Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Señor Kaplan

Ein Kaplan ist der Inhaber eines geistlichen Amtes, heißt auf polnisch „Priester“ und auf türkisch „Tiger“. Ein Asteroid namens Kaplan kreist um die Sonne, der gleichnamige Ort im US-amerikanischen Bundesstaat Louisiana tut das zwar auch, ist dabei aber nicht so allein. Ansonsten ist Kaplan sowohl als Vorname als auch über den gesamten Globus verteilt als Familienname zu finden. Jacobo ist einer dieser Namensträger und die liebenswerte Hauptfigur des Filmes „Señor Kaplan“. Als kleiner Junge ist er der Einzige einer jüdischen Familie, der kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der damals tödlichen Falle Polen in Richtung Südamerika entkommt. Dem Großvater des Regisseurs Álvaro Brechner aus Uruguay widerfuhr einst ein ähnliches Schicksal. Jacobo strandet in Montevideo, der Hauptstadt des kleinsten spanischsprachigen, im südlichen Südamerika gelegenen Staates Uruguay mit drei Us. Dort lebt er bis heute glücklich mit seiner Frau Rebecca, seinen beiden erwachsenen Söhnen und der 18-jährigen Enkelin Lotti. Inzwischen 77 Jahre alt, führt er ein recht unbeschwertes, von der Sonne verwöhntes Rentnerdasein. Uruguay ist ungefähr halb so groß wie Deutschland. Von den ca. 3,4 Millionen Einwohnern leben knapp 40% in der Hauptstadt. Montevideo gilt als eine der zehn sichersten Städte Lateinamerikas und als die mit der höchsten Lebensqualität. Eigentlich gibt es für Jacobo, der rege am gesellschaftlichen Leben der jüdischen Gemeinde teilnimmt, keinen Grund zum Meckern, wären da nicht die allmählich sich anschleichenden Alterserscheinungen. Die Knochen tun ihre Dienste nicht mehr so zuverlässig wie gewohnt und das nachlassende Sehvermögen macht ihm besonders zu schaffen. Das Autofahren ist inzwischen eine Mutprobe für den Beifahrer und nach einer Karambolage mit Blechschaden ist die Pappe weg, da hilft auch kein Schummeln beim Sehtest. Aber sein Hauptproblem ist die große Frage nach dem Sinn des Lebens. Vom Alltag gelangweilt, sehnt er sich danach, für die Nachwelt ein außergewöhnliches Denkmal von sich zu setzen, die Welt einfach ein bißchen besser zu machen, wie auch immer. Unverhofft kommt oft, und zwar beim heimlichen Rauchen mit seiner immer mit Kopfhörern zugestöpselten Enkelin auf dem Balkon nach einem Abendessen mit der versammelten Mischpoke. Auf die Frage des Großvaters, wo und wie sie ihre Freizeit verbringt, erzählt Lotti von einem bei den Jugendlichen beliebten Strand mit einer Strandbar, von deren Besitzer, einem älteren Deutschen, alle ganz selbstverständlich als von „dem Nazi“ sprechen. Schlagartig wittert Jacobo die Chance seines Lebens, einen Altnazi, der sich wie so viele nach dem Kriegsende nach Südamerika abgesetzt hatte, seiner längst überfälligen Strafe in Israel zuzuführen. Da kommt ihm Wilson, der Jacobo von seiner Familie eigentlich als Chauffeur aufs Auge gedrückt wird, als Helfershelfer gerade recht. Der dem Alkohol sehr zugeneigte Pechpilz Wilson wurde gerade zu Unrecht unehrenhaft aus dem Polizeidienst entlassen und von Frau und allen fünf Kindern verlassen, von allen guten Geistern irgendwie auch. Das Dreamteam macht sich also sehr auffällig und ungeschickt ans Recherchieren, zieht nicht unbedingt immer die richtigen Schlußfolgerungen, und schlittert von einem Schlamassel ins nächste. Immer wieder läßt sich Wilson von Jacobos Einfällen und Ungeschick zu wahnsinnigem Gelächter hinreißen. Eine dieser gar nicht enden wollenden Lachsalven ruft Jacobo mit seinem Plan hervor, den Nazi zu kidnappen und über den Seeweg mit einem kleinen Fischerboot nach Israel zu verschleppen. Die Lachsalve auch deshalb, weil die beiden passionierte Nichtschwimmer sind. Bei ihren ungeschickten Observierungen an dem wunderschönen Traumstrand des Atlantischen Ozeans stellen sie vor allem fest, daß sich der durchtrainierte Deutsche wie ein Fisch im Wasser bewegt. Als der sich von dem Duo verfolgt fühlt, spricht er eine scharfe Drohung aus. Aber letzten Endes gehen dann alle drei gemeinsam baden. Bis zur letzten Filmminute konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Jacobo ein Gelingen seiner Mission wünsche und ob er sich mit der Überführung des Julius Reich ein Denkmal als Weltverbesserer setzen kann oder er sich einfach schrecklich irrt. Letztlich hat mir der Regisseur die Entscheidung darüber abgenommen. Die vielen Dialoge werden, besonders wenn die Kaplans unter sich sind, in einem rasanten südamerikanisch-temperamentvollen Tempo gesprochen. Die Sprecherin der Audiodeskription, deren schöne klare Stimme es mir angetan hat, mußte sich ganz schön sputen, alle Informationen rechtzeitig in den Pausen unterzubringen, was ihr immer gelungen ist. Bei der Familie Kaplan fliegen verbal ganz schön die Fetzen. Die sehr unterschiedlichen Söhne Jacobos beharken sich und die besorgte Rebecca schimpft ständig mit ihrem störrischen Gatten, der heimlich raucht und trotz eines Schlaganfalles einfach nicht von seinem Vorhaben abrückt. Die Enkelin Lotti ist die Einzige, die ihren geliebten Großvater so nimmt, wie er ist. Das Tempo der Erzählung wird auch von der Musik bestimmt, mal von jüdischer Folklore, mal von wunderschönen lateinamerikanischen Rhythmen. Rolf Becker, der als der Deutsche Julius Reich eine sehr gute Figur macht, meinte bei der Premierenvorstellung im Kinosaal sinngemäß: Dem Regisseur Álvaro Brechner ist es bei „Señor Kaplan“ ebenso wie unter anderem Ernst Lubitsch bei dem Film „Sein oder Nichtsein“ gelungen, eine Geschichte aus dem düsteren Kapitel deutscher Vergangenheit mit einer erträglichen Leichtigkeit zu erzählen. Das ist ein schönes Schlußwort!

