70ern besungene Dancing Queen hat sich ihren Titel ertanzt. Die vor drei Jahren für ein Fernsehformat irgendeines Privatsenders erfundene Shopping Queen wird für ihre Einkaufsqualitäten zur Königin gekürt. Die Dating Queen darf wegen ihrer zahllosen Rendezvous ihr Haupt mit einer Krone schmücken. Ich tauge weder zur Dancing, Shopping noch Dating Queen, aber im Verschusseln bin ich umso besser. Trotz Ankündigung habe ich es nämlich verschusselt, die App von Greta zu updaten mit der Folge, daß anstatt der Hörfilmbeschreibung in meinem rechten Ohr gähnende Stille herrschte. Beim ersten One-Night-Stand übernimmt Amy personifiziert die Bildbeschreibung. Amy heißt im wirklichen Leben Amy Schumer und wurde als amerikanische Stand-Up-Comedienne mit ihrer Comedyserie „Inside Amy Schumer“ bekannt. Sie schrieb das biographisch angehauchte Drehbuch für den Film und die besagte Szene stammt aus ihrem Fundus eigener Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht. Sie ist völlig außer sich über die Dimension des Gemächts ihres Spielgefährten, da ist kein Ende in Sicht! Zu sehen ist der Bursche nur von hinten, so daß wir Amys Beschreibung glauben müssen. Anfangs dachte ich, daß bei dem geschlechtsübergreifenden Gequassel ohne Punkt und Komma kaum Platz für eine Hörfilmbeschreibung bleibt. Schließlich häuften sich die amüsierten Lacher im Kinosaal, bei denen ich nicht mithalten konnte, kein gutes Zeichen! Also habe ich mich ein zweites Mal mit der Queen, diesmal begleitet von Greta, verabredet und plötzlich sah die Sache ganz anders aus. Ich konnte mir ein Bild von Amys Outfit machen, wie sie durch New York stöckelt, sich dem Alkohol und Shitrauchen hingibt und ihre Dates verwaltet. Auch auf das ein oder andere sehr nett beschriebene Detail bei ihren nächtlichen Abenteuern hätte ich nicht verzichten wollen. Auch beruflich hat sie es mit der Männerwelt zu tun. Sie schreibt erfolgreich Artikel für den Verlag eines Männermagazins, bei dem eine herrische Chefin die Aufträge je nach Sympathie unter den weiblichen und männlichen Schreiberlingen aufteilt. Ausgerechnet die verklemmte Nikki soll in Erfahrung bringen, wie sich der Verzehr von Knoblauch auf den Geschmack von Sperma auswirkt. Amy hat mehr Glück, sie darf den erfolgreichen Sportchirurgen Aaron (Billy Hader) interviewen. Zwischendurch schießt sie noch das Muskelpaket Oliver ab, der sich zu ihrem Entsetzen nach einer Frau fürs Leben mit einem Haus auf dem Land, gefüllt mit Kindern, sehnt. Beim Interview kommt es natürlich, wie es kommen muß, sie bestimmt zwar das Tempo, bricht allerdings gleich in der ersten Nacht mit ihrem Gelübde, nämlich niemals für die ganze Nacht zu bleiben. Die Liebe nimmt ihren Lauf und alle Versuche, sich den Sportchirurgen schlecht zu reden, scheitern kläglich. Ein Wermutstropfen in Amys Leben ist ihr an MS erkrankter Vater, den sie mit ihrer Schwester in einem Pflegeheim unterbringen muß. Jeder weiß, wie traurig Besuche in solchen Einrichtungen sind. Und wieder kommt es, wie es kommen muß! Die junge Liebe zerbricht. Nach einer kurzen Trotzphase, in der sie ein unglaublich komisches sexuelles Intermezzo mit dem 16-jährigen Praktikanten des Verlages hat, trifft Amy knallhart die Erkenntnis, daß Monogamie vielleicht doch gar nicht so unrealistisch ist. Sehr schön hörfilmbeschrieben ist das große Finale. Amy bricht sich einen Zacken aus ihrer Krone und versucht, zwischen den ihr eigentlich so verhaßten Cheerleader-Mädels mit einer Art Versöhnungsveitstanz alles wieder ins Lot zu bringen. Vielleicht klappt‘s ja dann auch mit dem Sportchirurgen! Mich juckt‘s in den Fingern, unzählige Szenen zu beschreiben, die ich erst mit dem Mann in meinem Ohr genießen konnte. Zusammenfassend kann ich jetzt mit Gewißheit sagen, daß Hörfilmbeschreibungen sogar bei vor Dialogen nur so strotzenden Filmen wie diesem für mich alternativlos sind!

