Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Das Wetter in geschlossenen Räumen

Der augenblickliche Zustand der Atmosphäre vor dem Fenster meines Arbeitszimmerchens, also das Wetter, ist nach meinem subjektiven Empfinden einfach nur ein Sauwetter. Objektiv ausgedrückt, stürmt es, und bei kühlen acht Grad prasseln dicke Regentropfen gegen die Fensterscheibe. Wie schön, daß ich mir mein eigenes Wetter machen kann. In meinem geschlossenen Raum ist es trocken und windstill und mit 20 Grad Zimmertemperatur angenehm warm. Auch die Akteure des Films ziehen „Das Wetter in geschlossenen Räumen“ der wahrscheinlich brütenden Hitze in den Straßen irgendeiner Stadt in einem Krisengebiet des Nahen Ostens vor. Aber da gibt es nicht nur Wetter. Von draußen sind das Rasseln der Ketten herumfahrender Panzer, Schußsalven aus Maschinengewehren und Explosionen aller Art zu hören. Im Film scheint das jedoch bis auf eine Ausnahme niemanden besonders zu beunruhigen. Mich haben die bedrohlichen Geräusche nicht nur einmal in meinem Kinosessel zusammenzucken lassen. Immer wieder verüben terroristische Gruppen in Krisengebieten ihre Bombenattentate auf Luxushotels, die bevorzugt von ausländischen Gästen bewohnt werden. Die Suiten und Veranstaltungsräume in solch einem Luxushotel sind die geschlossenen Räume, in denen sich die Filmfiguren ihrem Geschäft mit der Entwicklungshilfe widmen. Geschlossene Räume mit Fünf-Sterne-Standard. Eigentlich dachte ich, daß Entwicklungshelfer draußen und vor Ort unmittelbaren Kontakt zu den Hilfsbedürftigen haben und direkt Hand anlegen. Die für die Maßnahmen benötigten Finanzmittel würden durch öffentliche Spendenaufrufe und Sponsoring-Kampagnen in den Industrienationen und von den sogenannten Geberländern eingesammelt. So wird es bestimmt auch meistens der Fall sein. Aber der Film beleuchtet hier die andere Seite der Medaille, die mit der Entwicklungshelferin Dorothea Nagel ein Gesicht bekommt. Sie trägt Designerklamotten, auch einmal ein güldenes Gewand, reichlich Goldschmuck, und ist immer perfekt frisiert und manikürt. In dieser luxuriösen Arbeitskleidung organisiert sie ihre Hilfsprojekte. Dorothea hat die grundsätzlich wirklich gute und lobenswerte Idee, mit Stipendien Flüchtlingsmädchen ein Studium in London zu ermöglichen. Allerdings scheint es einfacher, mit Gala-Dinners und Charity-Veranstaltungen die dazu nötigen Gelder einzusammeln, als geeignete Flüchtlingsmädchen zu finden. Das klingt genauso absurd, wie es leider auch ist. Erste Einblicke in diese hier natürlich überspitzt absurd dargestellte Welt bekam die Regisseurin Isabelle Stever vor neun Jahren bei einem Gespräch mit der Mitarbeiterin einer großen internationalen Hilfsorganisation. Dieses Gespräch und das Ergebnis ihrer eigenen Recherchen in Beirut und Amman fließen geballt und wie gesagt überspitzt in die Person der Dorothea ein. Allerdings liegt der Regisseurin nichts ferner, als die Leistung der Entwicklungshelfer pauschal zu verunglimpfen oder zu schmälern, sondern es geht ihr um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema. Entwicklungshelfer befinden sich auch in den Luxushotels in ständiger Lebensgefahr. Und weil der Mensch ein Mensch ist, sucht er für diese ständige Angst ein Ventil. Das kann auch der Kauf teurer Klamotten oder Sex and Drugs and Alcohol sein. An Drogen versucht sich Dorothea nur einmal, die anderen Ventile sind ihre ständigen Begleiter. Die Luft ist auch in den geschlossenen Räumen selten trocken und ein besonders abwechslungsreiches männliches Ventil heiß Alec, ist 24 Jahre jünger und bringt sie ganz schön aus der Fassung. Bei Filmtiteln frage ich mich oft, was sich die Namensgeber dabei gedacht haben. Hier hat vor allem der Titel meine Neugierde geweckt und ich wollte auf keinen Fall Maria Furtwänglers ersten Auftritt im Kino verpassen. Als Dorothea