Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Zwei DVDs: Links des Films "Welcome to Norway", rechts von "Willkommen bei den Hartmanns". In der Mitte eine Pistole mit Filterzigarette im Lauf auf einem leeren Aschenbecher.

Willkommen und Welcome im Handel!

Der Mörder ist immer der Raucher… …und der schlägt zwar nicht immer erbarmungslos zu, führt aber selten was Gutes im Schilde! Greift in einem Film, ob Kino oder TV, nur eine einzige Person zum Glimmstengel, dann spielt diese fast nie die Rolle eines Sympathieträgers. So verhält es sich auch in den beiden Kinofilmen „Willkommen bei den Hartmanns“ und „Welcome to Norway“ Beide kann man sich jetzt per DVD auch auf dem heimatlichen Sofa zu Gemüte führen. In „Welcome to Norway“ übernimmt der aus Libyen geflüchtete mürrische Zoran den rauchenden Part. Er sabotiert die Stromversorgung der mehr schlecht als recht ausgestatteten Flüchtlingsunterkunft in der norwegischen Provinz. Schlagartig sitzen der verhaßte Betreiber, den er als „Scheiß-Wikinger“ beschimpft, dessen Familie und alle Bewohner der Unterkunft im Dunkeln und frieren. Nach einem einschneidenden Ereignis aber überdenkt er seine destruktive Haltung. Als gelernter Ingenieur behebt er den Schaden und sorgt für eine stabile Stromversorgung. Bei den Hartmanns, die gerade den sympathischen Diallo aus Nigeria in ihrem wunderschönen Haus herzlich willkommen heißen, ist es die Nachbarin, die raucht. Mit einer Zigarette in der Hand steht sie auf ihrem Balkon und keift ausländerfeindliche Parolen herüber. Zum Schluß schließt sie sich sogar einer Pegida-ähnlichen Versammlung vor der Villa der Hartmanns an. Aber sowohl in der norwegischen Provinz als auch bei den Hartmanns gibt es auch unter Nichtrauchern reichlich Idioten und weitaus schlimmere Übeltäter. Einen Eindruck, wie unterschiedlich die Regisseure Rune Denstad Langlo und Simon Verhoeven an dasselbe hochaktuelle Thema herangingen, vermitteln schon die Trailer. Der Link nach Norwegen: Trailer „Welcome to Norway“ Der Link zu den Hartmanns: Trailer „Willkommen bei den Hartmanns“ Aber gemeinsam haben die zwei Filme sehr gut gemachte Audiodeskriptionen! Und diese sind nicht im Nichts verraucht, wie es sonst leider noch oft der Fall ist, sondern waren im Kino über die App Greta und Starks erlebbar! Ohne hätte mir z. B. das wichtige Detail, wer raucht, im geruchsneutralen Kinosaal nicht auffallen können. Die Texte der Audiodeskriptionen stammen übrigens aus der Feder derselben Autorin, Inga Henkel. Für „Willkommen bei den Hartmanns“ war sie im Auftrag der Eurotape Media Services GmbH und bei „Welcome to Norway“ für die Kinoblindgänger gGmbH aktiv. Wer den ein oder anderen oder gar beide Filme im letzten Herbst im Kino verpaßt hat, kann das jetzt nachholen und dabei auch rauchen! Und auf beiden DVDs wurde auch die Audiodeskription plaziert. Zusammengefaßt ist mit der deutschen Filmproduktion „Willkommen bei den Hartmanns“ und dem norwegischen Film „Welcome to Norway“ barrierefreie Vielfalt gelungen, weiter so!

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Filmstill aus dem Animationsfilm "Mein Leben als Zucchini": Die sieben kleinen Heimbewohner stehen an dem Geländer einer Steintreppe und reißen freudig die Arme in die Luft.

Mein Leben als Zucchini

Bienvenue und herzlich willkommen endlich in den deutschen Kinos, Zucchini! Das gilt natürlich auch für Camille, Simon, Alice, Jujube, Bea und Ahmed. Alle sieben haben nach schwierigen Zeiten in ihren Elternhäusern in dem freundlichen Kinderheim, dem Haus „Der Springbrunnen“, ein neues Zuhause gefunden. Die zierlichen Körper der kleinen Heimbewohner wirken mit ihren etwas zu groß geratenen Köpfen und zu langen Armen wie aus Knete modelliert. Ihre lieben Gesichter lassen die Herzen von Klein und Groß dahinschmelzen. Der neunjährige Zucchini zum Beispiel hat große runde Augen, dichtes blaues Haar, und seine schmale Nase und die großen Ohren sind rot. Bei den Erwachsenen, die sich bis auf Camilles Tante ganz rührend um die Kinder kümmern, stimmen die Proportionen. Aber auch sie sind nicht aus Fleisch und Blut. Genauso viel Liebe zum Detail wie bei den Puppenfiguren steckt in den Kulissen. Wir drei vom Hörfilmbeschreiber-Team haben so vieles wie möglich beschrieben, immer in den Pausen zwischen dem fröhlichen Geplapper der Kinder und ihren auch sehr ernst geführten Gesprächen. Für leider viel zu viele Feinheiten, die Regisseur Claude Barras und sein Team über drei Jahre in dem Animationsfilm für die ganze Familie liebevoll kreierten, war allerdings keine Zeit. Dieses Defizit machen die kleinen Synchronsprecher, die den Puppen ihre Stimmen leihen, so ziemlich wett. Ich war gleichermaßen von den kleinen Profis beim deutschen Film wie denen im französischsprachigen Original aus der Schweiz fasziniert. Dazu dieser Hörschnipsel aus der deutschen Audiodeskription: Für alle, denen zwar nicht die Bilder, aber die Gespräche und Filmgeräusche entgehen, gibt es die Untertitel. Diese sind wie die Audiodeskription über die App Greta und Starks erlebbar. Und möglich gemacht hat das gesamte Paket die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH! Warum Zucchinis Mutter ihren blauhaarigen Sohn ausgerechnet nach dem grünen Kürbisgemüse nannte, ist ihr Geheimnis, und das nimmt sie nach ihrem plötzlichen Tod mit ins Grab. Von der Liebe und dem Leben enttäuscht, war sie Zucchini bis auf wenige Ausnahmen eine sehr garstige, furchteinflößende und oft alkoholisierte Mutter. Trotzdem hat der kleine Junge während der ersten Tage im Kinderheim Heimweh und möchte auch weiterhin partout Zucchini genannt werden. Eine Bierdose und ein gelber mit Superman bemalter Winddrachen sind die einzigen Habseligkeiten, die ihm aus seinem alten Leben geblieben sind. Beide Dinge, die er immer wieder gegen den angriffslustigen Simon verteidigen muß, spielen bis zum Schluß eine wichtige Rolle. Erst als die taffe Camille mit den schönen langen braunen Haaren im Haus „Der Springbrunnen“ auftaucht, hellt sich Zucchinis Miene auf. Er empfindet sofort eine tiefe Zuneigung zu dem Mädchen und trennt sich sogar von der Bierdose, dem so gehüteten Andenken an seine Mutter. Auch zu dieser Episode ein Hörschnipsel aus der Audiodeskription: Bis auf zwei Songs komponierte die Filmmusik die Schweizer Musikerin Sophie Hunger. Zu hören sind sanfte Gitarrenmusik, traurige Celli, dann fetzige E-Gitarren, sphärische Klänge und eine fröhlich gepfiffene Melodie, die Aufbruchsstimmung verbreitet. Sophie findet mit ihrer Musik immer sehr feinfühlig den richtigen Ton zur jeweiligen Gefühlslage der Kinder. Diese sind inzwischen zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammengewachsen und haben viel Spaß. Wenn sie zu dem Lied der Schweizer Band Grauzone tanzen und singen „Ich möchte ein Eisbär sein“, geht einem das Herz auf. Der zweite Song, der nicht aus Sophies Feder stammt, ist ihre Coverversion von „Le vent nous portera“, im Original von Noir Désir. Mit der ein bißchen melancholischen Melodie endet die Hoffnung machende Geschichte über das Leben des kleinen Jungen als Zucchini und seine neuen Freunde. Inga Henkel, Lena Hoffmann und ich haben uns sehr viel Zeit für den Text der Audiodeskription genommen, den Nadja Schulz-Berlinghoff im Tonstudio der speaker-search GmbH eingesprochen hat. Seinen ersten Auftritt hatte Claude Barras mit seinen Puppen letztes Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes. Seitdem wurde er national und international mit so vielen Preisen ausgezeichnet, daß ich diese hier unmöglich aufzählen kann. Jetzt drücken wir Zucchini ganz fest die Daumen für den Oscar, und Toni Erdmann auch!

