Blog Blindgaengerin

Autorenname: Barbara

Kafkas Der Bau

Franz Kafka ist ohne sein Wissen der Ziehvater des Filmes „Kafkas Der Bau“. Die Werke des 1883 in Prag geborenen deutschsprachigen Schriftstellers zählen nach einhelliger Meinung zur Weltliteratur. Die letzten zwei Jahre vor seinem frühen Tod im Jahr 1924 schrieb der schwer erkrankte Kafka an der unvollendet gebliebenen Erzählung „Der Bau“, die mit dem unvollständigen Satz endet „Aber es blieb alles unverändert, das . . .“ Der Schriftsteller Max Brod, sein langjähriger Freund und Weggefährte, strich das Wörtchen „das“ und ersetzte das Komma durch einen Punkt, bevor er das Werk 1931 veröffentlichte. Ungefähr 80 Jahre nach dem Tod des Ziehvaters beginnt der Oscarpreisträger Jochen Alexander Freydank an einem Drehbuch zu schreiben, dem er diese unvollständige Erzählung Kafkas zugrunde legt, sie in die Jetztzeit überträgt und mit dem Titel „Kafkas Der Bau“ als Regisseur erstmals verfilmt. Bis zur Fertigstellung des Filmes werden 10 Jahre vergehen. Franz Kafka läßt in „Der Bau“ ein dachsähnliches Tier als Ich-Erzähler dessen fanatischen, aber vergeblichen Kampf schildern, seinen riesigen labyrinthähnlichen Erdbau gegen Eindringlinge jeglicher Art zu sichern. Der Drehbuchautor Freydank gibt die Rolle des Ich-Erzählers in menschliche Hände und kann den Schauspieler Axel Prahl als seinen Wunschkandidaten für die Rolle des Franz gewinnen. Auch Franz plagen stets wachsende paranoiaartige Wahnvorstellungen, sich vor einem wie auch immer gearteten Feind durch eine Optimierung des Baus, seiner in den obersten Etagen eines Hochhauses gelegenen Wohnung, schützen zu müssen. „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohl gelungen. Das Schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch.“ Diese Sätze legt Franz Kafka seinem dachsähnlichen Tier in den Mund und der Regisseur läßt diese seinen Ich-Erzähler Franz als Einleitung in dessen Videokamera sprechen. Ab sofort bleibe ich bei der Filmgeschichte, bevor ich mich noch verFranze! Franz ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein schickes Auto und eine gute Stellung in einer Versicherung oder Bank. Er bezieht mit seiner Familie eine große luxuriös ausgestattete Wohnung in einem noblen, in knallroter Farbe gestrichenen Hochhaus mit Wachpersonal, einem Hausmeister, gespielt von Josef Hader, und allgegenwärtigen Überwachungskameras. Um das Glück festzuhalten, wird kurz nach dem Einzug ein „glückliche-Familie-Foto“ geschossen, wobei dem Teddy eines der Kinder nicht zum letzten Mal besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Und von da an ging‘s bergab! Damit habe ich auf keinen Fall zu viel verraten, weil der Prozeß des Verfalls von Mensch und Gebäude gleichermaßen das Nervenaufreibende ist. Besonders der äußerliche Verfall des anfangs sehr gepflegt aussehenden Franz ist so dramatisch, daß er irgendwann sein Spiegelbild nicht erkennt und, mit einer Brechstange auf sich selbst losgehend, den mannshohen Spiegel zum Bersten bringt. Seine Angst, jederzeit attackiert zu werden, ist nicht unbegründet. Auch ich habe mich vor vielen Jahren über mein Spiegelbild geärgert, das zielstrebig auf mich zu kam und einfach nicht ausweichen wollte. Das lag allerdings weniger an einer Verwandlung meinerseits und der große Wandspiegel blieb heil. Mit dem Prozeß der fortschreitenden Verwahrlosung und seelischen Verwirrung des Franz geht der äußerliche und innerliche Verfall des einst noblen knallrot gestrichenen Hochhauses einher. Je mehr der Mieter das Haus verlassen wie Ratten das sinkende Schiff, erobern zerlumpte, zwielichtige, in Müllbergen wühlende Gestalten das Gebäude. Bei seinen flotten Schrittes absolvierten Kontrollgängen muß sich Franz an den überall in den Fluren und dem Treppenhaus Kauernden vorbeilavieren und ich habe nur darauf gewartet, daß eine der Figuren ihn an seinen Fußgelenken packt. Ich wurde nicht enttäuscht. Mir ist das zum Glück nie passiert, als ich mich vor einer Ewigkeit auf dem Weg zu meinem Studentenzimmerchen in einem alten Gemäuer mitten in der Heidelberger Altstadt regelmäßig an auf dem Boden schlafenden, schnarchenden Bündeln vorbeimogeln mußte. Dialoge sind in diesem Film eher die Ausnahme. Meistens monologisiert Franz in seine Videokamera oder führt Selbstgespräche. Der Regisseur läßt die Bilder für sich sprechen, arbeitet oft mit Rückblenden und springt zwischen den Parallelwelten des Franz hin und her. Zudem gelingt es der Filmmusik und den merkwürdigsten Geräuschen, eine bedrohliche Stimmung zu verbreiten. Zu dem außergewöhnlichen Film kam dann auch eine sehr ungewöhnliche Hörfilmbeschreibung durch Greta in mein Ohr. Ortswechsel werden einige Male mit dem Begriff „Szenenwechsel“ angekündigt. Eigentlich reicht es, wenn der neue Handlungsort einfach benannt wird. Allerdings muß hier oft ein Zeitsprung angekündigt werden oder Franz befindet sich zwar in denselben Räumlichkeiten, aber in seiner Parallelwelt. Mindestens einmal wird erwähnt, daß die Kamera einen sehr langen Flur entlang schwenkt. Man hätte auch die Bilder beschreiben können, welche die Kamera einfängt. Aber erst durch das lange Schweigen, untermalt von der düsteren Musik, kam die bestimmt gewollte Beklemmung auf, die Kameraführung gehört also zur Eigenart des Filmes. Mehrmals werden die Geräusche erklärt, bevor sie zu hören sind. Bis auf eine Ausnahme ist das berechtigt, weil im Moment des Geräusches schon wieder neue Bilder zu erklären sind. Wie ich mich bei den netten Damen an meiner Seite im Kinosaal vergewissern konnte, war es schon für sehende Zuschauer nicht ganz einfach, das Geschehen auf der Leinwand zu deuten. Umso schwerer muß es für die Hörfilmbeschreiber gewesen sein, eine verständliche, der Stimmung des Filmes gerecht werdende Bildbeschreibung zu erstellen. Eine Autorin des Teams, bei dem auch Blinde beteiligt waren, hat mir das bestätigt. Wegen der langen dialogfreien Phasen kann der Sprecher langsamer als gewohnt seine Texte platzieren, auch das ist vom Hörfilmteam gewollt, um das Tempo des Sprechers dem des Filmes anzupassen. Mir war das ein bißchen zu langsam. Aber das alles ist wie immer Geschmackssache. Das Wichtigste ist, daß in meinem Kopf Bilder entstehen, die zu den gesprochenen Worten und den Geräuschen passen, und das war immer der Fall. Besonders gelungen ist die Beschreibung der Mimik des brillierenden Axel Prahl als Franz in all seinen Lebensphasen. Ich habe mich einfach in die Abgründe des Franz mitziehen lassen, war aber sehr erleichtert, das Kino noch bei den letzten Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher verlassen zu können.