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Kafkas Der Bau

Franz Kafka ist ohne sein Wissen der Ziehvater des Filmes „Kafkas Der Bau“. Die Werke des 1883 in Prag geborenen deutschsprachigen Schriftstellers zählen nach einhelliger Meinung zur Weltliteratur. Die letzten zwei Jahre vor seinem frühen Tod im Jahr 1924 schrieb der schwer erkrankte Kafka an der unvollendet gebliebenen Erzählung „Der Bau“, die mit dem unvollständigen Satz endet „Aber es blieb alles unverändert, das . . .“ Der Schriftsteller Max Brod, sein langjähriger Freund und Weggefährte, strich das Wörtchen „das“ und ersetzte das Komma durch einen Punkt, bevor er das Werk 1931 veröffentlichte. Ungefähr 80 Jahre nach dem Tod des Ziehvaters beginnt der Oscarpreisträger Jochen Alexander Freydank an einem Drehbuch zu schreiben, dem er diese unvollständige Erzählung Kafkas zugrunde legt, sie in die Jetztzeit überträgt und mit dem Titel „Kafkas Der Bau“ als Regisseur erstmals verfilmt. Bis zur Fertigstellung des Filmes werden 10 Jahre vergehen. Franz Kafka läßt in „Der Bau“ ein dachsähnliches Tier als Ich-Erzähler dessen fanatischen, aber vergeblichen Kampf schildern, seinen riesigen labyrinthähnlichen Erdbau gegen Eindringlinge jeglicher Art zu sichern. Der Drehbuchautor Freydank gibt die Rolle des Ich-Erzählers in menschliche Hände und kann den Schauspieler Axel Prahl als seinen Wunschkandidaten für die Rolle des Franz gewinnen. Auch Franz plagen stets wachsende paranoiaartige Wahnvorstellungen, sich vor einem wie auch immer gearteten Feind durch eine Optimierung des Baus, seiner in den obersten Etagen eines Hochhauses gelegenen Wohnung, schützen zu müssen. „Ich habe den Bau eingerichtet und er scheint wohl gelungen. Das Schönste an meinem Bau ist aber seine Stille. Freilich, sie ist trügerisch.“ Diese Sätze legt Franz Kafka seinem dachsähnlichen Tier in den Mund und der Regisseur läßt diese seinen Ich-Erzähler Franz als Einleitung in dessen Videokamera sprechen. Ab sofort bleibe ich bei der Filmgeschichte, bevor ich mich noch verFranze! Franz ist verheiratet, hat zwei Kinder, ein schickes Auto und eine gute Stellung in einer Versicherung oder Bank. Er bezieht mit seiner Familie eine große luxuriös ausgestattete Wohnung in einem noblen, in knallroter Farbe gestrichenen Hochhaus mit Wachpersonal, einem Hausmeister, gespielt von Josef Hader, und allgegenwärtigen Überwachungskameras. Um das Glück festzuhalten, wird kurz nach dem Einzug ein „glückliche-Familie-Foto“ geschossen, wobei dem Teddy eines der Kinder nicht zum letzten Mal besondere Aufmerksamkeit zuteil wird. Und von da an ging‘s bergab! Damit habe ich auf keinen Fall zu viel verraten, weil der Prozeß des Verfalls von Mensch und Gebäude gleichermaßen das Nervenaufreibende ist. Besonders der äußerliche Verfall des anfangs sehr gepflegt aussehenden Franz ist so dramatisch, daß er irgendwann sein Spiegelbild nicht erkennt und, mit einer Brechstange auf sich selbst losgehend, den mannshohen Spiegel zum Bersten bringt. Seine Angst, jederzeit attackiert zu werden, ist nicht unbegründet. Auch ich habe mich vor vielen Jahren über mein Spiegelbild geärgert, das zielstrebig auf mich zu kam und einfach nicht ausweichen wollte. Das lag allerdings weniger an einer Verwandlung meinerseits und der große Wandspiegel blieb heil. Mit dem Prozeß der fortschreitenden Verwahrlosung und seelischen Verwirrung des Franz geht der äußerliche und innerliche Verfall des einst noblen knallrot gestrichenen Hochhauses einher. Je mehr der Mieter das Haus verlassen wie Ratten das sinkende Schiff, erobern zerlumpte, zwielichtige, in Müllbergen wühlende Gestalten das Gebäude. Bei seinen flotten Schrittes absolvierten Kontrollgängen muß sich Franz an den überall in den Fluren und dem Treppenhaus Kauernden vorbeilavieren und ich habe nur darauf gewartet, daß eine der Figuren ihn an seinen Fußgelenken packt. Ich wurde nicht enttäuscht. Mir ist das zum Glück nie passiert, als ich mich vor einer Ewigkeit auf dem Weg zu meinem Studentenzimmerchen in einem alten Gemäuer mitten in der Heidelberger Altstadt regelmäßig an auf dem Boden schlafenden, schnarchenden Bündeln vorbeimogeln mußte. Dialoge sind in diesem Film eher die Ausnahme. Meistens monologisiert Franz in seine Videokamera oder führt Selbstgespräche. Der Regisseur läßt die Bilder für sich sprechen, arbeitet oft mit Rückblenden und springt zwischen den Parallelwelten des Franz hin und her. Zudem gelingt es der Filmmusik und den merkwürdigsten Geräuschen, eine bedrohliche Stimmung zu verbreiten. Zu dem außergewöhnlichen Film kam dann auch eine sehr ungewöhnliche Hörfilmbeschreibung durch Greta in mein Ohr. Ortswechsel werden einige Male mit dem Begriff „Szenenwechsel“ angekündigt. Eigentlich reicht es, wenn der neue Handlungsort einfach benannt wird. Allerdings muß hier oft ein Zeitsprung angekündigt werden oder Franz befindet sich zwar in denselben Räumlichkeiten, aber in seiner Parallelwelt. Mindestens einmal wird erwähnt, daß die Kamera einen sehr langen Flur entlang schwenkt. Man hätte auch die Bilder beschreiben können, welche die Kamera einfängt. Aber erst durch das lange Schweigen, untermalt von der düsteren Musik, kam die bestimmt gewollte Beklemmung auf, die Kameraführung gehört also zur Eigenart des Filmes. Mehrmals werden die Geräusche erklärt, bevor sie zu hören sind. Bis auf eine Ausnahme ist das berechtigt, weil im Moment des Geräusches schon wieder neue Bilder zu erklären sind. Wie ich mich bei den netten Damen an meiner Seite im Kinosaal vergewissern konnte, war es schon für sehende Zuschauer nicht ganz einfach, das Geschehen auf der Leinwand zu deuten. Umso schwerer muß es für die Hörfilmbeschreiber gewesen sein, eine verständliche, der Stimmung des Filmes gerecht werdende Bildbeschreibung zu erstellen. Eine Autorin des Teams, bei dem auch Blinde beteiligt waren, hat mir das bestätigt. Wegen der langen dialogfreien Phasen kann der Sprecher langsamer als gewohnt seine Texte platzieren, auch das ist vom Hörfilmteam gewollt, um das Tempo des Sprechers dem des Filmes anzupassen. Mir war das ein bißchen zu langsam. Aber das alles ist wie immer Geschmackssache. Das Wichtigste ist, daß in meinem Kopf Bilder entstehen, die zu den gesprochenen Worten und den Geräuschen passen, und das war immer der Fall. Besonders gelungen ist die Beschreibung der Mimik des brillierenden Axel Prahl als Franz in all seinen Lebensphasen. Ich habe mich einfach in die Abgründe des Franz mitziehen lassen, war aber sehr erleichtert, das Kino noch bei den letzten Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher verlassen zu können.

