Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Der Ausstellungsführer, dargestellt, von Lars Eidinger, steht vor einer einer Wand, an der mehrere gerahmte Bilder aufgehängt sind. Sie zeigen moderne, in der Ausstellung als "entartet" bezeichnete Kunst.

Das „Werk ohne Autor“…

…hat mich ohne Vorwarnung eiskalt erwischt! Kaum im extrem bequemen Sessel in einem der stylischen Kinosäle des Berliner Delphi Lux eingekuschelt, schoß mir durch den Kopf: „Was hätten die damals wohl mit mir angestellt? Vielleicht dasselbe wie mit Elisabeth?“ Im Frühjahr 1937 besucht die hübsche und lebenslustige junge Frau mit ihrem fünfjährigen Neffen Kurt in Dresden eine Wanderausstellung über entartete Kunst. Der Ausstellungsführer (Lars Eidinger) gibt zu den Exponaten namhafter Künstler seinen braunen Senf. Den verschärft er dann sinngemäß mit folgender Bemerkung: „Nur Betrachter mit krankhaft sehgeschwächten Augen könnten dies als Kunst bezeichnen und deren Leben müßte sowieso als nicht lebenswertes ausgemerzt werden.“ Das hat gesessen! Als Elisabeth, sehr intensiv und berührend gespielt von Saskia Rosendahl, diese Worte hört, ahnt sie noch nicht, welche grausame Wendung ihr Leben nur ein Jahr später nehmen wird. Bei Elisabeth ist es kein Augenleiden, sondern eine in einem zweifelhaften Verfahren diagnostizierte Schizophrenie. Damit fällt sie unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Dort ist die Zwangssterilisation von vermeintlich genetisch Kranken unter anderem bei Schizophrenie und erblicher Blindheit und Taubheit vorgesehen. Hilflos muß Elisabeths Familie zusehen, wie sie abgeholt, in einen Krankenwagen verfrachtet und abtransportiert wird. Dieses Drama bleibt auch dem nun sechsjährigen Kurt nicht erspart. Mir gingen ihre verzweifelten Schreie und die Brutalität, mit der sie überwältigt wird, lange nicht aus dem Kopf. Noch beklemmender ist ihr von vornherein aussichtsloser Versuch, den Leiter der Dresdner Frauenklinik, Prof. Seeband (Sebastian Koch), von der Durchführung der Zwangssterilisation abzubringen. Ganz im Gegenteil, von Elisabeths Auftritt gereizt, setzt der SS-Obersturmbannführer noch eins drauf, nämlich ein rotes Pluszeichen in ihre Akte. Das ist ihr Todesurteil. Im Film wird Elisabeth im Februar 1945 mit einigen anderen Frauen vergast. Aber mußte das wirklich sein, den qualvollen Tod der entblößten Frauen bis zum letzten Atemzug in der Gaskammer mit der Kamera einzufangen? Zumal seit 1943 vor allem systematisches Aushungern und das Verabreichen überdosierter Medikamente die Tötungsmethoden in der Erwachsenen-Euthanasie waren. Nur die Namen, aber nicht die Figuren in „Werk ohne Autor“ sind frei erfunden. Denn inspiriert hat den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck das Leben und Wirken eines Anderen. Der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter gilt als Deutschlands bedeutendster zeitgenössischer Maler und genießt Weltruhm. Ich – zugegebenermaßen eine Banausin rein visueller Kunst – scheine die einzige zu sein, der dieser Künstler bis jetzt kein Begriff war. Der Figur der Elisabeth liegt das Schicksal von Richters Tante Marianne Schönfelder zugrunde. Ihr Tod ist in einer Akte der sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, einer Tötungsanstalt für psychisch und geistig Erkrankte, auf den 16. Februar 1945 datiert. Man geht davon aus, daß sie dort elend verhungerte. Vielleicht veranlaßte auch die – wie ich finde – unnötige Abweichung von der Realität Gerhard Richter zu seiner Kritik an von Donnersmarcks Werk, hier nachzulesen: http://www.spiegel.de/kultur/kino/gerhard-richter-ueber-henckel-von-donnersmarck-er-hat-es-geschafft-meine-biografie-zu-missbrauchen-und-uebel-zu-verzerren Aber jetzt war auch im Film der Krieg vorbei und meine düsteren Gedanken verflogen. Die nächsten 20 Jahre dauerten im Kino zwei Stunden und die vergingen wie im Flug! Daß sich Kurt (Tom Schilling), inzwischen Student der Malerei, ausgerechnet in die bildhübsche Tochter des Mannes verliebt, der seine Tante in den Tod geschickt hat, hat sich nicht der Regisseur, sondern das Leben ausgedacht. Und die junge Frau, gespielt von Paula Beer, heißt auch noch Elisabeth. Gerhard Richters erste große Liebe hatte ebenfalls denselben Vornamen wie seine Tante Marianne und war die Tochter des Gynäkologen und SS-Arztes Heinrich Eufinger. Über den an Richters Biographie angelehnten Film wurde seit der Premiere in Venedig im September extrem heftig und kontrovers diskutiert. Ich habe versucht, alles vorher Gehörte auszublenden, und bin nun ein bißchen hin- und hergerissen. Tendenz aber positiv, allein schon wegen des ersten Teils! Und allen Kritikern zum Trotz ist „Werk ohne Autor“ gleich zweimal für den Oscar nominiert, herzlichen Glückwunsch! Wenn ich das richtig sehe, ist er der einzige unter den vielen Oscar-Kandidaten, der im Kino mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App erlebbar ist. Das ist eigentlich eine sehr traurige Bilanz! Viele Geschehnisse, vor allem die, die nur mit Musik unterlegt waren, hätte ich ohne Hörfilmbeschreibung nicht verstanden. Und wer sonst hätte mir die vielen Bilder und modernen Kunstwerke beschrieben? Die sehr gut gelungene Audiodeskription hat gleich zwei Autoren, Katrin Reiling und Klaus Kaminski. Redaktion führten Noura Gzara und Roger Zepp. Ganz besonders hat mich gefreut, die mir vertraute Stimme des Sprechers Andreas Sparberg zu hören! Die Audiodeskription konkurriert als eine von fünf Nominierten beim Deutschen Hörfilmpreis im März um eine Adele, meine Glückwünsche auch hierzu! Die Autorin des Blogbeitrags macht jetzt Schluß, die hat’s nämlich schon wieder erwischt, diesmal aber nur erkältungsmäßig.

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Ein Sandbild, es entsteht durch Streuen von Sand und Wischen mit den Händen. Rechts der Kopf eines Mädchens mit langem Haar. Links ein Mädchen, daß im Sand sitzt. Von oben strecken sich ihr zwei schützende Hände entgegen. Die Hand der Künstlerin ist zu sehen, wie sie durch Wischen im Sand das Bild zeichnet.