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Die Blindgängerin auf dem Fahrersitz eines PKW, von der Beifahrerseite aus aufgenommen. Die Sonnenbrille in die Haare hochgeschoben, hat sie beide Hände am Lenkrad. Fröhlich lächelnd schaut sie nach vorn. Sie trägt ein weißes Shirt mit bunten Tupfen und weiße Jeans. Am Armaturenbrett lehnt der weiße Langstock.

Learning to Drive – Fahrstunden fürs Leben

Zuerst schnallen Sie sich bitte an, schalten die Zündung ein, starten den Motor, setzen den linken Blinker und schauen vorm Losfahren über ihre Schulter nach hinten, um den toten Winkel einsehen zu können. Nein, nicht über die rechte, sondern die linke Schulter! Dann macht der Wagen einen mächtigen Satz nach vorne. Also alles bis auf das Anschnallen noch einmal, und zwar mit Gefühl! So ähnlich begann meine erste Fahrstunde, aber leider nur im Film „Learning to Drive“! Hier sitzt Wendy, eine prominente New Yorker Literaturkritikerin Mitte 40, am Steuer. Bis zur Trennung von ihrem Mann sah sie keine Notwendigkeit, sich dem Streß einer Fahrprüfung und dem des New Yorker Straßenverkehrs auszusetzen. Entweder übernahm ihr Mann die Chauffeurdienste oder das gut ausgebaute öffentliche New Yorker Nahverkehrssystem. Ich hätte sehr gerne auf Wendys Platz gesessen und dann auch noch neben dem indischen Fahrlehrer Darwan mit seiner unendlich ruhigen und sanftmütigen Stimme. Für mich ist es unbegreiflich, wie man freiwillig auf das Privileg der Mobilität, die einem der Führerschein eröffnet, verzichten kann. Sich einfach in ein Auto zu setzen und jederzeit spontan mal eben dahin zu fahren, wo man hin möchte, beneidenswert!!! Ich brauche immer zuerst einmal einen Plan, wie ich mein Ziel erreichen kann, und den mit reichlich zeitlichem Vorlauf. Es gibt bestimmt Schlimmeres, aber die Lizenz zum Autofahren wäre schon toll. Daß Wendy ausgerechnet bei dem Fahrschullehrer Darwan landet, ist ihr Glück im Unglück. Darwan hätte übrigens gesagt: „Gluck im Ungluck“! Indern kommt so gut wie kein Ü über die Lippen. Als ich vor Jahren mit einem Inder Silvester feierte, „wunschte“ er uns viel „Gluck furs neue Jahr“. Im Film hat das mit dem Ü-Sagen allerdings geklappt. Ausgerechnet während einer Taxifahrt erklärt Wendys Mann die Ehe für ab sofort beendet, nicht gerade auf die feine Art und zumindest für Wendy aus heiterem Himmel. Am Steuer sitzt Darwan, der sich auch noch als Taxifahrer seine Brötchen verdient. Das Ehepaar sitzt streitend auf der Rückbank, Wendy kreischt hysterisch, bis der ehebrecherische Gatte sich den Wutausbrüchen seiner Frau entzieht. Fluchtartig stürzt er aus dem Taxi und fleht Darwan an, seine nun Ex-Frau nach Hause zu fahren. Dort liefert dieser das traurige Bündel Wendy schon fast mit schlechtem Gewissen ab. Als Wendys Mann eines Tages noch einmal bei ihr auftaucht, um seine persönlichen Sachen zu holen, zieht sie noch einmal alle Register, leider vergebens. Er geht “Back to Her” und sie geht „Back to Black“. Auch aus dem Besuch der gemeinsamen, ungefähr 20-jährigen Tochter Tasha wird zu Wendys Enttäuschung nur