Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Eine Regalwand aus hellem Holz. Auf dem Unterschrank steht eine Musikanlage mit Plattenspieler. Die Blindgängerin kniet davor und hebt den Tonarm an. Auf dem Plattenteller liegt statt einer LP eine große runde Uhr.

Nur eine Stunde Ruhe!

Nur eine Stunde Ruhe versucht der Zahnarzt und Jazzmusikliebhaber Michel während der 75 Filmminuten, einem ganz gewöhnlichen Samstag abzutrotzen. Er möchte sich einfach nur die frisch erworbene Schallplatte von Niel Youart, seiner Meinung nach dem Jazzklarinettisten schlechthin, aus den 50er Jahren zu Gemüte führen. Gerade hat er bei einem Bummel über einen Pariser Flohmarkt genau diese ihm in seiner immensen Sammlung noch fehlende Schallplatte entdeckt, hat mit seinen Begeisterungsausbrüchen noch den Preis in die Höhe getrieben, und denkt dennoch, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Bestens gelaunt muß er bereits auf dem Heimweg zwei Telefonanrufe seiner Mutter abwehren, einen Patienten mit Zahnschmerzen vertrösten und seine Geliebte, die ihn dringlichst zu einem Treffen zitiert, abwimmeln. In der weiträumigen und nobel eingerichteten Wohnung angekommen, liegt die schwarze Scheibe endlich auf dem Plattenteller eines Plattenspielers im Wert eines Kleinwagens! Die Nadel schwebt über der Rille, setzt auf, und als knisternd die ersten Takte des Stückes „Me, Myself and I“ erklingen und er entzückt mitsummt, heult der Staubsauger auf, begleitet von lauten Schniefgeräuschen der putzenden Maria. Zeitgleich fordert die bildschöne psychisch leicht angeschlagene Gattin genau jetzt ein seit Jahren überfälliges klärendes Gespräch. Ein polnischer Handwerker portugiesischer Herkunft trifft bei äußerst geräuschvollen Durchbrucharbeiten die Abwasserleitung, sorgt für die Flutung eines der Zimmer und ruft den Mieter der darunterliegenden Wohnung, bei dem es jetzt durchregnet, auf den Plan. Wenn nicht gerade jemand unaufschiebbar genau jetzt mit ihm sprechen muß, wie auch sein bester ihn stets anpumpender Freund, klingelt entweder das Telefon oder es bimmelt an der Wohnungstür. Auf eine Stippvisite kommt der 30-jährige Sohn – von Beruf Globalisierungsgegner – vorbei, um seine schmutzige Wäsche bei Muttern abzugeben. Er lebt auf Papas Kosten in der Wohnung eine Etage höher, in der er einer neunköpfigen Flüchtlingsfamilie Asyl gewährt. Aber Michel gibt nicht auf! Immer wieder schwebt die Nadel über der schwarzen Scheibe, um wenn überhaupt, nur für einige Runden auf der Platte zu verweilen. Schön, daß dem guten alten Vinyl so eine bedeutende Rolle zugedacht wurde. Ich konnte mich mit dem auch schon wieder überholten Tonträger CD nie anfreunden. Die seelenlosen Plastikhüllen wollen sich schnell auflösen und gestapelt bei der geringsten Erschütterung umstürzen. An Schallplatten mag ich den Geruch und in Reih und Glied nebeneinandergestellt, geben sie im Regal auch ein schönes Bild ab. Die Lage eskaliert, als die Gemeinschaft der Hausbewohner wegen Regens sowohl draußen als auch in der darunterliegenden Wohnung spontan das für diesen Nachmittag anberaumte Mieterfest in Michels Wohnung verlagert. Sie rücken mit Kind und Kegel und mitgebrachten Speisen an. Der Sohn beschließt derweil, die Flüchtlingsfamilie in die größere und komfortablere Wohnung seiner Eltern umzuquartieren. Ruhe kehrt erst wieder ein, als Michel, nun von allen guten wie schlechten Geistern verlassen, allein in seiner völlig verwüsteten Wohnung zurückbleibt. Nur das kleine etwa fünfjährige Mädchen aus der Flüchtlingsfamilie ist dageblieben. Mit seinen großen dunklen Kulleraugen hat es Michel schon immer das Herz erweicht. Als er sich nun endlich wieder seiner Schallplatte widmen will und dabei erneut scheitert, gesellt sich das Mädchen zu ihm. Und bringt ihn auf eine gute Idee. Während der sehr kurzweiligen 75 Minuten steht Michel, gespielt von Christian Clavier, häufig kurz vor dem Kollaps. Er hatte doch kaum Zeit, sich von den Strapazen als M. Claude, Vater von vier Töchtern im heiratsfähigen Alter, zu erholen… Dem wachsamen Augenpaar an meiner Seite, das natürlich noch viel mehr Spaß hatte als ich, ist übrigens nicht entgangen, daß durch das Kappen der Frischwasserleitung die Abwasserleitung abgesperrt werden sollte, so ist das halt in Frankreich! Aber Komödien können sie unschlagbar gut, und das liegt bei diesem Film auch an den ausnahmslos tollen Darstellern!!!

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Elser – Er hätte die Welt verändert