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Minions

Ein Abend in Berlin und immer noch über 30 Grad, was liegt da näher, als ins Kino zu gehen. Mir gleich taten es erstaunlich viele Leute mit sehr leicht und flipfloppig beschuhten Füßen, um sich mit den kleinen gelben Dingern, genannt Minions, einen lustigen Kinoabend zu machen, der sich übrigens als ein extrem lustiger entpuppte! Ihre ersten Auftritte, allerdings nur mit einer Gastrolle, hatten die Minions in den Filmen „Ich – Einfach unverbesserlich“ 1 und 2 in den Jahren 2010 und 2013. In dem aktuell laufenden US-amerikanischen 3D-Animationsfilm spielen die Gelben die Hauptrolle und lassen die menschlichen Figuren, die dieses Mal den Part der Gastrolle übernehmen, ziemlich blaß aussehen. Am Anfang ist die Ursoße, in der erst wenige und dann immer mehr gelbe Einzeller wabern, bis sie als etwa 50 cm große Wesen durch die Weltgeschichte blödeln. So wie mir diese Wesen mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr erklärt wurden, mußte ich sofort an die allseits bekannten Überraschungseier aus Plastik einer ganz bestimmten Schokoladensorte denken. Neben dem Herumblödeln ist der eigentliche Lebensinhalt der Minions, sich dem Bösen, am besten der bösesten Kreatur der Welt, zu unterwerfen und ihm zu dienen. Zuerst schließen sie sich dem Saurier T-Rex an, der recht schnell tödlich verunglückt. Das gleiche Schicksal ereilt Dschingis Khan, Dracula, einen Steinzeitführer und einen Ritter. Tragischerweise finden all diese Bösewichte durch die komischsten Mißgeschicke ihrer Lakaien, der Minions personifiziert, den Tod. Nachdem sie sich ihres Meisters Napoleon sehr einfallsreich, aber natürlich mal wieder ungewollt, entledigt und sich so schon verdächtig nahe in die Jetztzeit vorgearbeitet haben, verfallen sie frustriert in eine tiefe Depression. Sie kehren der Welt den Rücken und ziehen sich in eine eisige Höhle in der Antarktis zurück. Dort verharren sie mehr oder weniger erstarrt ungefähr 150 führerlose Jahre, wobei es an scheußlichen Kreaturen bestimmt nicht gemangelt hätte, mir fallen auf Anhieb mehr als genug ein. Im Jahre 1968 heckt der Schlaumeier Kevin einen Plan aus, um sich in der weiten Welt nach einem neuen Scheusal umzuschauen. Begleitet wird er von dem rebellischen Teenage-Minion Stuart und dem kindlichen Bob mit seinem Teddy. Die drei Überraschungseier schlagen nach einer strapaziösen Reise 1968 zunächst im damals von der Flower Power, Love & Peace-Bewegung beherrschten New York auf. Von dort trampen die drei abenteuerlich nach Orlando, wo sie hoffen, auf einer Schurkenmesse fündig zu werden. Das klappt auch und sie fliegen im Privatjet der Oberschurkin Scarlet Overkill nach England. Die neue Herrin möchte ihr Haupt mit der Krone der Queen schmücken und die Gelblinge sollen mal eben das Objekt ihrer Begierde aus dem bestbewachten Platz Englands, dem Tower of London, entwenden. Viel wichtiger als die Handlung ist es, den Minions zuzuschauen, wie sie von einer Katastrophe in die andere schlittern und immer wieder, meist in letzter Minute, ihren nicht vorhandenen Hals aus der Schlinge ziehen. Das alles geschieht in der Kulisse der wilden späten 60er-Jahre, angefangen bei der Kleidung bis hin zu allen möglichen zeittypischen Utensilien. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch die Musik dieser Zeit, die Stones, die Kinks, die Beatles, The Who, Donovan und Bo Diddley. Als es dem Dreierteam trickreich gelingt, als Besucher in den Tower eingelassen zu werden, setzt es die Wachposten der Krone durch Hypnose außer Gefecht. Diese lassen bis auf die Unterhose die Hüllen fallen, schütteln ihr sehr langes buntes Haupthaar, und klatschen sich hüftenschwingend nach dem Titelsong des Musicals „Hair“ gegenseitig auf ihren Allerwertesten. Das war einfach großartig. Später müssen die drei über die Kanalisation flüchten und tauchen aus einem Gullydeckel an einem Zebrastreifen auf, über den gerade die wohl berühmtesten Pilzköpfe der Welt die Straße überqueren. Das sind nur zwei der unzähligen Szenen, die mit viel Liebe zum Detail und fantasievoll den damaligen Zeitgeist widerspiegeln. Inzwischen hat es die restliche Sippe der Minions geschafft, selbst in der Antarktis Ärger zu bekommen, sie sucht lieber das Weite. Auch deren Reise ist weit und beschwerlich. In Australien legen die Minions einen Teil der Strecke in den Beuteln der dort hopsenden Dinger, Kängurus genannt, fort. Schließlich verschlägt es auch sie nach England. Die Sprache der Minions wird übrigens nicht synchronisiert, sie ist ein Mischmasch aus den Sprachen aller Herren Länder. Erstaunlicherweise habe ich die liebenswerten Geschöpfe immer verstanden. Zum Abschluß noch ein „Chapeau!“ an die Hörfilmbeschreiber! Es gab wahnsinnig viel zu beschreiben und die kurzen Pausen, in denen die Gelblinge einmal nicht vor sich hingebrabbelt haben, wurden, wie ich fand, optimal genutzt.

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Mädchen im Eis

Gerade noch rechtzeitig vor der Eisschmelze habe ich es mit Greta zu dem Roadmovie „Mädchen im Eis“ in einen der Kinosäle der Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg geschafft. Roadmovies spielen überwiegend auf Landstraßen oder Highways. Die Reise wird laut Wikipedia zur Metapher für die Suche nach Freiheit und Identität der Protagonisten. Das gemeinsame Ziel des Mädchens und aller anderen sehr verschiedenen Filmfiguren ist ein heruntergekommenes Hotel in der Schnee- und Eiswüste am russischen Polarkreis, welches sie aus den unterschiedlichsten Motiven mit den unterschiedlichsten Fahrzeugen zu erreichen versuchen. Zurzeit wird intensiv über Qualitätsstandards diskutiert, an denen sich alle, die bei der Erstellung von Audiodeskriptionen mitwirken, zukünftig orientieren können und sollen. Beteiligt an diesem Prozeß ist unter anderen die Vereinigung Deutscher Filmbeschreiber. Zwar wird momentan auch die Homepage vom Hörfilm e.V. (www.hoerfilmev.de) technisch, optisch und inhaltlich überarbeitet, aber die Kerninhalte bleiben erhalten. Ich schlüpfe jetzt einmal in die Rolle eines Hörfilmbeschreibers und versuche getreu nach diesen Kerninhalten, die etwas chaotische Filmhandlung und die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr aufzudröseln. Handlungsorte: Um sich die Orte des Geschehens vorstellen zu können, reicht es meistens, wenn man diese einfach beim Namen nennt. Die wichtigsten Orte sind hier eine russische Tankstelle, auf der sich die meisten Figuren schon einmal mehr oder weniger zufällig über den Weg laufen und das heruntergekommene Hotel nebst Zimmer im gewachsenen Nichts am russischen Polarkreis. Zwischendurch besuchen wir immer wieder ein Pinguingehege mit Wasserbecken. Handlungszeitpunkt: Eine konkrete Zeitangabe ist nur erlaubt, wenn diese beispielsweise auf einer Uhr auch für den Zuschauer ersichtlich ist. Ansonsten wird mit Begriffen wie „es ist Abend“, „am nächsten Morgen“ usw. der zeitliche Geschehensablauf vermittelt. Die Tage im Hotel wurden durch die Mahlzeiten Frühstück, Mittag- und Abendessen strukturiert. Nachts wurde geschlafen oder auch nicht. Handelnde Personen: Insbesondere bei dialogfreien Szenen ist es wichtig zu erklären, wer gerade auf der Leinwand agiert. Getreu dem Grundsatz, daß der Filmbeschreiber der Handlung nie vorgreifen darf, sind die Namen erst dann ins Spiel zu bringen, wenn auch der Zuschauer diese erfährt. Bis dahin behilft man sich mit äußerlichen Umschreibungen oder Eigenschaften wie hier im Film das Mädchen, der Große, der Schmächtige, der Bärtige, der Blonde, der Videokünstler, der Geliebte und zugleich Ehegatte, die Ehefrau mit ihrer Biathlontrainerin und ein Baby. Für die quasi „Taufe“ der Handelnden soll eine Dialogpause gewählt werden, die genug Zeit läßt, die Person genauer unter die Lupe zu nehmen. Dem Blonden wird ziemlich schnell der Schädel eingeschlagen, ich glaube, einen Namen erhält er erst post mortem. Den Namen des Großen, einer zwielichtigen Gestalt, habe ich vergessen. Beauftragt von dem Bärtigen soll er 100 lebende Pinguine für Videoaufnahmen zu dem Hotel befördern, erreicht dieses aber leider mit 100 sehr frostigen Komparsen. Was sich in und um das Hotel herum abspielt und damit die Filmgeschichte, erzählt der Große als Rückblende. Er arbeitet inzwischen als Tierpfleger in einem Pinguingehege, wo er zur Belustigung insbesondere der Kinder die possierlich aussehenden Tiere mit Makrelen füttert. Als der Schmächtige das Gehege besucht, entlarvt er den Großen als Mörder der 100 erfrorenen Pinguine. Um sich zu rechtfertigen, packt der Große vor den Besuchern aus. Er läßt an keinem der Hotelbewohner ein gutes Haar und auch die Pinguine, denen er einen sehr häßlichen Charakter nachsagt, bekommen ihr Fett weg. Immer, wenn der Große in dem Gehege mit Makrelen in Richtung der Tiere oder auch einmal des Schmächtigen wirft, spielt der Film in der Jetztzeit, um dann mit dessen Erzählung stets wieder in die Rückblende überzugehen. Der Bärtige entpuppt sich als russischer Oligarch und zugleich selbsternannter Ökoaktivist namens Starych. Er beauftragt den im Hotel eintrudelnden Videokünstler, mit und über ihn einen agitatorischen Kurzfilm zu drehen, und zwar eigentlich mit lebenden Pinguinen. Das schlanke, aus Deutschland stammende Mädchen Winja mit einem ovalen Gesicht, schulterlangem schwarzen Haar und natürlich wunderschönen großen blauen Augen, verliebte sich in Frankfurt/ Main unsterblich in einen Russen. Sie nimmt die strapaziöse Reise Richtung Polarkreis in der Hoffnung auf sich, dort den Geliebten zu finden. Sie fährt mal mit dem Bärtigen, mal mit dem Großen per Anhalter durch die Schneewüste. Wenig begeistert muß sie mit ansehen, wie der Geliebte mit Frau, einem Baby und der stets herumstänkernden Biathlontrainerin der Konkurrentin in dem Hotel auftaucht. Die Liebesgeschichte fand ich nicht so aufregend, das lag wahrscheinlich an dem Darsteller des russischen Geliebten, dem wäre ich bestimmt nicht bis ans Ende dieser eisigen Welt gefolgt. Umso spannender war die Figur des charismatischen Oligarchen, der man viel mehr filmische Aufmerksamkeit hätte widmen sollen. Die genaue Beschreibung der Mannsbilder konnte ich mir leider nicht merken. Erläuterung der Geräusche: Geräusche und Soundeffekte dürfen nur übersprochen werden, wenn sie sich nicht von selbst erklären. Daß es sich um Explosionen handelte, an denen letztlich fast alle Figuren mitwirkten, war unschwer zu erraten. Allerdings wäre mir ohne die gut gemachte Bildbeschreibung sehr viel, insbesondere das dramatische Ende entgangen. Es wirbeln diverse Male Schneemassen und Eisblöcke mit Pinguinen durch die Lüfte, bis der Bärtige endlich zufrieden abnickt. Die Rolle, die er sich in seinem Film zugedacht hat, läßt nur einen Versuch zu. Beschreibung von Farben: Farben sind Geburtsblinden sehr schwer zu vermitteln. Farben werden entweder genannt oder ihre Wirkungsweise erkannt und beschrieben. Die vorherrschende Farbe im Film ist weiß wie Schnee und gelegentlich blutiges Rot. Fazit: All das, was ich so gerne mache, ist den Filmbeschreibern auf das Strengste untersagt, nämlich die Handlung aus der eigenen Sicht zu erzählen, vor- und zurückzugreifen und auch einmal etwas längere Sätze zu schreiben. Trotzdem soll die Stimmung und Atmosphäre des Filmes sich in der Beschreibung widerspiegeln. All das ist der Beschreibung beim „Mädchen im Eis“ sehr gut gelungen!!!