eine Stippvisite. Wieder zieht Wendy den Kürzeren, weil die Tochter mit dem Vater und dessen neuer Flamme zum Essen verabredet ist. Anschließend muß Tasha nach Vermont, wo sie seit kurzem auf einer Farm arbeitet. Dort hat sie entdeckt, daß Gemüse nicht in Plastikfolie gezwängt im Supermarktregal wächst, sondern der Samen in die Erde gesteckt und später die gereifte Frucht ausgebuddelt werden muß. Und überhaupt Erde! Wie sie sich anfaßt, wie sie duftet, zum Reinbeißen! Als Tasha ihrer Mutter vorwirft, sie nur mangels Führerschein niemals in Vermont zu besuchen, beißt Wendy in den sauren Apfel. Sie beschließt, sich zur Fahrschule anzumelden, und verabredet sich schon einmal mit ihrer Tochter zum Erde Essen in Vermont. Wie das Leben manchmal so spielt und sich doch noch alles zum Guten fügt! Gerade dank der für sie doch so unerfreulichen Taxifahrt sitzt Wendy jetzt am Steuer des Fahrschulwagens neben Darwan, der sich trotz ihrer chaotischen Fahrversuche mit stoischer Ruhe durch das Dickicht des New Yorker Straßenverkehrs kutschieren läßt. Sie flucht über alles und jeden, der ihre Kühlerhaube kreuzt, oder sitzt tief in Gedanken unkonzentriert am Steuer und verursacht einen Auffahrunfall. Darwan ist zugleich Fahrschullehrer und Seelendoktor, die beiden philosophieren über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und Besonderen. Aber auch Darwan fragt seine Schülerin gelegentlich um Rat in wichtigen Lebensfragen. Schritt für Schritt findet sich Wendy mit ihrem Solodasein und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten, wie z.B. saftigen Unterhaltszahlungen an den Ex, ab. So allmählich wird auch angedacht, sich zur Fahrprüfung anzumelden. Doch auch der scheinbar in sich ruhende Darwan, ein traditionsbewußter, streng gläubiger Sikh, trägt einige Probleme mit sich herum. Weil er darauf besteht, seinen Turban und Bart zu tragen, kann er trotz seiner Bildung nur den Beruf des Fahrschullehrers ausüben. Nicht nur einmal schlägt ihm fremdenfeindliche Gesinnung entgegen. Die Brautsuche übernimmt seine Schwester in der indischen Heimat. Er muß sich auf deren Geschmack verlassen und bekommt die Zukünftige das erste Mal am New Yorker Flughafen zu Gesicht. Die für westliche Vorstellungen undenkbare Art der Eheschließung wird von Fahrschülerin und Lehrer natürlich völlig kontrovers diskutiert. Beim Autofahren, vor allem bei längeren Strecken, fallen mir immer früher oder später die Augen zu. Bei den „Fahrstunden fürs Leben“ hatte ich ein-, zweimal den gefährlichen Sekundenschlaf. Wahrscheinlich, als nur der schöne Musikmix aus westlichen und indischen Klängen zu hören war. Ansonsten habe ich mich auf der Rückbank bei Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley), in Szene gesetzt von Isabel Coixet, sehr gut und kurzweilig unterhalten gefühlt. Mit dem Ende am Schluß ist das so eine Sache! Ich bin mir ziemlich sicher, wie die Sache zwischen den beiden ausgeht, aber wegen der letzten wortlosen Filmminuten eben nicht ganz sicher. So komme ich nicht einmal in die Verlegenheit, das Ende zu verraten.