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Verschwommenes und dunkles Bild mit einzelnen Lichtpunkten und undefinierbaren Umrissen

Mein Blind Date mit dem Leben

Mit „mein Blind Date“ ist nicht meins gemeint, sondern seins, und zwar das von Saliya Kahawatte. Und sein erstes Blind Date hat er nicht mit der großen Unbekannten, sondern mit seinem Wecker. Eines Morgens kann er die Ziffern nicht mehr erkennen. Es scheint, als ob sich eine dicke Milchglasscheibe vor das Display geschoben hat. Das ist leider kein böser Traum, aus dem es ein erlösendes Erwachen gibt. Mit 15 verliert Saliya über Nacht den größten Teil seines Augenlichts. Daß eine so schwere Augenerkrankung wie aus heiterem Himmel ausbricht, ist zwar sehr selten, kommt aber öfter vor, als man denkt. Genausowenig wie die Ziffern seines Weckers kann er seine Bücher lesen. Trotzdem geht er weiterhin aufs Gymnasium und besteht dank seines eisernen Willens und seines phänomenalen Gedächtnisses das Abitur. Nach der Schulzeit lehnt er es ab, in einer Behindertenwerkstatt zu arbeiten, und fühlt sich auch nicht zum Masseur oder Telefonisten berufen. Saliya hat schon immer davon geträumt, in einem Luxushotel zu arbeiten. Die Sehbehinderung ist für ihn kein Grund, seinen großen Traum platzen zu lassen. Es zieht ihn weiter in die Welt der allgegenwärtigen zerbrechlichen Gegenstände und herumwuselnden wildfremden Menschen. Nach vielen Absagen beschließt er, seine massiven Augenprobleme zu verschweigen und prompt wird er zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Dieses verläuft zwar etwas chaotisch, aber erfolgreich. Es gelingt ihm, dem Personalchef des altehrwürdigen Münchner Luxushotels Bayerischer Hof seinen ersten Bären aufzubinden und den Sehenden vorzugaukeln. Das klingt nach einem Stoff, aus dem nur Filme gemacht werden! Die bis jetzt beschriebene Filmhandlung ist aber zugleich der Anfang einer unglaublichen Geschichte, die das wahre Leben schrieb. Der heute 47-jährige Saliya Kahawatte verarbeitete seine durchlebten Hochs und Tiefs in seinem Buch „Mein Blind Date mit dem Leben“, das 2009 veröffentlicht wurde und die Filmemacher zu diesem Film inspirierte. 15 Jahre lang bewegt sich Saliya dank seiner ausgeklügelten Täuschungsmanöver und unterstützt von wenigen eingeweihten Freunden in der Hamburger Hotelbranche, ohne daß irgend jemand etwas von seiner Sehschwäche ahnt. Im Film werden diese 15 Jahre zu den drei Ausbildungsjahren im Bayerischen Hof zusammengerafft und Saliyas letzte Schuljahre nur kurz gestreift. Die Filmhandlung, in der Kostja Ullmann in Saliyas Rolle schlüpft, gibt deshalb mächtig Gas. Bis sich Saliya in seinem neuen Umfeld und dem riesigen Hotel die Wege mit allen Stufen und Stolperfallen eingeprägt hat, stolpern wir ihm temporeich mit viel Witz und Situationskomik von einem Blind Date ins nächste hinterher. Von einem Tag auf den anderen muß er spezielle Techniken entwickeln, um heimlich und unbemerkt sein Sehdefizit in Form der dicken Milchglasscheibe auszugleichen. Wie putzt man zum Beispiel einen Spiegel nicht blind, sondern absolut schlierenfrei, und wann ist ein Weinglas perfekt poliert? Das Schneiden der italienischen Mortadella in hauchdünne Scheiben an der Höllenmaschine – ohne daß Blut fließt – will gelernt sein. Beim Mixen von Cocktails lauern gleich zwei Gefahren. Man kann sich bei der Flaschenvielfalt vergreifen und bei der Dosierung der Flüssigkeiten verschätzen. Das alles ist megaanstrengend, aber zu schaffen. Und zwar mit beharrlichem Üben, einem Ordnungssystem, in das niemand dazwischenfunkt, einem geschulten Gefühl, Gehör und Tastsinn und einem wahnsinnig guten Gedächtnis. Das größte Problem dabei wird wahrscheinlich der Zeitdruck sein und das Wissen, immer unter Beobachtung zu stehen. Aber es lauert noch ein, wie ich finde, weitaus größeres Risiko, enttarnt zu werden: In der Gastronomie wird unter dem Personal und im Service viel mit kleinen Gesten und über die Augen kommuniziert. Saliya jedenfalls ist fast rund um die Uhr unter Hochspannung und das kann auf Dauer nicht gutgehen. Aber er hat ja Freunde, auf die er sich verlassen kann. Ich konnte mich während des Films auf die Audiodeskription in meinem Ohr verlassen, ohne die mein Kinobesuch ein Blind Date geblieben wäre. Die ruhige Stimme des Sprechers hing immer über Saliya wie ein guter Geist. Bei seinem Blind Date habe ich auch einige Parallelen zu meinem Blind Date mit dem eigenen Leben feststellen können. Dem sehr jungen Publikum im ausverkauften Kinosaal gab der Film dagegen auf amüsante und lockere Weise einen Einblick in die Welt der nicht bzw. schlecht sehenden Menschen. Es wurde mit Saliya gelitten und sich gefreut, wie er sich durchschlägt. Das fand ich super!