Wäre es Elser gelungen, bereits am 08. November 1939 mit seiner selbst gebastelten Zeitbombe Hitler und den größten Teil der NS-Führungsspitze auszuschalten, hätte das bestimmt die Welt verändert! Über die Art der Veränderung kann man wild spekulieren, aber eines ist sicher: Schlimmer hätte es nicht kommen können. Der Regisseur Oliver Hirschbiegel (u.a. „Der Untergang“) hat mit seiner aktuell in den Kinos zu sehenden Verfilmung der Biographie Georg Elsers nicht nur bei mir eine Bildungslücke bezüglich der deutschen Geschichte geschlossen. Klaus Maria Brandauers Film „Elser, einer aus Deutschland“ von 1989 ist irgendwie an mir vorbeigegangen. Nach dem Kinobesuch habe ich mir mittels Wikipedia einen Überblick über Elsers Leben verschafft. Das hat mir geholfen, wenigstens im Nachhinein einige Szenen des Filmes besser oder überhaupt zu verstehen, weil die Hörfilmbeschreibung wieder einmal zu Hause bleiben mußte, wo auch immer das ist. Während der ersten Filmminuten war nur ein Stöhnen, Ächzen und Rutschgeräusche zu hören. Das waren Elsers letzte Anstrengungen, die Zeitbombe in der Säule hinter dem Rednerpult im Münchner Bürgerbräukeller zu installieren. Beim ersten Verhör wurde Elser angeherrscht, seine Hose herunterzulassen, man wollte seine Knie sehen. Ich habe mich gefragt warum, was wollen die mit Elsers Knie anstellen. Die Knie waren durch das Rumrutschen auf dem Boden des Bürgerbräukellers natürlich ramponiert und galten als ein wichtiges Indiz für seine Schuld. Elsers Plan war, Hitler und dessen Führungsspitze am 08. November 1939 mit einer von ihm allein gebastelten Zeitbombe zu vernichten. Bekanntermaßen hielt Hitler jedes Jahr genau an diesem Datum vor seinen Anhängern im Münchner Bürgerbräukeller eine Rede zum Gedenken an seinen am 08./ 09. November 1923 gescheiterten Putschversuch. Elsers Bombe ist wie von ihm zeitlich geplant explodiert, hat acht Menschen in den Tod gerissen und viele verletzt, nur die eigentlich Bestimmten wurden verschont. Wegen Bodennebels konnten Hitler und sein Führungsstab nicht wie geplant per Flugzeug nach Berlin zurück, sondern mußten auf einen früher fahrenden Sonderzug ausweichen. So haben sie 13 Minuten vor der Explosion den Bürgerbräukeller verlassen. Genauso tragisch finde ich, daß Elser bereits eine halbe Stunde vor der Zündung seiner Bombe bei seinem Versuch, sich in die Schweiz abzusetzen, verhaftet wurde. Seine Grenzkarte war abgelaufen, er trug das rote Abzeichen des Frontkämpferbundes, der Kampforganisation der KPD, und hatte eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers und Teile eines Zeitzünders bei sich. Das war nicht so durchdacht! In den Verhörräumen der Gestapo wird nun versucht, die Namen seiner Hintermänner aus ihm heraus zu prügeln. Keiner traut dem damals 36-jährigen einfachen Handwerksburschen aus dem Allgäu diese Tat im Alleingang zu. Immer wenn‘s all zu beklemmend in den Verhörräumlichkeiten wird, dürfen wir Zuschauer wie von Elsers Wunschdenken getragen in die Idylle des Allgäus und die wunderschöne Landschaft des Bodensees entfliehen. Elser war typisch für die „Luschtigen Leut“ dieses Landstriches kein Kind von Traurigkeit. Ich sage nur Wein, Weib und Gesang. Die Rückblenden zeigen, wie das häßliche Braun ab Anfang der 30er Jahre langsam, aber unaufhaltsam in den Alltag der doch so schönen Allgäuer Idylle sickert, bis Elser zu dem Schluß kommt, daß nur noch die Ermordung Hitlers das drohende Unheil abwenden könne. Bei einem der Verhöre wird ihm vorgehalten, daß die bei der Explosion zu beklagende Zahl der Todesopfer auf acht angestiegen sei. Einen Tag nach dem mißglückten Attentat wurden im KZ Buchenwald 20 Juden erschossen, als Vergeltungsakt. Das bei Regimen aller Couleur beliebte Druckmittel der Sippenhaft kam natürlich auch zum Einsatz. Als Elser mit der Sekretärin im Verhörraum für einige Augenblicke allein ist, nutzt er die Gelegenheit und bittet sie, den Opfern bzw. ihren Angehörigen sein Beileid zu übermitteln und seine eigene Familie zu benachrichtigen. Nach ganz kurzem Zögern schiebt sie Elser ein Schriftstück aus der Akte zu. Was auch immer darauf stand, ich habe keine Ahnung. Elser, bewundernswert und glaubwürdig dargestellt von Christian Friedel, erlebt beinahe das Kriegsende als Häftling unter vergleichsweise guten Bedingungen im KZ Dachau. Er hat eine Einzelzelle mit eigener Drehbank und seiner Zither. Hitler wollte ihn als seinen persönlichen Feind nach dem Endsieg in einem Schauprozess aburteilen. Wenigstens in dieser Hinsicht wurde Hitler ein Strich durch die Rechnung gemacht, was Elser allerdings 20 Tage vor der Befreiung Dachaus am 09. April 1945 mit seinem Leben bezahlen mußte. Der Film ist eine bewegende, lohnenswerte und längst überfällige Geschichtsunterrichtsstunde, in der keine Langeweile aufkommt. Auch besonders geeignet für Jugendliche ab 12 Jahre!

