Das „Werk ohne Autor“…
…hat mich ohne Vorwarnung eiskalt erwischt! Kaum im extrem bequemen Sessel in einem der stylischen Kinosäle des Berliner Delphi Lux eingekuschelt, schoß mir durch den Kopf: „Was hätten die damals wohl mit mir angestellt? Vielleicht dasselbe wie mit Elisabeth?“ Im Frühjahr 1937 besucht die hübsche und lebenslustige junge Frau mit ihrem fünfjährigen Neffen Kurt in Dresden eine Wanderausstellung über entartete Kunst. Der Ausstellungsführer (Lars Eidinger) gibt zu den Exponaten namhafter Künstler seinen braunen Senf. Den verschärft er dann sinngemäß mit folgender Bemerkung: „Nur Betrachter mit krankhaft sehgeschwächten Augen könnten dies als Kunst bezeichnen und deren Leben müßte sowieso als nicht lebenswertes ausgemerzt werden.“ Das hat gesessen! Als Elisabeth, sehr intensiv und berührend gespielt von Saskia Rosendahl, diese Worte hört, ahnt sie noch nicht, welche grausame Wendung ihr Leben nur ein Jahr später nehmen wird. Bei Elisabeth ist es kein Augenleiden, sondern eine in einem zweifelhaften Verfahren diagnostizierte Schizophrenie. Damit fällt sie unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Dort ist die Zwangssterilisation von vermeintlich genetisch Kranken unter anderem bei Schizophrenie und erblicher Blindheit und Taubheit vorgesehen. Hilflos muß Elisabeths Familie zusehen, wie sie abgeholt, in einen Krankenwagen verfrachtet und abtransportiert wird. Dieses Drama bleibt auch dem nun sechsjährigen Kurt nicht erspart. Mir gingen ihre verzweifelten Schreie und die Brutalität, mit der sie überwältigt wird, lange nicht aus dem Kopf. Noch beklemmender ist ihr von vornherein aussichtsloser Versuch, den Leiter der Dresdner Frauenklinik, Prof. Seeband (Sebastian Koch), von der Durchführung der Zwangssterilisation abzubringen. Ganz im Gegenteil, von Elisabeths Auftritt gereizt, setzt der SS-Obersturmbannführer noch eins drauf, nämlich ein rotes Pluszeichen in ihre Akte. Das ist ihr Todesurteil. Im Film wird Elisabeth im Februar 1945 mit einigen anderen Frauen vergast. Aber mußte das wirklich sein, den qualvollen Tod der entblößten Frauen bis zum letzten Atemzug in der Gaskammer mit der Kamera einzufangen? Zumal seit 1943 vor allem systematisches Aushungern und das Verabreichen überdosierter Medikamente die Tötungsmethoden in der Erwachsenen-Euthanasie waren. Nur die Namen, aber nicht die Figuren in „Werk ohne Autor“ sind frei erfunden. Denn inspiriert hat den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck das Leben und Wirken eines Anderen. Der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter gilt als Deutschlands bedeutendster zeitgenössischer Maler und genießt Weltruhm. Ich – zugegebenermaßen eine Banausin rein visueller Kunst – scheine die einzige zu sein, der dieser Künstler bis jetzt kein Begriff war. Der Figur der Elisabeth liegt das Schicksal von Richters Tante Marianne Schönfelder zugrunde. Ihr Tod ist in einer Akte der sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, einer Tötungsanstalt für psychisch und geistig Erkrankte, auf den 16. Februar 1945 datiert. Man geht davon aus, daß sie dort elend verhungerte. Vielleicht veranlaßte auch die – wie ich finde – unnötige Abweichung von der Realität Gerhard Richter zu seiner Kritik an von Donnersmarcks Werk, hier nachzulesen: http://www.spiegel.de/kultur/kino/gerhard-richter-ueber-henckel-von-donnersmarck-er-hat-es-geschafft-meine-biografie-zu-missbrauchen-und-uebel-zu-verzerren Aber jetzt war auch im Film der Krieg vorbei und meine düsteren Gedanken verflogen. Die nächsten 20 Jahre dauerten im Kino zwei Stunden und die vergingen wie im Flug! Daß sich Kurt (Tom Schilling), inzwischen Student der Malerei, ausgerechnet in die bildhübsche Tochter des Mannes verliebt, der seine Tante in den Tod geschickt hat, hat sich nicht der Regisseur, sondern das Leben ausgedacht. Und die junge Frau, gespielt von Paula Beer, heißt auch noch Elisabeth. Gerhard Richters erste große Liebe hatte ebenfalls denselben Vornamen wie seine Tante Marianne und war die Tochter des Gynäkologen und SS-Arztes Heinrich Eufinger. Über den an Richters Biographie angelehnten Film wurde seit der Premiere in Venedig im September extrem heftig und kontrovers diskutiert. Ich habe versucht, alles vorher Gehörte auszublenden, und bin nun ein bißchen hin- und hergerissen. Tendenz aber positiv, allein schon wegen des ersten Teils! Und allen Kritikern zum Trotz ist „Werk ohne Autor“ gleich zweimal für den Oscar nominiert, herzlichen Glückwunsch! Wenn ich das richtig sehe, ist er der einzige unter den vielen Oscar-Kandidaten, der im Kino mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App erlebbar ist. Das ist eigentlich eine sehr traurige Bilanz! Viele Geschehnisse, vor allem die, die nur mit Musik unterlegt waren, hätte ich ohne Hörfilmbeschreibung nicht verstanden. Und wer sonst hätte mir die vielen Bilder und modernen Kunstwerke beschrieben? Die sehr gut gelungene Audiodeskription hat gleich zwei Autoren, Katrin Reiling und Klaus Kaminski. Redaktion führten Noura Gzara und Roger Zepp. Ganz besonders hat mich gefreut, die mir vertraute Stimme des Sprechers Andreas Sparberg zu hören! Die Audiodeskription konkurriert als eine von fünf Nominierten beim Deutschen Hörfilmpreis im März um eine Adele, meine Glückwünsche auch hierzu! Die Autorin des Blogbeitrags macht jetzt Schluß, die hat’s nämlich schon wieder erwischt, diesmal aber nur erkältungsmäßig.
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