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Mit einem Sektglas in der Hand, einer roten Clownsnase, einer glitzernden Fliege um den Hals, einer leuchtenden pinkfarbenen Brille auf der Nase und einem kegelförmigen Partyhut auf dem Kopf, pustet die Blindgängerin in eine längliche Tröte. Die Lampe hinter ihr ist mit Girlanden, Luftschlangen und einem Lampignon geschmückt.

Miss Sophie in freudiger Erwartung!

Übers Jahr ist es um Miss Sophie immer sehr still, bis sie sich alle Jahre wieder am 31. Dezember zur Feier ihres 90. Geburtstags zurückmeldet. So soll auch der diesjährige Silvesterabend ihr ganz besonderes Fest sein! Mit nur einem Festtag gab sich die 1876 in Dresden geborene Malerin Paula Modersohn-Becker nicht zufrieden. „Mein Leben soll ein Fest sein“ war ihre Devise. Dem Regisseur Christoph Schwochow ist ein wunderschöner Film über Paulas aufregendes, viel zu kurzes Leben gelungen. Den Film „Paula“ kann man sich gerade im Kino auch mit einer toll gemachten Audiodeskription über die App Greta anschauen. Das gute Gelingen von Miss Sophies Fest liegt eigentlich ausschließlich in den behandschuhten Händen ihres Butlers James. Aber jetzt schon zum zweiten Mal in Folge wird die treue Seele beim dritten Gang des Geburtstagsmenüs von gleich sechs Kolleginnen und Kollegen abgelöst. Kübra Sekin serviert das Huhn mit waghalsigen Manövern rollstuhlfahrenderweise. Carina Kühne mit dem Downsyndrom kümmert sich ganz reizend um das Wohl der alten Dame und die Blindgängerin torkelt und kleckert nicht nur einmal mit Champagner. Der kleinwüchsige Mathias Mester, der gehörlose Eyk Kauly und der kurzarmige Rainer Schmidt bemühen sich ebenfalls auf ihre ganz spezielle Weise um die Gastgeberin und ihre virtuellen Gäste. Aber noch ist es nicht soweit und ich nutze die Zeit für einen kurzen Blick zurück und nach vorn. 2016 konnte ich aus Zeitgründen nur knapp halb so viele Blogbeiträge veröffentlichen wie vergangenes Jahr. Der gute Grund dafür ist die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH! Zwei Filme stattete sie in diesem Jahr zum Kinostart mit einer Audiodeskription und Untertiteln aus. Den Anfang machte am 13. Oktober „Welcome to Norway“. Weiter ging es mit der schwedischen Weihnachtskomödie „Eine schöne Bescherung“, die aktuell noch in den Kinos läuft. Für den Familienfilm „Mein Leben als Zucchini“, der am 16. Februar 2017 in die Kinos kommt, ist die barrierefreie Fassung auch schon fertig. Ermöglicht wurden diese drei Prozeduren durch die enge und freundliche Zusammenarbeit der jeweiligen Verleiher mit unserem kleinen, aber feinen Team. Zu diesem gehören die Hörfilmbeschreiberin Inga Henkel und die freiberuflich tätige Kultur- und Filmwissenschaftlerin Lena Hoffmann. Die speaker-search GmbH übernimmt die technische Abwicklung von A bis Z und hat immer ein offenes und vor allem geduldiges Ohr für meine vielen Fragen. Das gilt übrigens auch für die Leute von Greta und Starks. Aber nichts ginge ohne den Mann im Hintergrund. Jürgen Schulz hält als Mitgeschäftsführer den Laden am Laufen und kümmert sich um die so lästige Bürokratie. Sehr viel Vergnügen bereitet ihm allerdings das Ausstellen von Spendenbescheinigungen und diesbezüglich hat er noch reichlich freie Kapazitäten!!! Die Produktionskosten für „Welcome to Norway“ und „Eine schöne Bescherung“ sind gedeckt. Das gelang mit Hilfe des Engagements des Verleihs Neue Visionen, des DGB Niedersachsen und der Spendengelder, die größtenteils aus dem Familien- und Freundeskreis kamen. Bei „Mein Leben als Zucchini“ erhielten wir Unterstützung vom SRF (Schweizer Fernsehen), nochmals ein Dank und Grüße nach Zürich! Dennoch fehlen für das Projekt noch ca. 4.300,00 Euro. Für diesen Betrag ging die Kinoblindgänger gGmbH in Vorlage und im Jahr 2017 soll es ja auch mit neuen Prozeduren weitergehen! Mit diesem Wink mit dem Zaunpfahl und einer Pappnase verabschiede ich mich für dieses Jahr, wünsche einen guten Rutsch und viel Spaß beim Dinner for One wieder einmal „ganz anders“! https://www.youtube.com/watch?v=vuewNWQtayM

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Die Blindgängerin als Weihnachtsmann verkleidet vor einem großen Weihnachtsbaum, an dem rote und goldene Kugeln glitzern.