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Everything will be fine

Der Film ist der von Wim Wenders verfilmte Alptraum einer Mutter und eines Autofahrers in Schneeweiß und 3D! Am Ufer eines gefrorenen Sees irgendwo im tief verschneiten Kanada beobachtet der Schriftsteller Thomas am Ufer einige Männer beim Eisangeln. Über einen langen Steg gesellt er sich zu der Gruppe und wechselt mit Einigen, die er zu kennen scheint, kumpelhaft ein paar Worte über das Anbeißen der Fische. Zum Abschied bietet ihm einer der Angler eine Zigarette an, die er auf dem Weg zu seinem Auto mangels eines Feuerzeuges nicht anzündet, sondern einfach hinter seinem Ohr parkt. Gerade als er losfahren will, ereilt ihn ein Anruf seiner Freundin Sara. Sie erkundigt sich nach dem Stand der Dinge und den Fortschritten seiner schriftstellerischen Arbeit und wann sie zu Hause mit ihm rechnen könne. Genervt erwidert er, daß er ihr etwas sagen müsse, aber nicht jetzt, und legt auf. Während der Fahrt ist er mit dem Anzünden der Zigarette und dem Ignorieren zahlreicher Anrufversuche seiner Freundin beschäftigt. Als er wegen einer Umleitung auf eine noch unwegsamere und abgelegenere Straße ausweichen muß und wieder einmal sein Handy klingelt, kreuzt wie aus dem Nichts und blitzschnell ein Rodelschlitten seinen Weg. Er bremst und das zu vernehmende Geräusch verheißt nichts Gutes. Nach einigen Schrecksekunden, in denen er Stoßgebete von sich gibt, steigt er aus und stellt erleichtert fest, daß der kleine Junge unversehrt auf seinem Schlitten vor der Kühlerhaube sitzt. „Alles wird wieder gut“ murmelnd trägt er den fünfjährigen Christopher zu dem weit und breit einzigen, auf einer Anhöhe gelegenen kleinen Farmhäuschen, in dem Kate in ein Buch versunken am Kamin sitzt. Als Thomas ihr erklären will, daß eigentlich alles in Ordnung ist, fragt sie sofort und mehrmals: „Wo ist Nikolas?“ Sie stürzt hinaus zu dem parkenden Wagen und es ist nur noch ihr entsetzter Aufschrei zu hören. Noch mit diesem unter die Haut gehenden Schrei im Ohr erfahren wir nun, wie das Leben von Kate (Charlotte Gainsbourg), Thomas (James Franco) und dem heranwachsenden Christopher nach dem Unglück weitergeht, weil es ja irgendwie weitergehen muß. Zwölf Jahre ziehen vorbei. Die alleinerziehende Kate sieht man beim Schneeschippen, Brennholzsammeln, Laubfegen und sehr sehr oft beim Weinen. Die vielen schlaflosen Nächte verbringt sie mit Zeichnen, Lesen und Schreiben. Das Drehbuch bestimmt allerdings den schweigsamen und introvertierten Thomas als Hauptfigur, wie er mit sich um Schuld, Sühne und Vergebung hadert. Nach einem halbherzig durchgeführten Selbstmordversuch und begleitet von nicht unerheblichem Alkohol- und Drogenkonsum überwindet er seine schriftstellerische Schaffenskrise. Er verarbeitet das Drama in seinen Büchern und ihm gelingen dadurch einige Bestseller. Über seinen Verleger lernt er eine neue Liebe, ich glaube Annie, kennen und führt mit ihr und ihrer Tochter ein fast normales Familienleben. Als er nach fünf Jahren erstmals bei Kate auftaucht, begrüßt er sie mit sinngemäß folgenden Worten: „Ich gäbe alles, wenn ich das ungeschehen machen könnte!“ Ein Kind und dann auch noch im Kindesalter zu verlieren, ist das Schlimmste, was einer Mutter passieren kann. Ich habe keine Kinder und möchte mir erst gar nicht vorstellen, was ich in diesem Fall dem Schriftsteller geantwortet hätte. Kate, deren Worte in dem Film abgezählt zu sein scheinen, erwidert übrigens: „Sind Sie gekommen, um uns das zu sagen?“ Aber eigentlich war sie gerade dabei, ein Buch des US-amerikanischen Schriftstellers William Faulkner aus dem letzten Jahrhundert zu zerreißen und anschließend zu verbrennen. Sie konnte sich an dem Unglücksabend nicht von diesem Buch lösen, um die Jungs, die schon längst hätten im Haus sein sollen, hereinzurufen. In ihrer Verzweiflung gibt sie abwechselnd sich und dem Buch die Schuld. Dieses Erwägen einer – wenn auch nur kleinen – Mitschuld habe ich bei Thomas vermißt. Die ausgedehnte Autofahrtszene vor dem Unglück zeigte wild wischende Scheibenwischer, also schlechte Sicht für den Fahrer. Sie zeigte das Herumhantieren mit der Zigarette und die ständig abgelenkten Blicke auf das Handy. Wäre die Tragödie nicht doch zu vermeiden gewesen? Thomas empfindet natürlich großes Bedauern, zeigt aber zumindest kein Schuldgefühl. Christopher nimmt als 15-jähriger erstmals Kontakt zu Thomas auf und konfrontiert diesen mit der Frage, ob es richtig sei, auf Kosten des Familienschicksals Bestsellerbücher zu schreiben, während seiner Mutter seitdem ihre Tätigkeit für einen Verlag nicht mehr so leicht von der Hand ging. Während der langen Pausen in den Dialogen ist es dank der 3D-Technik möglich und auch beabsichtigt, in den Gesichtern die Gefühlsregungen zu lesen. Der Hörfilmbeschreibung, die ich dank Greta einmal wieder ins Kino mitnehmen konnte, ist der Balanceakt gelungen, diese Gefühle in Worte zu fassen und Momente der gewollten Stille zuzulassen. Auf Beschreibung der Kleidung und anderer Äußerlichkeiten wurde weitgehend verzichtet. Die grandiose Filmmusik hat bei mir einige Male eine Anspannung fast zum Zerreißen erzeugt, als ob für Thomas noch ein weiterer Schicksalsschlag vorgesehen wäre.

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Zu Ende ist alles erst am Schluß

„Zu Ende!“ bekomme ich immer bei unseren Fernsehabenden am Schluß eines Filmes vom anderen Ende der Couch zugerufen. Nicht selten erwischt mich dieser Zuruf auf kaltem Fuße, wenn nämlich schon Schluß ist, wogegen nach meinem ganz subjektiven Empfinden der Film noch nicht zu Ende sein kann. Bis auf wenige Ausnahmen bevorzuge ich eine in sich schlüssige und abgeschlossene Filmhandlung. So wie beispielsweise bei dem französischen Film „Zu Ende ist alles erst am Schluß“! Die 85-jährige Madeleine, ihr Sohn Michel nebst Gattin Natalie und deren 23-jähriger Sohn Romain sind eine ganz normale, drei Generationen umfassende, in Paris lebende Familie. Gar nicht normal ist das Verhältnis der Großmutter zu ihrem Enkel. Als Romain sein verspätetes Erscheinen auf der Beerdigung seines Großvaters mit der Verwechslung des Friedhofes entschuldigt, lächelt Madeleine nur verständnisvoll. Sie meint, daß ihr Mann ebenso immer dann aufgetaucht sei, wenn man nicht mit ihm gerechnet habe. Nach der Beerdigung geht jeder wieder seine eigenen Wege und Madeleine kehrt jetzt alleine in ihre schöne typische Pariser Wohnung zurück. Als sie dort stürzt, beschließen ihre Söhne über ihren Kopf hinweg und natürlich nur zu ihrem Besten, daß sie in einer Seniorenresidenz besser aufgehoben sei. Die geistig hellwache Madeleine läßt sich zunächst darauf ein, als sie aber nach kurzer Zeit in ihre Wohnung zurück möchte, muß sie feststellen, daß diese hinter ihrem Rücken aufgelöst wurde. Wie ein junges Mädchen macht sie sich heimlich auf den Weg nach Étretat, einem wunderschönen, an der Steilküste der Normandie liegenden Badeort. In dem Städtchen war sie zur Schule gegangen und mußte wegen der Kriegswirren in den 40er Jahre nach Paris umsiedeln. Der Einzige, dem sie mittels einer Postkarte einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gibt, ist ihr Enkel. Romain macht sich auch sofort auf den Weg. Er begleitet sie auf ihren Streifzügen durch ihre Jugend und weicht bis zum Schluß nicht von ihrer Seite! Ich habe Madeleine, gespielt von der als Sängerin bekannten Annie Cordy, sofort in mein Herz geschlossen und sie war für mich auch die wichtigste Figur des Filmes. Das klingt alles erst einmal ein bißchen traurig, ist es ja auch, wenn man daran denkt, daß man vielleicht selbst in absehbarer Zeit wie Madeleine eben nicht mehr so ganz frei über sich und sein Leben bestimmen darf oder kann. Da ist es tröstlich zu sehen, wie die alte Dame sich die Kontrolle zurückerobert. Dennoch mangelt es nicht an Situationskomik. Dafür sorgen vor allem Romains Eltern, gespielt von dem Komiker Michel Blanc und Chantal Lauby (Madame Claude!). Der Regisseur Jean-Paul Rouve philosophiert als Hotelbesitzer mit Romain über den Sinn des Lebens und ein Tankwart hilft mit Lebensweisheiten bei Romains Suche nach der großen Liebe aus. Zu Ende geht auch das Berufsleben von Romains Vater und bedingt dadurch beinahe die Ehe seiner Eltern. Es gibt allerdings auch einen Anfang: Romain hat während seines Aufenthalts in Étretat endlich die lang ersehnte Liebe gefunden. Auch seine Eltern haben sich gerade noch so kurz vor Schluß wieder berappelt. Daß alles erst am Schluß zu Ende ist, klingt plausibel, wann auch sonst. Wie wann was wo und mit welchem Schluß zu Ende geht, kann gewollt, geplant oder provoziert sein, kommt aber auch überraschend und anders als gedacht. Wie das Leben eben so spielt!