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Minions

Ein Abend in Berlin und immer noch über 30 Grad, was liegt da näher, als ins Kino zu gehen. Mir gleich taten es erstaunlich viele Leute mit sehr leicht und flipfloppig beschuhten Füßen, um sich mit den kleinen gelben Dingern, genannt Minions, einen lustigen Kinoabend zu machen, der sich übrigens als ein extrem lustiger entpuppte! Ihre ersten Auftritte, allerdings nur mit einer Gastrolle, hatten die Minions in den Filmen „Ich – Einfach unverbesserlich“ 1 und 2 in den Jahren 2010 und 2013. In dem aktuell laufenden US-amerikanischen 3D-Animationsfilm spielen die Gelben die Hauptrolle und lassen die menschlichen Figuren, die dieses Mal den Part der Gastrolle übernehmen, ziemlich blaß aussehen. Am Anfang ist die Ursoße, in der erst wenige und dann immer mehr gelbe Einzeller wabern, bis sie als etwa 50 cm große Wesen durch die Weltgeschichte blödeln. So wie mir diese Wesen mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr erklärt wurden, mußte ich sofort an die allseits bekannten Überraschungseier aus Plastik einer ganz bestimmten Schokoladensorte denken. Neben dem Herumblödeln ist der eigentliche Lebensinhalt der Minions, sich dem Bösen, am besten der bösesten Kreatur der Welt, zu unterwerfen und ihm zu dienen. Zuerst schließen sie sich dem Saurier T-Rex an, der recht schnell tödlich verunglückt. Das gleiche Schicksal ereilt Dschingis Khan, Dracula, einen Steinzeitführer und einen Ritter. Tragischerweise finden all diese Bösewichte durch die komischsten Mißgeschicke ihrer Lakaien, der Minions personifiziert, den Tod. Nachdem sie sich ihres Meisters Napoleon sehr einfallsreich, aber natürlich mal wieder ungewollt, entledigt und sich so schon verdächtig nahe in die Jetztzeit vorgearbeitet haben, verfallen sie frustriert in eine tiefe Depression. Sie kehren der Welt den Rücken und ziehen sich in eine eisige Höhle in der Antarktis zurück. Dort verharren sie mehr oder weniger erstarrt ungefähr 150 führerlose Jahre, wobei es an scheußlichen Kreaturen bestimmt nicht gemangelt hätte, mir fallen auf Anhieb mehr als genug ein. Im Jahre 1968 heckt der Schlaumeier Kevin einen Plan aus, um sich in der weiten Welt nach einem neuen Scheusal umzuschauen. Begleitet wird er von dem rebellischen Teenage-Minion Stuart und dem kindlichen Bob mit seinem Teddy. Die drei Überraschungseier schlagen nach einer strapaziösen Reise 1968 zunächst im damals von der Flower Power, Love & Peace-Bewegung beherrschten New York auf. Von dort trampen die drei abenteuerlich nach Orlando, wo sie hoffen, auf einer Schurkenmesse fündig zu werden. Das klappt auch und sie fliegen im Privatjet der Oberschurkin Scarlet Overkill nach England. Die neue Herrin möchte ihr Haupt mit der Krone der Queen schmücken und die Gelblinge sollen mal eben das Objekt ihrer Begierde aus dem bestbewachten Platz Englands, dem Tower of London, entwenden. Viel wichtiger als die Handlung ist es, den Minions zuzuschauen, wie sie von einer Katastrophe in die andere schlittern und immer wieder, meist in letzter Minute, ihren nicht vorhandenen Hals aus der Schlinge ziehen. Das alles geschieht in der Kulisse der wilden späten 60er-Jahre, angefangen bei der Kleidung bis hin zu allen möglichen zeittypischen Utensilien. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die Musik dieser Zeit, die Stones, die Kinks, die Beatles, The Who, Donovan und Bo Diddley. Als es dem Dreierteam trickreich gelingt, als Besucher in den Tower eingelassen zu werden, setzt es die Wachposten der Krone durch Hypnose außer Gefecht. Diese lassen bis auf die Unterhose die Hüllen fallen, schütteln ihr sehr langes buntes Haupthaar, und klatschen sich hüftenschwingend nach dem Titelsong des Musicals „Hair“ gegenseitig auf ihren Allerwertesten. Das war einfach großartig. Später müssen die drei über die Kanalisation flüchten und tauchen aus einem Gullydeckel an einem Zebrastreifen auf, über den gerade die wohl berühmtesten Pilzköpfe der Welt die Straße überqueren. Das sind nur zwei der unzähligen Szenen, die mit viel Liebe zum Detail und fantasievoll den damaligen Zeitgeist widerspiegeln. Inzwischen hat es die restliche Sippe der Minions geschafft, selbst in der Antarktis Ärger zu bekommen, sie sucht lieber das Weite. Auch deren Reise ist weit und beschwerlich. In Australien legen die Minions einen Teil der Strecke in den Beuteln der dort hopsenden Dinger, Kängurus genannt, fort. Schließlich verschlägt es auch sie nach England. Die Sprache der Minions wird übrigens nicht synchronisiert, sie ist ein Mischmasch aus den Sprachen aller Herren Länder. Erstaunlicherweise habe ich die liebenswerten Geschöpfe immer verstanden. Zum Abschluß noch ein „Chapeau!“ an die Hörfilmbeschreiber! Es gab wahnsinnig viel zu beschreiben und die kurzen Pausen, in denen die Gelblinge einmal nicht vor sich hingebrabbelt haben, wurden, wie ich fand, optimal genutzt.

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Täglich grüßt das Murmeltier