darf sie sich, ganz anders als in ihren bisherigen Rollen, hemmungslos betrinken, darf lallen, rauchen, Drogen ausprobieren und sich mit einem sehr, sehr viel jüngeren Mann vergnügen. Das alles tut sie mit dem frisch von der Schauspielschule gecasteten, sehr sympathischen Mehmet Sözer, der nach seiner Leistung in diesem Film garantiert häufiger zu sehen sein wird. Mit ein bißchen Glück konnte ich dank des netten Herrn im Kino „Filmkunst 66“ eine Karte für die Premierenvorstellung ergattern. Nur in den Genuß der vorhandenen Hörfilmbeschreibung kam ich bedauerlicherweise nicht, sie wurde – wie so oft – zwar produziert, aber nicht zur Verfügung gestellt. Was auf der Leinwand passierte, wenn nicht englisch, sehr viel französisch und manchmal auch deutsch gesprochen wurde, tja ?!!! Aber die Geräusche waren wieder einmal hilfreich. Daß Dorothea wie ein Weihnachtsbaum mit Schmuck behangen sein mußte, verriet mir das Geklimper bei jeder ihrer Bewegungen. Ob Silber oder Gold, kann auch mein feines Gehör nicht ausmachen. Aber einige Details, wie zum Beispiel ob Silber- oder Goldschmuck, erfuhr ich nach der Vorstellung, als sich Isabelle Stever mit den Darstellern Maria Furtwängler, Mehmet Sözer, Anne von Keller und dem Kameramann geschlossen den Fragen des Publikums stellten. Mal schauen, ob ich beim Auftun von Spendengeldern für die Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH genauso erfolgreich bin wie Dorothea für ihre Projekte. Charity-Veranstaltungen und Gala-Dinners habe ich allerdings nicht im Sinn. Ich werde ganz bescheiden gezielt hoffentlich die richtigen Menschen ansprechen! Mit sehr bescheidenen Mitteln ist übrigens auch das Foto entstanden. Gehüllt bin ich in eine Rettungsdecke mit Verfallsdatum aus einem Auto-Verbandskasten. Der Schmuck hat ungefähr den Wert zweier Kinokarten. Der Film klingt mit einem gecoverten Hit der Talking Heads aus, ich glaube, es war „Wild Wild Life“. Was währenddessen auf der Leinwand passierte, weiß ich leider nicht.

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„Hello, I am David!“ – Eine Reise mit David Helfgott

Gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen den Positionen und Bewegungen von Sternen und Planeten und irdischen Ereignissen wie insbesondere dem Leben der Menschen? Die Astrologen sagen ja! Der Tag, an dem sich zwei Menschen treffen, die füreinander bestimmt sind, ist für diese auf jeden Fall in erster Linie ein unermeßlicher Glückstag. Solch ein Glückstag muß es gewesen sein, als sich der Pianist David Helfgott und die Astrologin Gillian Murray im Haus eines gemeinsamen Freundes im Jahr 1984 zum ersten Mal begegneten. Bis heute sind sie ein außergewöhnliches und außergewöhnlich glückliches Paar. Im selben Jahr lief übrigens auch ich meiner großen Liebe über den Weg, allerdings nicht in Australien, sondern in Berlin. Ich glaube zwar nicht so recht daran, aber wer weiß, vielleicht hatten die Gestirne jedenfalls im Jahr 1984 doch ihre Finger mit im Spiel! David ergriff an diesem Glückstag zunächst die Initiative und dann Gillians Hand, die er nie wieder loslassen wollte. In dem Film „Hello, I am David“ kann man sich davon überzeugen, welch glückliches und damals übrigens klatschnasses Händchen er bei dieser Entscheidung hatte, als er sich direkt aus dem Swimmingpool zu Gillian gesellte. Aber eigentlich geht es ja um seine beiden Hände, wie sie in atemberaubender Geschwindigkeit über die Pianotasten fliegen. Der Ausnahmemusiker war mir bislang kein Begriff und ich habe mich von seinem Spiel einfach mitreißen lassen. Für seine Spielkunst hat David einen hohen Preis gezahlt, nämlich jahrelange harte und entbehrungsreiche Arbeit. In dem Film „Shine – Der Weg ins Licht“ von 1996 kann man sich ein Bild davon machen, wie hoch dieser Preis war, beispielsweise seine verlorene Kindheit und Jugend als „Wunderkind“. Der