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Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!

Das West-Berlin der 80er Jahre und die Landeier! Bis zum Mauerfall waren für den West-Berliner alle, die jenseits der Transitstrecke, also im Wessiland lebten, die Wessis. Wenn der West-Berliner auf seiner Insel mit der Spezies Wessi in Kontakt kam, belächelte er diese als Landeier. Nach dem Fall der Mauer wurde der West-Berliner, ob er wollte oder nicht, allerdings selbst zum Wessi. Nur für die Ossis hat sich da nichts geändert. In den 70er und 80er Jahren sind sehr viele junge Landeier nach West-Berlin ausgewandert, zumeist Wehrdienstvermeider und Lebenshungrige, die sich auf der Insel der Glückseligkeit fern der heimatlichen Kontrolle einmal richtig austoben wollten. Auch Robert und ich sind als Landeier Anfang der 80er, wenn auch aus völlig unterschiedlichen Beweggründen, in West-Berlin eingereist. In dem Film „Tod den Hippies!! Es lebe der Punk!“ ist Robert (Tom Schilling) die Hauptfigur, an welcher der Autor und Filmemacher Oskar Roehler seine eigene West-Berliner Zeit abarbeitet. Nach dem Absolvieren des Abiturs an einem Internat im ländlichen Franken hat Robert genug von den ihn dort umgebenen sanftmütigen, verständnisvollen, friedliebenden, in Jesuslatschen und selbstgemachten Batikklamotten schwebenden und „Om“ rufenden Althippies. Mit Irokesenschnitt und versunken in einen schwarzen Ledermantel mutiert er zum Punker. Wenig gefühlvoll bringt er kurz vor seinem Verschwinden die bürgerlichen Zukunfts- und Familiengründungspläne seiner Freundin zum Platzen. Was er sucht, sind Exzesse in jeglicher Hinsicht. Während dieser Zeit war es in Berlin noch unmöglicher als heute, an eine bezahlbare Wohnung zu kommen, und so schlüpft Robert zunächst bei seinem Freund Schwarz, gespielt von Wilson Gonzales Ochsenknecht, unter. Dieser betreibt eine Peepshow, den „Dschungel der Lust“, und um an Bares zu kommen, darf Robert dort die Kabinen vom umhergeschleuderten Sperma reinigen. Der Reinigungsvorgang wird ziemlich detailliert gezeigt und ist, wie auch so manch andere Szene, nicht unbedingt etwas für zartbesaitete Gemüter. Auch Robert leidet unter diesem Anblick. Er sei doch Künstler, er liest anspruchsvolle Literatur und schreibt Gedichte, die in seinem Umfeld jedoch ziemlich verständnislos abgenickt werden. Quasi als Entschädigung führt Schwarz ihn in das Berliner Szene-Nachtleben ein und so trifft Robert in dem Club „Risiko“ auf Szene-Legenden wie Blixa Bargeld, Frontmann der Einstürzenden Neubauten, und Nick Cave. Der Club „Risiko“ war neben dem SO36 in Kreuzberg und der Music Hall in Steglitz einer der angesagten Orte, wo sich die seit Ende der 70er in Berlin entstehende New Wave-Szene tummelte. In der Peepshow windet sich die Tänzerin schlangenhaft zu den Klängen von Sandras Song „In the Heat of the Night“ und bringt die Kundschaft zum Überkochen. Im „Risiko“ dröhnt die mit ganzen drei Akkorden auf der E-Gitarre auskommende Punkmucke mit Grölgesang. Dagegen haben sich „This Is Not a Love Song”, hier in der Version von den Sex Pistols, und „I Wanna Be Your Dog” von Iggy Pop noch als melodiös abgehoben. Die Musik der 80er Jahre war in ihrer Abartigkeit so vielfältig oder in ihrer Vielfältigkeit so abartig, daß für jeden Geschmack etwas dabei war. Wir dürfen dann noch Zeuge von Exzessen jeglicher Art werden, bis die Westberliner Zeit Roberts ein jähes Ende findet, für dessen Gesundheit nur förderlich. Unbedingt erwähnenswert sind Roberts Erzeuger. Die Mutter, einmalig gespielt von Hannelore Hoger, hat trotz gezielten Komasaufens die Geburt ihres Sohnes nicht verhindern können und begegnet ihm mit einer unmöglich zu beschreibenden Abscheu und Ekel. Der vom Alkoholkonsum gezeichnete Vater, ehemaliger Kassenwart der RAF, träumt nur von den guten alten Zeiten und seiner Gudrun Ensslin. Mit der Punkszene hatte ich nichts, mit der Punkmusik nur sehr bedingt etwas am Hut. Trotzdem habe ich mit meinem damaligen Äußeren nur für kurze Zeit wohl so ein bißchen das Klischee des Landeies bedient. Nach den ersten blöden Sprüchen, wie sie nur von Urberlinern kommen können, habe ich sehr schnell gelernt, mich zu wehren, und mittlerweile sprüchekloppe ich mich mit den Berlinern auf Augenhöhe. Für das erste Jahr durfte ich mich bei Benno, einem schwulen Medizinstudenten, in einer Wohnung in Schöneberg einnisten. Wir waren beide illegale Untermieter und nach der „Kündigung“ hat es mich in den Wedding verschlagen. Ins tiefste Kreuzberg, der Nische und dem Tummelplatz der Wessis, habe ich mich nur selten verirrt. Daß sich Roberts und meine Wege gekreuzt hätten, wäre also auch schon von daher höchst unwahrscheinlich gewesen. Aber auch ich habe, wenn ich nicht gerade mit dem Studium beschäftigt war, so meine Erfahrungen in und mit der Stadt gemacht, die ich nicht missen möchte und die in Heidelberg so nicht möglich gewesen wären. Dieser Film sowie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Herr Lehmann“ könnten den Schluß zulassen, daß West-Berlin damals nur von auf Staatskosten stets partymachenden jungen Leuten bevölkert wurde, die allmählich im Drogen-, Alkohol- oder sonstigem Szenesumpf versanken. Aber das Leben der „normalen“ Mehrheit bietet naturgemäß kein überwältigend aufregendes Filmmotiv. Wenn sich die Möglichkeit bietet, den Film mit Hörfilmbeschreibung zu sehen, bin ich ein zweites Mal dabei, da waren die Hörfilmbeschreiber sicher ganz schön gefordert!!!