Murmeltier müßte man sein! Sich den Winter über einigeln und Ende Januar, Anfang Februar seinem Instinkt vertrauend einmal ganz vorsichtig mit einem Auge blinzelnd nach draußen luken, ob das Schlimmste bereits überstanden ist. Diesen Murmeltierinstinkt machen sich die Bewohner eines Landstriches irgendwo in Amerika zunutze, die nach den sehr langen frostigen Wintern den Frühling herbeisehnen. Ein Murmeltier wird ganz vorsichtig in seinem Zuhause aufgesucht und beäugt, um nach dessen Wachheitsgrad auf das mehr oder weniger nahende Ende des Winters zu schließen. Überall auf der Welt finden die Menschen mit Leichtigkeit einen Grund zum Feiern, leider fast genauso leicht einen, um sich die Köpfe einzuschlagen. In dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ von 1993 wird das Aufsuchen eines solchen Tierchens mit einem Volksfest begangen. Der Bürgermeister befragt dieses quasi in der Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben, ob und wann es nun Frühling werde und anschließend wird gefeiert. Die Presse darf dabei natürlich nicht fehlen. Zur Live-Übertragung des Spektakels schickt ein Fernsehsender ein Kamerateam und einen TV-Wettermoderator, so eine Art Kachelmann, in die Provinz. Kaum ein Schauspieler kann schlechte Laune auf der Leinwand so inbrünstig verbreiten wie Bill Murray. Ich bin immer wieder von seiner deutschen Stimme fasziniert. Ohne seine Mimik sehen zu können, springt mich die Übellaunigkeit förmlich an. Das ist ein dickes Kompliment an den Sprecher und die Stimmensucher, die bei der Wahl der Stimme ein glückliches Händchen bewiesen!!! Murray mault sich als eben der Wetterman durch den Tag, er täte alles andere lieber, als in der Einöde in einer Kleinststadt über ein orakelndes wettervorhersagendes Murmeltier zu berichten. Zu allem Überfluß gerät er dort aus Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, in eine Dauerschleife. Jeden Morgen um 6 Uhr in seinem Hotelzimmer tröten dieselben Meldungen aus einem Radiowecker und reißen ihn aus seinen Träumen. Er reagiert ähnlich verärgert wie wahrscheinlich ein zu früh aus dem Winterschlaf geholtes Murmeltier. Ihm ist es unfreiwillig gelungen, die Zeit anzuhalten. Jeden Morgen ist der zweite Februar und zugleich Murmeltiertag, bis schließlich…, weiß ich auch nicht mehr, was dann geschieht. Auch ich befinde mich gerade in einer Dauerschleife. Allerdings wache ich jeden Morgen ohne Wecker recht spät bei blitzblauem Himmel und einer jeglichen Aktivitätssinn niederbretzelnden Sonne auf. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als über den Holzweg an den Strand, ins Meer, in die Strandbar und irgendwann über den Holzweg wieder zurück zu wandeln. Damit ist heute leider Schluß! Die Hör- und Lesebücher sind abgearbeitet und es ist Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Auf dem Rückweg über die Provence kommen meine Sinne noch einmal so richtig auf ihre Kosten. Die Grillen grillen, der Lavendel blüht und überall duftet es nach den typischen provencalischen Kräutern. Der britische Schriftsteller Peter Mayle hat mit seinem Buch „Mein Jahr in der Provence“ in den 90er Jahren einen unglaublichen Run, insbesondere unter seinen Landsleuten, auf die in seinem Buch erwähnten Orte ausgelöst. Gemütlicher und urwüchsiger geht es in den Städtchen zu, die ihm nicht unter die Feder kamen. Der Schriftsteller hat sich übrigens wegen des Rummels nach Kanada abgesetzt. Zu Hause angekommen geht es dann recht schnell durch die popcorngeschwängerte Luft der Foyers in dunkle Kinosäle. Das mit dem Popcorn im Kino scheint ein ähnlicher Automatismus zu sein wie der des Tomatensaftes im Flugzeug. Popcorn kaufe ich mir eher selten, aber fliegen geht nur mit Tomatensaft. Jetzt bekomme ich gerade den Saft aus der Dose abgedreht und der Akku ist natürlich auch leer. Das ist die Gelegenheit, ein Gläschen auf die ersten sechs Monate meines nicht mehr blogfreien Daseins zu trinken. Das nächste Mal lasse ich zwei, drei Tage später als gewohnt von mir hören!

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Die Blindgängerin steht im knietiefen Wasser mit Blick auf einen langen Sandstrand. Sie trägt einen rot und weiß gestreiften Bikini und hat eine Taucherbrille auf die Stirn geschoben. Mit der linken Hand deckt sie die Augen gegen das Sonnenlicht ab und schaut suchend Richtung Strand, auf dem viele Badegäste lagern.

Und wo ist jetzt mein Handtuch?

Statt in dunkle Kinosäle stürze ich mich gerade in Südfrankreich bei hochsommerlichen Temperaturen an einem kilometerlangen Sandstrand in die Fluten des Mittelmeeres. Wasser ist mein Element und ich schwimme leidenschaftlich gerne und gut. Im Meer kann ich nach Herzenslust ohne Kollisionsgefahr drauflos kraulen und allenfalls im Eifer des Gefechts zu weit ins offene Meer gen Afrika, genauer gesagt Algerien, abdriften. Der längst verstorbene Genosse und SPD-Politiker Herbert Wehner schnauzte einst in den 70er Jahren bei einer hitzigen Bundestagsdebatte den Mitgliedern der Opposition, die empört den Plenarsaal verließen, hinterher: „Das ist der Nachteil derer, die herausgehen, sie müssen auch wieder hereinkommen“, und zwar spätestens zur Abstimmung. Dieser in die Geschichte eingegangene Spruch gilt jetzt auch für mich, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Den Einstieg ins Meer zu finden ist unproblematisch, aber irgendwann muß ich auch wieder heraus, und das ist an einer völlig anderen Stelle als der Einstieg. Ich stehe also knietief am Ufer, die Wellen umspielen sanft meine Beine, ich suche natürlich vergebens kritischen Blickes den so langen Strand ab und frage mich: „Wo ist jetzt mein Handtuch?“ Einen Strandläufer nach dem Weg zu fragen kommt nicht in Frage. Wenn ich jemanden anspreche, wie beispielsweise „Pardon Monsieur, könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich hinwill“, ernte ich höchstwahrscheinlich nur ein befremdetes Schulterzucken. Bleiben also Geruchssinn, Tastsinn und die Ohren. Ein Handtuch, das ich über diese Entfernung noch erriechen kann, möchte ich erst gar nicht wiederfinden. Sich mit dem Langstock tastend eine Route zu erarbeiten, könnte wie folgt aussehen: 10 Schritte geradeaus, an der Sandburg nach links und bei der vierten Muschel noch fünf Schritte nach rechts. Aber bei so vielen sich stets ändernden Spuren im Sand ist das keine gute Idee. Die Sandburg kann jederzeit geflutet und die Muschel verbuddelt werden. Der Teleskopstock reagiert auf das kleinste Sandkörnchen höchst allergisch und bleibt zudem auf dem Handtuch zurück. Jetzt bleiben nur noch die Ohren, aber Handtücher geben an sich leider oder glücklicherweise keine Geräusche von sich. Ich könnte einen Hund darauf Platz nehmen lassen und als freudig bellenden Abholservice einsetzen. Aber isch abe gar keinen Hund. Gibt es vielleicht eine Handtuchaufspür-App? Oder könnte man in das Handtuch einen GPS-Sender einnähen und über die wasserdichte Applewatch anfunken? Aber bis dies technisch realisiert ist, wird mein Handtuch mit den Gezeiten wohl verappt sein. Der Rettungsanker ist wie so oft im Leben die Bar, am Strand die Strandbar. Mit dem Handtuch wie die Touristen auf Malle einen Barhocker blockieren und nach dem durstig machenden Bade die Bar dank der Musik erhören und notfalls einen Strandläufer befragen. Nach einem Getränk wäre ich dann wieder einmal direkt auf dem an die Bar angrenzenden Holzweg zur Düne und hätte so das perfekte taktile Leitsystem für den Rückweg. All diese Überlegungen sind ehrlicherweise rein hypothetischer Natur. Derjenige, der mich fotografiert, geleitet mich zu meinem Handtuch, das praktischerweise neben seinem liegt, und dann geht’s erst einmal in die Strandbar. Hab ich ein Glück!!! Allerdings hat mich vor vielen Jahren genau an diesem Strand der Fotograf, damals der Lesende, einmal vergessen. Das Buch war zu spannend, um sich mit mir abzukühlen und um, wie versprochen, gelegentlich nach mir Ausschau zu halten. Ich saß wie bestellt und nicht abgeholt sehr lange an der Waterkant, die Erfrischung war längst hinüber und mein rechtes Ohr von der Sonne feuerrot und elefantös angeschwollen. Der Lesende hatte dafür einen geschwollenen rechten Knöchel, wir waren damit quitt! Einen hab ich noch, der ist allerdings nicht von mir (der oft Lesende ist manchmal auch der Schwafelnde): Zum Schwimmen einen Blindenseehund mitnehmen und vorher neben das Handtuch einen leckeren Fisch als Köder auslegen. Dann mit dem Seehund sozusagen als Blindensehhund das verdammte Handtuch finden. Man darf also keinen blinden Seehund nehmen. Aber nicht zu lange im Wasser bleiben, sonst haben die Möwen inzwischen den Fisch geklaut!