Sandmädchen

Neugierig geworden, wer sich dahinter verbirgt? Jedenfalls nicht das weibliche Pendant zum Sandmännchen, der Verkleinerungsform des Sandmanns, einer in der europäischen Mythologie angesiedelten Sagengestalt. Der Sandmann besucht, so ist es überliefert, des Abends die Kinder. Er streut ihnen Sand in die Augen, der sie schlafen läßt und für gute Träume sorgt. Auch die Vergrößerungsform von Sandmädchen, die Sandfrau, zielt in eine völlig falsche Richtung. Geht ein homosexueller Mann zur Tarnung seiner sexuellen Ausrichtung eine Beziehung mit einer Frau ein, wird diese als „Sandfrau“ bezeichnet. Des Rätsels Lösung, wer „Sandmädchen“ ist, gibt’s seit dem 18. Oktober im Kino! In dem Dokumentarfilm, den ich allen wärmstens ans Herz legen möchte, spielt Sand eine ganz wichtige Rolle. Gerieben habe ich mir die Augen aber vor Erstaunen und nicht wegen lästiger Sandkörnchen. Ein bißchen dauerte es, bis ich die von einer Frauenstimme behutsam und doch selbstbewußt vorgetragenen Texte mit der Protagonistin und Autorin Veronika Raila in Verbindung brachte. Aber dann verschmolzen die beiden für mich zu einer Einheit. Jana Wand spricht auf ganz natürliche Weise der 26-jährigen Veronika, die sehen und hören, aber nicht sprechen kann, im wahrsten Sinne des Wortes aus der Seele. Analytisch, philosophisch, bedrückend und doch lebensbejahend sind die Gedanken der jungen Frau, welche sie, assistiert von ihrer Mutter, zu Papier bringt. Veronika Raila ist Autistin, hypersensibel und von Geburt an schwer körperlich beeinträchtigt. Von der Hand ihrer Mutter gestützt, wählt sie zunächst mit über der Tastatur schwebendem Finger den gewünschten Buchstaben aus. Die Mutter führt den Finger ihrer Tochter dann auf die entsprechende Taste. Was uns unvorstellbar kompliziert und zeitaufwendig scheint, ist für Veronika, abgesehen von minimalen Gesten, die einzige Möglichkeit, sich der Welt mitzuteilen. So schreibt und veröffentlicht die Studentin der Literatur und Theologie ihre Texte in Prosa und Lyrik. Und das, obwohl ihr als Kind ein IQ von Null attestiert wurde. Der lange Weg zu diesem Befreiungsschlag war nur wegen des großartigen Engagements der Eltern und deren starken Glaubens an ihre Tochter möglich. Veronika Raila führt ein ziemlich selbstbestimmtes Leben. Ob sie ihr langes blondes Haar hochgesteckt, offen oder als Zopf trägt, entscheidet sie selbst. Im Film wünscht sie einmal einen Zopf und zeigt das ihrer Mutter mit einem langgestreckten Finger. Das ist vielleicht eine alltägliche Kleinigkeit. Keine Kleinigkeit ist aber dieser bewegende Film, bei dem sie mit dem Regisseur Mark Michel auf Augenhöhe arbeitete. Daß ich auf Augenhöhe über „Sandmädchen“ mitreden und vor allem schreiben kann, liegt an der von dem Sprecher sehr feinfühlig eingesprochenen Audiodeskription. Die nahm ich mit der Greta und Starks App in den Kinosaal. Mir hat sich mit dem sorgfältig formulierten Text der Hörfilmbeschreibung einen Spaltbreit die Tür zu Veronikas Alltag und dem ihrer Familie geöffnet, in dem es sehr ruhig und besonnen zugeht. Aber wir erleben sie auch an der Uni bei einer Vorlesung oder auf einer Düne am Meer. Zum Plätschern von Wellen an einem Strand und während der Wind dazu rauscht, spricht Jana Wand folgende Gedanken Veronikas aus: „Der Wind singt vom ewigen Vergehen, der Sand vom immerwährenden Aufbau. Der Wind des Lebens formt meine Körnchen immer wieder neu.“ Und immer wieder läßt die Künstlerin Anne Löper passend zu Veronikas Texten flüchtige, aber beeindruckende Sandbilder entstehen! Mehr möchte ich jetzt nicht mehr verraten und hoffe, ich konnte neugierig auf das „Sandmädchen“ machen. Aber ein Zitat von Veronika Raila muß noch sein: „Das Leben ist eine wunderbare Sache, wenn man es leben kann.“

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Die Blindgängerin mit Helm und Rucksack hockt auf einer Wiese am Boden. Sie hält Seile mit Karabinerhaken in den Händen. Die große weiße Plane hinter ihr soll einen entfalteten Fallschirm nach der Landung darstellen. Auf ihrem dunkelblauen T-Shirt steht in weißer Schrift “Mission Possible“.

Mission: Impossible – Fallout

„Alles Gute kommt von oben.“ Diese Redensart biblischen Alters hat ihren Ursprung im Brief des Jakobus, dort heißt es: „Alle gute Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts.“ Wie auch immer, seitdem sich der Mensch mit todbringenden Waffen im Gepäck in die Lüfte aufschwingen kann, kommt viel zu viel Schlechtes von oben. Und im Nuklearzeitalter muß er nicht einmal das. Alles, was nach oben entweicht, wird zwar zunächst vom Winde verweht, kommt aber unweigerlich irgendwann irgendwo wieder auf die Erde zurück. Er ist nicht zu hören, zu sehen, zu fühlen oder zu riechen, der radioaktive Niederschlag bzw. Fallout, ausgelöst von einer atomaren Explosion am Boden! Um die Welt vor solch einer Katastrophe zu retten, wird das Team von Ethan Hunt (Tom Cruise) losgeschickt zur sechsten „Mission: Impossible – Fallout“ Ich schickte mich auch, nämlich an, wieder einmal allein ins Kino zu gehen. Dabei entschied mich für den Zoopalast Berlin. Wie bei all meinen Alleingängen in den Kinos begleitete mich auch hier das aufmerksame nette Kinopersonal bis zu meinem Platz und versorgte mich mit Getränken usw. Die jungen Leute waren sehr interessiert, wie ich von dem Film überhaupt etwas mitbekommen könnte. Eine Audiodeskription für den US-amerikanischen Actionthriller gäbe es zwar nicht, meinte ich etwas enttäuscht. Aber ich hatte mir extra mein Shirt mit dem Aufdruck „Mission Possible“ übergestreift und war gespannt, was geht! Ein besonderes Highlight würde für mich die Filmmusik sein, bei der ich jedesmal eine Gänsehaut bekomme, und natürlich der Sound im größten Saal des Zoopalasts. Der war wieder einmal grandios, kam von oben und einfach von überall und konnte mich über die ein oder andere gefühlte dialogfreie Ewigkeit hinwegtrösten. Aber ich hätte doch zu gerne etwas über Ethan Hunts Körperhaltung und Mimik erfahren, als er im freien Fall von sehr weit oben kam. Zumal sich Tom Cruise dabei, wie bei allen anderen waghalsigen Szenen auch, nicht doubeln ließ. Abgesehen von dem Detail, daß sich sein Fallschirm extrem niedrig über den Dächern von Paris öffnete, schwebte ich nur im Dunkeln so mit. Etwas später raste ich wohl immer haarscharf an höllischen Abgründen vorbei. Ich glaube es war Benji (Simon Pegg) aus Ethan Hunts Team, der sich laut fragte: „Zur Hölle, was macht er da?“ Diese Frage blieb für mich wie viele weitere offen! Zu hören waren das Aufheulen von PS-starken Motoren, berstendes Metall, das Splittern von Glas, quietschende Bremsen, Rufe, Schreie und Schießereien. Mindestens einmal stürzte etwas in ein Gewässer. Im nachhinein mußte das die Seine gewesen sein. Man war also immer noch oder schon wieder in Frankreich. Zum Beschreiben wäre bei diesen beiden actionlastigen Beispielen viel Zeit gewesen. Und allen, die wie auch ich mit Hörfilmbeschreibungen zu tun haben, hätte es in den Fingern gejuckt! Mein Rettungsanker war dann die Filmmusik. In meinem Sessel versunken lauschte ich dem unsichtbaren Orchester und war überrascht, als nach über zwei Stunden plötzlich Schluß war. Dabei zog sich das Thema der Filmmusik wie ein roter Faden durch das Spiel der fantastischen Musiker. Die tiefen Klänge der Celli verbreiteten Dramatik und kündigten Gefahr an. Die gipfelte dann im schnellen nervenzerreißenden Gefiedel der Violinen. Die Bläser und Hörner bliesen zum Angriff und die fantastischen Percussion-Einlagen brachten noch einmal mehr Geschwindigkeit in die Sache. So dachte ich mir das wenigstens! Zusammengefaßt hatte ich eher einen schönen Konzert- als Kinoabend. Meine Mission, möglichst viel vom Film mitzubekommen, war tendenziell eine unmögliche. Aber den Blick statt nach oben nach vorne gerichtet, glaube ich an eine siebte „Mission: Impossible“ mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App! Denn nichts ist unmöglich!

