Blog Blindgaengerin

Autorenname: Barbara

Verene Bentele und die Blindgängerin lächeln entspannt in die Kamera.

Eine Schiffsfahrt mal ganz anders!

Nach sintflutartigen Regenfällen Ende Juni hieß es in Berlin vielerorts „Land unter“! Auf Straßen, die zu Wasserstraßen wurden, paddelten die Leute mit Schlauchbooten herum. Für größere Boote reichten die Pegelstände dann aber doch nicht. Pegelstände hin oder her, um Fahrt aufnehmen zu können, benötigt die „MS Bundesteilhabegesetz“ nicht einmal die berühmte Handbreit Wasser unterm Kiel. Sonst wäre das reibungslose Anlegemanöver des Dampfers am 17. Mai in der Karl-Marx-Allee sogar im ersten Stock des Café Moskau wohl kaum möglich gewesen. Dort hatte Verena Bentele, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, anläßlich ihres Jahresempfangs zu dieser mal ganz anderen Schiffspartie eingeladen. Es ist ein alter Brauch, Schiffen bedeutungsschwangere Namen zu geben. Die zweiköpfige Crew, Suzie Diamonds (Susanne Plassmann) und der vielleicht weltweit einzige Kapitän im Rollstuhl, Käptn Wheelchair (Maximilian Dorner), hat sich natürlich etwas dabei gedacht, die „MS Bundesteilhabegesetz“ auf diesen nicht gerade blumigen Namen zu taufen! Das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen wurde letztes Jahr verabschiedet. Von Teilen der Politik als die Errungenschaft schlechthin gefeiert, schlugen die Wellen der Empörung über dieses Gesetz seitens der Betroffenen so hoch, daß der Dampfer eigentlich immer noch Schlagseite haben müßte. Zunächst begrüßten Suzie Diamonds und Käptn Wheelchair die ca. 500 geladenen Passagiere an Bord, in dem riesigen Saal des Café Moskau. Dann moderierten und kabarettisierten die beiden sehr kurzweilig durch den 90-minütigen offiziellen Teil der Veranstaltung. Zwischen den drei Redebeiträgen, einer akrobatischen und den musikalischen Einlagen teilten sie kräftig aus und legten ihre Finger immer wieder in die offene Wunde Barrierefreiheit und Bundesteilhabegesetz. Ich war übrigens einer der mehr oder weniger blinden Passagiere. Für die Gäste mit Hörbeeinträchtigungen wurden die Wortbeiträge von Gebärdendolmetschern übersetzt. Und für die blinden Passagiere gab es natürlich eine live eingesprochene Audiodeskription. Um die Beschreibung der Deko und der an Bord agierenden Leute auch ins Ohr zu bekommen, hätte ich mir ein kleines Empfangsgerät aushändigen lassen müssen. Das hatten aber weder der nette junge Mann vom Service, der mich an meinen Platz geleitete, noch ich auf dem Schirm. Und das war sehr blöd, vor allem von mir und für mich! So oft wie möglich half mir der freundliche ältere Herr neben mir über dieses Manko hinweg. Als Ehrengast hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die erste Rede, in der er unter anderem ein Ende der Diskriminierung forderte: „Berührungsängste und Vorurteile verschwinden nur, wenn Menschen mit und ohne Behinderung sich begegnen.“ Bei der Inklusion müßten so viele Menschen wie möglich mitmachen, meinte er weiter. Da hat er uneingeschränkt recht! Aber ich glaube, daß von den ca. 500 Gästen aus Politik, Verbänden und Selbsthilfeorganisationen kaum jemand diesbezüglich sensibilisiert oder motiviert werden mußte. Das ist das alte Problem: Erreichen müßte man diejenigen, die nicht da sind. So beispielsweise die Mehrheit der Abgeordneten, die bei einer Ansprache von Verena Bentele im Plenarsaal des Bundestages mit Abwesenheit glänzten. Jetzt zwischendurch mal ein Beispiel, wie’s gehen kann! Nachdem ich mit meinem 24-jährigen Neffen neulich zum ersten Mal gemeinsam im Kino war, hat er anschließend darüber geschrieben und seinen Bericht auf Facebook gepostet. Theoretische Reichweite: Seine rund 700 meist gleichaltrigen Facebook-Freunde. Mich hat der Artikel so berührt, daß ich diesen demnächst hier in meinem Blog veröffentliche! An Bord ging es dann weiter mit dem Impulsvortrag der Zukunftsforscherin Cornelia Daheim zum Thema Zukunft der Arbeit und Chancen der Digitalisierung. Erinnern kann ich mich nur noch an eine ihrer Thesen, die mich ein wenig befremdete. Sie geht nämlich davon aus, daß es in 10 Jahren keine persönlichen Bewerbungsgespräche mehr gibt, und sieht darin eine große Chance für die Mitbewerber mit Behinderungen. Ob vor oder nach Frau Daheims Vortrag, den ungefähren Wortlaut der Begrüßung durch die Gastgeberin Verena Bentele habe ich noch im Ohr: Wie schön, Sie hier heute alle zu sehen! Mit ihren Augen wahrgenommen hat sie uns natürlich nicht, weil sie von Geburt an blind ist. Mir gefällt ihre unverkrampfte und offene Art zu sprechen und ich habe ihr gerne zugehört. Ich beschränke mich hier auf diese Stichworte ihrer Rede: Seit fünf Monaten können bei einer Schlichtungsstelle Diskriminierungsfälle nach dem Behindertengleichstellungsgesetz angezeigt werden. Für die Zukunft wünscht sie sich eine Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit und ein uneingeschränktes Wahlrecht für die Menschen mit einer umfassenden rechtlichen Betreuung. Auch dieses Jahr werde dieses Recht ca. 81.000 Menschen versagt. Zum Bundesteilhabegesetz äußerte sie: „Nach der Reform ist vor der Reform, die Bemühungen um Teilhabe müssen weitergehen.“ Und wie geht es mit Verena Bentele nach der Bundestagswahl weiter? Wenn es nach ihr geht, wie gehabt. Sie will weitermachen und dafür hat sie aus folgenden Gründen meinen vollen Respekt! In Deutschland leben rund 10 Millionen Menschen mit den verschiedenartigsten Behinderungen. Deren kleinster gemeinsamer Nenner sind die gleichen Bedürfnisse, wie sie jeder andere Mensch eben auch hat, nämlich z.B. Wohnen, Arbeiten, Bildung, soziale Absicherung, Mobilität, Sport, Kultur und vielleicht auch einfach mal nur Spaß an der Freud haben! Die großen Unterschiede liegen je nach Art der Beeinträchtigung in den Barrieren, welche die Befriedigung dieser Grundbedürfnisse erschweren oder unmöglich machen. Man kann sich leicht vorstellen, wieviele Einzelpersonen, Verbände und Selbsthilfegruppen sich mit ihren vielfältigen Nöten und hohen Erwartungen an Verena Bentele und ihr 20-köpfiges Team wenden. Dabei ist der Handlungsspielraum der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, so beeindruckend dieser Titel auch klingen mag, sehr begrenzt. Sie kann keine Gesetzesvorlage ins Kabinett einbringen, sondern nur bei dem jeweils zuständigen Ministerium anklopfen und die Berücksichtigung ihrer Belange in den entsprechenden Gesetzen fordern. Irgendeine Macht zur Entscheidung besitzt sie nicht. So sitzt sie quasi zwischen zwei Stühlen und das stelle ich mir auf Dauer sehr anstrengend vor! Vielleicht ließe sich einmal über eine Stärkung der Position der Beauftragten nachdenken. Handfeste formale Befugnisse und rechtliche Werkzeuge z. B. im Gesetzgebungsverfahren wären nicht nur in ihrem Interesse, sondern gerade auch in dem der Millionen Menschen, für die sie sich einsetzt. Ob Verena Bentele nach der Bundestagswahl im Amt bleibt, entscheidet der oder die nächste Bundesminister*in für Arbeit und Soziales. Aber noch ist sie da und nach dem offiziellen Teil ergoss sich die Gesellschaft bei