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Das ewige Leben

Dies ist nach „Komm, süßer Tod“, „Silentium“ und „Der Knochenmann“ die vierte Verfilmung aus einer Krimibuchreihe von Wolf Haas, in der sich der auf dem sozialen wie gesundheitlichen Treppchen stets abwärtsbewegende Privatdetektiv Brenner für die Erhöhung der Aufklärungsquote von Verbrechen in Österreich einsetzt. Brenner ist also so eine Art Dauerbrenner. Ohne Souffleur und Greta war ich auf das Deuten von Geräuschen und das Gesprochene angewiesen und prompt begann der Film mit einem tumultartigen Dialog in einer südosteuropäischen Sprache. Im Nachhinein hat dieses erste Nichtverstehen glücklicherweise meinem Verständnis der Handlung keinen Abbruch getan. Danach ging’s nur noch auf Deutsch bzw. Österreichisch, also a bisserl gemächlich und gemütlich weiter. Und genau so wird Brenner in einer Wiener Amtsstube von einer Beamtin erklärt, daß er als – von mir geschätzt – Endfünfziger frühestens mit 84 Jahren mit einer Mindestrente rechnen könne. Arbeitslos, wohnungslos, gesundheitlich angeschlagen und nicht krankenversichert, hat er natürlich kein Boot und auch kein Pferd, aber wie ihm plötzlich einfällt, immerhin ein Haus. Mit seinem Führerschein bewaffnet und dem, was er auf der Haut trägt, schwingt er sich auf sein Moped und macht sich widerwillig, aber notgedrungen auf den Weg zu seinem seit Jahren leerstehenden Elternhaus nach Graz. Dort kommt er im strömenden Regen bei Dunkelheit an und versucht zunächst, den Strom zu reaktivieren. Als ihm das irgendwie gelingt, setzt sich die ewige Schallplatte, und zwar die noch auf dem Plattenspieler ausharrende, in Gang: Eric Burdon mit dem Song „When I was young“. So liebenswert leiernd und knisternd, wie es eben nur eine Schallplatte vermag, singt Mr. Burdon mit seiner unverkennbaren Stimme je nach Stromzufuhr über die längst vergangenen Zeiten. Auch Brenner wird ganz schnell ein Lied von seiner Vergangenheit singen können und müssen. In gelegentlichen Rückblenden ist er als junger Mann mit seinen drei Kumpels, Köck, Aschenbrenner und dem in der Gegenwart nicht mehr auftauchenden „vierten Mann“ zu sehen. Die vier haben gemeinsam die Polizeiausbildung absolviert, sind zusammen verreist und haben so den einen oder anderen Blödsinn angestellt. Den nicht gerade als Sympathieträger durchgehenden Köck sucht Brenner als Erstes auf, um bei diesem seine Waffe, eine Walther PPK, in Bares umzusetzen. Von dieser Art Waffe sind viele im Umlauf. Köck betreibt inzwischen ein mehr schlecht als recht laufendes An- und Verkaufsgeschäft. Gegen den Willen Brenners telefoniert er recht schnell den Aschenbrenner dazu, der als Einziger von der Clique Karriere gemacht hat und als Brigadier der Grazer Polizei vorsteht. Das Auftauchen Aschenbrenners als der personifizierten Polizei löst eine Kette tragischer Ereignisse aus. Während es Brenner gelingt, trotz einer Kopfschußverletzung gerade noch so lebend in einem Krankenzimmer aufzuwachen, hat Köck diesbezüglich weniger oder vielmehr gar kein Glück. Brenner will nicht glauben, was man ihm erzählt, nämlich daß er versucht hätte, sich selbst umzubringen. Fatalerweise hat er aber mit einem dramatischen Gedächtnisverlust zu kämpfen. So nach und nach berappelt er sich wieder, erinnert sich an seine Qualitäten als Privatdetektiv und bringt Licht in das sehr vertrackte Dunkel. Der von Josef Hader wunderbar gespielte Brenner hat als jemand, der nichts zu verlieren hat, vor nichts und niemandem, nicht einmal vor sich selbst Respekt. Das bekommen die ermittelnden Polizisten, die Ärzte und Krankenpfleger und auch die ihn behandelnde und eine Schlüsselrolle einnehmende Psychologin zu spüren. Wer wie ich Freude an (selbst-) ironischen, spöttischen und eindeutig zweideutig zu verstehenden Schlagabtauschen hat, ist in diesem Film bestens aufgehoben. Eine sehr wichtige Rolle spielt die von der vierköpfigen Wiener Band „Sofa Surfers“ beigesteuerte Filmmusik! Brenners Kopfschmerzen waren so drastisch plastisch vertont, daß Ansteckungsgefahr drohte. Die musikalische Untermalung hat mir auch oft geholfen, das Geschehen auf der Leinwand zwischen den Dialogen zu erahnen. Wäre die für tausende von Euro doch bereits produzierte Hörfilmbeschreibung über Greta verfügbar gewesen, hätte ich genauso oft lachen können wie all die anderen Zuschauer! Ich mache jetzt mal eine Milchmädchenrechnung auf: Bei 8,00 Euro pro Eintrittskarte müßten sich nur 200 Leute, idealerweise Kinoblindgänger, zusätzlich den Film anschauen, verteilt auf sämtliche Kinos der ganzen Republik. Damit wären die für Greta anfallenden 1.600,00 Euro schon eingespielt. Das sollte doch zu schaffen sein, oder???