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Die Blindgängerin schwimmt im Wasser mit einem aufblasbaren Schwimmring, der das Muster einer Ananas hat. In der rechten Hand hält sie eine Wasserflasche.

303

Wasser ist ein herrliches Element! Das finden auch Jule (Mala Emde) und Jan (Anton Spieker) unterwegs in einem „303“! Die beiden tun sich auf einer Berliner Raststätte spontan zu einer Fahrgemeinschaft zusammen. Das Ziel ist Spanien beziehungsweise Portugal. Auf dem sehr weiten Weg wird das Wohnmobil, ein 30 Jahre alter Mercedes 303, immer wieder an Gewässern geparkt. Dann schlendern die zwei zu einem Kanal in einem hübschen alten Städtchen, schwimmen in einem idyllischen See, picknicken am sanften Ufer der Loire oder surfen in der stürmischen Brandung an der französischen Atlantikküste. Kurz vorm Ziel nehmen Jule und Jan noch ein unfreiwilliges Bad im eiskalten Wasser eines Gebirgsbachs. Aber da war doch was mit dem H2O im Chemieunterricht? Jule studiert Biologie und ihr stünden bestimmt auch die Haare zu Berge: Wissenschaftlich betrachtet, ist Wasser ist natürlich kein Element! Die Grundlage des Lebens auf der Erde ist eine Verbindung von zweien der 118 bekannten Elemente: Wasserstoff und Sauerstoff. Wem ist beim Trinken oder dem Sprung ins kühle Naß schon bewußt, daß dies nur möglich ist, weil sich vor Urzeiten je zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom zu unzähligen Wassermolekülen zusammengefunden haben? Dieser längst abgeschlossene Prozeß funktionierte, weil – unwissenschaftlich ausgedrückt – die beiden Elemente wegen ihrer Gegensätzlichkeit zueinanderstrebten, vorausgesetzt, sie waren frei! Jan und Jule liegen vor allem mit ihren Einstellungen zum Leben himmelweit auseinander. Aber Gegensätze ziehen sich nicht nur in der Chemie an. Und die stimmt zwischen den beiden hervorragend! Jule steckt in einer Beziehung. Ihr Freund, den sie unbedingt persönlich sprechen muß, schreibt gerade in Portugal an seiner Doktorarbeit im Fach Ökolandwirtschaft über die kostbare Ressource Wasser. Jan ist ungebunden. Er studiert Politikwissenschaften und will in Spanien auch einmal seinen biologischen Vater kennenlernen. Für ihn ist Fleisch sein Gemüse, bei Jule ist das umgekehrt. Und sie verzichtet jedenfalls zur Zeit auf den Genuß alkoholischer Getränke. Jan trinkt gerne ein Glas Wein zum Essen und organisiert eine Flasche Champagner. Das hätte mir im Kinosaal auch gefallen. Ich hielt es aber wie Jule und entschied mich wegen der Länge des Films für eine Flasche Wasser. Meine Bedenken, Alkohol könnte meine Aufmerksamkeit schmälern, waren letztlich völlig unbegründet. So besonders und fesselnd sind Jan und Jules geistreiche und interessante Gespräche! Sie hören sich aufmerksam zu, lassen sich ausreden und geben im passenden Moment ihre jeweiligen Einwände zu bedenken. Damit kommt es bei den gesellschaftlichen Grundsatzdiskussionen teilweise zu abstrusen und komischen Ergebnissen, die mal eine ganz andere Sicht auf die Dinge eröffnen. Bei dem Schauspielerduo muß auch die Chemie gestimmt haben, so spontan und natürlich wie die beiden auf der Leinwand wirken! Verinnerlicht, aber nicht selbst ausgedacht, haben sich Mala Emde und Anton Spieker ihren Text. Der stammt aus der Feder des Regisseurs Hans Weingartner. Hut ab vor allen dreien! In den Gesprächspausen kam bei mir mit der gitarrenlastigen Musik Richtung Folk ein richtig schönes Urlaubsgefühl auf. Vor meinem geistigen Auge sah ich mich wie Jule und Jan mit Necessaire unterm Arm und Handtuch über der Schulter zum Waschraum laufen, Wäsche waschen und Geschirr spülen. Mir kam dabei mehr als einmal eine Zeltschnur in die Quere. Und als eines Tages eine Schlange in den Toiletten Schutz vor einem Gewitter suchte, war bei mir schlagartig Schluß mit der Camperei. Die beiden haben großes Glück mit dem Wetter. Und das Auftauchen einer Schlange hätte mir Michael Noack, der Sprecher der Audiodeskription, die über die Greta und Starks App verfügbar ist, bestimmt ins Ohr geflüstert! Ab sofort werde ich nämlich auch die Namen aller Mitwirkenden an der jeweiligen Hörfilmfassung nennen. Für „In den Gängen“ hole ich das nach! Im Unterschied zu Hörspielen sollen sich Sprecher und Sprecherinnen bei Audiodeskriptionen emotional möglichst zurücknehmen. Besonders Sprecher beherzigen das für meinen Geschmack des öfteren zu sehr. Hier empfand ich das anfangs auch so. Aber im Laufe des Films, vor allem wenn sich Jule und Jan immer näherkommen, klang seine Stimme auf angenehme Weise weicher, als ob er die beiden nicht stören wollte. Er konnte sich, wie wohl alle Kinobesucher, kaum der zarten Atmosphäre entziehen. Das hat mir sehr gefallen! Am Skript der Hörfilmfassung wirkten mit: Text Manuela Schemm, Assistenz Mareike Hülsmann, Redaktion Martina Reuter. Neben Jan und Jule kommen kaum andere Filmfiguren zu Wort. Und die beiden verbringen die meiste Zeit in und um Jules Wohnmobil. Dies nicht zu viel und nicht zu wenig zu beschreiben und dabei die Spannung zu halten, war die große Herausforderung. Was ich zu hören bekam, fand ich wohlformuliert und rundum genau richtig dosiert! Jetzt muß ich mich von innen und vor allem von außen abkühlen. Dabei halte ich es mit den alten Griechen. Sie kannten nur vier Elemente: Luft, Feuer, Erde und Wasser. Wasser ist für mich gerade ein herrliches Element!

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In dem Gang eines Getränkemarktes steht die Blindgängerin mit einer Kiste Mineralwasser in den Händen. Neben und hinter ihr sind Getränkekisten gestapelt, teilweise bis zur Decke.