Eine Schiffsfahrt mal ganz anders! Read More »

Auf einem Holzbrett ein kreisrunder Camembert, darauf steht mit Tomatenmark in großen Lettern V E B geschrieben

In Zeiten des abnehmenden Lichts

Nicht einmal das kleinste neu erstandene Minimöbel kann man sich fertig montiert und in einem Stück unter den Arm klemmen und nach Hause tragen, es ist immer ein Bausatz. Sind endlich keine Schräubchen und Winkelchen aus dem Paket mehr übrig, schaut der Mensch zufrieden auf sein Werk. Oft hört man ihn dann sagen: „Sitzt, paßt, wackelt und hat Luft“ Zwar nicht ganz zu 100 % nach den Regeln der Handwerkskunst zusammengebaut, kann man das gute Stück dennoch bestimmungsgemäß nutzen. Bei „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist das gute Stück ein alter, immens großer Tisch. Normalerweise in seine Einzelteile zerlegt, wird er nur einmal im Jahr im Haus der Familie Powileit aus der Versenkung geholt und zusammengebaut. Und seine einzige Bestimmung ist es, bei Wilhelm Powileits Geburtstagsfeiern das kalte Buffet zu tragen. In diesem Jahr zur Feier seines Neunzigsten legt Wilhelm beim Aufbau des Tisches zum ersten Mal und zum großen Entsetzen seiner Frau Charlotte selbst Hand an. Wütend und voller Ungeduld drischt er mit Hammer und Nagel die widerspenstigen Teile zusammen. Frei nach dem Motto „Was nicht paßt, wird passend gemacht“. Nur Wilhelms einziger Enkelsohn hätte dem Monsterteil auch ohne Einsatz von Brachialgewalt auf die vielen Beine helfen können. Aber Sascha hat die Platte geputzt! Wie so viele im Frühherbst 1989, hat sich auch der junge Mann mit Anfang 30 in den Westen abgesetzt. Das ist für den Großvater, ein hochdekoriertes SED-Parteimitglied, eine echte Hiobsbotschaft. Aber wenigstens der notdürftig zusammengenagelte Tisch tut seinen Dienst und erträgt die riesigen Bulettenberge des kalten Buffets. Bei den bestellten Hühnerbeinen gab es leider gerade einen Engpaß! Dafür fließen Wodka und Rotwein um so reichlicher. Die Parteigenossen, Nachbarn, Freunde und natürlich die Familie geben sich an Wilhelms Ehrentag in seinem Haus in einem wohlsituierten Stadtteil Berlins, der Hauptstadt der DDR, die Klinke in die Hand. Nicht erst jetzt, wo alle um den alten Herrn kreisen wie Motten um das Licht, zeigt Bruno Ganz, was er kann, nämlich in allen Gefühlslagen großartig schauspielern! Als Wilhelm macht er kein Hehl daraus, was er von den Menschen um sich herum hält, und das gilt ganz besonders für einzelne Familienmitglieder. Ob mit Hohn, Spott, Zynismus, Ungeduld, Wut, aber genauso auch warmherzig, großzügig und liebevoll, er begegnet jedem einzelnen so, wie dieser das seiner Meinung nach verdient. In meiner Erinnerung überwiegen allerdings die negativen Gefühlsausbrüche und manchmal hat’s mich schon geschaudert. Dafür waren die Auftritte der Genossinnen und Genossen, die dem nahenden Untergang der DDR mehr oder weniger klar und natürlich auch wodkageschwängert ins Auge sahen, umso komischer. Besonders schön war die Idee, die Bevölkerung mit heimischem, in Brandenburg produzierten und gereiften Camembert von der Ausreise abzuhalten, so ein Käse! Die Rollen dieser Parteifunktionäre waren genauso wie die aller anderen Gratulanten inklusive der Familienmitglieder hochkarätig besetzt. Besonders erfreut war ich, die israelische Schauspielerin Evgenia Dodina so schnell wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Vor ein paar Wochen spielte sie in „Ein Tag wie kein anderer“ die weibliche Hauptrolle der Vicky und hier genauso überzeugend Wilhelms russische Schwiegertochter Irina. Auch Wilhelm schien sich über Irinas wenn auch verspätetes Erscheinen zu freuen. Und das nicht nur, weil sie ihm ein Päckchen Papirossy zusteckte, die am bestialischst stinkenden Zigaretten überhaupt, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen! Daß mein 24-jähriger Neffe das Buch von Eugen Ruge, das hier verfilmt wurde, als Lektüre gewählt hätte, ist wohl eher unwahrscheinlich. Aber den Film hat er sich mit mir im Kino begeistert angeschaut! Zum Glück gab Ruge seine anfänglichen Bedenken, sein Buch verfilmen zu lassen, auf. Bei dem Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Matti Geschonneck war sein Werk ja auch in den besten Händen! Mein junger Kinobegleiter aus Westdeutschland war von dem kurzen Ausflug in die Zeiten des Aufbruchs in der DDR im Herbst 1989 sehr fasziniert. Genauso beeindruckt hat ihn aber auch, wie ich dem Filmgeschehen folgen konnte. Dank der Audiodeskription über die App Greta konnten wir uns auf Augenhöhe sehr detailliert über den Film austauschen. Mein Neffe Lukas hat sogar ausführlich auf Facebook über unser gemeinsames Kinoerlebnis geschrieben! Ich geb‘s zu, ich habe die ganze Zeit auf die Erwähnung des „Mufutis“ gelauert, aber leider vergebens. Der Multifunktionstisch war höhenverstellbar und konnte mit einer Einschubplatte vergrößert werden. Je nach Bedarf funktionierte er als Coach- oder Eßtisch. Wer den Mufuti nicht kennt, hat entweder keinen Kontakt zu Bewohnern eines DDR-Haushalts oder den Film „Sonnenallee“ aus dem Jahr 1999 verpaßt! Der Tisch im Film mit seiner einzigen Bestimmung konnte sich übrigens nicht ganz bis zum Schluß auf seinen Beinen halten und entledigte sich der wahrscheinlich nicht mehr so ansehnlichen Reste des kalten Buffets. Ein bißchen weniger „Wackeln und Luft“ hätte das vielleicht verhindern können.