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Mein Herz tanzt

Vor einigen Jahren brachte die Berliner Band Mia mit „Mein Herz tanzt“ in dem Song „Tanz der Moleküle“ die Herzen ihrer Fangemeinde zum Tanzen. Seit 14 Tagen spielt sich die Hauptfigur des gleichnamigen Filmes, Eyad, auf der Leinwand in die Herzen der Kinobesucher, und so auch in meines. Unter den ca. 8 Millionen Einwohnern Israels leben ungefähr 1,5 Millionen israelische Staatsbürger arabischer und palästinensischer Herkunft, also Menschen, die keine Juden sind, und deren ethnische und kulturelle Identität oder Sprache arabisch ist. Araber mit israelischen Bürgerrechten werden wahlweise als israelische Palästinenser oder arabische Israelis bezeichnet, wobei der letzte Begriff von der offiziellen Seite bevorzugt gebraucht wird. Der israelische Regisseur Eran Riklis gibt mit seinen Filmfiguren der arabischen Minderheit ein Gesicht und erzählt aus dem Leben des jungen Palästinensers Eyad, von 1982 bis Anfang der 90er Jahre. Eyads Familie lebt in einer von Arabern bewohnten Kleinstadt, so wie es sie in Galiläa, der östlichen Landesebene Israels, und dem nördlichen Teil des Negev gibt. Nur wenige Araber leben in den Städten Jerusalem, Haifa oder Akko. Eyad wächst behütet und von seinen Eltern traditionell erzogen mit seinem Bruder auf. Ein besonders inniges Verhältnis hat er zu seiner Großmutter. Er ist ein aufgewecktes pfiffiges Kerlchen und bekommt das erste Mal in der Schule Repressalien zu spüren. Vom Lehrer nach dem Beruf seines Vaters gefragt, antwortet Eyad: „Mein Vater ist Terrorist!“ Eindeutig die falsche Antwort. Mit Schlägen auf die Finger will der Lehrer die richtige Antwort, der Vater sei ein Tagelöhner, erzwingen. Aber Eyad bleibt mit tränenerstickter Stimme standhaft. Zum Stolz seiner Eltern schafft er den Absprung auf die Eliteschule Jerusalems schlechthin und tauscht jetzt als Teenager das traditionell ausgerichtete Familienleben in einer arabischen Kleinstadt gegen das freie Campusleben des modernen Israel ein. Rockmusik, Bars und Tanzen gehen muß er so nach und nach für sich entdecken. Dabei wird er von seinen ausnahmslos jüdischen Mitschülern teils ironisch, teils verächtlich, wegen seiner Unbedarftheit und als arabischer Sonderling aufgezogen. Auch im Unterricht hat er keinen leichten Stand. Als sich die politische Lage zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten um 1990 wieder bedrohlich anzuspannen beginnt, wird er auch von der Lehrerschaft fast ein bißchen dafür mitverantwortlich gemacht. Nur mit seinem jüdischen, an Multipler Sklerose erkrankten Mitschüler Yonatan verbindet ihn eine tiefe Freundschaft. Die beiden sehen sich zum Verwechseln ähnlich, und nur weil Eyad sich als Yonatan ausgibt, kann er ein Bankkonto eröffnen und einen Aushilfsjob als Kellner annehmen. Er wird nicht nur dieses eine Mal in Yonatans Identität schlüpfen. Auch die Liebe ist kompliziert. Seine jüdische Freundin, die ihn wirklich zu lieben scheint, traut sich nicht zu einem Coming-out, in dem Sinne, sich öffentlich zu ihrer Liebe zu einem Palästinenser zu bekennen. Zwischendurch muß sich Eyad, wenn er zu seiner Familie fährt, neugierigen Fragen über sein Leben in Jerusalem stellen. Diese Besuche werden immer häufiger von Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gestört. Schon fast schizophren mutet es an, wenn seine Großmutter die Raketen anfeuert, diese mögen doch beispielsweise das israelische Regierungsviertel treffen, als ob man unter Feinden lebt. Auch dem eigentlich verhaßten Saddam Hussein werden die Daumen gedrückt, als die Amerikaner im 2. Golfkrieg 1991 mit ihrer Offensive „Desert Storm“ versuchen, ihm den Garaus zu machen. Der Großmutter mußte Eyad einst versprechen, dafür zu sorgen, daß sie in ein geweihtes Tuch gehüllt beerdigt werde. Da er jedoch zu spät zu ihrer Beerdigung kommt, findet das Tuch schließlich eine ganz andere Verwendung. Im Kino haben sich mir einmal wieder einige Szenen nicht erschlossen und einiges konnte ich mir ergoogeln. Mit der Autorin der Hörfilmbeschreibung habe ich dann noch einmal den Film Revue passieren lassen und mußte enorme Verständnislücken feststellen, die ich erst in diesem Gespräch schließen konnte. Ein kleiner Trost ist, daß ich mir mit der DVD den Film mit der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr noch einmal zu Gemüte führen kann. Das mache ich auch, aber Kino ist halt doch viel besser!