In den Gängen

Ein kleiner Unterschied bei der Zeichensetzung, ein großer Unterschied für die Bedeutung! Vom Leerzeichen hängt’s nämlich ab, ob jemand hochstapelt, also mit betrügerischer Absicht eine hohe gesellschaftliche Stellung vortäuscht, oder hoch stapelt und so seiner Arbeit in einem Großmarkt nachgeht. Wer in Supermärkten einkauft, begegnet ihnen in den Gängen, den Männern und Frauen in einheitlicher Arbeitskleidung, die für Nachschub in unseren Konsumtempeln sorgen. Ich höre sie manchmal durch die Regale miteinander flachsen. Sie begleiten mich bei meinen Einkäufen und beraten und helfen auch der sehenden Kundschaft freundlich bei der Suche nach den gewünschten Produkten. Zum Beispiel wird Marion von der Süßwarenabteilung nach Schokolinsen gefragt. Lächelnd verschwindet sie mit dem Kunden um die Ecke und läßt Christian von der Getränkeabteilung stehen, mit dem sie gerade ein Schwätzchen gehalten hat. Wer diesen beiden und deren Kollegen begegnen möchte, was ich wärmstens empfehle, kann dies nur im Kino mit Thomas Stubers Film „In den Gängen“ In der liebenswerten ca. neunköpfigen Truppe herrscht ein harmonischer Umgangston. Sie halten zusammen und einen gigantischen Großmarkt irgendwo in der ostdeutschen Provinz am Laufen, wo gesächselt wird. Bier, Wasser, Saft und Wein kaufen wir seit Jahren in demselben Getränkemarkt bei uns um die Ecke ein. Dort stapelt das Personal in roten T-Shirts die Kästen von Hand aufeinander. Im Großmarkt tragen alle blaue Arbeitskittel. Die Kästen sind auf Paletten fixiert und werden mit einem Gabelstapler in Regale viele Meter hoch gestapelt. Das ist Brunos Reich (Peter Kurth). Meisterhaft beherrscht er seinen Stapler und jongliert mit Europaletten in schwindelerregender Höhe. Als ihm Christian (Franz Rogowski) als Helfer an die Seite gestellt wird, nimmt er den jungen Mann väterlich unter seine Fittiche. Aber bevor Bruno den „Frischling“ anlernt, geht’s erst einmal „in die 15“, so heißt hier die kleine Zigarettenpause zwischendurch. Den Spitznamen „Frischling“ bekommt Christian von Marion (Sandra Hüller) verpaßt, die er vom ersten Augenblick an nicht mehr aus den Augen läßt. Christian ist die zentrale Filmfigur und auch die schweigsamste! Und in Marions Gegenwart, die er so oft wie möglich sucht, bekommt er fast überhaupt kein Wort über die Lippen. Aber es gibt ja die kleine Torte statt vieler Worte und Marion plappert dafür um so mehr kokett flirtend auf ihn ein. In Marions, Brunos und vor allem Christians Leben außerhalb des Großmarktes gewährt der Film nur vage und angedeutete Einblicke. Aber da sind auch noch Irina von der Teigwarenabteilung mit ihrer markanten und verräucherten Stimme, Paletten-Klaus, der seine Ameise, einen Hubwagen mit Elektroantrieb, gegen jeden verteidigt, und Jürgen in dem Zigarettenhäuschen. Dort verkauft er die Rauchware stangenweise und hat immer ein Schachspiel vor sich. Was diese drei privat umtreibt, bleibt außen vor. So auch bei den übrigen, bei denen ich Namen und Personen leider nicht mehr zusammenbringen kann, obwohl ich ihnen damit unrecht tue. Denn alle in den Gängen dieses Großmarktes lassen einen vergessen, daß dies auf der Leinwand geschieht und man selbst gar nicht beim Einkaufen ist! Das ist das Verdienst der Darsteller, des Regisseurs Thomas Stuber und das von Clemens Meyer, der drei Jahre als Gabelstaplerfahrer in einem Großmarkt gearbeitet hat. Seine Kurzgeschichte über diese Lebensphase ist die Grundlage des Drehbuchs. Ich denke, deshalb gehen die Filmfiguren so vertraut und routinemäßig ihrer Arbeit nach, oft ohne viel dabei zu sprechen. Umso wichtiger war die Audiodeskription über die Greta und Starks App! Wer hätte mich sonst während der vielen Dialogpausen auf dem Laufenden gehalten und mich bei den teils waghalsigen Gabelstaplermanövern mitzittern lassen? Entgangen wäre mir auch Marions und Christians zärtliche Eskimobegrüßung in „Sibirien“, dem Kühlraum des Marktes. Ich habe jedes Wort der großartigen Sprecherin mit Genuß in mich aufgesogen und auch die Filmmusik, die das Geschehen den Stimmungen entsprechend abrundet, wie z.B. den genialen Großmarktblues zur Nachtschicht, wie ich ihn nenne! Bevor meine Schicht jetzt und hier zu Ende geht, noch eines: Erst zwei Monate nach Kinostart kam ich in die Gänge und die führten mich in das einzige Programmkino meines Bezirks fast um die Ecke. Oft liegt das Gute so nah. Das Jahresfilmprogramm im „Kino im Kulturhaus Spandau“ wurde schon mehrfach als herausragend ausgezeichnet. Und das werde ich künftig im Blick behalten!

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Eine Blesshuhnfamilie. Ein ausgewachsenes Blesshuhn sitzt mit den Küken im Nest, das von Wasser umgeben ist. Das andere Elternteil bringt einen Halm als Baumaterial zur Verstärkung des Nestes.

