Lola 2020
Känguru müßte man sein, kein x-beliebiges, sondern ein ganz bestimmtes! Aber zuerst einmal nachträglich herzliche Glückwünsche zum 70., Deutscher Filmpreis! Ausgerechnet bei der Feier dieses Runden mußten die rund 2.000 eigentlich geladenen Gäste, und nicht nur die, zu Hause bleiben. Stattdessen saßen bestimmt alle ab 22.30 Uhr bei der ARD in der ersten Reihe, so wie auch ich! Nur Edin Hasanovic konnte seine Gratulation persönlich aussprechen beziehungsweise singen. Sehr feierlich trug er ganz allein im Fernsehstudio sein Geburtstagsständchen vor und dann wurde es ernst. Als Moderator der live ausgestrahlten Geister-Preisverleihung ohne Publikum und ohne Klatschband trug er einen mächtigen Brocken Verantwortung auf seinen Schultern. Aber ganz von allen guten Geistern verlassen war er nicht. Nach einigen Minuten wurde zum ersten Mal die Kontaktsperre gelockert. Im gebotenen Abstand begrüßte er als erste Laudatorin die ehemalige Präsidentin der Filmakademie. Kaum hatte ihn die charmante Iris Berben verlassen, flirtete er mit Anke Engelke, der zweiten Laudatorin, per Livestream. Dann hatte er sich akklimatisiert. Sympathisch führte er durch den Abend und überreichte 20 Mal symbolisch die Lola, die einzige weibliche Trophäe unter den wichtigsten Filmpreisen! Und nur ihr Name vermag – auch wegen des gleichnamigen Songs der Kinks – wie Musik in den Ohren zu klingen! Ihren männlichen Kollegen, dem Oscar aus den USA, dem César aus Frankreich und dem BAFTA aus Großbritannien, gelingt das nicht. Die Lola ist längst nicht so alt wie der Deutsche Filmpreis und das Alter kann ihr sowieso nichts anhaben. Das liegt bestimmt an der Frischzellenkur, die ihr der deutsche Film alljährlich verabreicht. Wie frisch dieser Jahrgang ist, zeigen schon die sechs Nominierten in der Kategorie „Bester Spielfilm“: Einen Tag lang mit „Lara“ Geburtstag feiern, schwerelos mit „Undine“ durch die geheimnisvolle Unterwasserwelt Berlins schweben und bei „Lindenberg! Mach dein Ding“ in Udos Rhythmus mitmüssen! Ein Jawort, das gilt selbstverständlich, aber tut es das auch in „Es gilt das gesprochene Wort“? Der Film bekam die Lola in Bronze! An „Berlin Alexanderplatz“, wo einen – ob man will oder nicht – ein Sog mitreißt, der doch klar in den Abgrund führt, ging die Lola in Silber!! „Systemsprenger“, der so unter die Haut geht und aufwühlt, erhielt die Lola in Gold!!! An dieser Stelle meine herzlichsten Glückwünsche an alle, die mit einer oder sogar mehreren Lolas ausgezeichnet wurden, wie „Systemsprenger“, „Berlin Alexanderplatz“ oder Albrecht Schuch, der in beiden Filmen spielte! Die bekamen dieses Jahr leider nicht die verdiente große Bühne im Palais am Funkturm. Dafür konnten sie sich per Livestream aus ihren vier Wänden ganz ungezwungen nach Herzenslust freuen und jubeln. Dem Internet sei Dank und dem technisch raffiniert ausgeklügelten System, im richtigen Moment die Bilder aus dem richtigen Wohnzimmer ins Studio zu holen und auf die TV-Bildschirme zu bringen! Das hat bis auf zwei Ausnahmen, bei denen Edin Hasanovic tröstend einsprang, sehr gut funktioniert. Am geräuschvollsten jubelte Helena Zengel als beste Hauptdarstellerin. Wie gut sie schreien kann, und nicht nur das, hat sie als Systemsprengerin bereits bewiesen. Nicht so laut, aber um so bestimmter, verschaffte sich zwischendurch mit einem näselnden „Hallo“ das einzige sprechende Känguru Gehör und forderte eine neue Kategorie beim Deutschen Filmpreis. Liebend gerne hätte ich ihm Kinoblindgängers „Barrierefreiheits-Lolas“ in den Mund gelegt. Aber das vorlaute Beuteltier, das dem Film „Die Känguru-Chroniken“ gerade eine Lola in der brandneuen Kategorie „Beste visuelle Effekte“ beschert hatte, dachte gar nicht dran! Es forderte einen Preis für „sprechende Tiere“. Ganz uneigennützig – so wie man es kennt – verpaßte es sich selbst eine Lola. Erst nach dem Protest des Moderators schlug es „Lassie“ vor. Dann ruderte es zurück und forderte stattdessen Grundeigentum für alle. Das Känguru scheint mir zu sprunghaft zu sein. Kinoblindgänger muß sich wohl wie gehabt selbst um die Kategorien „Beste Filmfassung nur für die Ohren oder Augen“ kümmern! Und jetzt zu denjenigen, ohne die eine Preisverleihung undenkbar ist. Eine Laudatio halten zu dürfen, ist eine große Ehre, und der wurden alle, ob im Studio oder per Stream, mehr als gerecht! Nur zwei möchte ich in meiner höchstpersönlichen Kategorie „Beste Laudatio“ kurz erwähnen: Zuerst hörte man sie nur schimpfen, daß es so dunkel sei, und dann kam Svenja Liesau in der Uniform der Jungpioniere und mit langen rosa Kaninchenohren ins Studio gestolpert! Kurz und knackig brachte sie es auf den Punkt: Die beiden nominierten Kinder- und Jugendfilme „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ und „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ erinnern ganz unterschiedlich auf wunderbare Weise an zwei Phasen deutscher Geschichte. Das finde ich auch! Gewinnen kann aber nur einer. Mein Herz hatte für „Fritzi“ etwas höher geschlagen, Sieger wurde aber das Kaninchen. Charly Hübner kann nicht nur Dokumentarfilm, sondern auch so darüber sprechen, daß man am liebsten sofort ins nächste Kino rennen und sich die drei nominierten Dokumentarfilme anschauen möchte: „Born in Evin“, „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ und „Heimat ist ein Raum aus Zeit“. Die Mitglieder der Akademie entschieden sich für „Born in Evin“. „Heimat“ ist auch eines der ganz großen Themen von Edgar Reitz. Das griff Giovanni di Lorenzo in seiner sehr schön vorgetragenen Laudatio für den über 80-jährigen Autoren, Regisseur, Filmemacher und Preisträger des diesjährigen Ehrenpreises auf. Daß er mit dieser großen Auszeichnung geehrt würde, wußte Edgar Reitz schon, überrascht war er aber von dem Laudator und dem, was dieser sagte. Sichtlich gerührt bedankte er sich und sprach über das Kino als wichtigsten Ort des Erinnerns. Zum Schluß stieß er mit seiner Frau Salome auf das Kino der Zukunft mit einem Glas Sekt an, und das tue ich jetzt auch noch einmal!