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Das Versprechen eines Lebens

Ein türkischer Sonntagnachmittag mit Greta! Beschleunigt mit einem Taxi ging‘s am Sonntagnachmittag zum Berliner Zoopalast in den Film „Das Versprechen eines Lebens“. Während der Fahrt habe ich die Neugierde des türkischen Taxifahrers auf den Film geweckt und er hat sich für den Tipp ausdrücklich bedankt. Bei dem netten Servicepersonal des Zoopalastes bin ich inzwischen ganz gut bekannt und so ging alles wie immer freundlich und reibungslos seinen Gang. Die ersten Filmminuten spielen 1919 im australischen Nordwest-Victoria. Dort ist der Farmer Joshua Connor, begleitet von seinem Hund, mit der Wünschelrute auf der Suche nach einer Wasserader. Er wird natürlich fündig. Im Original heißt der Film „The Water Diviner“, der Wünschelrutengänger. Nach einer mehrere Monate dauernden Überfahrt von Down Under geht Joshua im Hafen von Istanbul an Land. Kaum angekommen, stibitzt dem Neuankömmling ein kleiner Junge die Tasche und die Verfolgungsjagd führt den Australier in das von der Familie des kleinen Diebes geführte Hotel. Gar nicht so schlecht, die Geschäftsidee! Der traurige Anlaß der langen Reise Joshuas liegt vier Jahre zurück. Seine drei Söhne kämpften wie viele Australier während des Ersten Weltkrieges an der Seite der Briten gegen das Osmanische Reich. 1915, gegen Ende der berühmt-berüchtigten Schlacht von Gallipoli, einer türkischen Halbinsel, rücken türkische Truppen so massiv gegen die australischen Streitkräfte vor, daß diese den Rückzug über das Meer antreten. Unter den australischen Soldaten waren auch alle drei Söhne der Connors und gelten seitdem als verschollen. Sie wurden wahrscheinlich mit zigtausend türkischen und australischen gefallenen Soldaten in Massengräbern auf der Halbinsel verscharrt. Kurz vor seiner Überfahrt in die Türkei mußte Joshua in Nordwest-Victoria seine Frau zu Grabe tragen, die sich aus Kummer über den Verlust aller drei Söhne das Leben nahm. Das Einzige, was er glaubt, für seine Frau noch tun zu können und zu müssen, ist die Jungs in der Türkei aufzuspüren und an der Seite ihrer Mutter in heimatlicher Erde beizusetzen. Also macht er sich mit seiner Wünschelrute trotz bürokratischer Hürden von Istanbul aus auf den Weg nach Gallippoli. Dabei hilft ihm Ayshe (Olga Kurylenko), die wunderschöne verwitwete Tochter des Hotelbesitzers. Auf Gallipoli haben die noch vor einem Jahr erbittert verfeindeten Türken und Briten gemeinsam begonnen, die Massengräber auszuheben, die Toten nach Nationalität zu sortieren, und jedem seine letzte Ruhestätte zu geben. Dies ist der Beginn der traurigen Kultur der Soldatenfriedhöfe und der Kriegsgräberpflege. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde alles und jeder inklusive Pferd und Waffen wahllos in Massengräbern verscharrt. Die Türken wie insbesondere auch die Briten sind von Joshuas Auftauchen wenig begeistert und empfinden ihn als Störfaktor. Aber schon nach kurzer Zeit entsteht zwischen ihm und dem türkischen Major Hasan, der auch bei der Schlacht von Gallipoli mitgekämpft hatte, eine enge Männerfreundschaft. Die beiden bestehen gemeinsam das eine oder andere Abenteuer, einmal rettet Joshua dem Major sogar das Leben. Sie flüchten im Schweinsgalopp auf den Pferden griechischer Soldaten, die zuvor im Grenzgebiet türkische Dörfer überfielen, abfackelten und die Bevölkerung massakrierten. Kaum ist der eine Krieg beendet, geht’s an der nächsten Front weiter. In den Satteltaschen finden sie als Proviant Brot und ein hochprozentiges Getränk. Das Brot wird ignoriert und das Getränk Ouzo, auch wenn es kein Raki ist, dankend verzehrt. Ob Ouzo oder Raki, spielt keine Rolle, es gibt keinen Unterschied, sagt Hasan. Wenigstens in dieser Hinsicht eine Annäherung! Es wird noch viel gestorben, gelitten und gemetzelt, aber wo Schatten ist, ist auch Licht, mehr sage ich nicht. Das Ende ist zwar vorhersehbar, der Film aber trotzdem für einige Überraschungen gut. Zum Schluß versuche ich, ein bißchen intensiver als sonst auf die Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr einzugehen. Die Protagonisten wurden sehr genau beschrieben. Bei Filmen in der Jetztzeit ist mir die genaue Beschreibung der Kleidung nicht so wichtig. Das gilt z.B. für die Farbe der männlichen Cordhose, des Hemdes und der Jacke, auch bei den Frauen ist das meistens für mich verzichtbar, vorausgesetzt, es dient nicht dem Verständnis der Handlung. Aber bei historischen Filmkulissen ist das natürlich etwas anderes. Jedenfalls weiß ich jetzt ziemlich genau, wie gut Joshua, gespielt von Russel Crowe, gebaut ist. Von der Stadt Istanbul und den Landschaften hatte ich immer recht schnell ein genaues Bild vor meinem geistigen Auge. Ob das den Bildern auf der Leinwand entspricht, kann ich natürlich nicht beurteilen, aber ich gehe mal davon aus! In diversen Rückblenden nimmt uns der Film mit in die Schützengräben. Das ist so schrecklich grausam und auch sehr detailliert beschrieben, so genau will jedenfalls ich das immer gar nicht wissen. Weil sehr viel türkisch gesprochen wurde, mußte die Hörfilmbeschreibung auch noch dolmetschen. Also alles in allem: Daumen hoch für die Hörfilmbeschreibung! Abgerundet wurde der türkische Sonntagnachmittag von wieder einem türkischen Taxifahrer auf dem Heimweg, den ich für den Film allerdings nicht begeistern konnte!

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Im Treppenhaus eines Geschäftshauses steht die Blindgängerin in der offenen Aufzugtür, in ihrem Rücken die Kabine. Die Blindgängerin hält den weißen Langstock quer, so daß die Schiebetüren des Aufzuges sich nicht schließen können.