Familiäre Angelegenheiten…

…kommen in den besten Familien vor und müssen geregelt werden, wie z.B.: Sehr originell und witzig in „Wohne lieber ungewöhnlich“ Tierisch gut in „Isle of Dogs – Ataris Reise“ Rau, aber auch herzlich in „Familiye“! Die Familie ohne y, in die ich hineingeboren wurde, ist weitverzweigt und verästelt sich ohne mein Zutun munter weiter. Die Empfehlung der Universitätsklinik Heidelberg, vom Kinderbekommen wegen einer möglichen Weitervererbung meines Augenleidens abzusehen, hat damit nichts zu tun. Als damals 17-Jährige konnte und wollte ich mir ein Leben mit eigenen Kindern sowieso nicht vorstellen und dabei blieb es auch. Meine hochgradige Sehbeeinträchtigung war für diese Entscheidung nur ein Grund. Und jetzt meine Empfehlung: Lydia Zoubek ist blind und Mutter und schreibt darüber: www.lydiaswelt.com Die Familie, die ich mir ausgesucht habe, ist demzufolge klein, aber fein. Wir sind zu dritt. Der Zweibeiner ist seit über 30 Jahren derselbe. Bei den Vierbeinern ist das aus biologischen Gründen leider unmöglich und es gab schon zweimal riesengroßen Katzenjammer. Jetzt ist ein kleiner schwarz-weißer Kater bei uns eingezogen, ich nenne ihn Partout. Der hat nur Quatsch im Kopf und ist blitzschnell gleichzeitig überall, eben „partout“, wie der Franzose sagt! Familiäre Angelegenheiten zu klären haben wir natürlich auch, das gehört aber nicht hierher. „Wohne lieber ungewöhnlich“ klingt wie die Empfehlung eines hippen Lifestyle-Magazins, ist aber der Titel von Gabriel Julien-Laferrières temporeicher Familienkomödie aus Frankreich! Die Familie als Keimzelle der Gesellschaft, in der Eltern und Kinder bis zum Auszug der Jugend unter einem Dach wohnen, scheint ein Auslaufmodell zu sein. Auch in der Tierwelt sind Familien die Ausnahme. Die süße Blesshuhnfamilie auf dem Foto konnten wir lange beobachten, vom Nestbau bis zu den ersten gemeinsamen Ausflügen. Blesshuhneltern kümmern sich gemeinsam um ihren Nachwuchs und bleiben mindestens so lange zusammen, bis die Küken flügge sind! Die erwachsenen Filmprotagonisten haben so oft geheiratet und sich wieder getrennt und dabei Kinder in die Welt gesetzt, daß auf sieben Kinder acht Erziehungsberechtigte kommen. Das klingt anstrengend. Vor allem für die Kinder, die wie bei Patchworkfamilien gewöhnlich ständig woanders wohnen müssen. Eines Tages macht die Kinderschar die ungewöhnliche Beendigung dieses stressigen Zustands zu ihrer familiären Angelegenheit. Und zwar mit einen raffinierten Plan und einem ziemlich gut durchdachten und innovativen Konzept! Acht Elternteile macht theoretisch acht Großmütter, die sind hier jedoch stark unterrepräsentiert. Dieses Manko macht die einzige Oma, die auftaucht, mehr als wett. Sie ist von allen Erwachsenen mit Abstand die Coolste! Eine weitere Großmutter wird nur erwähnt, kann aber nie mehr in Erscheinung treten. Dafür hinterläßt sie eine wunderschöne große Siebenzimmerwohnung. Und dort läßt es sich nach Meinung der Kinder ganz prima lieber ungewöhnlich wohnen! Gerne hätte ich über das Gewusel der Kinder und das der überforderten Eltern auf der Leinwand genauso oft gelacht wie die anderen im Kinosaal. Leider gibt es für den französischen Film ohne deutsche Beteiligung keine Audiodeskription. Ich bekam aber vom freundlichen Kinosessel nebenan so viel Informationen wie möglich zugeflüstert! So viel Zugeflüster, wie zum Verstehen von Wes Andersons Animationsfilm nötig gewesen wäre, hätte kein Kinosessel der Welt leisten können. Aber bei „Isle of Dogs – Ataris Reise” übernahm das die Greta und Starks App! Für mich hatten die fünf Hunde, die sich in Isle of Dogs aus der Not heraus zusammenraufen und selbst als Rudel bezeichnen, irgendwie etwas von einer Familie. Vielleicht, weil die herrlich animierten Tiere sprechen können. Das übernehmen fünf von den ganz großen deutschen Synchronstimmen, ein Ohrenschmaus! Auch die Zweibeiner sind wie alle Tiere nicht aus Fleisch und Blut, sondern Puppen. So oft es die Zeit zuließ, wurden mir die verschiedensten Hundeblicke beschrieben, das war rührend! Unter den Tierfreunden gibt es eine Hunde- und eine Katzenfraktion. Der Bürgermeister von Megasaki City gehört wie ich zur letzteren. Aber ich liebe auch Hunde und die Hunde mich. Kobayashi dagegen ist ein fanatischer Hundehasser. Eines Tages spielt ihm der Ausbruch des Schnauzenfiebers in die Hände. Gegen diese Epidemie ist, wie er glauben machen will, kein Kraut gewachsen. Der Bürgermeister bedient sich eines bei gewissen politischen Führungskräften sehr beliebten Mittels, er erläßt eine Notverordnung. Alle Hunde, ob krank oder gesund, müssen ins Exil auf die Insel Trash Island! Was die armen Kreaturen dort erwartet, will man gar nicht so genau wissen: Neben vergammelten Essensresten z.B. radioaktiver Müll und toxische chemische Abfälle. Als ein Hund der Fünferbande seinen Durst an einem Rinnsal löschen will, wird ihm empfohlen, dies besser sein zu lassen. Sein grausames Exempel statuiert der Bürgermeister öffentlich wirksam ausgerechnet an dem, wie ich mich zu erinnern glaube, gesunden Wachhund seines Mündels Atari Kobayashi. Der 12-jährige Junge ist Vollwaise und sein treuer Begleiter Spots quasi seine Familie! Als Spots in einen Käfig gesperrt mit einem Seilbahnsystem auf die Insel deportiert wird, bricht es einem fast das Herz! Aber der Bürgermeister hat die Rechnung ohne sein Mündel gemacht. Atari landet wie ein Bruchpilot auf der Insel und gerät an den fünfschnauzigen chaotischen Hundehaufen. Der beschließt, dem Jungen bei seinem familiären Problem zu helfen! Wes Anderson muß ein großes Herz für Hunde haben und für Bären jetzt bestimmt auch. Er bekam bei der Berlinale einen Silbernen Bären für das Drehbuch seines tierisch guten Films! Und jetzt die Familie mit y! Die wäre wahrscheinlich an mir vorbeigerauscht, hätte nicht ein Freund vor über einem Jahr erzählt, daß er bei einem Film von zwei Kumpels mitmacht. Daß die „Familiye“ ein Jahr später allein in Berlin in 12 Kinos startet, hat sich damals keiner der Beteiligten träumen lassen. Die Kumpels sind angehende Regisseure, Deutsch-Kurden und heißen Sedat Kirtan und Kubilay Sarikaya. Der Drehort, der sogenannte Lynar-Kiez in Berlin Spandau, ist nur ca. zwei Kilometer Luftlinie von mir entfernt. Dieses y hat aber nichts mit der kurdischen Sprache zu tun. Lynar ist der Name einer preußischen Adelsfamilie. In dem Kiez, in dem die beiden mit ihren Freunden den Film über Drogen, Armut, Familie, Gewalt und Spielsucht machten, findet man alles außer Adlige. Danyal, der älteste von drei Brüdern, wohnte während der letzten fünf Jahre in einer Berliner Justizvollzugsanstalt. Als er in die Wohnung zu seinen jüngeren Brüdern zurückkommt, findet er alles andere als ein annähernd geordnetes Familienleben

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Neben einer jungen Birke steht die Blindgängerin auf einer Wiese im Park. Sie trägt hellblaue Jeans und ein gelbes kurzärmeliges Shirt, im Haar steckt eine Sonnenbrille. In der Hand hält sie ihre Kopfhörer und zwei Kinokarten. Der Himmel ist tiefblau und wolkenlos.

Kinowetter hin oder her!