Eine schöne Bescherung

„Alle Jahre wieder…“ …hat die Hektik der Vorweihnachtszeit an Heiligabend ein Ende und es kehrt Ruhe ein! Die Geschenke sind verpackt, das Essen vorbereitet, und man versammelt sich um den hübsch geschmückten Weihnachtsbaum. Einem besinnlichen und harmonischen Weihnachtsfest im Kreis der Familie steht eigentlich nichts mehr im Wege. Die Kinder, bislang vom Weihnachtsstreß der Erwachsenen unbeeindruckt, werden allmählich ungeduldig und die Frage wird drängender, wann endlich… „…kommt das Christuskind“ Es darf aber auch der Weihnachtsmann sein! Oscar und Simon warten eher nicht auf den Mann mit dem weißen Rauschebart, aus diesem Alter sind sie mit ihren 27 Jahren auch längst raus. Vielmehr erwarten die beiden mit leicht gemischten Gefühlen ihre Familien, die sie zum Weihnachtsabend in ihr neues gemeinsames Zuhause eingeladen haben. Oscar und Simon sind seit drei Jahren ein glückliches Paar. Es ist also höchste Zeit, die Eltern miteinander bekannt zu machen. Kurz bevor die Bagage eintrifft, laufen die Vorbereitungen für das Festmahl immer noch auf Hochtouren. Auf den letzten Drücker wird leider erfolglos versucht, laktosefreie Sahne für den versprochenen Reispudding aufzutreiben. Dieser darf bei einem schwedischen Weihnachtsmenü genausowenig fehlen wie marinierter Hering mit Kartoffeln, Fleischklößchen und, nicht zu vergessen, der traditionelle Weihnachtsschinken. Das verfrühte Auftauchen Oscars fünfköpfiger Familie trägt schließlich auch nicht gerade zur Entspannung der Lage bei. „Eine schöne Bescherung“ ist also bereits ab dem 22. Dezember in den Kinos vorprogrammiert! Mit dieser Weihnachtskomödie bescherte die schwedische Regisseurin Helena Bergström ihren Landsleuten schon letztes Jahr zur Weihnachtszeit ein extrem wortwitziges, aber auch warmherziges Kinoerlebnis. Vor einigen Jahren stieg der in Schweden sehr beliebte Komiker Robert Gustafsson als Hundertjähriger aus einem Fenster und verschwand. Hier ist er als Oscars Vater nur am Herumnörgeln und Kritisieren und bleibt. Ihm mißfällt, daß sich sein Sohn gemeinsam mit Simon dieses Häuschen gekauft hat und läßt an dem Brutkasten, wie er es nennt, kein gutes Haar. Mißtrauisch beäugt er auch die anwesende hochschwangere junge Frau namens Cissi, zu der Oscar und Simon ein sehr vertrautes Verhältnis zu haben scheinen. Eine friedliche und harmonische Stimmung will sich bei dem Fest der Liebe nicht so recht einstellen, woran auch Simons Familie nicht ganz unbeteiligt ist. Die Nervosität der Gastgeber steigt mit jeder Filmminute und auch Cissi läßt ihrem Unmut über den Verlauf des Abends zunehmend freien Lauf. Hier ist der Filmtrailer: https://www.youtube.com/watch?v=4Lw3jXRDcGE Bei diesem turbulenten Weihnachtsfest kann auch Marie wie alle Kino-blindgänger nach Herzenslust mitfeiern und mitlachen. Eine Audiodeskription sowie Untertitel für Gehörlose, ermöglicht von der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH, werden über die Apps Greta und Starks verfügbar sein. Natürlich auf den letzten Drücker, wie für Weihnachtsgeschenke symptomatisch, aber doch rechtzeitig zum Kinostart am 22.12.2016! Bis, wie alle Jahre wieder, endlich Ruhe einkehrt, müssen zwar noch einige Türchen im Adventskalender geöffnet werden, ich wünsche aber trotzdem schon einmal „God Jul“! Frohe Weihnachten!

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Vor einem Waldrand stapelt die rußverschmierte Blindgängerin Holzscheite zu einem Haufen.

Das kalte Herz

„Das Leben ist kein Wunschkonzert“ Mit dieser gerappten Erkenntnis beginnt der Refrain des Songs „Wünsch dir was“ der Hip-Hop-Band Genetikk aus dem Jahr 2015. Die Toten Hosen hatten schon vor 23 Jahren auf ihrer LP „Kauf mich!“ einen gleichlautenden Titel natürlich im Stil des Punk Rock veröffentlicht. Abgesehen von den Passagen, die von einem Kinderchor gesungen werden, haben die beiden Versionen von „Wünsch dir was“ nichts gemeinsam. Ob man nun Fan von Rap ist oder diesen eher als Nörgelgesang abtut, die Band Genetikk setzt sich in ihrem Werk intensiv und sozialkritisch mit den Risiken und Nebenwirkungen des Wünschens auseinander. Auch Wilhelm Hauff erzählt in „Das kalte Herz“ eine seitdem bereits mehrfach verfilmte Geschichte rund um das Wünschen und was dabei alles schieflaufen kann. Der Regisseur Johannes Naber wiederum erfüllte sich mit seinem vor kurzem in den Kinos gestarteten Film „Das kalte Herz“ seinen Wunsch, einmal ein Märchen zu drehen. Also, es war einmal ein junger Mann namens Peter Munk, der mit seinen Eltern im Schwarzwald in der Nähe des Dorfes Gutach lebte, nein, im Film lebt er! Dort gehen Vater und Sohn dem Handwerk der Köhlerei nach und produzieren Holzkohle, indem sie Holz in ihrem Kohlenmeiler verschwelen. Holzkohle, die heute nur noch in Grills geschüttet wird, brauchte man damals unter anderem für die Glasherstellung und die Verarbeitung von Edelmetallen. Aber als Wilhelm Hauff um 1825 sein Märchen schrieb, hatte der Verdrängungsprozeß der Holzkohle durch die Steinkohle schon längst begonnen. Die wirtschaftliche Lage der Köhlerfamilie Munk ist alles andere als rosig. Rußverschmiert versuchen sie in der Umgebung, mit ihrer schmutzigen Holzkohle goldene Kohle zu machen, und werden dabei von den Dorfbewohnern behindert, bedroht und boykottiert. Wie gering der Berufsstand der Köhler geschätzt wird, bekommt Peter auch im Wirtshaus zu spüren. Dort wird er verspottet und bei der Kirmes vom Tanzboden verjagt. Aber glücklicherweise ist die Märchenfigur Peter Munk ein Sonntagskind und hat deshalb beim Glasmännchen drei Wünsche frei. „Paß gut auf, was du dir wünschst“ Diesen Ratschlag der Rapper sollte man unbedingt beherzigen, wenn klar ist, daß sich das Gewünschte unwiderruflich erfüllt. Aber wen hätte der Kohlenmunk-Peter nach dem plötzlichen Tod seines Vaters zu den Risiken und Nebenwirkungen befragen sollen? In den Bergen unter einer riesigen Tanne trifft er schließlich das Glasmännchen, einen den Menschen wohlgesonnenen Waldgeist, und vergeigt’s prompt. Mit seiner herrlich knarzenden Stimme regt sich das Glasmännchen ganz fürchterlich über so wenig Verstand beim Wünschen auf. „Jedem Wunsch folgt eine Konsequenz“, rappt es weiter. Peters erster Wunsch, der beste Tänzer im Dorf zu sein, ist genauso unsinnig wie harmlos in seiner Konsequenz. Das Herz der anmutigen Lisbeth, das er mit seinen Tanzkünsten zu gewinnen erhofft, hatte er doch schon  erobert, ohne es zu ahnen. Der zweite Wunsch, im Wirtshaus immer exakt genauso viel Geld in den Taschen zu haben wie der reiche Holzhändler Etzel, ist genauso dumm wie ruinös. Wie gewonnen, so zerronnen! Also muß er sich noch einmal hilfesuchend in den finsteren Wald wagen. Die Römer mieden vor 2000 Jahren die riesige, dunkle und scheinbar undurchdringliche Waldfläche, die sie von den Höhen der Alpen aus erblickten. Es heißt, sie gaben ihr damals den Namen „silva nigra“, schwarzer Wald. Wunsch Nummer drei, Besitzer der größten Glasmacherei zu sein, hilft ihm auch nicht aus seiner Not, weil er die Kunst des Glasmachens nicht beherrscht. „Wir sind gierig und das ist, was uns vernichtet“, so die Hip-Hopper. Ganz in der Nähe des Glasmännchens treibt ein weiterer Waldgeist, der menschenverachtende riesige Holländer-Michel, in einer Felshöhle sein teuflisches Unwesen. Jeder, der dessen großzügige finanzielle Unterstützung annimmt, verläßt die Höhle als ein anderer Mensch und wird bis an sein Lebensende nie mehr sein Herz spüren. „Und die Moral von der Geschichte, all unsere Wünsche kosten Seelen“ Diese Zeile aus dem Song „Wünsch dir was“ beschreibt ganz treffend den Scherbenhaufen, den der Peter nach seinem Besuch beim Holländer-Michel mit seiner Herzlosigkeit und Skrupellosigkeit angerichtet hat. Aber Ende gut, alles gut, und er bekommt gerade noch rechtzeitig die Kurve. Die Drehbuchautoren hielten sich nicht gerade strikt an das ursprüngliche Märchen und die früheren Verfilmungen. Meine Erinnerungen an „Das kalte Herz“ aus der Schulzeit sind nur noch rudimentär. Deshalb konnte ich mich im Kino vom Geschehen auf der Leinwand und der mystischen Stimmung einfach mitreißen lassen, ohne auf ein bestimmtes Ereignis oder Detail zu lauern oder mich über etwas Unerwartetes zu wundern. Ich habe mich schön gegruselt, geschaudert oder mich einfach von den vielen tollen Stimmen und der Musik verzaubern lassen. Die vielen Menschen, die zu den tollen Stimmen gehören, kann ich unmöglich alle aufzählen, also lasse ich es ganz sein. Für die Audiodeskription hätte man keine passendere Stimme auswählen können. Die Sprecherin erzählte mit ihrer natürlichen und doch geheimnisvollen, eher tieferen und ruhigen Stimme von den Guten und den Bösen, deren Bekleidung und dem Treiben im Dorf. Auch die beeindruckende Kulisse des Schwarzwaldes, die Natur und die doch sehr gruseligen Szenen in der Höhle des Holländer-Michel wurden so ausführlich wie möglich beschrieben. Hier gibt es ein kurzes Hörbeispiel. Aber jetzt ist die Märchenstunde vorbei und ich halte es mit der letzten Zeile von „Wünsch dir was“ und „mach die Augen zu und wünsch mir was“.  