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Das Mädchen Hirut

Der von der UN-Botschafterin Angelina Jolie mit produzierte Film gewann letztes Jahr auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit in Äthiopien in den 90er Jahren. Äthiopien wurde so, wie es heute besteht, 1995 gegründet und ist eine parlamentarische Bundesrepublik mit einem Präsidenten. Das klingt erst einmal ziemlich modern und aufgeklärt, aber das Schicksal des Mädchens Hirut zeigt, daß die Mädchen bzw. Frauen verachtenden Traditionen gerade auf dem Land noch allgegenwärtig sind. Die 14-jährige Hirut lebt mit ihren Eltern und ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester in der Nähe der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Ihre Eltern bewirtschaften dort einen kleinen Bauernhof. Obwohl auf dem Hof jede Arbeitskraft dringend benötigt wird, setzt sich ihr Vater, der selbst nicht lesen kann, gegen die Mutter durch und erfüllt Hirut ihren sehnlichsten Wunsch, eine Schule besuchen zu dürfen. Was sich für viele Schüler manchmal als lästige Selbstverständlichkeit darstellt, ist für Hirut ein absolutes Privileg, sie ist ja nur ein Mädchen vom Land. Sie lernt fleißig und hängt ihrem Lehrer an den Lippen. Als der ihr mitteilt, daß sie wegen ihrer guten Leistungen eine Klasse überspringen könne, macht sie sich beseelt auf den Weg nach Hause. Diesen Weg geht sie alleine zu Fuß durch eine wunderschöne, aber auch menschenleere Landschaft. Plötzlich kommen mehrere Reiter wie aus dem Nichts auf sie zu galoppiert, treiben sie in ihre Mitte und einer der jungen Männer zieht sie zu sich auf sein Pferd. Diese Bilder kennt man aus Filmen, wenn geflohene Sklaven eingefangen werden, nur daß hier alle dieselbe Hautfarbe haben. In eine dunkle Hütte eingesperrt, wird sie erst geschlagen und anschließend vergewaltigt. Stunden später kommt ihr Peiniger, ein junger Mann, zu ihr in die Hütte, bringt ihr Kaffee und versucht fast zärtlich, sie zu beruhigen. Es sei alles in Ordnung und er werde sie demnächst heiraten. Hirut kennt ihren Peiniger. Er lebt im selben Dorf und hat bereits vergebens bei ihrem Vater um ihre Hand angehalten. Um doch noch an sein Ziel zu kommen, bedient er sich des althergebrachten und auf dem Land immer noch praktizierten Brauches, seine Erwählte einfach zu entführen. Hirut gelingt es, aus der Hütte zu entkommen und sich ein Gewehr zu greifen. Sie versucht zu fliehen. Als ihre Verfolger sie fast eingeholt haben, lädt sie professionell das Gewehr durch und warnt zuerst verbal und dann mit zwei Warnschüssen. Der dritte Schuß sitzt und ihr Peiniger liegt tot im Gras. Und wieder sitzt Hirut in einer dunklen Hütte, natürlich ohne vorherige ärztliche Versorgung, und zwar im dörflichen Polizeigewahrsam. Auf dem Dorfplatz wird ihr in ihrer Abwesenheit der Prozeß gemacht. Der Vater des Getöteten fordert die Todesstrafe. Hirut müsse dem Brauch entsprechend neben seinem Sohn beerdigt werden. Die meisten teilen diese Ansicht und daß Hirut aus Notwehr gehandelt haben könnte, kommt niemand in den Sinn. Die Anwältin Meaza arbeitet für eine Organisation, die Frauen und Kindern in Not kostenlos Rechtsbeistand leistet. Als sie von Hiruts Schicksal erfährt, macht sie sich sofort von Addis Abeba auf den Weg, um dem Mädchen zu einem ordentlichen Gerichtsverfahren zu verhelfen. Sie verhandelt mit der dörflichen Polizei, um Hirut auf Kaution freizubekommen und ärztlich versorgen zu lassen. Dann ringt sie dem analphabetischen Vater die Unterschrift zur Vertretungsvollmacht ab. Schließlich muß sie Hiruts Alter beweisen und Zeugen für die Tat finden, um nur ein paar Schritte zu nennen. Immer wieder werden ihr von den Männern, ob bei Gericht oder bei der Polizei, Steine in den Weg gelegt. Aber sie schreckt nicht einmal davor zurück, den Justizminister zu verklagen. Sie sieht den Fall Hirut als Musterprozeß, der auf keinen Fall verloren werden darf. Ich glaube, daß der Film nicht nur mich mit einem unguten Gefühl entlassen hat. Auch wenn Hirut freigesprochen wird, weil sie aus Notwehr gehandelt hat, lauert da immer noch die rachesuchende Familie des Toten. Genau am Tag des Kinostarts wurden an einem Berliner Strafgericht der Vater und Onkel eines jungen Deutsch-Libanesen zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieser hatte als 15-jähriger seiner Familie gegenüber seine homosexuelle Neigung offenbart. Darauf beschlossen Vater und Onkel, den Jungen ins Ausland zu entführen, um ihn dort in eine Ehe zu zwingen. Unglaublich!!! Im Gerichtssaal war der Autor und Filmemacher Rosa von Praunheim unter den Zuschauern. Mal sehen, vielleicht verfilmt er dieses Schicksal und ich kann irgendwann einen Artikel darüber schreiben.

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Verstehen Sie die Béliers?