Regisseur Scott Hicks war vom Leben des Pianisten inspiriert und arbeitete bei seinem Oscar-prämierten Film mit verschiedenaltrigen Darstellern Davids. Ärgerlicherweise ist dieser Film, in dem auch noch Armin Müller-Stahl mitspielte, bis jetzt an mir vorbeigerauscht. Ansonsten wüßte ich bestimmt mehr über die Umstände und Folgen seines Nervenzusammenbruchs kurz nachdem er 1970 seinen ersten großen Triumph feierte. Als 23-jähriger spielte er in der Londoner Royal Albert Hall das 3. Klavierkonzert von Rachmaninow. Seine gerade begonnene musikalische Karriere hatte mit der kurz danach diagnostizierten schizoaffektiven Störung, einer schrecklichen Allianz von Wahn, Halluzinationen, Depressionen und Manie, ein jähes Ende. Über zehn Jahre mußte er sich bis 1981 in Nervenkliniken in psychiatrische Behandlung begeben. Aber er hat es geschafft, wieder ins Leben zurückzufinden. Geholfen haben ihm dabei bestimmt seine Liebe zur Musik, dem Klavier und vor allem seine Frau Gillian. Seine wiedergewonnene Lebensfreude teilt er seitdem mit jedem, der in seine Nähe kommt, mit dem Spruch „Hello, I am David“. Dann erkundigt er sich nach dem Namen und Befinden des anderen und meistens kommt es noch zu begeisterten Umarmungen. Geschafft hat er es bewundernswerterweise auch wieder als Solopianist auf die Bühnen der großen Konzerthäuser, immer in ein rotes Seidengewand gehüllt. Und ein zweites Mal inspirierte er nun mit seinem Spiel gleich zwei Menschen, sich mit ihm zu beschäftigen. Der Orchesterleiter der Stuttgarter Symphoniker, Walter Schirnik, engagierte David für eine Konzerttournee und konnte Cosima Lange dafür gewinnen, diese Reise dokumentarisch zu begleiten. Auch Cosima Lange beweist ein glückliches Händchen, wie sie auf David zugeht und versucht, in seine Gedankenwelt einzutauchen. Dazu taucht sie vor allem gemeinsam mit ihm in die Fluten diverser Swimmingpools. Nach dem Klavierspielen ist Wasser seine zweite Passion. Überlebenswichtig scheinen für ihn auch Tee, Kaffee, Coca Cola und Pizza aus Kartons zu sein. Nicht nur immer ein ruhiges Händchen, sondern mehrere Male auch flinke Füße mußte die Kamerafrau beweisen. Am Klavier ist David ruhig, souverän und hoch konzentriert. Im Alltag und wenn er nicht gerade in einem Pool krault, macht er einen etwas fahrigen und unruhigen Eindruck. Man muß jederzeit darauf gefaßt sein, daß er losflitzt, jemandem die Teebeutel stibitzt oder sonst irgendetwas anstellt. Dank der Hörfilmbeschreibung konnte ich mir ein ganz gutes Bild von David und Gillian und ihrem sehr abwechslungsreichen Alltag machen. Zum Glück wurden auch die Untertitel vorgelesen, sonst hätte ich von Davids englischem Gemurmel kaum etwas verstanden. Gut gefiel mir, daß sowohl Sprecher als auch Sprecherinnen im Einsatz waren, je nachdem, wer gerade untertitelt wurde. Während der Konzerte machten die Beschreiber eine Pause, um den Musikgenuß nicht zu beeinträchtigen. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die sich vor allem an Davids Gemurmel während des Konzertes stören. Mich hat das überhaupt nicht irritiert. Mit seiner Spielfreude steckt er den Dirigenten Matthias Foremny, die Orchestermusiker und vor allem das Publikum an. Das Zusammenspiel zwischen dem Solisten und dem Orchester ist perfekt und auch bei noch so konzentriertem Lauschen konnte ich keinen einzigen mißlungenen Ton heraushören. Notenblätter sucht man am Notenhalter seines Flügels übrigens vergebens. Mit seiner freudigen Daumen-hoch-Geste zum Schluß und den anschließenden Umarmungen der Musiker und auch einzelner Konzertbesucher lockert er die üblicherweise steife Atmosphäre in den Konzerthäusern etwas auf, es darf eben auch einmal gelacht werden! David Helfgott ist jetzt 68 Jahre alt. Ich wünsche ihm und seiner 15 Jahre älteren großen Liebe Gillian, daß sie noch viel Zeit miteinander verbringen können!

