Roads
Wo fahren sie denn, wo fahren sie denn bloß alle hin? Sogar an trüben naßkalten Sonntagen scheint der Verkehrsstrom auf der Hauptverkehrsader in meiner Nähe nie abzureißen. Wollen die etwa alle ins Kino? Das ist ja immer eine gute Idee! Und dort kann man sich ganz entspannt und garantiert ohne Stau auf die Straße begeben mit Sebastian Schippers Film „Roads“ Wo geht es los? Die Tour beginnt eines Nachts in der Nähe einer Hotelanlage in der marokkanischen Sahara. Der 18-jährige Gyllen aus London (Fionn Whitehead) will mit dem dort abgestellten Wohnmobil seines Stiefvaters dem öden Familienurlaub am Hotelpool entfliehen. Aber das Gefährt streikt und die Hilfeanrufe bei seinen Kumpels enden alle auf deren Mailbox, FUCK! Beim Fluchen wird er vom gleichaltrigen William (Stéphane Bak) beobachtet. Der traut sich schließlich aus seiner Deckung, spricht Gyllen an und bringt ganz nebenbei den Motor zum Laufen. Gyllens Angebot, bei ihm mitzufahren, lehnt William jedoch ab. Er geht lieber zu Fuß weiter. William hat sich von seiner Heimat, dem Kongo, bis nach Marokko durchgeschlagen und ohne gültige Papiere ist er ständig auf der Hut, nicht von der Polizei aufgegriffen zu werden. Jetzt aber bitte nicht gleich die Schublade aufziehen „muslimischer Flüchtling“, da paßt der ernste junge Mann kein bißchen rein! Für Gyllen gibt’s, denke ich, keine Schublade. Ohne Führerschein, dafür mit einem britischen Paß in der Tasche, setzt er sich unbekümmert ans Steuer und fährt los. Der erste Dämpfer läßt allerdings nicht lange auf sich warten. Bei einem Disput mit einheimischen Wegelagerern, dem er nicht folgen kann, hat er so gut wie nichts entgegenzusetzen. Gyllen ist nur der englischen Sprache mächtig. Zum Glück ist William schon wieder zur Stelle, der die Abzocke sofort durchschaut. Schnell machen sich die zwei mit dem Wohnmobil auch im wahrsten Sinne aus dem Staub und beschließen, zusammen weiterzufahren. Das ist nicht nur für Gyllen eine ziemlich beste Idee! Und wo fahren sie eigentlich hin? Nach Frankreich, auch immer eine sehr gute Idee! Gyllen möchte zu seinem Vater nach Arcachon. Bei William ist die Sache etwas komplizierter. Er ist auf der Suche nach seinem älteren Bruder, der sich zuletzt aus Calais gemeldet hat. Die erste Etappe der Tour endet an der marokkanischen Mittelmeerküste und auf das spanische Festland geht es nur per Autofähre weiter. Aber wie soll das mit einem geklauten Wohnmobil, zweien ohne Führerschein und einem ohne gültige Papiere gelingen? Ja, sie schaffen das, aber nur knapp und mit Hindernissen! Eines heißt Moritz Bleibtreu, der als durchgeknallter Althippie zunächst die Rettung zu sein scheint. William und Gyllen bleiben nur 99 Minuten, um ihre Ziele in Frankreich zu erreichen, aber trotzdem kommt keine Hektik auf. Das mag auch an dem Wohnmobil liegen, das die Fahrt zwangsläufig entschleunigt. Es bleibt genug Zeit für viel unvorhersehbare Unterbrechungen und die beiden führen genauso viele ernste Gespräche, wie sie herumalbern und Spaß haben. Ich durfte dreimal so lange mit den sympathischen Jungs unterwegs sein und das war mir eine sehr große Freude! Wie das geht? Ich habe an der Audiodeskription mitgearbeitet. Der sehende Autor Holger Stiesy und ich sind ein eingespieltes Team. Wir waren den Jungs während ihres Trips durch drei Länder mit unseren Beschreibungen immer ganz dicht auf den Fersen, ob sie durch die Pyrenäen fuhren oder irgendwo in der Wildnis oder an Tankstellen Rast machten. Genauso wichtig war es uns auch, die Mimik und vielen kleinen Gesten der beiden wunderbaren Hauptdarsteller in Worte zu fassen. Ist der Text der Audiodeskription in trockenen Tüchern, stellt sich immer die Frage, wer diese einsprechen soll. Ich hatte bei „Roads“ sofort an einen Sprecher gedacht und mich sehr gefreut, die jüngere ruhige Stimme von Jan-Philipp Jahrke zu hören! Roger Zepp machte während der Sprachaufnahme die Tonregie. Das ist die letzte Möglichkeit, noch einmal korrigierend einzugreifen. Das Ergebnis unserer Arbeit kann man sich übrigens über die Greta und Starks App im Kino anhören! Und abschließend muß ich erklären, warum mein Artikel zu diesem sehr sehenswerten Film erst fünf Wochen nach dem Kinostart im Blog erscheint. Fast genauso lange ist unser zwei Jahre junger Kater trotz einer Großfahndung bis heute spurlos verschwunden und das hat mich ziemlich ausgebremst. Also alle bitte die Daumen drücken!