In Zeiten des abnehmenden Lichts Read More »

Filmstill aus "Tiger Girl": Die beiden Tigergirls in schwarzen Uniformen mit der Aufschrift "Security" auf dem Rücken laufen über eine Wiese im Park. Die vordere trägt ihr blondes langes Haar zu einem Zopf, darüber ein Basecap. Im Hintergrund sitzen zwei Leute im Gras.

Tiger Girl

Laß die zwei jungen Frauen einfach drauflos spielen, ist die Devise des Herrn Lass. Mal schauen, wo die „Reise“ dann hingeht. Geographisch gesehen, beginnt und endet alles aber auch nur beinahe vor meiner Haustür. Die Streifzüge von Ella Rumpf als Tiger und Maria Dragus als Vanilla finden natürlich in dem angesagteren Teil Berlins statt, in dem das Leben tobt, und nicht im eher beschaulichen Spandau. Vielleicht war es deshalb aussichtslos, ein Kino halbwegs in meiner Nähe zu finden, in dem der Film „Tiger Girl“ gezeigt wird. Dem Ur-Spandauer wird nachgesagt, seinen Bezirk nur höchst ungern über eine der drei Brücken über die Havel zu verlassen und, wie er meint, „nach Berlin“ zu fahren. Ich als Zugezogene genieße das etwas ruhigere Leben im Grünen mit viel Wasser sehr. Genau so gerne stürze ich mich aber in das kulturell übersprudelnde Chaos jenseits der Havel. So beispielsweise für „Tiger Girl“ ins tiefste Kreuzberg zum Kottbusser Damm Nr. 22. Dort im ersten Stock ist das von den Betreibern mit viel Herzblut und Engagement geführte Kiezkino Moviemento. Nach dem Kino wieder auf der Straße, kamen plötzlich Tiger und Vanilla in geklauten Uniformen an mir vorbeipatrouilliert, um nach ihren unkonventionellen Vorstellungen für Recht und Ordnung zu sorgen. Nein, natürlich nicht! Aber so abwegig ist der Gedanke gar nicht. Häufig waren die belebten Straßen und Parks Berlins die Kulisse, genau so, wie sie nun einmal sind. In diesem sogenannten dokumentarischen Umfeld ließ der Regisseur Jakob Lass seine Hauptfiguren Tiger und Vanilla recht frei agieren. „Frei“ bedeutete hier ohne vorgegebene Dialoge und mit nur sehr allgemein gehaltenen Ansagen über den Verlauf seiner Filmgeschichte, in der es um die Freundschaft zweier total verschiedener Frauen Anfang 20 geht. Absolut unvorhersehbar, unberechenbar, schnell, witzig, liebevoll und sanft, aber auch brutal geht es dabei zu, wie das Leben eben so pinkelt! Besonders überraschend ist das Ende, da hat sich wohl bei allen im Kinosaal ein fettes Grinsen breitgemacht! Und ohne die Audiodeskription über die App Greta hätte ich bestimmt nicht mitgrinsen können. Zum Schluß geht es noch einmal richtig rund und dabei fallen nur wenige klärende Worte. Eine große Herausforderung muß die Beschreibung der Kampfszenen gewesen sein, wessen Bein oder Faust bei den teils akrobatisch und tänzerisch anmutenden Choreographien welchen Körperteil des Gegners oder der Gegnerin traf. Darüber war ich immer bestens im Bilde. Das gilt auch für Tigers und Vanillas grundverschiedenes Äußeres mit ihren ständig wechselnden Outfits. Genauso unverwechselbar wie das Erscheinungsbild der beiden waren ihre Stimmen, was mir sehr beim Sortieren der Akteure half. Hätte mir die Audiodeskription eine junge, kecke, weibliche Stimme ins Ohr geflüstert, wäre der Hörgenuß einfach perfekt gewesen. Die mir wohlvertraute Stimme des Sprechers mit einem wenn auch nur sehr dezent bayerischen Einschlag, die ich prinzipiell sehr gerne höre, wollte sich für meine Ohren nicht so recht in das Ganze einfügen. Aber das niedrig angesetzte Budget für den Film und damit auch für die Audiodeskription ließ wohl keinen Spielraum, externe Sprecher zu engagieren. Jakob Lass und sein Team konnten sich übrigens über die Unterstützung der fast ein bißchen verschwörerisch klingenden Initiativen „Alpenrot“ und „Leuchtstoff“ freuen. Deutschlands größter Filmproduzent Constantin Film und der RBB mit dem Medienboard Berlin-Brandenburg wollen damit genau solche jungen, engagierten und experimentierfreudigen Filmemacher fördern. Aus dieser Ecke sind bestimmt noch spannende Projekte zu erwarten! Zum Schluß lasse auch ich, und zwar die Filmlöwin zu Wort kommen! Sie hat sich schon während der Berlinale an „Tiger Girl“ herangepirscht, wo der Film in der Sektion Panorama Special seine Premiere feierte. Ob sie ihre scharfen Krallen ausgefahren und ihre Raubkatzen-Kollegin in Streifen gefetzt oder wohlwollend schnurrend mit Samtpfoten angepackt hat? Hier steht‘s geschrieben: http://filmloewin.de/berlinale-2017-tiger-girl/  

Tiger Girl Read More »

Zwei DVDs: Links des Films "Welcome to Norway", rechts von "Willkommen bei den Hartmanns". In der Mitte eine Pistole mit Filterzigarette im Lauf auf einem leeren Aschenbecher.

Willkommen und Welcome im Handel!