Ich war drin, zweimal bei blitzeblauem Himmel und sommerlichen Temperaturen! Und ich kam auch wieder raus und das Wetter nach dem Kino war das vor dem Kino. Verpaßt habe ich diesbezüglich also nichts und obendrein diese beiden Filme geschaut: „3 Tage in Quiberon“ und „Steig. Nicht. Aus!“ Und der Greta-App, zu meiner Freude beide Male an meiner Seite, ist das Wetter sowieso völlig wurscht! Kühler als in Berlin war die herrlich frische Meeresluft während der 3 Tage in Quiberon Romy Schneider verläßt das Kurhotel auf der bretonischen Halbinsel nicht ohne Strickjacke, Trenchcoat und einem Tuch oder Schal. Die große Sonnenbrille nutzt sie vor allem, um sich dahinter zu verstecken. Sie? Non, je ne suis pas Sissi, je suis Maria Bäumer! Am Abend vor meinem Kinobesuch kam – leider ohne Audiodeskription – eine ältere Reportage über die im Mai 1982 gestorbene Romy Schneider mit vielen Live-Ausschnitten im Fernsehen. Ich hatte noch ihre Stimme, ihr Lachen und ihre Art zu sprechen im Ohr. Wenn ich‘s nicht besser gewußt hätte, ich hätte den Film für Teil zwei der Reportage gehalten. Der Kinofilm lief zum Glück mit Hörfilmbeschreibung. Ein riesiges Bravoooo, Marie Bäumer! Und Glückwunsch für die Lola als beste Hauptdarstellerin!!! Romy Schneider hätte sich bestimmt in jeder noch so kleinen Nuance der Filmkollegin wiedererkannt! Ein Jahr vor ihrem Tod gewährte die Filmlegende dem Reporter des „Stern“, Michael Jürgs, und dem Fotografen Robert Lebeck drei Tage lang wie noch nie zuvor im doppelten Sinne ungeschminkte Einblicke in ihre momentane Verfassung, weil sie das so wollte! Die damals 42-jährige sprach über ihre Zukunftspläne und sparte auch die Vergangenheit nicht aus. Immer mit dabei war allein ihre Jugendfreundin Hilde Fritsch. Und mit Betonung auf „so ähnlich“ wie im Film könnten sich diese drei Tage in Quiberon im März 1981 abgespielt haben. Die Regisseurin Emily Atef nutzte das im „Stern“ veröffentlichte legendäre Interview als Leitfaden für ihren Film in schwarz-weiß, ohne es zu kopieren, und wurde dafür mit der Lola für die beste Regie ausgezeichnet! Den vier Protagonisten in allen möglichen Konstellationen beim Diskutieren, Lachen, Traurigsein, sich mißtrauisch Beäugen, beim Trösten und ernst geführten Gesprächen zuzuschauen und zuzuhören wird nicht eine Minute langweilig. Am liebsten hätte ich bei einer Spontanfeier in einem Bistro mitgefeiert. Der Champagner fließt in Strömen und es wird ausgelassen zu „Hush“ getanzt, einem der großen Hits von Deep Purple. Allen Grund zum Feiern hatte übrigens das gesamte Filmteam, das zehnmal beim Deutschen Filmpreis nominiert war und mit sieben Lolas nach Hause ging! In der Kategorie „beste Nebendarstellerin“ gewann Birgit Minichmayr als Hilde Fritsch und in der des besten Nebendarstellers Robert Gwisdek als der Reporter Michael Jürgs. Der ebenfalls nominierte Charly Hübner in der Rolle des Fotografen ging leider leer aus. Dafür bekommt er von mir eine Lola in der Kategorie „sympathischste Laudatio“, die ich mir gerade ausgedacht habe. Mit einer Liebeserklärung an deren schauspielerische Leistung stellte er die drei Kandidatinnen in der Kategorie „beste Hauptdarstellerin“ vor. Und genauso wie er sich im Film rührend um Romy kümmerte, war er auf der Bühne zur Stelle, um die vor Freude völlig aufgelöste Marie Bäumer aufzufangen. Zum krönenden Abschluß wurde die berührende Nahaufnahme von Romy Schneider schließlich noch mit der Lola für den besten Spielfilm gekürt. Ich möchte zum Schluß den inzwischen 74-jährigen Michael Jürgs zu Wort kommen lassen. Der Journalist und Autor bekam das Drehbuch zu lesen und bezeichnete die von ihm festgestellten Abweichungen von der Realität als Freiheit der Kunst. Darüber spricht der sympathische Jürgs im NDR Talk, auf den ich hier gerne verweise! https://www.ndr.de/info/sendungen/talk/Michael-Juergs-im-Gespraech,sendung752856.html Der Fotograph Robert Lebeck konnte sich diesbezüglich nicht mehr äußern, er starb vor vier Jahren. Und jetzt geht’s mit Blitz und Donner und launischem Aprilwetter in ein anderes Genre, einen rein fiktiven spannenden Thriller! Nach einem turbulenten Landeanflug auf den Flughafen Berlin-Tegel steigt der Bauunternehmer Karl Brendt in Steig. Nicht. Aus! trotzdem aus! Noch ist in seiner Welt soweit alles in Ordnung und in ein Flugzeug zu steigen soll ja statistisch gesehen auch viel ungefährlicher sein als in ein Auto. Das wird sich gleich auf dramatische Weise für Karl, seine 16-jährige Tochter Josefine und den achtjährigen Sohn Marius bestätigen. Denn wer in ein Auto einsteigt, will auch wieder aussteigen. Das müßten die drei allerdings mit ihrem Leben bezahlen. Ganz schön perfide, was sich der Erpresser bzw. der Regisseur Christian Alvart da hat einfallen lassen! Karl rast verzweifelt und telefonierend in seinem Wagen mit den Kindern durch Berlin und versucht, die Forderungen des Erpressers zu erfüllen. Das Auftauchen der Polizeieiei scheint die Lage eher zu verschlimmbessern. Aber die Sprengstoffexpertin Pia Zach (Hannah Herzsprung) ist ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ein großer Hoffnungsschimmer für den deutschen Film sind besonders Emily Kusche als Karls Tochter und Carlo Thoma als sein Sohn. Und der Filmpapa Wotan Wilke Möhring gefiel mir natürlich auch. Spannend bleibt die Irrfahrt der drei bis zur letzten Minute und das Ende ist sehr originell und absolut unvorhersehbar. Ohne Hörfilmbeschreibung hätte ich ganz schön das Nachsehen gehabt! Das Wetter vorherzusehen, überlasse ich besser den Fachleuten und die Vorhersage spielt sowieso keine Rolle, weil Kinowetter hin oder her, ich geh rein! 

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Das Portrait von Elle Marja im Halbprofil vor einer unscharfen Landschaft im Hintergrund. Das junge Mädchen hat dunkle wache Augen. Die langen braunen Haare sind seitlich gescheitelt und zu einem Zopf geflochten, der über der Schulter liegt.