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Auf dem Bahnsteig eines Fernbahnhofes, im Hintergrund ein haltender ICE. Die Blindgängerin hat rote Kopfhörer auf. Sie trägt einen blauen Schal, Lederjacke und Jeans. In den Händen hält sie ein großes Schild. Es zeigt die norwegische Nationalflagge mit der Aufschrift: Welcome to Norway.

Welcome to Norway!

Vorsicht, ein Zug fährt ein! Der Zug ist schwarz und hält nach zwei kurzen Aufenthalten in Emden-Norderney und Leipzig pünktlich am 13. Oktober auf einen Schlag in ca. 100 Kinos. Erst mit dem Erwerb eines Tickets an der Kinokasse geht die Fahrt dann weiter, und zwar auf der Leinwand. Die Endstation heißt aber nicht Sehnsucht, sondern „Welcome to Norway!“ Und noch einmal Vorsicht, es wird auch geschossen! Mit dem Kinostart dieses besonderen Films fällt nämlich gleichzeitig der Startschuß der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH. Lange habe ich diesen Moment herbeigesehnt! Marie kann sich wie alle Kinoblindgänger ab sofort die akustische Bildbeschreibung zu „Welcome to Norway“ mit ihrem Smartphone und Kopfhörer über die App Greta und Starks in wirklich jedem Kinosaal ins Ohr flüstern lassen. Schon Anfang Juni weckte der Film bei seiner ersten Station in Deutschland beim Internationalen Filmfestival in Emden-Norderney meine Neugierde. Und dann ging es auch schon los! Die Autorin Inga Henkel schrieb für die Audiodeskription den Text, den wir dann gemeinsam überarbeitet haben. Das Ergebnis sprach die Sprecherin Nadja Schulz-Berlinghoff im Tonstudio der speaker-search GmbH mit ihrer schönen, ruhigen und klaren Stimme in die Dialogpausen ein. Die Regie während der Aufnahme führte Moira May und ich war natürlich auch dabei. Hier eine kurze Hörprobe: Das Fazit aller an diesem Prozeß Beteiligten über „Welcome . .“: Große Begeisterung! Zu meiner Begeisterung übernimmt der Verleih Neue Visionen die Hälfte der Produktionskosten für die Audiodeskription und Untertitel, letztere gibt es nämlich auch. Sehr spontan und unbürokratisch bekam die Kinoblindgänger gGmbH auch einen Zuschuß für die barrierefreie Ausstattung von „Welcome to Norway“ vom Deutschen Gewerkschaftsbund, ganz genau vom DGB-Bezirk Bremen – Niedersachsen – Sachsen-Anhalt. Diesen beiden unerwarteten Unterstützern und natürlich unseren Spendern und Spenderinnen gilt ein großes und herzliches Dankeschön! Und jetzt einige Details zum Film, einer Komödie trotz oder gerade wegen des ernsten und traurigen Hintergrunds! In dem sehr dünnbesiedelten und bergigen Teil Norwegens nahe der schwedischen Grenze hat der schwarze Zug schließlich sein Ziel erreicht und kommt in einem kleinen Bahnhof zum Stehen. Sofort strömen die Fahrgäste aus aller Herren Länder hinaus in die klirrende Kälte auf den Bahnsteig, den sie mit ihrem aufgeregten Stimmengewirr und viel Gepäck aus seinem Dornröschenschlaf wecken. Dort werden sie bereits von dem Hotelbesitzer Primus erwartet. Anfangs noch sehr entspannt und gut gelaunt, versucht er, die Ankömmlinge in den bereitgestellten Reisebus zu lotsen. Seine Laune trübt sich allerdings schlagartig, weil er drei Leute in seinem Privatwagen mitnehmen soll. Der Bus ist zu klein. Als Erster ergreift Abedi während der Fahrt das Wort. Der sympathische junge Mann kommt nicht nur im Film als Flüchtling aus dem Kongo. Er beherrscht als Einziger der großen Gruppe die norwegische Sprache und wird sich für Primus noch als unverzichtbare Hilfe erweisen. Zoran ist Anfang 40 und stammt aus Libyen. Übellaunig und skeptisch beobachtet er die Ankunft in der norwegischen Provinz und hat sich sofort auf Primus, den wie er meint, „Scheiß-Wickinger“, eingeschossen. Das riecht nach Ärger! Mona aus dem Libanon hält sich dagegen eher zurück, aber stille Wasser sind tief. Sie ist ungefähr im selben Alter wie die 18-jährige Oda, die Tochter von Primus, die ihren Vater bei der Abholaktion begleitet. Die drei in Primus Wagen, Abedi, Zoran und Mona, sind die zentralen Filmfiguren unter den insgesamt 50 Flüchtlingen, die sich nun in der Obhut des Hotelbesitzers befinden. Nach der Fahrt durch die einsame verschneite Landschaft dirigiert Primus die Menschen in sein Hotel und begrüßt sie mit den Worten: „Welcome to this beautiful refugee camp” Erst dann erkundigt er sich, wer überhaupt Englisch verstehen oder sprechen kann, es sind nur zwei. Mit der “schönen Flüchtlingsunterkunft” meint er sein heruntergekommenes Hotel, in dem gerade einmal die Hälfte der Zimmer auch nur provisorisch bewohnbar ist. Der norwegische Regisseur Rune Denstad Langlo hieß neben dem Darsteller des Abedi auch als Statisten durchweg ehemalige Flüchtlinge in seinem Film willkommen. Einige haben Sprechrollen und all diese Menschen gemeinsam machen aus dem Film etwas ganz Besonderes. Mit kleinen Gesten vermitteln sie die Einsamkeit fern der Heimat und die traurige Stimmung und Langeweile in einer Flüchtlingsunterkunft. Es wird aber auch gemeinsam angepackt, gekocht, gefeiert, Fußball geschaut oder Tischtennis gespielt und natürlich auch gestritten. Für sehr viel Situationskomik sorgen die Sozialarbeiterin Leni und vor allem Primus, der an wirklich allen Fronten zu kämpfen hat und herzerfrischend politisch unkorrekt durch sein Hotel tobt. Von der für jeden Moment passend ausgewählten wunderbaren und unverwechselbaren Filmmusik gibt es eine Hörprobe und mehr im Trailer unter dem Link: Also Marie, schnapp dir dein Smartphone und spring mit deinen Freunden in den Zug gen Norwegen! Und pack die Kopfhörer ein!