Der Mörder ist immer der Raucher… …und der schlägt zwar nicht immer erbarmungslos zu, führt aber selten was Gutes im Schilde! Greift in einem Film, ob Kino oder TV, nur eine einzige Person zum Glimmstengel, dann spielt diese fast nie die Rolle eines Sympathieträgers. So verhält es sich auch in den beiden Kinofilmen „Willkommen bei den Hartmanns“ und „Welcome to Norway“ Beide kann man sich jetzt per DVD auch auf dem heimatlichen Sofa zu Gemüte führen. In „Welcome to Norway“ übernimmt der aus Libyen geflüchtete mürrische Zoran den rauchenden Part. Er sabotiert die Stromversorgung der mehr schlecht als recht ausgestatteten Flüchtlingsunterkunft in der norwegischen Provinz. Schlagartig sitzen der verhaßte Betreiber, den er als „Scheiß-Wikinger“ beschimpft, dessen Familie und alle Bewohner der Unterkunft im Dunkeln und frieren. Nach einem einschneidenden Ereignis aber überdenkt er seine destruktive Haltung. Als gelernter Ingenieur behebt er den Schaden und sorgt für eine stabile Stromversorgung. Bei den Hartmanns, die gerade den sympathischen Diallo aus Nigeria in ihrem wunderschönen Haus herzlich willkommen heißen, ist es die Nachbarin, die raucht. Mit einer Zigarette in der Hand steht sie auf ihrem Balkon und keift ausländerfeindliche Parolen herüber. Zum Schluß schließt sie sich sogar einer Pegida-ähnlichen Versammlung vor der Villa der Hartmanns an. Aber sowohl in der norwegischen Provinz als auch bei den Hartmanns gibt es auch unter Nichtrauchern reichlich Idioten und weitaus schlimmere Übeltäter. Einen Eindruck, wie unterschiedlich die Regisseure Rune Denstad Langlo und Simon Verhoeven an dasselbe hochaktuelle Thema herangingen, vermitteln schon die Trailer. Der Link nach Norwegen: Trailer „Welcome to Norway“ Der Link zu den Hartmanns: Trailer „Willkommen bei den Hartmanns“ Aber gemeinsam haben die zwei Filme sehr gut gemachte Audiodeskriptionen! Und diese sind nicht im Nichts verraucht, wie es sonst leider noch oft der Fall ist, sondern waren im Kino über die App Greta und Starks erlebbar! Ohne hätte mir z. B. das wichtige Detail, wer raucht, im geruchsneutralen Kinosaal nicht auffallen können. Die Texte der Audiodeskriptionen stammen übrigens aus der Feder derselben Autorin, Inga Henkel. Für „Willkommen bei den Hartmanns“ war sie im Auftrag der Eurotape Media Services GmbH und bei „Welcome to Norway“ für die Kinoblindgänger gGmbH aktiv. Wer den ein oder anderen oder gar beide Filme im letzten Herbst im Kino verpaßt hat, kann das jetzt nachholen und dabei auch rauchen! Und auf beiden DVDs wurde auch die Audiodeskription plaziert. Zusammengefaßt ist mit der deutschen Filmproduktion „Willkommen bei den Hartmanns“ und dem norwegischen Film „Welcome to Norway“ barrierefreie Vielfalt gelungen, weiter so!

Willkommen und Welcome im Handel! Read More »

Die Blindgängerin in weißer Regenjacke beim Besteigen einer Steintreppe. Es liegt herbstliches Laub auf dem Waldboden. In der rechten hält sie ihren Langstock, in der linken das metallene Geländer. Über ihre Schulter dreht sie sich zur Kamera um.

Dieser Weg wird kein leichter sein!

Ihr wollt heute Abend essen gehen? Mit Eurem Freund, der im Rollstuhl sitzt? Kein Problem, jedes halbwegs neue Restaurant muß einen barrierefreien Zugang haben, dafür sorgt fürsorglich der Gesetzgeber. Ob Käsespätzle, Eisbein mit Sauerkraut, Weißwurst oder Ostseescholle, alles kein Problem! Ach, Ihr wollt heute lieber mal zum Chinesen oder zum Griechen? Euch steht der Sinn nach Spaghetti Carbonara e una Coca-Cola? Tja, dann muß Euer Kumpel zu Hause bleiben, denn für die chinesische, griechische oder italienische Küche gilt das Gesetz natürlich nicht, nur für deutsche Gerichte. Das ist absurd? Ja, ist es! Es stimmt ja auch nicht, die Regel gilt für alle. Jedenfalls im Restaurant, im Kino aber nicht! Das ist genauso absurd, aber da ist es tatsächlich so. Im Kino steht für Menschen mit Seh- und Hörbeeinträchtigungen nur der deutsche Film auf dem Programm! Die meisten internationalen Filmtitel dagegen rauschen ohne Audiodeskription und Untertitel ungehört und ungesehen an den beiden Zielgruppen vorbei. Das waren im letzten Jahr immerhin 340 der insgesamt 610 in den Kinos gezeigten Filme. Wird eine Filmproduktion mit deutschen Geldern gefördert, muß auch eine barrierefreie Fassung hergestellt werden, also Audiodeskription und Untertitel. Auch an den Kosten hierfür beteiligt sich die Filmförderung. Bei Filmen, die im Ausland ohne deutsche finanzielle Beteiligung gedreht wurden, kommt diese Vorschrift natürlich nicht zum Zuge. Und eine andere, auf diese Fälle zugeschnittene Regelung gibt es nicht. So kommt es zu der absurden Situation, die im kulinarischen Bereich undenkbar wäre. Aktuelle prominente Beispiele für dieses Dilemma sind „La La Land“ „The Salesman“ und „Moonlight“. Aber für Licht im Dunkel sorgt der Verleih Universal Pictures, der seit einigen Jahren seine Filme barrierefrei bereitstellt, 19 Filme in 2016. Großartig ist auch, daß Disney im letzten Herbst nachzog und seitdem seine Filme zugänglich macht (fünf in 2016). Aber für die meisten Verleiher sind die Kosten für eine barrierefreie Fassung (im Schnitt 8.500 Euro pro Film) ein Problem. Zumal für die kostenintensive Synchronisation und die Vermarktung internationaler Filme so gut wie keine Fördergelder vorgesehen sind. Dennoch haben sich vereinzelt auch unabhängige Verleiher wie z.B. Neue Visionen und Piffl Medien mit der Firma Audioskript diesbezüglich engagiert. Und die Kinoblindgänger gGmbH war mit zwei Filmen dabei! Die Bundesrepublik ratifizierte im Februar 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention. Nach Artikel 30 ist die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am kulturellen Leben, ausdrücklich auch der Zugang zu Filmen, sicherzustellen. Es kann nicht im Sinne dieser Vorschrift sein, den Begriff „Filme“ allein auf „deutsche Filme“ zu beschränken. Da der internationale Film wohl auch in Zukunft sehr stark in den Kinos vertreten sein wird, muß trotz des lobenswerten Engagements aller Beteiligten hier eine grundsätzliche Lösung gefunden werden! Wie wäre es zur Entlastung der Verleiher mit einem unbürokratisch gestalteten Fond? Schon für 3 Millionen Euro pro Jahr könnten bei durchschnittlichen Kosten von 8.500 Euro 350 internationale Filme genießbar für alle gemacht werden. Der Jahresetat des deutschen Filmförderfonds (DFFF) wurde vor kurzem spontan von 75 auf 150 Millionen Euro aufgestockt, das nur so am Rande. Schwieriger wird es wahrscheinlich, eine Institution zu finden, die für den barrierefreien internationalen Film zuständig ist und sich auch fühlt. Das könnte z.B. die Bundesbeauftragte für Medien und Kultur, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Wirtschaftsministerium oder auch die Filmförderungsanstalt (FFA) sein. Und noch eine Hürde gibt es zu nehmen: Was bringt es einem Restaurantbesucher, wenn er sich das leckerste Essen bestellt und das zwar in der Küche zubereitet wird, aber einfach nicht den Weg auf seinen Tisch findet? Nichts, und ganz ähnlich ist die Lage bei vielen barrierefreien Filmfassungen, die im Kinosaal dann doch nicht den Weg in die Ohren und Augen der Kinobesucher finden. Eine Möglichkeit ist es z. B., in allen 4739 Kinosälen entsprechende Techniken zu installieren. Das ist in den vergangenen Jahren in ca. 30 Sälen geschehen. Wieviel wird es kosten, auch die verbleibenden abgerundet 4.700 Leinwände technisch auszustatten? Mindestens 21 Millionen Euro! In letzter Zeit wurde von den Kinobetreibern das System CinemaConnect favorisiert. Dieses basiert auf einer App, es muß aber auch in jedem Kinosaal eine ca. 5.000 Euro teure Hardware installiert werden. Ich habe sicherheitshalber nur 4.500 Euro veranschlagt und komme bei 4700 Leinwänden auf etwas über 21 Millionen Euro. Dieser Betrag käme je zur Hälfte auf die Kinobetreiber und die FFA und etwaige andere Förderer zu. Die FFA bevorzugt den Weg über die technische Ausstattung aller Kinos. Ob das klappt und wie lange sich dieser Prozeß hinzieht, bleibt abzuwarten. Den viel kürzeren und dabei auch viel preiswerteren Weg über die seit mehr als drei Jahren funktionierende App Greta und Starks zieht die Filmförderungsanstalt leider nicht in Betracht. Viel kürzer ist der Weg, weil die App Greta und Starks keine technische Ausstattung benötigt. Sie funktioniert überall dort, wo eine Leinwand ist, und die sind ja nun schon mal da! Man nimmt die Audiodeskription/ Untertitel für den ausgesuchten Film auf seinem Smartphone wie den obligatorischen Popcornbecher einfach mit ins Kino seiner Wahl. Für jährlich 300.000 Euro könnten mit dieser Lösung ca. 270 barrierefreie Filme für die Zielgruppen überall erlebbar gemacht werden. 21 Millionen Euro (Ausstattung für die Kinos) geteilt durch 300.000 Euro (jährlicher Bedarf für die App Greta und Starks) ergibt 70 Jahre barrierefreie Filme in allen Kinos. Diese vereinfachte Rechnung soll aufzeigen, daß die Lösung über die App Greta und Starks unbedingt in die Überlegungen einfließen muß, wie es mit dem barrierefreien Film weitergeht! Bei der App Greta und Starks werden die Verleiher zur Kasse gebeten. Pro Film, den sie so verfügbar machen, fällt eine Gebühr zwischen 1.000 und 1.500 Euro an. Wenn jeder Kinobetreiber bei der Ausstattung seiner Leinwände bis zu 50 % gefördert wird, sollte das auch für jeden Verleiher gelten, unabhängig davon, ob er bereits Verleihförderung bekommt. Abschließend noch ein paar Argumente, die für das eine oder andere System sprechen: CinemaConnect kann auch noch Hörunterstützung und Mehrsprachigkeit! Aber: Die Technik ist teuer und erfordert Wartung. Und jede Hardware gilt bekanntlich schnell als veraltet. Die Investition der erforderlichen 21 Millionen Euro in die reine Technik ändert nichts am Programmangebot: Weiterhin werden weniger als 50 % der Filme barrierefrei, also für jeden, zu erleben