Hedi Schneider steckt fest

Zunächst steckt Hedi Schneider auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle „nur“ in einem Aufzug fest. Das Wörtchen „nur“ habe ich in Anführungszeichen gesetzt, weil das Feststecken im Aufzug auch im übertragenen Sinn zu verstehen ist und ich an ihrer Stelle nach einer Minute bereits kollabiert wäre. Hedi radelt, begleitet von richtig schöner Gute-Laune-Musik durch die Straßen Berlins. Sie schließt ihr Fahrrad an und verschwindet mit den Zuschauern in einem Gebäude und dort in einem Aufzug. Die Tür gleitet zu, sie drückt den Knopf, die Kabine setzt sich erst einmal ganz normal in Bewegung. Plötzlich hat die Fahrt ein jähes Ende und der Aufzug geht geräuschvoll ein bißchen in die Knie. Hedi drückt den Notrufknopf und erwidert auf die krächzend quakend fragende Stimme aus dem Lautsprecher: „Ich bin Hedi Schneider und stecke fest!“ Der Notknopfmann verspricht mit ziemlich vagen Zeitangaben ihre Befreiung und gibt ihr Tipps, wie sie einer Panikattacke vorbeugen könne. Ein bißchen resigniert, aber ruhig, läßt sie sich auf den Boden nieder, versucht aber zuvor, so lange wie möglich die Wartezeit quatschend mit dem Notknopfmann zu überbrücken. Nachdem der Aufzug sie freigegeben hat, hetzt sie in ein Großraumbüro, setzt sich mit einem großen Kaffeebecher bewaffnet an ihren Arbeitsplatz und haut wild in die Tasten. Unterbrochen wird sie von dem Eigentümer des Kaffeebechers, einem eigentümlichen Kollegen, der sie zur unverzüglichen Herausgabe desselben auffordert. Mit riesigen geräuschvollen Schlucken gulpt sie den Kaffee herunter, übergibt wortlos den namentlich gekennzeichneten Becher und tippt weiter. Nach der Arbeit kümmert sie sich, von Gewissensbissen geplagt, um die Wohnungsauflösung ihrer gerade einsam verstorbenen Tante. Als Andenken nimmt sie eine von der alten Dame in Handarbeit eigens für sie angefertigte Mütze mit. Zu Hause angekommen, stülpt sie die wohl merkwürdig geratene Mütze unsanft, fast verbissen und vom Gelächter der Zuschauer quittiert, ihrem sich sträubenden ca. fünfjährigen Sohn über den Kopf. Am nächsten Morgen im Büro erfährt sie vom dramatischen Selbstmordversuch des eigentümlichen Kaffeebechereigentümers und bekommt zu ihrem Entsetzen auch noch dessen Akten aufs Auge gedrückt. So ganz allmählich legen sich leichte Schatten auf ihr so sonniges und verspieltes Gemüt. Am Abend scheint alles erst einmal wieder gut zu sein. Sie verführt spielerisch ihren Mann Ulli, doch auch dieses Spiel hat ein jähes Ende. Hedi überfällt schlagartig die panische Angst, genau jetzt an einem Schlaganfall zu versterben. Alle Versuche, an Hedi heranzukommen und sie zu beruhigen, scheitern, bis Ulli schließlich Hedis geschrienem Verlangen nachkommt, einen Notarzt zu rufen. Die Notaufnahme entläßt sie medikamentös ruhig gestellt und mit dem Rat, sich einmal richtig auszuschlafen. Am nächsten Morgen erscheinen auf ihrem Bildschirm im Büro nur kryptische Buchstaben und ihr Chef fragt, ob er sie genau so langsam bezahlen solle, wie sie arbeite. Nach einem Gespräch, in dem er ernsthaft um sie besorgt und bemüht ist, schickt er sie nach Hause. Das bis jetzt glückliche Zuhause verwandelt sich in einen Käfig, in dem Hedi in Depressionen und Angst- und Panikattacken feststeckt. Mitgefangen in diesem Käfig sind aber auch Ehemann Ulli und der gemeinsame Sohn Finn. Ehrlich gesagt stecke ich auch gerade fest, und zwar beim Beschreiben des weiteren Verlaufs der Dinge, aber ich versuch’s! Nachdem der erste große Schritt geschafft ist, jedenfalls intern die Depressionen als Krankheit zu akzeptieren und entsprechend zu therapieren, sieht Hedi ihre Rettung im unkontrollierten Einnehmen von Psychopharmaka ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen. Ihr entgeht nicht, daß ihr Sohn Finn sie als sonderbar abstempelt und sich von ihr abwendet. Aus Verzweiflung sucht sie völlig zugedröhnt ein Zoogeschäft auf, um Finn mit einem Kuscheltier zu beglücken. Eigentlich entscheidungsunfähig, entscheidet sie sich schließlich für einen Futterhasen, genauer gesagt einen Verfütterhasen. Der Verkäufer setzt sich, nur um Hedi loszuwerden, über das Verkaufsverbot von lebenden Futterhasen hinweg. So retten die beiden dem Tier, das sonst bestimmt einer Schlange zum Fraß vorgeworfen worden wäre, das Leben. Ich weiß, es gilt fressen und gefressen werden, aber Schlangen rangieren auf meiner persönlichen Horrorliste auf Platz EINS, weit vor im Aufzug stecken zu bleiben! Einem Therapeuten gelingt es, Hedi wenigstens die Angst zu nehmen, genauso wie Jack Nicholson in dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu enden, nämlich von einem Indianer erlösend mit einem Kopfkissen erstickt zu werden. Ehemann Ulli bringt unglaublich lange unglaublich viel Geduld auf und versucht, Hedi mit Hilfe von Entspannungsübungen und durch gemeinsames Wegschreien der Ängste zu helfen. Die Mutter meint es gut und glaubt, mit dem Anschleppen von Selbstgekochtem helfen zu können, meint dann aber resigniert: „Ich hätte nie gedacht, daß du einmal so etwas bekommst.“ Als Hedi sich von Ulli beim Räumen von Weingläsern wie ein „Füsch“ (Fisch mit einem preußischen Ü) beobachtet fühlt, flippt sie aus und die beiden gehen sich verbal fast an die Gurgel. Sie wollte doch nur einmal wieder ein bißchen Normalität in ihr Leben bringen. Aber die Nerven liegen blank und Ulli ist mit seiner Geduld am Ende. Danach passiert von mir subjektiv empfunden für eine Ewigkeit nichts, jedenfalls wird nichts gesprochen. Getröstet über die Durststrecke hat mich die Musik. Gesprochen wird erst wieder in Norwegen, wo die Familie während eines Urlaubs versucht, wieder zueinander zu finden. Die gemeinsam gewählte Strategie scheint zu funktionieren und es gibt einen kleinen Hoffnungsschimmer. Aus dem Schneider sind Hedi und ihre Familie allerdings noch lange nicht! Vielleicht ist es mir gelungen, ein bißchen Neugierde auf den Film zu wecken, trotz des schweren Themas. Der Regisseurin Sonja Heiss ist es zu 100 % gelungen, die Berührungsängste vor der lange tabuisierten Krankheit „Depression“ zu überwinden. Sie erzählt mit einem weinenden und vielen lachenden Augen, wie es aus scheinbar heiterem Himmel jeden treffen kann, wie es aber auch einen Ausweg gibt. Den größten Anteil am Gelingen haben die Hauptdarsteller Hans Löw und vor allem Laura Tonke, die man, ob tröstend oder sich mit ihr freuend, immer in die Arme nehmen möchte. Ich wurde zwei-, dreimal angestupst, mich intensiver über die Qualität der Hörfilmbeschreibungen zu äußern. Dieses Mal bin ich jedenfalls aus dem Schneider, weil, was nicht in mein Ohr kommt, kann ich auch nicht beurteilen!

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Auf dem Berliner Gendarmenmarkt vor dem Deutschen Dom. Zwei Frauen stehen Rücken an Rücken und lachen in die Kamera. Links Verena im dunklen Etuikleid, rechts die Blindgängerin im braunen Lederkostüm. Beide halten Sektgläser.