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Vor einer Gartenhecke stehen zwei kleine Bäume. In der Krone des vorderen sitzt die Blindgängerin im direkten Sonnenlicht und hält sich an den Ästen fest. Sie ist barfuß und trägt ein ärmelloses gelbes Top zu einem kurzen weißen Rock.

El Olivo

Die spinnen ja nicht, die Römer, und pflanzen einen Olivenbaum in Düsseldorf. Schon 55 Jahre vor Christus hätten sie dazu die Möglichkeit gehabt. Damals machten sich die Römer für einige Jahrhunderte auf dem Gebiet des heutigen Köln links des Rheins breit. Von dort wäre es zu dem vierzig Kilometer stromabwärts entfernten Düsseldorf auf der anderen Rheinseite ein Katzensprung gewesen. Aber als sich Düsseldorf aus mehreren kleinen Dörfern ganz allmählich zu der Stadt entwickelte, die sie heute ist, war die Zeit der Römer längst vorbei. Hinzu kommt, daß Olivenbäume genauso wie ich mediterranen Klimazonen den Vorzug geben, wie zum Beispiel der Region des Bajo Maestrazgo, des Grenzgebietes zwischen Valencia und Katalonien. Auch dort trieben sich einst die Römer herum und vielleicht stimmt es, was Ramón 2000 Jahre nach Christus seiner Enkelin Alma voller Stolz erklärt: „Den hier sollen die Römer gepflanzt haben, der Baum ist über zweitausend Jahre alt.“ Mit einem Stammumfang von über acht Metern ist er der Mächtigste in Ramóns Olivenhain und spielt die Hauptrolle in dem Film „El Olivo“. In seiner knorksigen Rinde kann man sogar zwei Augen und einen Mund ausmachen. Aber leider bringt er kein Wort über die Lippen, wo er doch bestimmt viel Interessantes zu erzählen hätte. Wie klein und zerbrechlich scheint dagegen das erst 12 Jahre junge Olivenbäumchen auf meinem Foto. Sein noch ganz glatter Stamm hat einen Umfang von gerade einmal 56 cm. Aber für mich war es stark genug und Oliven trägt es auch schon seit einigen Jahren. Den Großvater und seine achtjährige Enkelin Alma verbindet vor allem ihre Liebe zu dem uralten Olivenbaum, aber die glücklichen Stunden des Trios sind gezählt. Einen Schauspieler zu finden, dessen Gesicht und Hände von der jahrelangen harten Arbeit bei glühender Hitze in den Oliven gezeichnet sind, hat man erst gar nicht versucht. Ramón und auch die kleine Alma stammen aus derselben Region wie der Olivenbaum und sind beide keine professionellen Darsteller. Und so wie Ramón aussieht, klingt er auch, wie man entweder bei der spanischen Filmfassung oder zumindest im spanischen Trailer hören kann. Mit seiner sehr harten, rauen, energischen und leicht nasalen Stimme erteilt er der Absicht seines Sohnes Luis, den geliebten Olivenbaum für 30.000 Euro zu verkaufen, sehr schroff eine Absage. Trotzdem ist kurze Zeit später das Aufheulen und Dröhnen von Motorkettensägen und anderem schweren Gerät zu hören. Dem prächtigsten Olivenbaum in Ramóns Olivenhain geht es an den Kragen. Dieses Drama kann die kleine Alma auch nicht mit ihrer spontanen Baumbesetzung abwenden. Zurechtgestutzt, entwurzelt und für die lange Reise nach Düsseldorf vorbereitet wird aber nur ein extra für die Dreharbeiten aufwendig konstruiertes und zum Verwechseln ähnliches Double des Originals. Ramóns Freund, der Baum, ist zwar nicht tot, aber fort. Seit diesem Ereignis kommt kein Wort mehr über die Lippen des Großvaters. Damit ist der Geräuschpegel in der Familie aber kein bißchen gesunken. Wenn Spanier sich einfach nur unterhalten, hört sich das fast so an, als ob sie sich jederzeit an die Gurgel springen. Im Streit, und gestritten wird hier sehr viel, peitschen höllisch schnell gesprochene gewaltige Wortsalven durch die Luft. In der deutschen Fassung geht es mit den sehr treffend ausgewählten Synchronstimmen etwas gemäßigter zu. Als Nutzerin der App Greta hatte ich noch zusätzlich den Sprecher der Audiodeskription im Ohr. Mit seiner beruhigend tiefen Stimme läßt er sich auch bei der Beschreibung von Almas wildesten Tanzeinlagen nicht aus der Ruhe bringen. Er bleibt standhaft wie ein Baum. Die knapp sieben fetten Jahre des spanischen Baubooms sind längst vorbei und Almas Vater Luis hat die 30.000 Euro Erlös für den Olivenbaum im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt. Die nun folgenden mageren Jahre wollen kein Ende nehmen. Im achten Jahr faßt die inzwischen 23-jährige Alma einen Entschluß. Mit ihrem Onkel Alcachofa und Rafa, einem Arbeitskollegen, der still in sie verliebt ist, startet sie eine sehr abenteuerliche Rückholaktion, hola nach Düsseldorf! Koste es was es wolle, will sie ihrem Großvater den Baum und damit sein Leben und seine Sprache zurückgeben. Den Ausverkauf unzähliger sogenannter „Milenarios“, der uralten riesigen Olivenbäume, in alle Welt hat es besonders während des Baubooms in Spanien wirklich gegeben. Nach einer Reise in die Region des Bajo Maestrazgo und vielen Gesprächen mit den Menschen dort dachte sich der Drehbuchautor Paul Laverty die Geschichte um eines dieser traurigen Schicksale aus. Die Regisseurin Icíar Bollaín läßt diese Geschichte von charismatischen Darstellern mit viel Gefühl, spanischem Temperament und sehr großer Spielfreude erzählen. Sie gibt der Erzählung etwas Märchenhaftes und Hoffnungsvolles, ohne dabei den Blick auf die Realität zu verlieren, mit der vor allem die junge Generation des krisengeschüttelten Spanien heute noch zu kämpfen hat. Im Alten Testament bei der Geschichte von Noah und seiner Arche war ein Olivenzweig, damals im Schnabel einer Taube, schon einmal ein Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang!