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Amy

Ach ja, Amy! Hätte ich doch die Chance genutzt und wäre damals, ich denke 2007, zu ihrem Konzert in das Berliner Tempodrom gegangen. Im Radio erfuhr ich, daß sie etwas fahrig und unkonzentriert wirkte, sie bekam aber dennoch eine wohlwollende Kritik. Eine Woche bevor sich Amy Winehouses Todestag zum vierten Mal jährte, kam am 16.07.2015 der Dokumentarfilm „Amy“ in die deutschen Kinos. Erstaunlicherweise kann der Film bis jetzt nur knapp 54.000 Besucher verbuchen, das liegt vielleicht an den sehr sparsam und zu ungewöhnlichen Zeiten angebotenen Vorstellungen. Außerdem gibt es den Film nur auf Englisch im Original mit Untertitel zu sehen. Am dritten Tag, Samstag abends um 23.00 Uhr, habe ich im ausverkauften Clubkino des Berliner Zoopalasts von Amy Abschied genommen. Das klingt vielleicht ein bißchen theatralisch, aber so war das eben. Ich hatte gehofft, viele ihrer Songs, und nicht nur die gängigen, noch einmal ganz bewußt genießen zu können, und wurde nicht enttäuscht. Bei ihrem Superhit „Back to Black” bekam ich schon immer beim ersten Takt eine Gänsehaut. Im Kino bei der tollen Akustik kam die Gänsehaut gleich bei der ersten der 128 Filmminuten und blieb mehr oder weniger bis zum Schluß. Neben vielen Wegbegleitern aus ihrem privaten wie musikalischen Leben kommt natürlich auch Amy selbst einige Male zu Wort. Ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich die Sprech- und Singstimmen, besonders die der Sängerinnen, klingen. Amy spricht eher leise in einer wesentlich höheren Tonlage als beim Singen, lispelt ein bißchen und ihre Stimme klingt sehr jung, ihrem zarten Alter entsprechend. Wenn sie aber mit ihrer schönen, kräftigen, klaren, tiefen Stimme ganz ruhig und fast schon ein bißchen abgeklärt ihre traurigen Texte vorträgt, denke ich eher an eine gestandene Frau mit großer Lebenserfahrung. Fast alle der Songtexte stammen aus ihrer Feder und sie meint, nur über Dinge schreiben zu können, die sie selbst erlebt hat. Da tun sich schon Abgründe auf. Insbesondere bei dem Titel „Back to Black“ hat sie, wie ich finde, einen Nerv getroffen. Wer ist nicht selbst schon mindestens einmal in seinem Leben back to black gegangen? Ganz wichtig war es ihr, als Jazzsängerin anerkannt zu werden. Die schönen und ganz schön traurigen Melodien nehme ich eigentlich nur wahr, wenn ihre dominante Stimme pausiert. Sie beherrscht perfekt die Kunst der musikalischen Pause. Eine Pause genau an der richtigen Stelle, nicht zu lang und nicht zu kurz eben nicht zu singen oder sein Instrument nicht zu spielen, ist mindestens genauso schwierig wie das Singen oder Spielen an sich. Amy verzichtet auf Füllsel wie schubidu, lalala und yeahyeahyeah und Backgroundsänger(innen) sind mir auch nie aufgefallen. Unmengen von Archivmaterial, zahllose Interviews mit Familie, Freunden und Vertrauten sowie von Freunden zur Verfügung gestellte Home Videos standen dem britischen Regisseur Asif Kapadia zur Verfügung. Er hatte die Qual der Wahl und mußte sich für die richtigen Ausschnitte entscheiden, um Amys grandiose wie traurige 27-jährige Biographie zu dokumentieren. Etwas Skepsis kam bei einigen Filmkritikern auf, weil auch der sehende Zuschauer gelegentlich nicht einmal das