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Mädchen im Eis

Gerade noch rechtzeitig vor der Eisschmelze habe ich es mit Greta zu dem Roadmovie „Mädchen im Eis“ in einen der Kinosäle der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg geschafft. Roadmovies spielen überwiegend auf Landstraßen oder Highways. Die Reise wird laut Wikipedia zur Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität der Protagonisten. Das gemeinsame Ziel des Mädchens und aller anderen sehr verschiedenen Filmfiguren ist ein heruntergekommenes Hotel in der Schnee- und Eiswüste am russischen Polarkreis, welches sie aus den unterschiedlichsten Motiven mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen zu erreichen versuchen. Zurzeit wird intensiv über Qualitätsstandards diskutiert, an denen sich alle, die bei der Erstellung von Audiodeskriptionen mitwirken, zukünftig orientieren können und sollen. Beteiligt an diesem Prozeß ist unter anderen die Vereinigung Deutscher Filmbeschreiber. Zwar wird momentan auch die Homepage vom Hörfilm e.V. (www.hoerfilmev.de) technisch, optisch und inhaltlich überarbeitet, aber die Kerninhalte bleiben erhalten. Ich schlüpfe jetzt einmal in die Rolle eines Hörfilmbeschreibers und versuche getreu nach diesen Kerninhalten, die etwas chaotische Filmhandlung und die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr aufzudröseln. Handlungsorte: Um sich die Orte des Geschehens vorstellen zu können, reicht es meistens, wenn man diese einfach beim Namen nennt. Die wichtigsten Orte sind hier eine russische Tankstelle, auf der sich die meisten Figuren schon einmal mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen und das heruntergekommene Hotel nebst Zimmer im gewachsenen Nichts am russischen Polarkreis. Zwischendurch besuchen wir immer wieder ein Pinguingehege mit Wasserbecken. Handlungszeitpunkt: Eine konkrete Zeitangabe ist nur erlaubt, wenn diese beispielsweise auf einer Uhr auch für den Zuschauer ersichtlich ist. Ansonsten wird mit Begriffen wie „es ist Abend“, „am nächsten Morgen“ usw. der zeitliche Geschehensablauf vermittelt. Die Tage im Hotel wurden durch die Mahlzeiten Frühstück, Mittag- und Abendessen strukturiert. Nachts wurde geschlafen oder auch nicht. Handelnde Personen: Insbesondere bei dialogfreien Szenen ist es wichtig zu erklären, wer gerade auf der Leinwand agiert. Getreu dem Grundsatz, daß der Filmbeschreiber der Handlung nie vorgreifen darf, sind die Namen erst dann ins Spiel zu bringen, wenn auch der Zuschauer diese erfährt. Bis dahin behilft man sich mit äußerlichen Umschreibungen oder Eigenschaften wie hier im Film das Mädchen, der Große, der Schmächtige, der Bärtige, der Blonde, der Videokünstler, der Geliebte und zugleich Ehegatte, die Ehefrau mit ihrer Biathlontrainerin und ein Baby. Für die quasi „Taufe“ der Handelnden soll eine Dialogpause gewählt werden, die genug Zeit läßt, die Person genauer unter die Lupe zu nehmen. Dem Blonden wird ziemlich schnell der Schädel eingeschlagen, ich glaube, einen Namen erhält er erst post mortem. Den Namen des Großen, einer zwielichtigen Gestalt, habe ich vergessen. Beauftragt von dem Bärtigen soll er 100 lebende Pinguine für Videoaufnahmen zu dem Hotel befördern, erreicht dieses aber leider mit 100 sehr frostigen Komparsen. Was sich in und um das Hotel herum abspielt und damit die Filmgeschichte, erzählt der Große als Rückblende. Er arbeitet inzwischen als Tierpfleger in einem Pinguingehege, wo er zur Belustigung insbesondere der Kinder die possierlich aussehenden Tiere mit Makrelen füttert. Als der Schmächtige das Gehege besucht, entlarvt er den Großen als Mörder der 100 erfrorenen Pinguine. Um sich zu rechtfertigen, packt der Große vor den Besuchern aus. Er läßt an keinem der Hotelbewohner ein gutes Haar und auch die Pinguine, denen er einen sehr häßlichen Charakter nachsagt, bekommen ihr Fett weg. Immer, wenn der Große in dem Gehege mit Makrelen in Richtung der Tiere oder auch einmal des Schmächtigen wirft, spielt der Film in der Jetztzeit, um dann mit dessen Erzählung stets wieder in die Rückblende überzugehen. Der Bärtige entpuppt sich als russischer Oligarch und zugleich selbsternannter Ökoaktivist namens Starych. Er beauftragt den im Hotel eintrudelnden Videokünstler, mit und über ihn einen agitatorischen Kurzfilm zu drehen, und zwar eigentlich mit lebenden Pinguinen. Das schlanke, aus Deutschland stammende Mädchen Winja mit einem ovalen Gesicht, schulterlangem schwarzen Haar und natürlich wunderschönen großen blauen Augen, verliebte sich in Frankfurt/ Main unsterblich in einen Russen. Sie nimmt die strapaziöse Reise Richtung Polarkreis in der Hoffnung auf sich, dort den Geliebten zu finden. Sie fährt mal mit dem Bärtigen, mal mit dem Großen per Anhalter durch die Schneewüste. Wenig begeistert muß sie mit ansehen, wie der Geliebte mit Frau, einem Baby und der stets herumstänkernden Biathlontrainerin der Konkurrentin in dem Hotel auftaucht. Die Liebesgeschichte fand ich nicht so aufregend, das lag wahrscheinlich an dem Darsteller des russischen Geliebten, dem wäre ich bestimmt nicht bis ans Ende dieser eisigen Welt gefolgt. Umso spannender war die Figur des charismatischen Oligarchen, der man viel mehr filmische Aufmerksamkeit hätte widmen sollen. Die genaue Beschreibung der Mannsbilder konnte ich mir leider nicht merken. Erläuterung der Geräusche: Geräusche und Soundeffekte dürfen nur übersprochen werden, wenn sie sich nicht von selbst erklären. Daß es sich um Explosionen handelte, an denen letztlich fast alle Figuren mitwirkten, war unschwer zu erraten. Allerdings wäre mir ohne die gut gemachte Bildbeschreibung sehr viel, insbesondere das dramatische Ende entgangen. Es wirbeln diverse Male Schneemassen und Eisblöcke mit Pinguinen durch die Lüfte, bis der Bärtige endlich zufrieden abnickt. Die Rolle, die er sich in seinem Film zugedacht hat, läßt nur einen Versuch zu. Beschreibung von Farben: Farben sind Geburtsblinden sehr schwer zu vermitteln. Farben werden entweder genannt oder ihre Wirkungsweise erkannt und beschrieben. Die vorherrschende Farbe im Film ist weiß wie Schnee und gelegentlich blutiges Rot. Fazit: All das, was ich so gerne mache, ist den Filmbeschreibern auf das Strengste untersagt, nämlich die Handlung aus der eigenen Sicht zu erzählen, vor- und zurückzugreifen und auch einmal etwas längere Sätze zu schreiben. Trotzdem soll die Stimmung und Atmosphäre des Filmes sich in der Beschreibung widerspiegeln. All das ist der Beschreibung beim „Mädchen im Eis“ sehr gut gelungen!!!