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Auf einer Wiese unter blauem Himmel steht eine etwa einen Meter hohe Wand aus grauen Platten, obenauf liegt eine graue Röhre. An der Wand ein Schild: Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin. Hinter der Mauer ist die bayerische Flagge gehißt und ein künstlicher Schweinskopf schaut über den Rand. Vor der Mauer steht die Blindgängerin. Sie trägt ein blauweißkariertes Shirt und eine kurze Trachtenlederhose. Mit einer vollen Maß Bier prostet sie in Richtung Kamera.

Schweinskopf al dente

„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten…“ …quäkte Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 bei einer Pressekonferenz in Ostberlin mit seiner kehligen und monoton emotionslosen Stimme. Von dieser Stunde an hing das Wörtchen „Mauer“ in der Luft und schon zwei Monate später zog sich die „Niemandsabsicht“ erschreckend real quer durch Berlin. 55 Jahre später, am 13. August 2016, war das Einzige, was während meiner knapp siebenstündigen Zugfahrt von München nach Berlin kontrolliert wurde, die Fahrkarte. Der Eberhofer Franz würde die Abschaffung der innerdeutschen Grenze vor 27 Jahren vielleicht mit einem „das ist schön“ oder „wunderboar“ kommentieren. Er ist die zentrale Filmfigur im „Schweinskopf al dente“ und sorgt als Dorfpolizist in dem bayerischen Fantasiedorf Niederkaltenkirchen für Ruhe und Ordnung. Als ob speziell für diesen Schweinskopf über Nacht zum Kinostart am 11. August 2016 eine Mauer nach Berliner Vorbild errichtet worden wäre, kann er aber die bayerische Landesgrenze nicht wie jedes andere Schwein einfach so passieren. Er darf sich nur in bayerischen Kinos aufhalten, immerhin 130 an der Zahl. Dazu hätte der Eberhofer, der nie mit seiner Meinung hinterm Berg hält, möglicherweise ein „Schweinerei“ oder „Sauerei“ gebrummelt. Dem „Winterkartoffelknödel“ und dem „Dampfnudelblues“, den beiden vegetarischen Vorgängern des Schweinskopfes, ging es diesbezüglich nicht besser. Einer der Gründe dafür könnte sein, daß in den drei urig bayerischen Kriminalkomödien natürlich die bayerische Mundart par excellence im Original und ohne hochdeutsche Untertitel gepflegt wird. Ausgedacht hat sich die mittlerweile sieben in sich abgeschlossenen Kriminalgeschichten rund um das 1000 Seelen zählende Niederkaltenkirchen die Münchnerin Rita Falk. Bis auf den Schweinskopf haben alle Titel mit typisch bayerischen Gerichten zu tun. Die Frau war wohl auch beim Schreiben entweder sehr oft hungrig oder wollte ihren Lesern einfach nur so den Mund wässrig machen. Beim Hören der ersten drei Romane hätte ich mich am liebsten zur obercoolen Oma vom Franz mit an den Tisch gesetzt. Da gab es Knödel, Schweinsbraten mit Soße, Haxen, lauwarmen Kartoffelsalat und Früchtequark und Apfelstrudel und so weiter. Einen Durscht muß die Autorin ebenso gehabt haben. Zum Feierabend trifft man sich in der Dorfkneipe vom Wölfi mit reichlich Bier zu vielen Prosits auf die Gemütlichkeit. Dem dorfansässigen Ein-Mann-Sanitärbetrieb hat sie gleich den Namen der in Rosenheim ansässigen Flötzinger Privatbrauerei verpaßt, die schon im Jahr 1543 gegründet wurde. Deshalb genehmigten auch wir uns zur Stärkung vor dem „Schweinskopf al dente“ auf der Leinwand ein allerdings anderes Teil vom Schwein ganz real auf dem Teller, dazu ein zünftiges Weißbier. Dann ging es zum Cadillac Veranda Kino am Münchner Rosenkavalierplatz. Im diesem Kino sitzt man nicht nur einfach in einem Kinosaal, sondern wie in einem überdimensionierten Cadillac. Kurz bevor die Vorstellung Fahrt aufnimmt, blickt man noch einmal prüfend in den gigantischen Rückspiegel. Dann erst wird dieser hochgefahren, um die Sicht auf die Leinwand freizugeben. Für mich war es dann an der Zeit, die über die App Greta auf meinem Smartphone mitgebrachte Audiodeskription zu starten. Neben unzähligen visuellen Schmankerln beschrieb der Sprecher mit seiner sehr angenehmen Stimme, aus der das Bayerische gerade noch so herauszuhören war, die teilweise schon recht skurrilen Bewohner Niederkaltenkirchens. Falls sie nicht zwischendurch versterben, tauchen sie in zumindest den ersten drei Krimis immer wieder auf und genau davon leben diese Geschichten. Es kommen aber auch immer wieder Fremdlinge dazu, wie z. B. Mörder, Leichen oder wie hier der Schweinskopf, der gezielt als angsteinflößendes Objekt herhalten muß und diese Aufgabe auch einwandfrei erfüllt. Bei allen drei bis jetzt in den Kinos gelaufenen Filmen hatte ich den Eindruck, als ob die von Rita Falk erdachten Figuren einfach so aus den Büchern auf die Leinwand gesprungen wären. Aber das Herüberbringen der Stimmung in der bayerischen Provinz, so wie man sie sich vorstellt, und die Handlung mit ihrer Situationskomik ist dem Schweinskopf mit Abstand am besten gelungen! Der Franz Eberhofer ist der Einzige, der es mit allen anderen Figuren zu tun bekommt, und zwar ob er will oder nicht. Er ist Sohn, Enkel, Bruder, Schwager und Onkel, locker verbandelt mit der Susi, Kunde beim Metzger Simmerl, dem „Heizungs-Pfuscher“ Flötzinger und Stammgast beim Wirt Wölfi. Der Rest ergibt sich aus seiner Funktion als Dorfpolizist. Das alles scheint der Schauspieler Sebastian Bezzel auch dank des sauguten Zusammenspiels mit all den anderen charismatischen Darstellern genauso leicht zu stemmen wie einen Maßkrug. Nach einer ganz kurzen Gewöhnungsphase konnte ich den bayerischen Wortgefechten problemlos folgen, das mit dem Maßkrug war da schon viel schwerer! Und wer weiß, vielleicht schafft der Schweinskopf ja noch mit letzter Kraft den Hopser über die Mauer und beglückt Kinobesucher auch über die bayerische Grenze hinaus. Schaun mer mal!