Das Mädchen aus dem Norden

…kommt aus Schwedisch Lappland in Norrland, dem nördlichsten Teil Schwedens, und am 05. April in die deutschen und österreichischen Kinos! Elle Marja, ganz wunderbar gespielt von Lene Cecilia Sparrok, hat das Team der Kinoblindgänger gGmbH sofort begeistert und in ihren Bann gezogen. Das war die Gelegenheit, einmal einen Film mit einer starken Frauenfigur als Projekt zu wählen! Deshalb wird „Das Mädchen“ auch von der Marie begleitet. Das heißt, es gibt eine Audiodeskription und erweiterte Untertitel, finanziert und produziert von der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH! Einfach großartig ist, daß auch in Österreich alle Kinobegeisterten barrierefrei bei „Das Mädchen aus dem Norden“ auf ihre Kosten kommen. Die barrierefreie Fassung ist nämlich für beide Länder auf der Greta und Starks App zum Download bereitgestellt!!! Obwohl es so weit in nördliche Gefilde geht, mußte sich Marie, das Maskottchen von Kinoblindgänger gGmbH, nicht warm anziehen. Der Schnee ist längst geschmolzen, die saftig grünen Bergwiesen blühen und die Rentierkälber werden gerade markiert. Dieses Ritual vollziehen die Rentierzüchter bis heute immer nach Mittsommer in den Monaten Juni und Juli. Aber darum geht es in der Geschichte, die hauptsächlich im Schweden der 30er Jahre spielt, nur am Rande, oder vielleicht doch nicht nur? Sehr behutsam und getragen von stimmungsvoller Musik gelingt der Regisseurin Amanda Kernell nach den ersten Filmminuten ein Zeitsprung in die Vergangenheit. Und schon sitzen wir mit der 14-jährigen Elle Marja auf einer Wiese. Sie wird sich in Kürze nach einem knappen Abschied von ihrer Mutter und einem herzlichen von ihren Großeltern auf den Weg in ein Internat machen, gemeinsam mit ihrer jüngeren Schwester. Die fünfköpfige Familie gehört zu dem Volk der Samen, der Urbevölkerung Skandinaviens. Die Sami, wie sie sich selbst nennen, wurden bis in die 1970er Jahre noch als Lappen bezeichnet. Sie verstehen sich als ein eigenständiges Volk und haben bis heute eigene soziale, wirtschaftliche und politische Einrichtungen und kulturelle Traditionen beibehalten. Elle Marjas Familie züchtet Rentiere und lebt einsam in einer Kote in den Bergen. Jede Arbeitskraft zählt. Es wird erwartet, daß Elle Marja nach dem Aufenthalt in der Internatsschule eigens für Kinder von samischen Eltern schnellstmöglich zurückkehrt. Aber zunächst gibt es einen Hörschnipsel zur ersten Etappe des Schulwegs der beiden Schwestern: Hörschnipsel 1 Hier sprechen die Mädchen noch samisch miteinander und Elle Marja singt einen Joik, um ihrer zwei Jahre jüngeren Schwester das Heimweh zu vertreiben. Das Joiken ist ein Spontangesang, mit dem Stimmungen und emotionale Situationen ausgedrückt werden. Mit dem Samisprechen und dem Joiken ist in der Schule allerdings unverzüglich Schluß! Es darf nur schwedisch gesprochen und gesungen werden. Elle Marja scheint als einzige der Schüler Gefallen daran zu finden. Sie ist die Klassenbeste und kann ihren Wissensdurst kaum stillen. Sie bewundert ihre Lehrerin und sucht deren Nähe. Dazu Hörschnipsel 2 Aber nach diskriminierenden Anfeindungen einiger Jungs aus dem Dorf und erniedrigenden rassenbiologischen Untersuchungen an der Schule beschließt sie, ihren eigenen sehr eigenwilligen Weg zu gehen, allen Widerständen zum Trotz. Dazu Hörschnipsel 3 So behutsam wie beim Zeitsprung am Beginn des Filmes erzählt Amanda Kernell auch die ganze Geschichte des Mädchens. Und als Tochter eines Samen weiß sie, wovon sie spricht! In Elle Marjas Gesicht läßt sich wie in einem offenen Buch lesen, was sie gerade fühlt. Ob sie begeistert, wütend, erstaunt, ernst oder freudig erregt ist, das Hörfilmbeschreiber-Team hat ihre jeweiligen Gefühlslagen möglichst genau beschrieben. Das gilt auch für die wunderschönen Landschaftsbilder, hier ist eine Hörfilmbeschreibung also unverzichtbar! Der Text der Audiodeskription stammt von der Autorin Inga Henkel und mir. Lena Hoffmann machte die Redaktion und Susanne Hauf sprach das Ergebnis mit ihrer schönen ruhigen Stimme ein. Genauso sanft wie in die Vergangenheit holt uns Amanda Kernell am Schluß wieder in die Gegenwart zurück! Und auch ich komme zum Ende, aber nicht ohne auf den Filmtrailer zu verweisen, den die Kinoblindgänger gGmbH ebenfalls barrierefrei gemacht hat! Den Trailer, noch mehr Details zum Film, und wie ihr die Projekte unterstützen könnt, findet ihr unter http://www.kinoblindgaenger.com/projekte/das-maedchen-aus-dem-norden/  

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Drei Schüler, zwei Jungen und ein Mädchen, vor einem alten Bücherregal

Das schweigende Klassenzimmer

Silber ist schon sehr edel, kann aber mit dem ca. achtzigmal so wertvollen Gold nicht mithalten! In dem unterschiedlichen Wert dieser beiden Metalle ist ein althergebrachtes und weitverbreitetes Sprichwort begründet. Danach rangiert Schweigen weit vor dem Verbreiten unpassender und überflüssiger Bemerkungen. Um Silber oder Gold geht es bei „Das schweigende Klassenzimmer“ allerdings nicht! Hier hat die Entscheidung zu reden oder zu schweigen für alle Beteiligten weitreichende und dramatische Folgen. Denn Reden bedeutet Verrat und Schweigen Loyalität! Den Namen des Rädelsführers wollen sie um jeden Preis erfahren, das Schulrektorat, die Kreisschulrätin und vor allem der Volksbildungsminister der DDR. Ich darf den Namen des Gesuchten schon einmal verraten, es ist der Abiturient Kurt (Tom Gramenz). Ende Oktober 1956 ist es seine Idee, der gerade zu beklagenden Opfer des ungarischen Volksaufstands zu gedenken, mit zwei Schweigeminuten während des Geschichtsunterrichts. Bis auf einen Mitschüler stimmt die gesamte Abiturklasse eines Gymnasiums im brandenburgischen Stalinstadt zu. Das Klassenzimmer schweigt für zwei Minuten. Nur der linientreue Geschichtslehrer tobt sich lautstark in Rage! Was für eine harmlose Art der Meinungsäußerung und Solidaritätsbekundung, könnte man meinen. Aber die Schulbehörden der erst vor sieben Jahren gegründeten DDR verurteilen das Schweigen als konterrevolutionären Akt, der mit aller Härte geahndet werden muß. Und so besteht die Gefahr, daß das schweigende Klassenzimmer auch zu einem „fliegenden“ wird! Der Volksbildungsminister droht, die gesamte Klasse mit sofortiger Wirkung der Schule zu verweisen und auch in der gesamten DDR nicht mehr zum Abitur zuzulassen. Es sei denn, einer der Schüler bricht sein Schweigen. Einer hat das übrigens getan! Zum Glück, denn sonst gäbe es diesen großen Film nicht. Dietrich Garstka erfuhr genau das, was in dem Film erzählt wird, am eigenen Leib und schrieb darüber in seinem Sachbuch. 50 Jahre nach den dramatischen Ereignissen, in deren Verlauf seine Abiturklasse 1956 mit den höchsten Stellen des DDR-Staatsapparates in Konflikt geriet, erschien „Das schweigende Klassenzimmer“. Ich könnte mir vorstellen, daß sich ein Regisseur bei der Aufbereitung eines geschichtlichen Themas besonders über Komplimente von Zeitzeugen freut. Meine Schwiegermutter meinte bei vielen Szenen: „Genau so hat das damals ausgesehen und so war das bei mir auch!“ Dieses Kompliment gebe ich sehr gerne an den Regisseur Lars Kraume, der auch das Drehbuch schrieb, und natürlich an sein großartiges und teils sehr junges Team weiter! Nicht nur bei den im Klassenzimmer abgehaltenen Schweigeminuten war ich sehr dankbar für die erklärenden Worte der Hörfilmbeschreibung über die App Greta in meinem Ohr. Mit den Schülern, deren Eltern und der Obrigkeit kamen doch eine ganze Menge Personen zusammen, die eingeführt und beschrieben werden mußten. Aber es wurde weder zu viel geredet, noch zu lange geschwiegen! Und über ein Wiederhören mit der Sprecherin, die ich sehr schätze, habe ich mich auch sehr gefreut. Im vollbesetzten Kinosaal blieb es nach der Vorstellung noch ein Weilchen sehr still! Als ob die Kinobesucher mit ihren Gedanken noch ein bißchen bei den charakterstarken Schülern bleiben wollten. Mir ging es jedenfalls so!

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Die Blindgängerin im Laufschritt vor drei großen Werbetafeln. Von einer spannt sich ein roter Faden zu ihr, das Knäuel hält sie in der linken Hand. Unter dem Arm trägt sie ein großes Paket Papiertaschentücher. In der rechten Hand hält sie ein aus Pappe geschnittenes Stundenglas, eine Sanduhr.