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Tag der offenen Tür im Berufsförderungswerk Halle (Saale)

Ich halle an der Saale, Du hallst an der Saale, er, sie, es hallt an der Saale usw. läßt der Schriftsteller Curt Goetz die Patientin Maria Violetta Höllriegel im Bühnenstück „Dr. med. Hiob Prätorius“ die gleichnamige Stadt konjugieren. Wahrscheinlich wurde aus diesem Grund in Halle nach ihm eine Straße benannt. Ich hallte letzte Woche Donnerstag an der Saale, und zwar als das Berufsförderungswerk Halle (Saale) als Kompetenzzentrum „Rund um das Sehen“ zum 25. Mal seine Tore für die Allgemeinheit öffnete. Anfang März stellte ich meinen Blog www.blindgaengerin.com und damit mein Anliegen, Blinde, Sehbehinderte und alle anderen fürs Kino zu begeistern, per Mail bei Herrn Stemmler vor. Mein Gedanke war, in dem BFW viele Blinde und Sehbehinderte zu erreichen, die oft nicht in Vereinen organisiert sind. Herr Stemmler meinte wortwörtlich, da hätte ich voll ins Schwarze getroffen, und lud mich zum Tag der offenen Tür ein. Am 28. Mai um 10.00 Uhr begrüßte die Geschäftsführerin Kerstin Kölzner in der Aula im Haus 1 die sehr sehr zahlreich erschienenen Gäste und eröffnete den Tag der offenen Tür unter dem Motto „Steigende Sehanforderungen am Arbeitsplatz – Wir liefern Lösungen“. Anschließend referierte Herr Matthias Benninghofen über den Stand der Forschung bei dem von „Second Sight“ entwickelten Netzhautchip. Immerhin gelingt es unter gewissen Voraussetzungen, Vollblinden ein Hell-/ Dunkelsehen zu ermöglichen. Mein Sehrest ist zwar minimal, aber ich kann Kontraste sehr gut wahrnehmen. Ich falle also durchs Raster, aber Herr Benninghofen versprach, daß an der Weiterentwicklung der Technik fieberhaft gearbeitet werde. Dann hatte mein Stündlein geschlagen. Unter dem Motto „Smart mit dem Phone – Kino über die Ohren erleben“ stellte ich mich als Blindgängerin aus Berlin und meinen Blog so knapp wie möglich vor und verwies auf die Bibliothek eine Etage tiefer, die für vier Stunden mein Reich war. Die Audiodeskription war dort über mein an einer Lautsprecherbox angeschlossenes Smartphone zu hören. Ein Abspielgerät sorgte für das Bild und den Originalton der DVD des Filmes „Wir sind die Neuen“ in Dauerschleife. Ich konnte die Lautstärke der Audiodeskription und die des Films getrennt regeln und meinen Besuchern, die manchmal auch die Augen zukniffen, so sehr plastisch den Unterschied eines Filmerlebens mit und ohne Bildbeschreibung vorführen. Während der vier Stunden gesellten sich ungefähr 50 Sehende, Blinde und Sehbehinderte jung wie alt, zu mir, um sich über die Audiodeskription im Allgemeinen zu informieren und zu erleben, wie einfach es sein kann, diese mit der App von Greta und Starks in die Ohren zu bekommen. Alle verließen begeistert die Bibliothek, bedankten sich, und vereinzelt konnte ich auch die Berührungsängste vor dem Smartphone wenigstens ein bißchen nehmen. Das war schön! Zwischendurch kamen die Herren Stemmler und Küchler und die Damen Frau Scheibe und Frau Sander nach mir schauen und sorgten für mein leibliches Wohl. Kurz bevor ich meine Zelte abbrechen mußte, erschien plötzlich das Fernsehteam von TV Halle in der Tür. Sie wollten einen kleinen Beitrag für die Sendung „Hallo Halle“ über mich drehen. Bevor ich nervös werden konnte, war schon alles vorbei. Es blieb leider keine Zeit, eine Runde über das parkähnliche Gelände des BFW zu drehen, auf dem bereits am 01. April 1898 die Provinzial-Blindenanstalt ihrer Bestimmung übergeben wurde. Die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurden liebevoll restauriert und die Mitarbeiter behaupten durchweg mit Stolz, das bundesweit kleinste, aber schönste BFW zu sein. In der Turnhalle war die größte Hilfsmittelausstellung des mitteldeutschen Raumes untergebracht. Dort war ich eigentlich locker mit Jette Förster und Andy Chyla, beide auch aus Berlin angereist, verabredet. Herr Chyla präsentierte das Hörfilmprojekt des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) und Frau Förster informierte als Jugendreferentin des Blinden- und Sehbehindertenvereines Sachsen-Anhalt. Die treuen vierbeinigen Begleiter durften natürlich auch nicht fehlen. Eine Blindenführhundschule zeigte die Arbeit und Ausbildung mit Führhunden. Ich habe zwar keinen Führhund, liebe aber Hunde und die Hunde eigentlich auch immer mich. Am nächsten Tag erfuhr ich über die im Internet noch bereitgestellte Sendung „Hallo Halle“ von den ungeahnten Möglichkeiten, den an sich schmucklosen weißen Langstock aufzupeppen. Den Griff und die Kugel passend zum Outfit und Anlaß austauschen, vielleicht auch einmal eine Diskokugel? Ich kenne da jemanden, die, wenn man sie ließe…, mon dieu!!! Das ist ein nur sehr kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen und bunten Programm, das über 500 Besucher nutzten, um sich über die Arbeit des BFW Halle zu informieren. Ich hoffe für meinen Teil, in Halle nicht verhallt zu sein, und fuhr gegen 16.00 Uhr, um in der Sprache der gelesenen Emoticons zu sprechen, mit glücklichem Gesicht und halbgeschlossenen müden Augen zurück in die Hauptstadt.