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Toni Erdmann

Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muß sich der Berg eben zum Propheten bewegen. Der Prophet ist in diesem Fall eine Prophetin und heißt Ines Konradi. Die junge Frau, Mitte 30, lebt zurzeit in Bukarest, wo sie sehr erfolgreich als Unternehmensberaterin arbeitet. Der Berg, der sich vernachlässigt fühlt, ist ihr Vater Winfried Konradi, ein gerade pensionierter Musiklehrer mit viel Zeit. Also beschließt er, seine gestreßte Tochter zu ihrem Geburtstag mit einem Überraschungsbesuch zu beglücken. Der Papa hatte bei mir sofort einen „Stein im Brett“. Als er seinen altersschwachen Hund Willi partout nicht überreden kann, sich ins Haus zu bewegen, verbringt Winfried die Nacht gemeinsam mit dem Tier im Garten auf der Erde schlafend. Am nächsten Morgen liegt Willi tot unter einem Baum. Er hat sich und seinem Herrchen den schrecklichen letzten Weg zum Tierarzt erspart. Oft steht die Freude des Überraschers im umgekehrten Verhältnis zu der des Überraschten. So ist Ines, was die Reine, Heilige, Geweihte und Keusche bedeutet, nur wenig über das plötzliche Auftauchen ihres Vaters in Bukarest begeistert, wo er sich in ihr Privatleben und berufliches Umfeld einmischt. Zudem hat die Prophetin nach wie vor keine Zeit. Ihr Job besteht aber nicht darin, göttliche Botschaften zu verkünden. Sie versucht gerade, ihrem wichtigsten Kunden das von ihr ausschließlich unter irdischen Gewinnoptimierungsaspekten entwickelte Konzept als das Profitabelste zu verkaufen. Nach einigen Tagen scheint der Berg zu kapitulieren und den Rückzug anzutreten. Aber Winfried, der Friedensuchende, bleibt und schlüpft in die Identität des Toni Erdmann. Wahrscheinlich bin ich die Einzige, die mit Ion Tiriac, dessen Coach und Tennisfreund Toni Erdmann zu sein vorgibt, nichts anfangen konnte. Falls es noch jemandem so geht: Er ist inzwischen der reichste Mann Rumäniens und war einst ein sehr erfolgreicher Tennisspieler und Manager u.a. von Boris Becker. Mit der Figur Toni Erdmann kommt allmählich etwas Schwung in die festgefahrene Vater-/ Tochterbeziehung. Im vollbesetzten Kinosaal gab es Szenenapplaus für eine fast fünfminütige musikalische Einlage. Toni Erdmann am Keyboard und Ines, die er als die fabelhafte Sängerin Whitney Schnuck vorstellt, geben „The Greatest Love of All“ zum Besten. Nach einigen Takten beginnt Ines etwas unsicher zu singen, faßt dann immer mehr Vertrauen zu ihrer Stimme und wagt sich selbstvergessen und mit Inbrunst in die höchsten Tonlagen. Hinter Whitney Houston, die 1986 mit ihrer Coverversion dieses Songs einen Nummer-eins-Hit landete, braucht sie sich keinesfalls zu verstecken. Kaum ist der letzte Ton verklungen, erwacht sie wie aus einem Tagtraum und stürmt in ihr als reine Schlafstätte genutztes Appartement. Nachdem dort ein Cateringservice das Buffet für ihre Geburtstagsfeier aufgebaut und das Wohnzimmer mit etwas Deko wohnlicher gestaltet hat, ist es höchste Zeit, sich in das passende Party-Outfit zu stürzen. Das erweist sich als ein sehr verzwicktes und verwurschteltes Unterfangen und endet mit einem für ihre Gäste verblüffend minimalistischen Ergebnis. Minimalistisch war auch meine Hoffnung, die Hörfilmbeschreibung für Toni Erdmann in meinem Lieblingskino unkompliziert in mein Ohr geflüstert zu bekommen. Zwei Tage vorm Kinostart schien es noch gewiß, daß ich mir meine eigenen Bilder zum Film zurechtbasteln müßte. Im Nachhinein kann ich sagen, das wäre mächtig in die Hose gegangen. Ohne die Beschreibung der unzähligen visuellen Details, bei denen sich die Drehbuchautorin und Regisseurin Maren Ade natürlich etwas gedacht hat, hätte der Film in meinem Kopf mit dem auf der Leinwand wenig Ähnlichkeit gehabt. Problematisch wären auch die rumänischen nur mit Untertiteln versehenen Dialoge gewesen. Die sonst hilfreichen Geräusche hätten nicht einmal zum richtigen Rückschluß bei der einzigen und einzigartigen Sexszene geführt. Wie auch, wenn sich der weibliche Part mit ausreichendem Sicherheitsabstand und ohne einen Mucks von sich zu geben, die Sache mehr oder weniger genüßlich auf der Zunge zergehen läßt. Aber zu meiner sehr großen Freude hieß es dann doch noch: Daumen hoch für die App Greta und Starks! Dafür möchte ich mich hier herzlichst bei allen an diesem Entscheidungsprozeß Beteiligten bedanken! So konnte ich genauso oft lachen wie die anderen Zuschauer im Saal, wenn auch meist einen klitzekleinen Tick später. Schließlich mußte ich ja noch kurz der Audiodeskription lauschen. Ich hätte dem Berg (Peter Simonischek) und der Prophetin (Sandra Hüller) wie auch den anderen Filmfiguren noch viel länger zuschauen können, wie sie gemeinsam Maren Ades kritische Beobachtungen meist urkomisch, aber auch mit dem nötigen Ernst auf die Leinwand zauberten. Aber nach 162 Minuten hieß es dann doch: „Das Bild wird schwarz“!

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