Gesicht des gerade Sprechenden zu sehen bekommt und so über dessen Identität im Dunkeln gelassen wird. Man könne so auch nicht an der Mimik beispielsweise die Aufrichtigkeit und Echtheit der Gefühle des Sprechenden erkennen. Das war für mich nichts Außergewöhnliches, da ich immer an der Stimme die Gefühlsregungen meines Gegenübers eruiere. Wegen meiner recht lausigen Englischkenntnisse hatte ich oft so meine Müh und Not, den Gesprächen bis ins letzte Detail zu folgen, besonders bei den teils nuschelnden Herren. Sicherheitshalber werde ich mir die DVD noch einmal zu Hause mit einem Zuflüsterer anschauen, der der englischen Sprache besser mächtig ist als ich, oder der mir die deutschen Untertitel vorliest. Aber mir kam es ja nicht darauf an, neue skandalöse Enthüllungen zu erfahren. Auch inwieweit ihr Vater sowie ihr langjähriger Freund und kurzfristiger Ehemann Blake Fielder-Civil an ihren Drogenproblemen und letztlich an ihrem Tod eine Mitschuld tragen, kann ich am allerwenigsten beurteilen. Das Wort „Mitschuld“ bedeutet ja auch, daß es dabei zumindest noch einen Rest Eigenverantwortung gibt. Einige ihrer Freundinnen aus der Zeit vor ihrer Karriere machten sich mit tränenerstickter Stimme Vorwürfe, Amy nicht oder erst viel zu spät geholfen zu haben. Aber all denjenigen, die Amy beim Auftaktkonzert ihrer Europatournee in Belgrad im Frühling 2011 auf die Bühne schleppten, gehören meterlang die Ohren langgezogen. Während der Autofahrt zum Londoner Flughafen lag sie im Koma, wurde in den Flieger verfrachtet und ist erst gegen Ende des Fluges ein bißchen zu sich gekommen. In Belgrad hat man sie einfach auf die Bühne gestellt. Als sie keine Silbe über ihre Lippen bekommt, wird sie vom enttäuschten und wütenden Publikum ausgebuht. Sie verläßt nicht nur für immer die Bühne, die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern ungefähr zwei Monate später auch die Bühne des Lebens.

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Kartoffelsalat – Nicht fragen!

Dieses Gespräch hat genau so stattgefunden: Ich: Ich gehe jetzt ins Kino! Sie: Was gibt’s denn? Ich: Kartoffelsalat! Sie: Ach ja, das ist der Film mit dem Youtuber. Ich warte mal, was Sie darüber schreiben, und dann werde ich mir den Film auch anschauen. Also schreibe ich! Helge Schneider veröffentlichte 1999 als Helga Maria Schneider einen Roman „Eiersalat, eine Frau geht seinen Weg“ und tourte vor einigen Jahren mit seinem Programm „Wullewupp Kartoffelsupp“ durch die Republik. Jetzt hat es der Kartoffelsalat in die Kinos geschafft. Auf die Frage, was sich die Macher des Kartoffelsalats bei der Namensgebung gedacht haben, erhält man die ehrliche Antwort: Nichts, uns ist einfach nichts Besseres eingefallen. Außerdem deutet der Zusatz im Filmtitel, “Nicht fragen!