Dieser Weg wird kein leichter sein! Read More »

Die Blindgängerin im Foyer eines Kinos. Strahlend hält sie die Flyer der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH in ihrer Hand.

Julia fragt – Barbara antwortet: Ein Interview

Julia Eiler hat Anfang dieses Jahres bei der speaker-search Sprecheragentur und Tonstudio GmbH in Berlin eine Ausbildung zur medienvisuellen Kauffrau begonnen. Vor kurzem hatte sie die Idee, ein Interview mit mir zu machen. Julia wollte zum Beispiel wissen, wie ich zum Bloggen gekommen bin und wie es zu der engen und tollen Zusammenarbeit zwischen speaker-search und der Blindgängerin gekommen ist. Hier ist der Link zum Interview: https://www.speaker-search.de/sprecher-blog/barrierefreies-kino-hoerfilm/ Danke, Julia!  

Julia fragt – Barbara antwortet: Ein Interview Read More »

Filmstill aus dem Animationsfilm "Mein Leben als Zucchini": Die sieben kleinen Heimbewohner stehen an dem Geländer einer Steintreppe und reißen freudig die Arme in die Luft.

Mein Leben als Zucchini

Bienvenue und herzlich willkommen endlich in den deutschen Kinos, Zucchini! Das gilt natürlich auch für Camille, Simon, Alice, Jujube, Bea und Ahmed. Alle sieben haben nach schwierigen Zeiten in ihren Elternhäusern in dem freundlichen Kinderheim, dem Haus „Der Springbrunnen“, ein neues Zuhause gefunden. Die zierlichen Körper der kleinen Heimbewohner wirken mit ihren etwas zu groß geratenen Köpfen und zu langen Armen wie aus Knete modelliert. Ihre lieben Gesichter lassen die Herzen von Klein und Groß dahinschmelzen. Der neunjährige Zucchini zum Beispiel hat große runde Augen, dichtes blaues Haar, und seine schmale Nase und die großen Ohren sind rot. Bei den Erwachsenen, die sich bis auf Camilles Tante ganz rührend um die Kinder kümmern, stimmen die Proportionen. Aber auch sie sind nicht aus Fleisch und Blut. Genauso viel Liebe zum Detail wie bei den Puppenfiguren steckt in den Kulissen. Wir drei vom Hörfilmbeschreiber-Team haben so vieles wie möglich beschrieben, immer in den Pausen zwischen dem fröhlichen Geplapper der Kinder und ihren auch sehr ernst geführten Gesprächen. Für leider viel zu viele Feinheiten, die Regisseur Claude Barras und sein Team über drei Jahre in dem Animationsfilm für die ganze Familie liebevoll kreierten, war allerdings keine Zeit. Dieses Defizit machen die kleinen Synchronsprecher, die den Puppen ihre Stimmen leihen, so ziemlich wett. Ich war gleichermaßen von den kleinen Profis beim deutschen Film wie denen im französischsprachigen Original aus der Schweiz fasziniert. Dazu dieser Hörschnipsel aus der deutschen Audiodeskription: Für alle, denen zwar nicht die Bilder, aber die Gespräche und Filmgeräusche entgehen, gibt es die Untertitel. Diese sind wie die Audiodeskription über die App Greta und Starks erlebbar. Und möglich gemacht hat das gesamte Paket die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH! Warum Zucchinis Mutter ihren blauhaarigen Sohn ausgerechnet nach dem grünen Kürbisgemüse nannte, ist ihr Geheimnis, und das nimmt sie nach ihrem plötzlichen Tod mit ins Grab. Von der Liebe und dem Leben enttäuscht, war sie Zucchini bis auf wenige Ausnahmen eine sehr garstige, furchteinflößende und oft alkoholisierte Mutter. Trotzdem hat der kleine Junge während der ersten Tage im Kinderheim Heimweh und möchte auch weiterhin partout Zucchini genannt werden. Eine Bierdose und ein gelber mit Superman bemalter Winddrachen sind die einzigen Habseligkeiten, die ihm aus seinem alten Leben geblieben sind. Beide Dinge, die er immer wieder gegen den angriffslustigen Simon verteidigen muß, spielen bis zum Schluß eine wichtige Rolle. Erst als die taffe Camille mit den schönen langen braunen Haaren im Haus „Der Springbrunnen“ auftaucht, hellt sich Zucchinis Miene auf. Er empfindet sofort eine tiefe Zuneigung zu dem Mädchen und trennt sich sogar von der Bierdose, dem so gehüteten Andenken an seine Mutter. Auch zu dieser Episode ein Hörschnipsel aus der Audiodeskription: Bis auf zwei Songs komponierte die Filmmusik die Schweizer Musikerin Sophie Hunger. Zu hören sind sanfte Gitarrenmusik, traurige Celli, dann fetzige E-Gitarren, sphärische Klänge und eine fröhlich gepfiffene Melodie, die Aufbruchsstimmung verbreitet. Sophie findet mit ihrer Musik immer sehr feinfühlig den richtigen Ton zur jeweiligen Gefühlslage der Kinder. Diese sind inzwischen zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen und haben viel Spaß. Wenn sie zu dem Lied der Schweizer Band Grauzone tanzen und singen „Ich möchte ein Eisbär sein“, geht einem das Herz auf. Der zweite Song, der nicht aus Sophies Feder stammt, ist ihre Coverversion von „Le vent nous portera“, im Original von Noir Désir. Mit der ein bißchen melancholischen Melodie endet die Hoffnung machende Geschichte über das Leben des kleinen Jungen als Zucchini und seine neuen Freunde. Inga Henkel, Lena Hoffmann und ich haben uns sehr viel Zeit für den Text der Audiodeskription genommen, den Nadja Schulz-Berlinghoff im Tonstudio der speaker-search GmbH eingesprochen hat. Seinen ersten Auftritt hatte Claude Barras mit seinen Puppen letztes Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes. Seitdem wurde er national und international mit so vielen Preisen ausgezeichnet, daß ich diese hier unmöglich aufzählen kann. Jetzt drücken wir Zucchini ganz fest die Daumen für den Oscar, und Toni Erdmann auch!