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Mein Herz tanzt

Vor einigen Jahren brachte die Berliner Band Mia mit „Mein Herz tanzt“ in dem Song „Tanz der Moleküle“ die Herzen ihrer Fangemeinde zum Tanzen. Seit 14 Tagen spielt sich die Hauptfigur des gleichnamigen Filmes, Eyad, auf der Leinwand in die Herzen der Kinobesucher, und so auch in meines. Unter den ca. 8 Millionen Einwohnern Israels leben ungefähr 1,5 Millionen israelische Staatsbürger arabischer und palästinensischer Herkunft, also Menschen, die keine Juden sind, und deren ethnische und kulturelle Identität oder Sprache arabisch ist. Araber mit israelischen Bürgerrechten werden wahlweise als israelische Palästinenser oder arabische Israelis bezeichnet, wobei der letzte Begriff von der offiziellen Seite bevorzugt gebraucht wird. Der israelische Regisseur Eran Riklis gibt mit seinen Filmfiguren der arabischen Minderheit ein Gesicht und erzählt aus dem Leben des jungen Palästinensers Eyad, von 1982 bis Anfang der 90er Jahre. Eyads Familie lebt in einer von Arabern bewohnten Kleinstadt, so wie es sie in Galiläa, der östlichen Landesebene Israels, und dem nördlichen Teil des Negev gibt. Nur wenige Araber leben in den Städten Jerusalem, Haifa oder Akko. Eyad wächst behütet und von seinen Eltern traditionell erzogen mit seinem Bruder auf. Ein besonders inniges Verhältnis hat er zu seiner Großmutter. Er ist ein aufgewecktes pfiffiges Kerlchen und bekommt das erste Mal in der Schule Repressalien zu spüren. Vom Lehrer nach dem Beruf seines Vaters gefragt, antwortet Eyad: „Mein Vater ist Terrorist!“ Eindeutig die falsche Antwort. Mit Schlägen auf die Finger will der Lehrer die richtige Antwort, der Vater sei ein Tagelöhner, erzwingen. Aber Eyad bleibt mit tränenerstickter Stimme standhaft. Zum Stolz seiner Eltern schafft er den Absprung auf die Eliteschule Jerusalems schlechthin und tauscht jetzt als Teenager das traditionell ausgerichtete Familienleben in einer arabischen Kleinstadt gegen das freie Campusleben des modernen Israel ein. Rockmusik, Bars und Tanzen gehen muß er so nach und nach für sich entdecken. Dabei wird er von seinen ausnahmslos jüdischen Mitschülern teils ironisch, teils verächtlich, wegen seiner Unbedarftheit und als arabischer Sonderling aufgezogen. Auch im Unterricht hat er keinen leichten Stand. Als sich die politische Lage zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten um 1990 wieder bedrohlich anzuspannen beginnt, wird er auch von der Lehrerschaft fast ein bißchen dafür mitverantwortlich gemacht. Nur mit seinem jüdischen, an Multipler Sklerose erkrankten Mitschüler Yonatan verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Die beiden sehen sich zum Verwechseln ähnlich, und nur weil Eyad sich als Yonatan ausgibt, kann er ein Bankkonto eröffnen und einen Aushilfsjob als Kellner annehmen. Er wird nicht nur dieses eine Mal in Yonatans Identität schlüpfen. Auch die Liebe ist kompliziert. Seine jüdische Freundin, die ihn wirklich zu lieben scheint, traut sich nicht zu einem Coming-out, in dem Sinne, sich öffentlich zu ihrer Liebe zu einem Palästinenser zu bekennen. Zwischendurch muß sich Eyad, wenn er zu seiner Familie fährt, neugierigen Fragen über sein Leben in Jerusalem stellen. Diese Besuche werden immer häufiger von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gestört. Schon fast schizophren mutet es an, wenn seine Großmutter die Raketen anfeuert, diese mögen doch beispielsweise das israelische Regierungsviertel treffen, als ob man unter Feinden lebt. Auch dem eigentlich verhaßten Saddam Hussein werden die Daumen gedrückt, als die Amerikaner im 2. Golfkrieg 1991 mit ihrer Offensive „Desert Storm“ versuchen, ihm den Garaus zu machen. Der Großmutter mußte Eyad einst versprechen, dafür zu sorgen, daß sie in ein geweihtes Tuch gehüllt beerdigt werde. Da er jedoch zu spät zu ihrer Beerdigung kommt, findet das Tuch schließlich eine ganz andere Verwendung. Im Kino haben sich mir einmal wieder einige Szenen nicht erschlossen und einiges konnte ich mir ergoogeln. Mit der Autorin der Hörfilmbeschreibung habe ich dann noch einmal den Film Revue passieren lassen und mußte enorme Verständnislücken feststellen, die ich erst in diesem Gespräch schließen konnte. Ein kleiner Trost ist, daß ich mir mit der DVD den Film mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr noch einmal zu Gemüte führen kann. Das mache ich auch, aber Kino ist halt doch viel besser!

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Offener Brief an den Runden Tisch der Filmförderungsanstalt (am 29.05.2015)

Guten Tag! Mit diesem offenen Brief wende ich mich an all diejenigen, die, eingeladen von der Filmförderungsanstalt FFA zu einem Runden Tisch, an demselben Platz genommen haben. Seitdem jeder mit Geldern der FFA geförderte Film per Gesetz mit einer barrierefreien Fassung ausgestattet sein muß, haben viele Neuanbieter diesen Markt für sich entdeckt. Diejenigen Hörfilmbeschreiber, die mit viel Sorgfalt und damit viel Zeit und immer mit einem entsprechend ausgebildeten Blinden arbeiten, können bei dem herrschenden Preiskampf nicht mithalten. Um auch in Zukunft qualitativ hochwertige Audiodeskriptionen/ Untertitel zu gewährleisten, soll sich die Expertenrunde unter anderem auf Standards einigen, die beim Erstellen der barrierefreien Fassungen eingehalten werden müssen. Des Weiteren soll es darum gehen, wie die barrierefreien Filmfassungen im Kinosaal in die Ohren bzw. vor die Augen der jeweiligen Zielgruppe kommen. Bislang ist der Löwenanteil der teuer erstellten barrierefreien Filmfassungen für den Kinobesucher nicht zugänglich und bleibt im Verborgenen. Das Geld wurde umsonst ausgegeben, weil so gut wie kein Kinosaal über die nötige Wiedergabetechnik verfügt. Ein barrierefreier Kinobesuch ist aber immer möglich, wenn die Hörfilmbeschreibung und die Untertitel über die App von Greta und Starks verfügbar sind. Ob das geschieht, hängt vom jeweiligen Filmverleiher ab. Die Liste der Filmtitel auf der App von Greta und Starks ist zwar schon beachtlich, aber leider scheuen noch viele Filmverleiher diesen letzten und vergleichsweise kleinen Schritt oder gehen ihn nur bei einigen ausgewählten Filmen. Ich glaube, hier besteht auch Unsicherheit darüber, inwieweit dies noch förderfähig ist oder nicht. Wegen dieser mißlichen Situation hatte ich vor einigen Wochen bei der FFA nachgefragt und so zufällig von dem Runden Tisch am 29.05.2015 erfahren. Vertreten sind die Firmen Sennheiser und Arri, die beide die Kinosäle mit ihrer eigens entwickelten Technik ausrüsten wollen. Erfreulicherweise wurde kurzfristig auch noch das Team von Greta und Starks eingeladen. Da aber die eigentlichen Zielgruppen meines Wissens nach nicht dabei sein können, wende ich mich nun als www.blindgaengerin.com an die Runde und gebe Folgendes zu bedenken: Solange es kein wirklich flächendeckendes mit der entsprechenden Technik ausgerüstetes Netz von Kinos gibt, führt an der App von Greta und Starks kein Weg vorbei. Inklusion heißt jedenfalls nicht, vor jedem Kinobesuch zu überprüfen, ob der Film in einem entsprechend ausgerüsteten Kino gezeigt wird. Was, wenn nicht, oder wenn der Film kurzfristig in einem anderen Saal gezeigt wird? So hat das übrigens auch die Grünenpolitikerin und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth klipp und klar erklärt, als sie den Hörfilmpreis an das Team von Greta und Starks übergab. Ich hoffe, ein bißchen Gehör zu finden, und verbleibe mit erwartungsvollen Grüßen Die Blindgängerin Barbara Fickert