Die abhandene Welt

Gerade noch rechtzeitig zum regulären Kinostart ist „Die abhandene Welt“ glücklicherweise in der Liste der App von Greta und Starks vorhanden. Dieses Glück war dem Film „Als wir träumten“ leider nicht vergönnt. Die beiden Filme liefen wie auch „Dora oder die sexuellen Neurosen…“ bereits im Februar als ein Berlinale Special mit einer live eingesprochenen Audiodeskription. An dieser Stelle möchte ich diesen Sprechern einmal meine Hochachtung kundtun. Während der 120 Filmminuten immer auf den Punkt genau den Text der Hörfilmbeschreibung in die Dialogpausen zu platzieren, ohne selbst auch nur für den Bruchteil einer Sekunde pausieren zu können, ist eine Riesenleistung! Die vorhandene Welt spielt in der Stadt Düsseldorf, in der Sophie, ihr Vater Paul und dessen Bruder bislang jeder mehr oder weniger für sich ihre eigenen Wege gehen. Eines Tages entdeckt Paul im Internet das Foto einer US-amerikanischen Operndiva, die seiner vor einem Jahr verstorbenen Frau zum Verwechseln ähnlich sieht. Die in Italien aufgewachsene Opernsängerin Caterina Fabiani ist nur unerheblich älter als seine Tochter Sophie und lebt mit ihrer Familie in New York. Von der Idee besessen, daß die Ähnlichkeit kein Zufall sein kann, wittert Paul die Möglichkeit einer in der Vergangenheit liegenden, wie auch immer gearteten, aber abhanden gekommenen familiären Verbindung. Gesundheitlich angeschlagen, kann Paul der Sache nicht selbst auf den Grund gehen, und so geht er seiner Tochter Sophie so lange auf die Nerven, bis diese sich mit einem von ihm gesponserten Flugticket auf die Suche nach der möglicherweise „abhandenen Welt“ auf der anderen Seite des großen Teiches macht. Sophie ist anfangs wenig begeistert, sich ein Detektivmützchen aufzusetzen und wildfremden Menschen auf die Pelle zu rücken, doch wird die Reise nach New York ihr Leben völlig umkrempeln. Kurz vor ihrer Abreise bekommt sie von ihrem Freund den Laufpaß und ihre Auftritte als Jazzsängerin sind auch nicht gerade von Erfolg gekrönt. Um an die wenig kooperative Operndiva Caterina (Barbara Sukowa) heranzukommen, wendet sie sich hilfesuchend an deren Manager, der die Situation schamlos ausnutzt und Sophie ein „unmoralisches Angebot“ macht. Aber nur so kommt sie nach und nach der abhandenen Welt auf die Spur, verliebt sich in ihren Zwangsverbündeten und wird auch noch als Jazzsängerin in der New Yorker Clubszene gefeiert. Alles flutscht, fast wie im Film. Katja Riemann singt als Sophie übrigens personifiziert und macht das echt gut! Welche Welt ab wann, wie und warum abhanden ist, klärt sich nur so nach und nach dank der handgeschriebenen Briefe, die die älteren Herrschaften, also Paul (Matthias Habich), sein Bruder und Caterinas vermeintliche Mutter (Karin Dor) in kleinen Holzkästchen aufbewahren. Diese Holzkästchen hatten etwas Rührendes. Von einigen Herrschaften im Kinosaal um mich herum konnte ich Bemerkungen darüber aufschnappen, was der heutigen und den nachfolgenden digitalisierten Generationen einmal abhanden sein und bleiben wird: Vor allem Holzkästchen mit handgeschriebenen Briefen! Paul hatte auf jeden Fall den richtigen Riecher. Seine Frau brachte einige Jahre vor Sophies Geburt bereits ein Mädchen namens Caterina zur Welt, das sie aus einer Notlage heraus ihrer in Italien lebenden Freundin anvertraute. Zurück in Düsseldorf, muß sich Sophie jetzt auf die Suche nach dem leiblichen Vater ihrer Halbschwester machen. Das alles klingt komplizierter, als es ist, und am Schluß weiß jeder, wer zu wem gehört. Bis zur endgültigen Familienzusammenführung und den tragischen Erkenntnissen über abhandene und irrtümlich für vorhanden gehaltene Welten tragen diverse Szenen zur allgemeinen Erheiterung bei: Als zweites Standbein versucht sich Sophie als Rednerin auf Hochzeitsfeiern. Viele Brautpaare tauschen den kirchlichen Traualtar gegen eine nicht so durchstrukturierte Zeremonie ein, um sich das große lebenslängliche JA-Wort zu geben. Sophies Gespräche mit den jungen Leuten über deren Erwartungen an den schönsten Tag ihres Lebens, den Partner und die Liebe und die gemeinsame Zukunft sind schon wahnwitzig komisch. Bei einer längst überfälligen Aussprache zwischen Paul und seinem Bruder bleibt es nicht bei Verbalattacken. Die älteren Herren tänzeln wie wildgewordene Boxer umeinander herum und die daneben sitzende Sophie versucht lachend, die im Weg stehenden Kleinmöbel zu retten. Eine ähnliche Situation gab es vor Jahren in meiner Familie anläßlich einer Feier, nur daß wir Familienmitglieder erst einmal ziemlich bedröppelt dreingeschaut haben, bis wir die beiden Kampfhähne getrennt haben. Aber in der letzten Szene sitzen alle bei einem guten Essen mit reichlich Rotwein einträchtig zusammen, Ende gut, alles gut! Im Februar bei der Vorstellung mit der live eingesprochenen Hörfilmbeschreibung waren neben den Hauptdarstellern und der Regisseurin auch bestimmt 50 Kinoblindgänger inklusive meinereiner. Der Regisseurin, Margarethe von Trotta, ist übrigens im wirklichen Leben ein ähnliches Schicksal widerfahren wie Sophie in ihrem Film. Schön, daß jetzt auch Leute den Film mit Greta anschauen können, die damals keine Zeit hatten, kein Ticket ergattern konnten oder einfach nicht das Glück haben, in Berlin zu leben, halt ALLE!! Das Foto zu diesem Beitrag zeigt mich mit meiner Schwester Verena. Wir beide sind uns aber nie abhanden gekommen. Es trennt uns auch kein Ozean, sondern meist nur die Elbe.

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Die Blindgängerin beugt sich über ein Blumenbeet mit gelben Tulpen, in der rechten Hand ein kleines Gieskännchen. Sie hat die Haare zu einem Dutt gebunden und trägt lange goldene Ohrringe. Ihr wallendes Kleid ist kupferfarben und mit einem goldenen Gürtel gebunden. Sie trägt Gummistiefel. Neben ihr steht ein Korb mit Gartenwerkzeugen.

Die Gärtnerin von Versailles

Es war einmal ein sehr mächtiger König, genannt der Sonnenkönig, dem wurde sein Stadtschloß in Paris, der Louvre, zu klein und so beschloß er, sich vor den Toren Lutetias nach einem geeigneten Fleckchen Erde für ein neues Zuhause umzusehen. Er liebte weite Aussichten und große Wasserflächen und so fiel seine Wahl auf das Städtchen Versailles bei Paris, in dem seinem Vorgänger Ludwig XIII. bereits ein Jagdschloß im Stil des Barock errichtet wurde. Dort war genug Platz und Raum, um das vorhandene Schloß nebst Park nach seinen Vorstellungen umzubauen und zu erweitern, und 1661 ging’s los. Schon 21 Jahre später, im Mai 1682, bezog der französische Hof das fertiggestellte Château de Versailles, so wie man es heute noch besichtigen kann. Das für den gigantischen Umfang der damaligen Arbeiten rasante Bautempo läßt den einen oder anderen Politiker, Planer, Techniker von heute bestimmt vor Neid erblassen. Aber Ludwig mußte ja auch, wenn überhaupt, nur sich selbst Rechenschaft ablegen, frei nach dem Motto „L‘ Etat, c‘est moi“. Das bedeutet extrem verkürzte Dienstwege. Der bedeutende Landschafts- und Gartengestalter André Le Nôtre konzipierte den Stil des französischen Barockparks und begann Ende 1660 als oberster Gartenarchitekt von Ludwig XIV. mit der Durchführung des Großprojekts „Schloßpark von Versailles“. Heute nennen wir das Ausschreibungsverfahren, damals kamen jedenfalls die wichtigsten und möchtegernwichtigen Landschaftsgärtner Frankreichs mit ihren Plänen zu Le Nôtre, um ein kleines Stückchen vom riesigen Auftragskuchen Schloßpark zu ergattern. Vor dieser historischen Kulisse erzählt der Film „Die Gärtnerin von Versailles“, wie sich die Landschaftsgärtnerin Sabine de Barra, eine fiktive Filmfigur, unter die männliche Konkurrenz mischt. Von dieser abschätzend und mißbilligend beäugt, hat sie auch bei Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) erst einmal schlechte Karten. Ihre Pläne entsprechen nicht dem Prinzip des großflächigen symmetrischen Barockparks, das der Natur die Regeln der Mathematik auferlegt. Le Nôtre schmettert ihre Pläne als das totale Chaos ab. Im englischsprachigen Raum heißt der Film übrigens „A little chaos“. Beim Verlassen des Ateliers verschiebt sie einen der in Reih und Glied wie mit dem Lineal ausgerichteten und angeordneten Pflanzenkübel. Dem wachsamen Auge des Meisters entgeht das natürlich nicht. Dieser sehr kleine Eingriff in die Ordnung seiner Töpfe scheint auch in seinem Kopf etwas zu bewegen und Sabine bekommt – Ende gut, alles gut – den ersehnten Zuschlag. Die wunderschöne Gärtnerin, sehr glaubwürdig gespielt von der ebenso wunderschönen Kate Winslet, legt nun Hand an, wühlt im Schlamm, watet durchs Wasser und scheut keine noch so kräftezehrenden körperlichen Anstrengungen. Entstehen soll ein Ballsaal unter freiem Himmel in der Form eines Amphitheaters, bei dem Le Nôtre und Sabine jeweils mit ihrem Stil für die Gestaltung je einer Hälfte zuständig sind. Das enge und erfolgversprechende Zusammenwirken der beiden geht schon bald über ein reines Arbeitsverhältnis hinaus und zieht sowohl den Neid der männlichen Kollegen als auch Eifersüchteleien in der Damenwelt nach sich. Es wird, wie am Hofe üblich, intrigiert und boykottiert. Zu kämpfen hat die verwitwete Sabine auch noch mit einem traurigen Ereignis aus ihrer Vergangenheit. Die Erinnerung daran trägt sie ständig mit sich herum. Als Sabine zu Hofe zitiert wird, begegnet sie dort beide Male Liselotte von der Pfalz. Diese wurde aus machtpolitischen Gründen mit dem Bruder des Sonnenkönigs, Philipp I., Herzog von Orléans, verheiratet. Wegen dessen allgemein bekannter Homosexualität war Liselotte von Beginn an am französischen Hofe isoliert. In unzähligen Briefen, wovon heute noch einige erhalten sind, beschrieb sie sehr kritisch das höfische Leben und daß sie sich in Versailles inmitten der gepuderten Damen- wie Herrenwelt nie wohlgefühlt habe. Außerdem mußte sie von Ferne miterleben, wie die Franzosen ihre Heimatstädte Mannheim und Heidelberg inklusive des Heidelberger Schlosses in Schutt und Asche legten. Da wäre ich als gebürtige Mannheimerin und in Heidelberg aufgewachsen auch sehr böse gewesen. Hätten sich die Wege Liselottes und der Landschaftsgärtnerin wirklich gekreuzt, so wären die bodenständigen und für damalige Verhältnisse naturbelassenen Damen bestimmt beste Freundinnen geworden. Aber zu Ludwigs Zeiten hätte es niemals eine weibliche Landschaftsgärtnerin gegeben! Um Liselotte möglichst glaubhaft spielen zu können, reiste Paula Paul eigens nach Heidelberg. Sie hat die im Schloß ausgestellten Portraits der Kurpfälzerin angeschaut und sich einen Überblick über deren Leben verschafft. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt!!! „Wir trafen uns in einem Garten!“ hätte Sabine singen können. Genauer gesagt, handelt es sich um die Königliche Baumschule, die Sabine aufsucht, um sich unter der fachlichen Aufsicht des dortigen Maestros mit Pflanzen für ihr Projekt zu versorgen. Der Maestro hatte jedoch kurz vor dem Eintreffen Sabines auf das diskrete Handzeichen des Königs das Gelände verlassen. Diesem dient die Baumschule als sein Refugium, in dem er unerkannt seinen Gedanken nachhängen und sich der bestimmt juckenden Perücke entledigen kann. An diesem Tag trauert er seiner gerade verstorbenen Gemahlin, Maria Theresia von Spanien, nach. Sabine richtet ihre Worte und Fragen an den vermeintlichen Maestro und der König läßt sich auf das Spiel ein. Sie plaudern über Bäume im Allgemeinen und Birnbäume im Speziellen, essen Birnen, bis es Sabine dämmert, wen sie vor sich hat, weil sie ihn an der Stimme erkennt. Diese Stimme gehört übrigens Alan Rickman. Er verzaubert dieses Mal sein Publikum nicht als Magier, sondern ist das Oberhaupt sowohl im Film als auch am Set! Wenigstens im Film wird einmal etwas fertig und so dürfen wir mit dem König und seinem Gefolge den übrigens real existierenden „Salle de bal“ bestaunen. Ma copine francaise konnte sich an den Kostümen, der Landschaft und „hier ein Schloß und da ein Schloß“ kaum sattsehen. Ich gehe jetzt einmal wieder in den Garten an Tulpen schnuppern!