Mein Leben als Zucchini Read More »

Verschwommenes und dunkles Bild mit einzelnen Lichtpunkten und undefinierbaren Umrissen

Mein Blind Date mit dem Leben

Mit „mein Blind Date“ ist nicht meins gemeint, sondern seins, und zwar das von Saliya Kahawatte. Und sein erstes Blind Date hat er nicht mit der großen Unbekannten, sondern mit seinem Wecker. Eines Morgens kann er die Ziffern nicht mehr erkennen. Es scheint, als ob sich eine dicke Milchglasscheibe vor das Display geschoben hat. Das ist leider kein böser Traum, aus dem es ein erlösendes Erwachen gibt. Mit 15 verliert Saliya über Nacht den größten Teil seines Augenlichts. Daß eine so schwere Augenerkrankung wie aus heiterem Himmel ausbricht, ist zwar sehr selten, kommt aber öfter vor, als man denkt. Genausowenig wie die Ziffern seines Weckers kann er seine Bücher lesen. Trotzdem geht er weiterhin aufs Gymnasium und besteht dank seines eisernen Willens und seines phänomenalen Gedächtnisses das Abitur. Nach der Schulzeit lehnt er es ab, in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten, und fühlt sich auch nicht zum Masseur oder Telefonisten berufen. Saliya hat schon immer davon geträumt, in einem Luxushotel zu arbeiten. Die Sehbehinderung ist für ihn kein Grund, seinen großen Traum platzen zu lassen. Es zieht ihn weiter in die Welt der allgegenwärtigen zerbrechlichen Gegenstände und herumwuselnden wildfremden Menschen. Nach vielen Absagen beschließt er, seine massiven Augenprobleme zu verschweigen und prompt wird er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Dieses verläuft zwar etwas chaotisch, aber erfolgreich. Es gelingt ihm, dem Personalchef des altehrwürdigen Münchner Luxushotels Bayerischer Hof seinen ersten Bären aufzubinden und den Sehenden vorzugaukeln. Das klingt nach einem Stoff, aus dem nur Filme gemacht werden! Die bis jetzt beschriebene Filmhandlung ist aber zugleich der Anfang einer unglaublichen Geschichte, die das wahre Leben schrieb. Der heute 47-jährige Saliya Kahawatte verarbeitete seine durchlebten Hochs und Tiefs in seinem Buch „Mein Blind Date mit dem Leben“, das 2009 veröffentlicht wurde und die Filmemacher zu diesem Film inspirierte. 15 Jahre lang bewegt sich Saliya dank seiner ausgeklügelten Täuschungsmanöver und unterstützt von wenigen eingeweihten Freunden in der Hamburger Hotelbranche, ohne daß irgend jemand etwas von seiner Sehschwäche ahnt. Im Film werden diese 15 Jahre zu den drei Ausbildungsjahren im Bayerischen Hof zusammengerafft und Saliyas letzte Schuljahre nur kurz gestreift. Die Filmhandlung, in der Kostja Ullmann in Saliyas Rolle schlüpft, gibt deshalb mächtig Gas. Bis sich Saliya in seinem neuen Umfeld und dem riesigen Hotel die Wege mit allen Stufen und Stolperfallen eingeprägt hat, stolpern wir ihm temporeich mit viel Witz und Situationskomik von einem Blind Date ins nächste hinterher. Von einem Tag auf den anderen muß er spezielle Techniken entwickeln, um heimlich und unbemerkt sein Sehdefizit in Form der dicken Milchglasscheibe auszugleichen. Wie putzt man zum Beispiel einen Spiegel nicht blind, sondern absolut schlierenfrei, und wann ist ein Weinglas perfekt poliert? Das Schneiden der italienischen Mortadella in hauchdünne Scheiben an der Höllenmaschine – ohne daß Blut fließt – will gelernt sein. Beim Mixen von Cocktails lauern gleich zwei Gefahren. Man kann sich bei der Flaschenvielfalt vergreifen und bei der Dosierung der Flüssigkeiten verschätzen. Das alles ist megaanstrengend, aber zu schaffen. Und zwar mit beharrlichem Üben, einem Ordnungssystem, in das niemand dazwischenfunkt, einem geschulten Gefühl, Gehör und Tastsinn und einem wahnsinnig guten Gedächtnis. Das größte Problem dabei wird wahrscheinlich der Zeitdruck sein und das Wissen, immer unter Beobachtung zu stehen. Aber es lauert noch ein, wie ich finde, weitaus größeres Risiko, enttarnt zu werden: In der Gastronomie wird unter dem Personal und im Service viel mit kleinen Gesten und über die Augen kommuniziert. Saliya jedenfalls ist fast rund um die Uhr unter Hochspannung und das kann auf Dauer nicht gutgehen. Aber er hat ja Freunde, auf die er sich verlassen kann. Ich konnte mich während des Films auf die Audiodeskription in meinem Ohr verlassen, ohne die mein Kinobesuch ein Blind Date geblieben wäre. Die ruhige Stimme des Sprechers hing immer über Saliya wie ein guter Geist. Bei seinem Blind Date habe ich auch einige Parallelen zu meinem Blind Date mit dem eigenen Leben feststellen können. Dem sehr jungen Publikum im ausverkauften Kinosaal gab der Film dagegen auf amüsante und lockere Weise einen Einblick in die Welt der nicht bzw. schlecht sehenden Menschen. Es wurde mit Saliya gelitten und sich gefreut, wie er sich durchschlägt. Das fand ich super!