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Das Versprechen eines Lebens

Ein türkischer Sonntagnachmittag mit Greta! Beschleunigt mit einem Taxi ging‘s am Sonntagnachmittag zum Berliner Zoopalast in den Film „Das Versprechen eines Lebens“. Während der Fahrt habe ich die Neugierde des türkischen Taxifahrers auf den Film geweckt und er hat sich für den Tipp ausdrücklich bedankt. Bei dem netten Servicepersonal des Zoopalastes bin ich inzwischen ganz gut bekannt und so ging alles wie immer freundlich und reibungslos seinen Gang. Die ersten Filmminuten spielen 1919 im australischen Nordwest-Victoria. Dort ist der Farmer Joshua Connor, begleitet von seinem Hund, mit der Wünschelrute auf der Suche nach einer Wasserader. Er wird natürlich fündig. Im Original heißt der Film „The Water Diviner“, der Wünschelrutengänger. Nach einer mehrere Monate dauernden Überfahrt von Down Under geht Joshua im Hafen von Istanbul an Land. Kaum angekommen, stibitzt dem Neuankömmling ein kleiner Junge die Tasche und die Verfolgungsjagd führt den Australier in das von der Familie des kleinen Diebes geführte Hotel. Gar nicht so schlecht, die Geschäftsidee! Der traurige Anlaß der langen Reise Joshuas liegt vier Jahre zurück. Seine drei Söhne kämpften wie viele Australier während des Ersten Weltkrieges an der Seite der Briten gegen das Osmanische Reich. 1915, gegen Ende der berühmt-berüchtigten Schlacht von Gallipoli, einer türkischen Halbinsel, rücken türkische Truppen so massiv gegen die australischen Streitkräfte vor, daß diese den Rückzug über das Meer antreten. Unter den australischen Soldaten waren auch alle drei Söhne der Connors und gelten seitdem als verschollen. Sie wurden wahrscheinlich mit zigtausend türkischen und australischen gefallenen Soldaten in Massengräbern auf der Halbinsel verscharrt. Kurz vor seiner Überfahrt in die Türkei mußte Joshua in Nordwest-Victoria seine Frau zu Grabe tragen, die sich aus Kummer über den Verlust aller drei Söhne das Leben nahm. Das Einzige, was er glaubt, für seine Frau noch tun zu können und zu müssen, ist die Jungs in der Türkei aufzuspüren und an der Seite ihrer Mutter in heimatlicher Erde beizusetzen. Also macht er sich mit seiner Wünschelrute trotz bürokratischer Hürden von Istanbul aus auf den Weg nach Gallippoli. Dabei hilft ihm Ayshe (Olga Kurylenko), die wunderschöne verwitwete Tochter des Hotelbesitzers. Auf Gallipoli haben die noch vor einem Jahr erbittert verfeindeten Türken und Briten gemeinsam begonnen, die Massengräber auszuheben, die Toten nach Nationalität zu sortieren, und jedem seine letzte Ruhestätte zu geben. Dies ist der Beginn der traurigen Kultur der Soldatenfriedhöfe und der Kriegsgräberpflege. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde alles und jeder inklusive Pferd und Waffen wahllos in Massengräbern verscharrt. Die Türken wie insbesondere auch die Briten sind von Joshuas Auftauchen wenig begeistert und empfinden ihn als Störfaktor. Aber schon nach kurzer Zeit entsteht zwischen ihm und dem türkischen Major Hasan, der auch bei der Schlacht von Gallipoli mitgekämpft hatte, eine enge Männerfreundschaft. Die beiden bestehen gemeinsam das eine oder andere Abenteuer, einmal rettet Joshua dem Major sogar das Leben. Sie flüchten im Schweinsgalopp auf den Pferden griechischer Soldaten, die zuvor im Grenzgebiet türkische Dörfer überfielen, abfackelten und die Bevölkerung massakrierten. Kaum ist der eine Krieg beendet, geht’s an der nächsten Front weiter. In den Satteltaschen finden sie als Proviant Brot und ein hochprozentiges Getränk. Das Brot wird ignoriert und das Getränk Ouzo, auch wenn es kein Raki ist, dankend verzehrt. Ob Ouzo oder Raki, spielt keine Rolle, es gibt keinen Unterschied, sagt Hasan. Wenigstens in dieser Hinsicht eine Annäherung! Es wird noch viel gestorben, gelitten und gemetzelt, aber wo Schatten ist, ist auch Licht, mehr sage ich nicht. Das Ende ist zwar vorhersehbar, der Film aber trotzdem für einige Überraschungen gut. Zum Schluß versuche ich, ein bißchen intensiver als sonst auf die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr einzugehen. Die Protagonisten wurden sehr genau beschrieben. Bei Filmen in der Jetztzeit ist mir die genaue Beschreibung der Kleidung nicht so wichtig. Das gilt z.B. für die Farbe der männlichen Cordhose, des Hemdes und der Jacke, auch bei den Frauen ist das meistens für mich verzichtbar, vorausgesetzt, es dient nicht dem Verständnis der Handlung. Aber bei historischen Filmkulissen ist das natürlich etwas anderes. Jedenfalls weiß ich jetzt ziemlich genau, wie gut Joshua, gespielt von Russel Crowe, gebaut ist. Von der Stadt Istanbul und den Landschaften hatte ich immer recht schnell ein genaues Bild vor meinem geistigen Auge. Ob das den Bildern auf der Leinwand entspricht, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich gehe mal davon aus! In diversen Rückblenden nimmt uns der Film mit in die Schützengräben. Das ist so schrecklich grausam und auch sehr detailliert beschrieben, so genau will jedenfalls ich das immer gar nicht wissen. Weil sehr viel türkisch gesprochen wurde, mußte die Hörfilmbeschreibung auch noch dolmetschen. Also alles in allem: Daumen hoch für die Hörfilmbeschreibung! Abgerundet wurde der türkische Sonntagnachmittag von wieder einem türkischen Taxifahrer auf dem Heimweg, den ich für den Film allerdings nicht begeistern konnte!

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Im Treppenhaus eines Geschäftshauses steht die Blindgängerin in der offenen Aufzugtür, in ihrem Rücken die Kabine. Die Blindgängerin hält den weißen Langstock quer, so daß die Schiebetüren des Aufzuges sich nicht schließen können.