“, ja schon an, daß man besser nicht nach Sinn oder Unsinn des Titels fragen sollte. Weder die Macher des Films noch sich selbst. Youtube war für mich bislang nur eine unermeßliche Fundgrube für Musik, insbesondere für Gitarrenstücke aus dem Repertoire des Ensembles, in dem ich seit Jahren mitspiele. „Kartoffelsalat“ ist der Auslöser dafür, daß ich mich erstmals mit Youtube-Stars beschäftige, zumindest mit denen, die bei diesem Salat mitmischten. Der Youtuber Freshtorge, mit bürgerlichen Namen Torge Oelrich, ist der Drehbuchautor und in der Hauptrolle als der Schüler Leo Weiß zu sehen. Er hat mit seinem Youtube-Kanal „Freshhaltefolie“ über 1,4 Millionen Abonnenten und 250 Millionen Aufrufe, da kann die Blindgängerin vor Neid nur so erblassen. Was für den Kartoffelsalat die Schüssel, ist für den Film ein Schulgebäude, in dem Leo Weiß sein Unwesen treibt, und zwar als Schüler der Superlative der Adjektive alt, schlecht, uncool und unbeliebt. Die Zutaten sind wenig überraschend reichlich Schüler, jeder Einzelne für sich schon sehr speziell und durchweg von Youtube-Stars gespielt. Die Rollen des Schulpersonals vom Hausmeister bis zum Direktor, viel Polizei, Eltern, Presse und ganz kurz die Kanzlerin übernehmen Schauspieler und/ oder Comedians, die schon seit dem letzten Jahrhundert aus Film und Fernsehen bekannt sind, also aus der Vor-Youtube-Zeit. Als Biologielehrer meint der GZSZ-Darsteller Wolfgang Bahro, seine Schüler über den gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr anhand von Zügen ohne Bahnhof aufklären zu müssen. Ständig schwirrt das P-Wort durch das Klassenzimmer und Leo hat als angeblicher Haupt-P-Wortsager einmal wieder die A-Karte gezogen. Das bedeutet nach einem jedenfalls für die Zuschauer belustigenden Eltern-/ Direktorgespräch für Leo den Schulrausschmiß. Neue Schule, neues Glück? Auch mit Damenfahrrad? Und mit Spuren des morgendlichen mütterlichen Abschieds im Gesicht? Kurze Antwort: NEIN, jedenfalls erst mal nicht! Leos Empfang an der neuen Schule ist genauso schräg und abartig wie die Lehrer, deren Unterrichtsmethoden und die neuen Mitschüler. Besonders gut gefallen hat mir der Sportunterricht. Während des Frühlingsballes soll sich für Leo das Blatt wenden. Nicht die den Kartoffelsalat glücklicherweise nur höchst selten heimsuchenden Bakterien oder Salmonellen, sondern ein Virus greift im Schulgebäude scheinbar wahllos um sich und läßt die Befallenen mutieren, nämlich zu…. Ich darf hier nur das Z-Wort sagen. Jetzt endlich hat Otto Waalkes seinen Einsatz. Sein Amt als „Notrufbeamter“ übt er wirklich otto-manisch aus. Das Schulgebäude wird von wirr redenden Polizisten, Sonderkommandos und der Presse umstellt. Die Lage im Schulgebäude spitzt sich dramatisch zu, bis Leo versucht, mit einem genialen wie einfachem pädagogisch wertvollem Trick, der auch grundsätzlich Schule machen sollte, das Ruder herum zu reißen. Als der Spuk mit den Viren endlich vorbei ist, gestalten sich die Rekonstruktion des Geschehens und die Ermittlung des Täters äußerst sch-virig und lang-virig. Neben Otto und Wolfgang Bahro geben sich unter anderen noch Norbert Heisterkamp, Tobias Schenke, Martin Schneider, Katy Karrenbauer und Jenny Elvers-Elbertzhagen die Ehre. Einige der Herrschaften trafen sich einst im filmischen Wald: „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“. Zum Schluß gibt’s noch ein paar Youtuber-Namen: Bibi, Y-Titty, iBlali, Melina Sophie, Simon Desue, Dagi Bee und Shirin David. Regie in dem Sprüchesalat führte Michael Davis Pate. Ganz deutlich wird, daß alle Mitwirkenden mächtig gewaltig viel Spaß bei den Dreharbeiten hatten. Ich im Kino übrigens auch, als wahrscheinlich die Älteste im Saal!

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