Mein Blind Date mit dem Leben Read More »

Die Blindgängerin sitzt wie auf einem Pferd. Eine karierte Decke über einem Möbelstück als Sattel, den Langstock hält sie wie eine Reitgerte. Kopf und Hals des Pferdes bestehen aus einem übergroßen Paragraphen, um den die Blindgängerin ein Seil wie Zügel straff spannt.

Zwischendurch mal als Paragraphenreiterin unterwegs!

Der Mai macht alles neu. Es grünt so grün und es liegt was in der Luft! Aber auch im Januar, wenn die Tristesse von fifty shades of grey die Farbpalette bestimmt, bleibt nicht alles beim Alten. Für reichlich Abwechslung sorgen diverse neue gesetzliche Vorschriften, die am ersten Tag des kalten Monats in Kraft treten. Neu gemacht hat dieser Januar wieder einmal das Filmförderungsgesetz! Den Anfang macht im Kino der Vorspann und zu Ende ist ein Film immer erst am Schluß des Abspanns. An diesen Plätzen werden die Förderer eines Films aufgeführt. Bei deutschen Filmen erscheinen sehr häufig dort die drei Buchstaben „FFA“ für „Filmförderungsanstalt“ auf der Leinwand. Die quasi Daseinsberechtigung und Arbeitsgrundlage der FFA ist das Gesetz über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films, kurz das Filmförderungsgesetz, ganz kurz das FFG. Beide haben die schöne Aufgabe, dem deutschen Film auf die Beine zu helfen, der Anfang der 60er Jahre zu schwächeln begann. Sie starteten die „Mission Possible“ vor 49 Jahren mit dem ersten Filmförderungsgesetz vom Dezember 1967. Seitdem wird das Gesetz regelmäßig aktualisiert. Neu gemacht hat der Januar zum Beispiel den § 47 FFG über die barrierefreie Fassung. Mal schauen, was sich damit ändert! Der erste riesige Schritt wurde vor knapp vier Jahren im Mai bzw. August 2013 getan. Seitdem gilt der Grundsatz: Barrierefreiheit für den deutschen Film! Wer von der FFA Fördergelder für die Produktion eines Films erhält, ist zur Herstellung einer Audiodeskription und von Untertiteln für Hörgeschädigte verpflichtet. So verlangte es § 15 Absatz 1 Satz 1 Nr. 7 FFG. Die anderen öffentlich-rechtlichen Förderer haben vergleichbare Regelungen übernommen. Weil fast alle deutschen Filme aus einem dieser Fördertöpfe Gelder erhalten, gibt es inzwischen auch für fast alle deutschen Filme eine Audiodeskription und Untertitel. Das ist super! Im neuen § 47 Absatz 1 Satz 1 wird die bisherige Regelung im Prinzip wiederholt. Neu ist aber, daß die Audiodeskriptionen und Untertitel nicht wie bisher irgendwann, sondern pünktlich zum Kinostart hergestellt werden. Diese zeitliche Klarstellung ist auch super! Nicht geregelt war in dem alten Gesetz, wie Sehbehinderte und Hörgeschädigte im Kinosaal auch tatsächlich die Audiodeskription in die Ohren und die Untertitel vor die Augen bekommen. Dieser Thematik nimmt sich der brandneue Satz 2 des § 47 an, der da lautet: „Förderhilfen für Kinos und für den Absatz von Filmen dürfen nur gewährt werden, wenn barrierefreie Fassungen in geeigneter Weise und in angemessenem Maße zugänglich gemacht werden.“ Hier hilft der Blick ins Gesetz zum Verständnis der Rechtslage nicht viel weiter. Die sehr allgemein gehaltene Vorschrift muß erst einmal alltagstauglich gemacht werden und mit dieser Aufgabe ist die FFA betraut. Sie wird in Abstimmung mit Fachleuten auf dem Gebiet der benötigten Technik und Interessenvertretern von Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen möglichst konkrete Vorgaben erarbeiten. Mit den Begriffen „geeignet“ und „angemessen“ stellt der Gesetzgeber klar, daß die FFA sich dabei an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu halten hat, also eine Interessenabwägung vornehmen muß. Zu klären ist, wie einerseits die Zielgruppen in den Genuß der barrierefreien Fassungen kommen, ohne andererseits die Kinos und Verleiher zu überfordern. Erst wenn das geschehen ist, wird sich zeigen, was sich mit dem neuen § 47 FFG tatsächlich ändert. Stattet ein Kinobetreiber seine Säle mit einer Technik aus, um barrierefreie Fassungen zugänglich zu machen, kann er seit 2014 von der FFA für die Hälfte der Kosten Fördermittel beantragen. Ich weiß von bundesweit ganzen sechs oder sieben Kinos, die in den letzten drei Jahren diese Möglichkeit nutzten, um ihre Säle mit der Technik von Sennheiser, dem CinemaConnect auszurüsten. Macht ein Verleiher die barrierefreie Fassung seines Films über die App Greta und Starks verfügbar, sind auch hier 50 % der Kosten über die Verleihförderung förderfähig. Ob mit oder ohne Verleihförderung, auf der Liste der App sind im Lauf der letzten drei Jahre die barrierefreien Fassungen für mehr als 180 Filme zusammengekommen. Die Audiodeskription und Untertitel kann man dann mit seinem Smartphone in das Kino seiner Wahl einfach mitnehmen, unabhängig von dessen technischer Ausstattung. Diese Arten der Kino- und Verleihförderung gibt es auch weiterhin. Die Apps CinemaConnect und Greta und Starks sind zur Zeit die technisch aktuellsten Systeme auf dem Markt und haben ihre Vorgänger abgehängt. So sieht das auch die FFA, die sich neutral verhalten muß und keine der beiden Lösungen bevorzugen darf. Die Branche, also die Kinos und Verleiher, sollen darüber entscheiden, meint die FFA. Mir würde gut gefallen, wenn beide gemeinsam an einem Strang zögen. Aber wie soll das bei den beiden Lösungen funktionieren, deren einzige Gemeinsamkeit ist, daß sie auf Apps basieren? Während die Ausstattung der Kinosäle mit der nötigen Technik für CinemaConnect die Bereitschaft der Kinobetreiber voraussetzt, liegt die Bereitstellung per Greta und Starks in der Entscheidung der Filmverleiher. Es ist, als ob man versucht, ein Pferd gleichzeitig von vorne und hinten aufzuzäumen. Es ist aber anzunehmen, daß auch Vertreter beider Apps bei der Erarbeitung der rechtlichen Vorgaben durch die FFA beteiligt werden. Viel zu selten werden die Zielgruppen gefragt, und damit meine ich nicht die Verbände, sondern den einzelnen Kinogänger. Daß ich die App Greta und Starks bevorzuge, ist allgemein bekannt. Jedes technisch ausgerüstete Kino ist ein gutes Kino. Aber bis das für alle weit über 4.500 Leinwände erreicht ist, führt meiner Meinung nach an der App kein Weg vorbei. Sie macht ihren Job flexibel, ist überall einsatzbereit und wird regelmäßig mit Updates aktualisiert. Leider nicht in den Zuständigkeitsbereich des Filmförderungsgesetzes fällt der internationale Film, weil in diesem naturgemäß keine deutschen Fördergelder stecken. Das bedeutet, die die deutschen Kinos dominierenden ausländischen Filmproduktionen sind per se nicht barrierefrei. Vorletztes Jahr waren das 370 der insgesamt 596 Neustarts. Nur dank des vorbildlichen Engagements einzelner Verleiher rauschten und rauschen nicht all diese Filme ungehört und ungesehen an den Zielgruppen vorbei. Auch die Kinoblindgänger gGmbH gibt ihr Bestes, die Liste der erlebbaren Filme ein bißchen aufzustocken. Das sind allerdings nur sehr kleine Tröpfchen auf einen sehr heißen Stein. Um die Filmförderung zu finanzieren, müssen unter anderem die Kinobetreiber einen Teil ihres Jahresumsatzes an die FFA abführen. Den Löwenanteil, meistens bis zu zwei Drittel der Einnahmen, spielt der internationale Film ein, der