Hedi Schneider steckt fest

Zunächst steckt Hedi Schneider auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle „nur“ in einem Aufzug fest. Das Wörtchen „nur“ habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil das Feststecken im Aufzug auch im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ich an ihrer Stelle nach einer Minute bereits kollabiert wäre. Hedi radelt, begleitet von richtig schöner Gute-Laune-Musik durch die Straßen Berlins. Sie schließt ihr Fahrrad an und verschwindet mit den Zuschauern in einem Gebäude und dort in einem Aufzug. Die Tür gleitet zu, sie drückt den Knopf, die Kabine setzt sich erst einmal ganz normal in Bewegung. Plötzlich hat die Fahrt ein jähes Ende und der Aufzug geht geräuschvoll ein bißchen in die Knie. Hedi drückt den Notrufknopf und erwidert auf die krächzend quakend fragende Stimme aus dem Lautsprecher: „Ich bin Hedi Schneider und stecke fest!“ Der Notknopfmann verspricht mit ziemlich vagen Zeitangaben ihre Befreiung und gibt ihr Tipps, wie sie einer Panikattacke vorbeugen könne. Ein bißchen resigniert, aber ruhig, läßt sie sich auf den Boden nieder, versucht aber zuvor, so lange wie möglich die Wartezeit quatschend mit dem Notknopfmann zu überbrücken. Nachdem der Aufzug sie freigegeben hat, hetzt sie in ein Großraumbüro, setzt sich mit einem großen Kaffeebecher bewaffnet an ihren Arbeitsplatz und haut wild in die Tasten. Unterbrochen wird sie von dem Eigentümer des Kaffeebechers, einem eigentümlichen Kollegen, der sie zur unverzüglichen Herausgabe desselben auffordert. Mit riesigen geräuschvollen Schlucken gulpt sie den Kaffee herunter, übergibt wortlos den namentlich gekennzeichneten Becher und tippt weiter. Nach der Arbeit kümmert sie sich, von Gewissensbissen geplagt, um die Wohnungsauflösung ihrer gerade einsam verstorbenen Tante. Als Andenken nimmt sie eine von der alten Dame in Handarbeit eigens für sie angefertigte Mütze mit. Zu Hause angekommen, stülpt sie die wohl merkwürdig geratene Mütze unsanft, fast verbissen und vom Gelächter der Zuschauer quittiert, ihrem sich sträubenden ca. fünfjährigen Sohn über den Kopf. Am nächsten Morgen im Büro erfährt sie vom dramatischen Selbstmordversuch des eigentümlichen Kaffeebechereigentümers und bekommt zu ihrem Entsetzen auch noch dessen Akten aufs Auge gedrückt. So ganz allmählich legen sich leichte Schatten auf ihr so sonniges und verspieltes Gemüt. Am Abend scheint alles erst einmal wieder gut zu sein. Sie verführt spielerisch ihren Mann Ulli, doch auch dieses Spiel hat ein jähes Ende. Hedi überfällt schlagartig die panische Angst, genau jetzt an einem Schlaganfall zu versterben. Alle Versuche, an Hedi heranzukommen und sie zu beruhigen, scheitern, bis Ulli schließlich Hedis geschrienem Verlangen nachkommt, einen Notarzt zu rufen. Die Notaufnahme entläßt sie medikamentös ruhig gestellt und mit dem Rat, sich einmal richtig auszuschlafen. Am nächsten Morgen erscheinen auf ihrem Bildschirm im Büro nur kryptische Buchstaben und ihr Chef fragt, ob er sie genau so langsam bezahlen solle, wie sie arbeite. Nach einem Gespräch, in dem er ernsthaft um sie besorgt und bemüht ist, schickt er sie nach Hause. Das bis jetzt glückliche Zuhause verwandelt sich in einen Käfig, in dem Hedi in Depressionen und Angst- und Panikattacken feststeckt. Mitgefangen in diesem Käfig sind aber auch Ehemann Ulli und der gemeinsame Sohn Finn. Ehrlich gesagt stecke ich auch gerade fest, und zwar beim Beschreiben des weiteren Verlaufs der Dinge, aber ich versuch’s! Nachdem der erste große Schritt geschafft ist, jedenfalls intern die Depressionen als Krankheit zu akzeptieren und entsprechend zu therapieren, sieht Hedi ihre Rettung im unkontrollierten Einnehmen von Psychopharmaka ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen. Ihr entgeht nicht, daß ihr Sohn Finn sie als sonderbar abstempelt und sich von ihr abwendet. Aus Verzweiflung sucht sie völlig zugedröhnt ein Zoogeschäft auf, um Finn mit einem Kuscheltier zu beglücken. Eigentlich entscheidungsunfähig, entscheidet sie sich schließlich für einen Futterhasen, genauer gesagt einen Verfütterhasen. Der Verkäufer setzt sich, nur um Hedi loszuwerden, über das Verkaufsverbot von lebenden Futterhasen hinweg. So retten die beiden dem Tier, das sonst bestimmt einer Schlange zum Fraß vorgeworfen worden wäre, das Leben. Ich weiß, es gilt fressen und gefressen werden, aber Schlangen rangieren auf meiner persönlichen Horrorliste auf Platz EINS, weit vor im Aufzug stecken zu bleiben! Einem Therapeuten gelingt es, Hedi wenigstens die Angst zu nehmen, genauso wie Jack Nicholson in dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu enden, nämlich von einem Indianer erlösend mit einem Kopfkissen erstickt zu werden. Ehemann Ulli bringt unglaublich lange unglaublich viel Geduld auf und versucht, Hedi mit Hilfe von Entspannungsübungen und durch gemeinsames Wegschreien der Ängste zu helfen. Die Mutter meint es gut und glaubt, mit dem Anschleppen von Selbstgekochtem helfen zu können, meint dann aber resigniert: „Ich hätte nie gedacht, daß du einmal so etwas bekommst.“ Als Hedi sich von Ulli beim Räumen von Weingläsern wie ein „Füsch“ (Fisch mit einem preußischen Ü) beobachtet fühlt, flippt sie aus und die beiden gehen sich verbal fast an die Gurgel. Sie wollte doch nur einmal wieder ein bißchen Normalität in ihr Leben bringen. Aber die Nerven liegen blank und Ulli ist mit seiner Geduld am Ende. Danach passiert von mir subjektiv empfunden für eine Ewigkeit nichts, jedenfalls wird nichts gesprochen. Getröstet über die Durststrecke hat mich die Musik. Gesprochen wird erst wieder in Norwegen, wo die Familie während eines Urlaubs versucht, wieder zueinander zu finden. Die gemeinsam gewählte Strategie scheint zu funktionieren und es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Aus dem Schneider sind Hedi und ihre Familie allerdings noch lange nicht! Vielleicht ist es mir gelungen, ein bißchen Neugierde auf den Film zu wecken, trotz des schweren Themas. Der Regisseurin Sonja Heiss ist es zu 100 % gelungen, die Berührungsängste vor der lange tabuisierten Krankheit „Depression“ zu überwinden. Sie erzählt mit einem weinenden und vielen lachenden Augen, wie es aus scheinbar heiterem Himmel jeden treffen kann, wie es aber auch einen Ausweg gibt. Den größten Anteil am Gelingen haben die Hauptdarsteller Hans Löw und vor allem Laura Tonke, die man, ob tröstend oder sich mit ihr freuend, immer in die Arme nehmen möchte. Ich wurde zwei-, dreimal angestupst, mich intensiver über die Qualität der Hörfilmbeschreibungen zu äußern. Dieses Mal bin ich jedenfalls aus dem Schneider, weil, was nicht in mein Ohr kommt, kann ich auch nicht beurteilen!

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