Verstehen Sie die Béliers? Bei Paula, der 15-jährigen Tochter der Béliers, hatte ich diesbezüglich keine Probleme. Schwierig bis aussichtslos gestaltete sich das bei dem Rest der Familie, ihren gehörlosen Eltern und dem älteren Bruder, aber Paula hat ja ganz oft für die Zuschauer gedolmetscht. Die vier kommunizieren per Gebärdensprache und man könnte meinen, daß es im Leben der Béliers deshalb still zugeht. Das fehlende Geplapper bei den Mahlzeiten wird durch heftiges Tellergeklapper ersetzt. Die Maman poltert ständig durchs Haus und ich dachte gleich an Holzpantinen. Google hat mich aufgeklärt, daß sie, nicht unbedingt typisch für einen Bauernhof, auf High Heels über den Hof stakst. Paula begrüßt ihre Familie gern mit „Hallo, Ihr Dumpfbacken!“, aber das ist lieb gemeint. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Bauernhof mit Molkerei in der französischen Provinz ungefähr zwei Autostunden von Paris entfernt. Da gibt es lebende Kühe und Hühner, ein Hund meldet sich ständig zu Wort und den neugeborenen Kälbchen werden sogar liebevoll Namen gegeben. Da wäre das kleine Mädchen, das vor einigen Jahren in einer Fernsehwerbung als Urlaubswunsch sehr energisch gefordert hat „Ich will Kühe“, sehr gut aufgehoben gewesen. Gleich zu Beginn des Films hört man Paula zu einem weltweit rauf und runter gedudelten Popsong trällern und bekommt sofort eine Ahnung von ihrem Stimmvolumen. Die Darstellerin der Paula singt übrigens personifiziert. In der Schule muß sie sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden und landet eher zufällig in dem von Monsieur Thomasson geleiteten Chor. Dieser fühlt sich in der Provinz total deplaziert und überqualifiziert und macht aus seiner Verachtung den Schülern gegenüber keinen Hehl. Alternativlos schlägt er als Repertoire die Stücke des französischen Chansonniers Michel Sardou vor und ringt den Schülern damit nur ein müdes Gähnen ab. Sie hätten lieber etwas Moderneres gesungen. Michel Sardou ist vor allem mit einigen seiner Chansons aus den 70ern weit über Frankreich hinaus bekannt geworden, z.B. „La Maladie d’amour“, „En chantant“. Den Schülern bleibt nichts erspart und so müssen sie sich einer nach dem anderen beim Einzelvorsingen mehr oder weniger blamieren. Als Paula an der Reihe ist, erkennt Monsieur Thomasson sofort ihr stimmliches Potential und beginnt, sie in Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung des berühmten Chores „La Maîtrise de Radio France“ vorzubereiten. Jetzt geht in Paulas eh schon minutiös durchgeplantem Tagesablauf alles drunter und drüber. Mal muß sie die Eltern wegen deren Geschlechtskrankheit zum Gynäkologen begleiten, mal auf dem Markt beim Käseverkauf helfen, mit dem Tierarzt und überhaupt allen anderen sprechen oder telefonieren. Zu allem Überfluß will ihr Vater auch noch während des gerade anstehenden Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Die Eltern leben, wenn auch diskret, ihr Sexualleben trotz ihrer Geschlechtskrankheit aus und auch der sonst so gut wie gar nicht in Erscheinung tretende Bruder macht seine ersten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Paula ist in Gabriel verliebt, mit dem sie ein Duo beim Schulkonzert singen soll, hat aber für ihre erste Liebe kaum Zeit. Eines Tages faßt sie sich ein Herz und eröffnet das Gespräch mit ihren Eltern mit dem Satz: „Ich muß euch etwas Wichtiges sagen“. Prompt kommt die Frage, ob sie schwanger sei. Von meiner Mutter kam genau diese Frage, als ich meinen Eltern sagte, daß ich nach Berlin gehen möchte. Nach der ersten Erleichterung beim Verneinen der Frage folgt bei Paulas wie auch damals bei meinen Eltern die Ernüchterung. Aber zuerst sind die Eltern stolze Zuhörer bei dem Schulkonzert. Der Chor singt „La Java de Broadway“ und Paula mit Gabriel als Duo „Je vais t‘aimer“. Beide Chansons weitaus schöner als von Monsieur Sardou gesungen. Während des Konzertes hört man plötzlich nicht mehr den Gesang, sondern ein Geräusch, so wie es Gehörlose hören könnten. Eine Mischung aus einem Dröhnen und Rauschen, so ein bißchen wie in einer Unterwasserwelt. Aber wie soll jemand, der nicht hören kann, beschreiben, was er wahrnimmt und was nicht und wie sich das für ihn anhört? Wenn mich jemand fragt, was und wieviel ich sehen kann, fällt mir das auch immer sehr schwer. Das Finale ist dann so herzzerreißend anrührend, fast ein klitzekleines bißchen kitschig, aber so schön. Paula singt in Paris vor der Jury des berühmten Chors „Je vole“, auch wieder von Michel Sardou, während ihr Lehrer sie auf dem Piano begleitet. Ihren Eltern dolmetscht sie den Text des Chansons per Gebärdensprache. Auch bei diesem Lied kann Michel Sardou Paula nicht das Wasser reichen, finde ich! Starks war dieses Mal solo, also ohne Greta, im Kino, es gab damit nur Untertitel für Gehörlose. Wenn Paula nicht laut gedolmetscht hat, mußte mir meine Freundin Andrea nicht nur kurze Bildbeschreibungen zuflüstern, sondern auch die Untertitel vorlesen.

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Bande de filles

„Bande de filles“ würde man auf Deutsch vielleicht als eingeschworene Mädchenclique übersetzen. Der Film spielt in einer Pariser Vorstadt, deren Bewohner größtenteils afrikanischer Herkunft sind. Die Satellitenstädte vor Paris sind wie wahrscheinlich überall auf der Welt einfach nur scheußliche Ansammlungen von Wohnsilos. Meine Freundin und Begleiterin Pascale, eine Französin, meint, daß man die Architekten, die diese Wohnsilos verbrochen haben, für längere Zeit dort strafwohnen lassen müßte. Weit und breit ist nicht ein grüner Strunk zu sehen und der einzige Platz, an dem sich die Jugendlichen treffen können, ist eine große Betonfläche mit Mulden, die sich bei Regen mit Wasser füllen. Vor einigen Jahren kam es landesweit in mehreren französischen Vorstädten 12 Tage lang zu Ausschreitungen Jugendlicher mit vielen abgefackelten Autos und Gebäuden. Zwei der Pariser Vorstädte, Sevran und Vitry-sur-Seine, waren besonders betroffen. Der damalige Innenminister und als Hardliner bekannte Nicolas Sarkozy ist bestimmt vielen noch mit seinem Spruch in Erinnerung, daß er die Vorstädte mit einem Kärcher säubern wolle! In dem Film spielen aber Mädchen, insbesondere die 16-jährige Marieme, die Hauptrolle. Abgesehen von der Lehrerin, die Marieme kühl mitteilt, daß sie zum zweiten Mal das Klassenziel nicht erreicht habe und deshalb die Schule verlassen müsse, sind alle Protagonisten afrikanischer Herkunft, aber anders als Samba in Frankreich geboren. Marieme muß sich als Älteste von drei Mädchen um ihre jüngeren Schwestern kümmern, was sie auch mit viel Liebe und Geduld tut. Von ihrem älteren Bruder hat sie keine Unterstützung zu erwarten, außer daß er sie physisch wie psychisch drangsaliert. Die Mutter hat einen Putzjob und gibt zu Hause nur eine Gastrolle ab. Von einem Vater fehlt jede Spur. Der Schule kehrt Marieme sofort den Rücken und kommt beim Rumlungern in Kontakt zu drei Mädchen, die sie in ihre „Bande“ aufnehmen wollen. Vorher muß sie sich allerdings beweisen und erpreßt von Jüngeren kleine Geldbeträge. Marieme kann sich sehr gut prügeln und mit kleinen Gesten Druck auf ihre Zielperson ausüben. Sie spielt in einem American Football-Team, bekanntermaßen keine Sportart für Zimperliche. Mit dem erbeuteten Geld fahren die vier Mädchen mit der Metro in die große Stadt Paris und nehmen sich ein Hotelzimmer. Sie baden und schminken sich, ziehen die zuvor geklauten Klamotten an, essen Pizza, trinken Cola, rauchen Shishapfeife und tanzen ausgelassen, sie singen und lachen. Wichtig ist die Musik ihres Idols, der Sängerin Rihanna, mit ihrem Song „Shine bright like a diamond“. Aber am nächsten Morgen ist alles wieder beim alten. Wer von den rivalisierenden Mädchenbanden die coolste ist, wird in Zweikämpfen ausgemacht und da ist so ziemlich alles erlaubt, während die anderen johlend und anfeuernd danebenstehen. Bei dem zweiten Kampf rettet Marieme, die auch ein Messer besitzt, die Ehre ihrer Clique und wird gefeiert. Die mit den Handys aufgenommenen Kämpfe machen natürlich in den Netzwerken die Runde. Marieme ist auf den Geschmack gekommen, Spaß am Leben zu haben, sich immer wieder neu zu stylen. Es fällt ihr immer schwerer, nach Hause zu gehen, obwohl sie das schlechte Gewissen ihren Schwestern gegenüber plagt. Auch ihre erste Liebesbeziehung gestaltet sich schwierig, weil der ewig stänkernde machohafte Bruder allgegenwärtig scheint. Da kommt ihr das Angebot, als Drogenkurier tätig zu werden, gerade recht. Als ihr klar wird, daß das unweigerlich in die Prostitution führt, läßt sie die Hände davon. Völlig niedergeschlagen findet sie sich in einer Sackgasse der Tristesse gefangen. Entweder Putzengehen wie ihre Mutter und ein Kind nach dem anderen bekommen oder die Flucht in die Kriminalität und Prostitution. Die Jugendlichen werden alle von Laien gespielt. Ich hatte den Eindruck, als ob die Mädchen gar nicht bemerkt haben, daß sie gefilmt wurden, sie spielen einfach sich selbst. Die Kraft, Energie und Lebensfreude und andererseits die Tristesse und Hoffnungslosigkeit springen einem dadurch förmlich ins Gesicht. Daß die Vorstellung im Original mit Untertitel gespielt wurde, war uns nicht klar. Pascale hatte deshalb ein bißchen mehr zu tun. Ich konnte zwar fast alles verstehen, aber manchmal haben mich die Mädels und Jungs mit ihrem irrsinnig schnell gesprochenen Slang an meine Grenzen gebracht. Dafür kamen wir in den Genuß der Originalstimmen. Ich habe recht viel über den Film geschrieben, aber dieser lebt weniger von der Handlung als von dem, was man dank der tollen kraftvollen Darsteller mitbekommt und das Fehlen der Hörfilmbeschreibung haben sie so auch noch wettgemacht!