Zwischendurch mal als Paragraphenreiterin unterwegs! Read More »

Mit einem Sektglas in der Hand, einer roten Clownsnase, einer glitzernden Fliege um den Hals, einer leuchtenden pinkfarbenen Brille auf der Nase und einem kegelförmigen Partyhut auf dem Kopf, pustet die Blindgängerin in eine längliche Tröte. Die Lampe hinter ihr ist mit Girlanden, Luftschlangen und einem Lampignon geschmückt.

Miss Sophie in freudiger Erwartung!

Übers Jahr ist es um Miss Sophie immer sehr still, bis sie sich alle Jahre wieder am 31. Dezember zur Feier ihres 90. Geburtstags zurückmeldet. So soll auch der diesjährige Silvesterabend ihr ganz besonderes Fest sein! Mit nur einem Festtag gab sich die 1876 in Dresden geborene Malerin Paula Modersohn-Becker nicht zufrieden. „Mein Leben soll ein Fest sein“ war ihre Devise. Dem Regisseur Christoph Schwochow ist ein wunderschöner Film über Paulas aufregendes, viel zu kurzes Leben gelungen. Den Film „Paula“ kann man sich gerade im Kino auch mit einer toll gemachten Audiodeskription über die App Greta anschauen. Das gute Gelingen von Miss Sophies Fest liegt eigentlich ausschließlich in den behandschuhten Händen ihres Butlers James. Aber jetzt schon zum zweiten Mal in Folge wird die treue Seele beim dritten Gang des Geburtstagsmenüs von gleich sechs Kolleginnen und Kollegen abgelöst. Kübra Sekin serviert das Huhn mit waghalsigen Manövern rollstuhlfahrenderweise. Carina Kühne mit dem Downsyndrom kümmert sich ganz reizend um das Wohl der alten Dame und die Blindgängerin torkelt und kleckert nicht nur einmal mit Champagner. Der kleinwüchsige Mathias Mester, der gehörlose Eyk Kauly und der kurzarmige Rainer Schmidt bemühen sich ebenfalls auf ihre ganz spezielle Weise um die Gastgeberin und ihre virtuellen Gäste. Aber noch ist es nicht soweit und ich nutze die Zeit für einen kurzen Blick zurück und nach vorn. 2016 konnte ich aus Zeitgründen nur knapp halb so viele Blogbeiträge veröffentlichen wie vergangenes Jahr. Der gute Grund dafür ist die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH! Zwei Filme stattete sie in diesem Jahr zum Kinostart mit einer Audiodeskription und Untertiteln aus. Den Anfang machte am 13. Oktober „Welcome to Norway“. Weiter ging es mit der schwedischen Weihnachtskomödie „Eine schöne Bescherung“, die aktuell noch in den Kinos läuft. Für den Familienfilm „Mein Leben als Zucchini“, der am 16. Februar 2017 in die Kinos kommt, ist die barrierefreie Fassung auch schon fertig. Ermöglicht wurden diese drei Prozeduren durch die enge und freundliche Zusammenarbeit der jeweiligen Verleiher mit unserem kleinen, aber feinen Team. Zu diesem gehören die Hörfilmbeschreiberin Inga Henkel und die freiberuflich tätige Kultur- und Filmwissenschaftlerin Lena Hoffmann. Die speaker-search GmbH übernimmt die technische Abwicklung von A bis Z und hat immer ein offenes und vor allem geduldiges Ohr für meine vielen Fragen. Das gilt übrigens auch für die Leute von Greta und Starks. Aber nichts ginge ohne den Mann im Hintergrund. Jürgen Schulz hält als Mitgeschäftsführer den Laden am Laufen und kümmert sich um die so lästige Bürokratie. Sehr viel Vergnügen bereitet ihm allerdings das Ausstellen von Spendenbescheinigungen und diesbezüglich hat er noch reichlich freie Kapazitäten!!! Die Produktionskosten für „Welcome to Norway“ und „Eine schöne Bescherung“ sind gedeckt. Das gelang mit Hilfe des Engagements des Verleihs Neue Visionen, des DGB Niedersachsen und der Spendengelder, die größtenteils aus dem Familien- und Freundeskreis kamen. Bei „Mein Leben als Zucchini“ erhielten wir Unterstützung vom SRF (Schweizer Fernsehen), nochmals ein Dank und Grüße nach Zürich! Dennoch fehlen für das Projekt noch ca. 4.300,00 Euro. Für diesen Betrag ging die Kinoblindgänger gGmbH in Vorlage und im Jahr 2017 soll es ja auch mit neuen Prozeduren weitergehen! Mit diesem Wink mit dem Zaunpfahl und einer Pappnase verabschiede ich mich für dieses Jahr, wünsche einen guten Rutsch und viel Spaß beim Dinner for One wieder einmal „ganz anders“! https://www.youtube.com/watch?v=vuewNWQtayM

Miss Sophie in freudiger Erwartung! Read More »

Nach oben scrollen