Aufholjagd

Zweimal mit, einmal ohne, und noch einmal mit! Mit einer Hauruckaktion habe ich meinen cineastischen Rückstand so gut wie wettgemacht. Dabei waren diese internationalen, im Original englischsprachigen Filme: „Die dunkelste Stunde“, „Der seidene Faden“, „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ und „Wunder” In allen vier tragen die Protagonisten die unterschiedlichsten Kämpfe aus und bei dreien konnte ich das ganz genau mit einer Audiodeskription über die App Greta verfolgen. Mit 66 Jahren ist noch lang noch nicht Schluss! Ein halbes Jahr vor seinem 66. Geburtstag begann für Winston Churchill ziemlich überraschend seine Karriere als britischer Premierminister, am 10. Mai 1940. An diesem geschichtsträchtigen Tag wurde er von König Georg VI. in das höchste Amt berufen. Churchills Vorgänger Chamberlain, ebenso Mitglied der konservativen Partei, hatte 24 Stunden zuvor am 9. Mai nicht ganz freiwillig seinen Hut genommen. Was für ein gerade aus heutiger Sicht wahnwitziges Tempo! Aber die Tage vor und nach Churchills Ernennung wurden um so heftiger für Intrigen und parteiinternes Geklüngel genutzt. Die Dramatik dieser kurzen Phase führt uns sehr detailliert und höchstspannend „Die dunkelste Stunde“ vors Auge. Treffender hätte man die damalige Lage der britischen Nation nicht ausdrücken können! Die Filmhandlung orientiert sich an dem Werk „Fünf Tage in London“ des Historikers John Lukacs. So kämpfte Churchill als designierter und bestätigter Premier an drei Fronten: Die englische Armee vor ihrer Vernichtung retten und eine drohende deutsche Invasion abwenden, den „Kuschelkurs“ seiner politischen Gegner mit Hitler beenden und diesen um jeden Preis besiegen und schließlich das Parlament und die Bevölkerung von der Alternativlosigkeit seiner Strategie überzeugen und auf harte Zeiten einschwören! Im Film kämpft der ein paar Jahre jüngere Gary Oldman auf faszinierende Weise wie Churchills Doppelgänger! Fünfmal wurde Oldman für diese Leistung bereits ausgezeichnet, z.B. mit dem Golden Globe, nun fehlt nur noch der Oscar. Mir war es jedenfalls eine Ehre und ein großes Vergnügen, den wortgewandten Churchill auch durch die Hörfilmbeschreibung so genau und persönlich kennengelernt zu haben: Sein eiserner Wille, sein Humor und die große Liebe zu seiner Frau Clementine, wunderbar gespielt von Kristin Scott Thomas, deren Rat und Meinung er sehr schätzte. Und übrigens halten sich auch Premierminister im Badezimmer und auf dem stillen Örtchen auf. Sie laufen im langen Nachthemd durch ihre privaten Gemächer, natürlich immer mit einer Zigarre zwischen den Lippen und einem Drink in der Hand! Mit 77 trat Churchill im Jahr 1951 ein zweites Mal das Amt des Premierministers an. Da waren die Zeiten, in denen Englands Schicksal an dem sprichwörtlichen seidenen Faden zu hängen schien, längst vorbei. In diese Londoner Nachkriegszeit der 50er Jahre ist die rein fiktive Geschichte von „Der seidene Faden“ eingefädelt, in der Nadel und Faden tatsächlich zum Einsatz kommen! Die wundervollsten Kleider aus den feinsten Stoffen (Natürlich gleicht nicht ein einziges dem anderen!) werden der noblen und prominenten sehr betuchten Damenwelt auf den jeweiligen Leib geschneidert. Mit der Rolle des Reynolds Woodcock, Londons gefragtesten Meisters des seidenen Fadens, verabschiedet sich einer der gefragtesten Schauspieler! Mit 60 machte Daniel Day-Lewis letztes Jahr überraschend Schluß mit seiner Filmkarriere. Aber vorher zeigt der dreifache Oscargewinner – immer mit einem Schnittmuster, einem Maßband und Stecknadeln bewaffnet – noch einmal, was er kann, und vielleicht gibt’s dafür ja noch einen! Die Geschäfte des Modesalons „House of Woodcock“, das Reynolds gemeinsam mit seiner nicht nur im Geschäft allgegenwärtigen Schwester Cyril führt, florieren prächtig. Dem attraktiven Mittfünfziger scheint alles eher kampflos in den Schoß zu fallen und auch die Herzen der Frauen fliegen ihm einfach so zu. Gekämpft wird hier vom weiblichen Geschlecht und zwar auf eine Weise, wie es wohl nur dieses vermag. Der Name der Kämpferin ist Alma. Die junge natürliche Frau, gespielt von Vicky Krieps, begeisterte mich genauso schnell wie den Schneider Reynolds. Sie will nicht nur wie eine Schaufensterpuppe aus Fleisch und Blut als Modell für die Entwürfe seiner Kleider und Kostüme fungieren. Sie liebt Reynolds und möchte eigentlich nur das Normalste der Welt, eine Beziehung mit ihm auf Augenhöhe. Almas Waffen sind Provokation, Zurücksticheln, Reynolds Geduldsfaden zum Reißen bringen, selbst gesammelte und zubereitete Pilze und zum rechten Zeitpunkt Umgarnen. Aber das mit den Pilzen ist nur halb so wild! Jetzt bin ich jedenfalls hinsichtlich der Mode in den 50ern völlig up to date. Natürlich wurden auch die Damen, die in den Kleidern steckten, genau beschrieben und so erfuhr ich auch von Cyrils kleinen Fältchen um ihren Mund. Über das Aussehen der nächsten oscarverdächtigen Kämpferin – den Golden Globe erhielt sie bereits im Januar – konnte ich mir leider nur durch ihre Stimme ein Bild machen. Diese Spekulationen gehen sehr oft an der Realität vorbei und deshalb lasse ich es lieber sein. Mildred Hayes kämpft in der fiktiven US-amerikanischen Kleinstadt Ebbing mittels “Three Billboards Outside Ebbing, Missouri” um die Aufklärung des sieben Monate zurückliegenden grausamen Mordes an ihrer Tochter. Auf drei vor der Stadt aufgestellte Plakatwände schreibt sie kurz und knackig ihre provokanten Parolen und stellt damit den ihrer Meinung nach untätigen Sheriff an den Pranger. Ob sie diesen Weg gewählt hätte, wenn sie sich über die Folgen im Klaren gewesen wäre? Vielleicht lag es an der fehlenden Bildbeschreibung, daß ich die Begeisterung über Frances McDormand in der Rolle der Mildred und auch über den Film nicht so ganz teilen kann. Obwohl ich schwarzen Humor eigentlich sehr liebe! Dafür hat mir die ebenfalls für den Oscar nominierte Filmmusik super gut gefallen, für die ich ganz Ohr sein konnte. Und zu guter Letzt noch einmal „mit“: Mit der App Greta und auf Empfehlung auch mit einem großen Päckchen Taschentücher! Eigentlich kämpft die vierköpfige Familie Pullman gemeinsam mit Hündin Daisy schon auf sehr berührende Weise. Aber den Löwenanteil muß der zehnjährige Junge August, „Auggie“ genannt, alleine schultern und das schafft er auch in „Wunder“. Bei einer zufälligen Begegnung mit Auggie hätte ich mir gedacht, was für ein sympathischer Junge das ist, und ein pfiffiges Kerlchen obendrein! Der ist in der Schule bestimmt sehr beliebt und hat viele Freunde. Aber seine Klassenkameraden sind nicht blind. Sie sehen, was ich durch die Audiodeskription erfuhr, und Auggies erste Tage an der Schule sind alles andere

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