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In einem verwilderten Garten steht die Blindgängerin im Sonnenlicht. Sie trägt einen hellen Cowboyhut, Lederjacke, beigefarbene Jeans und Cowboystiefel. Auf der Schulter hält sie eine Gitarre. Einen Fuß stellt sie auf den Deckel eines Katzenklos. Im Vordergrund ein paar helle Steine, auf denen eine schwarze Stoffkatze sitzt.

Mülheim Texas – Helge Schneider hier und dort

Guten Tach, Helge Schneider! Und um Haaresbreite hätten wir uns ziemlich schnell wieder von ihm verabschieden müssen. Helge sitzt auf einem schwarzen Sessel und klimpert auf einer uralten elektrischen Orgel. Das Scheinwerferlicht richtet sich nur auf Helge, der Rest des Raumes bleibt im Dunkeln. Andrea Roggon, die Regisseurin im Off, fragt Helge nach seinen Gedanken zu dem großen Begriff „Freiheit“, die einem ja nicht einfach so gegeben wird. Ohne lange zu überlegen, meint er: „Nein, die muß man sich nehmen. Und das mach‘ ich jetzt.“ Steht auf und verläßt einfach die Szene. Aber keine Angst, er kommt sofort und für die nächsten ca. 100 Filmminuten wieder zurück. Was in diesen Minuten passiert, kann ich nur versuchsweise wiedergeben, weil im eigentlichen Sinne des Wortes „passieren“ nichts passiert. Mit dem Film versucht Andrea Roggon, Helge Schneider zu portraitieren, und hat ihn dafür über einen Zeitraum von vier Jahren interviewt und in allen möglichen und unmöglichen Lebenslagen gefilmt. Der Versuch des Portraits ist ihr gelungen, rausgekommen ist Helge Schneider! Ich habe ihm gerne zugehört, wenn er ruhig mit seiner angenehmen Stimme und dabei immer auf einem Musikinstrument improvisierend in die Kamera plauderte, konnte mir nur leider keine seiner Lebensweisheiten merken. Ich mag auch gar nicht spekulieren, ob er selbst das konnte… Ausgetobt hat er sich hinsichtlich seiner Verkleidungsmacke und beim Dekorieren seiner Szenenbilder draußen wie drinnen, durch die er Grimassen schneidend mit den schrägsten Verrenkungen tänzelt. Einmal dürfen wir ihn bei einem Spaziergang auf Feldwegen mit seinen beiden Hunden begleiten. Der Spitz und der Dackel verschwinden auf Handzeichen ins Gebüsch oder machen das, was Helge so einfällt. Daß er die beiden einmal an die Leine nimmt, kann man sich nur schwer vorstellen. Auf der Ruhr paddelt er durch die herunterhängenden Zweige der Weiden. Er duckt sich nicht, er schiebt die Zweige nicht beiseite. Er läßt die Blätter über sein Gesicht streifen, will die Natur hautnah erleben. Über sein Privatleben erfährt man erwartungsgemäß nix. Nur einmal, als er von seiner Begegnung mit Pferden erzählt und wie er mit den Tieren umging, kommt er auf seine Kinder zu sprechen. Er habe bei den Pferden wie bei seinen Kindern so wenig wie möglich regulierend eingegriffen, oder so ähnlich? Zwischendurch gibt’s immer wieder was für die Ohren! Der begnadete Musiker Helge setzt sich an eine Orgel, ein Klavier oder greift sich eines der anderen Instrumente, die er mit einer bewundernswerten und zu beneidenden Leichtigkeit spielt. Auch an Konzertmitschnitten wird nicht gespart. Für einige Minuten gestattet er uns Einblicke in die harte Probenarbeit mit seinen immer hervorragenden Musikern. Das bei den Konzerten spontan wirkende Hin und Her zwischen Helge und seiner Band ist haargenau festgelegt und muß exakt nach seinen Vorstellungen ablaufen. Der krönende Abschluß war das bei seinen Fans zu den Favoriten gehörende spanische Gedöns. Wenn Helge den Flamenco-Gitarristen und -Sänger gibt, bis die Finger endgültig zwischen den Saiten festhängen, bleibt kein Auge trocken! Wer Helge mag, mag auch den Film! Vor 12 Jahren war ich das erste Mal zunächst sehr widerwillig auf einem Helge-Konzert, schließlich kannte ich wie die meisten auch nur das „Katzeklo“. Ich hatte dann aber soooo viel Spaß, daß ich seitdem versuche, keinen seiner Berliner Auftritte zu verpassen. Daß ich einmal selbst als Helge-Imitat auf der Wiese stehen würde, hätte ich mir damals nie träumen lassen, aber so kann’s kommen! Bis jetzt kannte ich Helge „nur“ über meine Ohren. Dieses Mal hatte Greta einmal wieder Ausgang und jetzt kann ich mir eine Vorstellung über Helges Erscheinung im weitesten Sinne und seine Bewegungsabläufe machen. Dieser Kinobesuch war auch deshalb ein ganz besonderer, weil wir eine wenn auch kleine Gruppe Kinoblindgänger waren, um genau zu sein: Mit mir drei. Und dann haben wir noch einen weiteren Besucher mit dem weißen Stock entdeckt. Das macht Hoffnung!!! Über die Ausführlichkeit der Hörfilmbeschreibung gingen die Meinungen etwas auseinander. Die anderen beiden hätten sich eine detailliertere Beschreibung gewünscht, wofür auch Zeit gewesen wäre. Das mag für die eine oder andere Stelle zutreffen. Grundsätzlich gebe ich einer auf das Wesentliche beschränkten Hörfilmbeschreibung den Vorzug. Ich höre sehr gerne zwischendurch einfach nur die Geräusche von der Leinwand und träume so vor mich hin. Aber da sind die Geschmäcker eben verschieden. Toll ist, daß dieses Kinoerlebnis so überhaupt möglich geworden ist!!!

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