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Heute bin ich Samba

Eine große Hochzeitsgesellschaft feiert in einem Restaurant und tanzt ausgelassen um eine gigantische Hochzeitstorte. Als die Torte genug umtanzt ist, wird sie in die Küche transportiert, portioniert und zum Verzehr auf Teller drapiert. In dieser Großküche begegnen wir zum ersten Mal Samba, gespielt von Omar Sy. Samba reiste vor zehn Jahren nicht so ganz legal aus dem Senegal nach Frankreich ein. Ohne Aufenthaltsgenehmigung hält er sich in Paris mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie über Wasser und unterstützt seine im Senegal lebende Familie. Als ihm eine unbefristete Stelle als Spüler angeboten wird, wendet er sich optimistisch an die Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Da hat er die Rechnung ohne die Behörde gemacht und landet unverzüglich in Abschiebehaft. Die Abschiebehäftlinge sind praktischerweise gleich auf dem Flughafengelände kaserniert. Dort trifft er endlich auf Alice, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Alice ist eine der beiden hübschen Sozialarbeiterinnen, die die Abschiebehäftlinge bei der Bewältigung des Papierkrieges unterstützen, der bei den Gerichtsverfahren gegen die Abschiebung anfällt. Sie hat ihr Hedgefondkostümchen und Lederaktenköfferchen gegen einen viel zu großen Mantel und einen Aktendeckel eingetauscht. Nach einem Burnout macht sie die Sozialarbeit so quasi auf Rezept als Therapie. Solch eine Therapie sollte man allen Hedgefondmanagern einmal zwischendurch aufs Auge drücken. Das Ergebnis des Gerichtstermins ist irgendwie kein Ergebnis. Samba wird zwar nicht sofort in ein Flugzeug verfrachtet und abgeschoben, darf aber bis auf Weiteres keinen französischen Boden betreten. Er macht halbherzige Anstalten, einem Flugzeug hinterherzulaufen, ist natürlich zu langsam und landet, wo auch sonst, auf französischem Boden. Die guten Ratschläge, sich erst einmal möglichst unauffällig zu verhalten, sich also in Luft aufzulösen und von derselben zu ernähren, machen ihn sehr wütend. Sein Leidensgenosse, Wilson, ein als Brasilianer getarnter Algerier, nimmt Samba unter seine Fittiche. Allen Warnungen zum Trotz jobben sie sich durch Paris und verpassen dem Film als Duo eine großartige komödiantische Note! Den französischen Regisseuren ist es wie schon bei dem Film „Ziemlich beste Freunde“ gelungen, ein trauriges Thema als Komödie aufzubereiten. In beiden Filmen wird bei der unbequemen Realität nicht weggeschaut, aber mit einer gewissen Leichtigkeit bekommen sie immer wieder den Dreh zur Komödie hin. Dabei hilft auch die wunderbare Filmmusik, die Samba-Rhythmen machen einfach gute Laune. Selbst die Sozialarbeiterin Alice kann sich dem nicht entziehen und tanzt ausgelassen. Das Duo ist mit ständig wechselnden, meist schlecht gefälschten Ausweispapieren unterwegs und Samba bekommt allmählich eine Identitätskrise. Ein bißchen Trost findet er in der ganz allmählichen und zaghaften Annäherung zu Alice, schwierig zu sagen, wer der Zögerlichere von den beiden ist. Die Synchronstimmen der beiden sind so gut getroffen, daß ich mir unter Samba einen großen kräftigen Mann und unter Alice ein zerbrechliches Wesen mit einem permanenten großen Fragezeichen im Gesicht vorgestellt habe. Daß ich da gar nicht so falsch lag, hat mir meine Freundin Andrea, die u.a. für Greta einspringen mußte, bestätigt. Verena Bentele, Bundesbeauftragte für die Belange Behinderter und selbst blind, hat in ihrem Buch geschrieben, daß der Zuflüsterer im Kino niemals geräuschvoller sein dürfe als der nebenan sitzende Popcornesser. Wir hatten einen Popcornesser neben uns sitzen, der jedes Korn vorm zum Munde führen unter den vielen anderen Popcörnern so geräuschvoll ausgewählt hat, daß Andrea mir die Bilder mit normaler Lautstärke hätte erklären können.

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