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The Danish Girl

Ein Gelehrter spazierte einst in seinem Alltagsgewand über den Marktplatz und wurde zu seiner Verwunderung von keinem gegrüßt. Als er daraufhin die Probe aufs Exempel statuierte und denselben Weg noch einmal im Festgewand zurücklegte, zog auf einmal jeder vor ihm den Hut. Wütend machte er sich auf den Heimweg, zog sich aus, trampelte auf seinen Kleidern herum und beschimpfte diese mit den Worten: „Bist du dann der Doktor, oder bin ich er?“ Diese Episode wurde schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts niedergeschrieben und so das bis heute bekannte Sprichwort „Kleider machen Leute“ dargestellt. Ungefähr drei Jahrhunderte später ist genau diese alte Redensart der Titel der 1874 erstmals veröffentlichten Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller. Was den Gelehrten einst in Rage versetzte, macht sich die Hauptfigur in Kellers „Kleider machen Leute“, der Schneidergeselle Wenzel Strapinski, zunutze. Aus Sehnsucht nach einem würdigen Dasein hüllt er sich in einen noblen Radmantel, eine Art Cape, und bedeckt sein Haupt mit einer Pelzmütze. Mit dieser Verkleidung gelingt ihm ein bemerkenswerter und beachtlicher sozialer Aufstieg in gutbürgerliche Verhältnisse. Auch bei „The Danish Girl“ wird sich natürlich gekleidet und vor allem verkleidet. In seinem ersten Leben heißt das dänische Mädchen Einar Wegener, ist von Beruf Landschaftsmaler und mit der amerikanischen Malerin Gerda verheiratet. Die jungen Leute genießen glücklich verliebt und ziemlich unbeschwert das Leben im aufregenden und lockeren Künstlermilieu Kopenhagens der frühen 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Weit und breit ist nichts und niemand in Sicht, was sich zwischen die beiden drängen könnte. Wäre da nicht ein wunderschönes Ballkleid neben Gerdas Staffelei, das das Zeug hat, ein Aschenputtel in eine Prinzessin zu verzaubern. Sehr verallgemeinert ist Kleidung und Bekleidung die Gesamtheit aller Materialien, die als künstliche Hülle den Körper des Menschen mehr oder weniger eng anliegend umgibt. Diese sehr nüchterne Definition wird der Macht, Magie und Wirkung, die ein Kleidungsstück entfalten kann, allerdings nicht ansatzweise gerecht. Eines Tages bittet Gerda ihren Mann, für sie in dem besagten Kleid zu posieren, da ihr Modell verhindert ist. Die Magie des Kleides vermag es nicht, Einar in eine Ballprinzessin zu verzaubern. Sie ist aber letztlich der Auslöser eines schleichenden und langwierigen Wandlungsprozesses zur Lili Elbe, der zweiten Identität des Danish Girl. Seine schauspielerische Wandlungsfähigkeit bewies der Oscargewinner Eddie Redmayne schon vor einem Jahr als Darsteller Stephen Hawkings und dessen Bemühungen, allen körperlichen Widrigkeiten zum Trotz die Unendlichkeit der Welt zu entdecken. Hier entdeckt er als Einar allmählich seine wahre geschlechtliche Identität als Frau, die schon seit seinem Knabenalter in ihm schlummert. Er verkleidet sich und versucht sich in der Öffentlichkeit als Lili, anfangs sehr unsicher auch schon wegen der ungewohnten Beschuhung. Diese Momente sind mit Abstand die komischsten des Filmes. Was spielerisch beginnt, hat aber vor allem seine Schattenseiten. Je mehr Lili die Oberhand über Einar gewinnt, umso schwieriger gestaltet sich das Leben und vor allem das Liebesleben des Paares. Genauso wie Eddie Redmayne in seiner Doppelrolle, brilliert auch Alicia Vikander als Gerda bei dem verzweifelten Kampf um ihren über alles geliebten Mann. Gewinnerin bei diesem Kampf ist übrigens die Liebe! Zuerst ist da das Paar Gerda und Einar, dann gibt es das Trio mit Gerda, Einar und Lili, bis zuletzt Gerda und Lili bleiben. Eine große Symbolik für diese Beziehung hat bis zur letzten Minute ein Schal in den dänischen Landesfarben rot-weiß. Im Hintergrund immer dabei war die Stimme des Sprechers der Hörfilmbeschreibung in meinem Ohr. Mit ruhiger und angenehmer Stimme begleitete er sehr diskret und sensibel das Duo wie das Trio durch all ihre schönen wie schwierigen und nervenaufreibenden Lebensphasen. Alles in allem ein gelungener Balanceakt zwischen detaillierter Beschreibung und genügend Zeit für mich, mir auch einmal im Stillen eigene Bilder machen zu können. Lili Elbe erfüllt sich sowohl im Film als auch im wirklichen Leben den Wunsch, als Frau zu leben und anerkannt zu werden, und geht dafür ein hohes gesundheitliches Risiko ein. Kaum zu glauben, daß sich beide für die dafür notwendige Behandlung Anfang 1930 in Fachkliniken nach Berlin und Dresden begeben. An der wahren Lili wurden dort die Operationen zur Geschlechtsumwandlung weltweit zum ersten Mal durchgeführt. Wer hätte solch eine Revolution auf medizinischem Gebiet im sich zu dieser Zeit schon braun färbenden Deutschland für möglich gehalten? Der Regisseur und Produzent Tom Hooper nahm an der gleichnamigen Biographie von David Ebershoff einige chirurgische Eingriffe vor. Ich kann mich nicht einmal entscheiden, ob zum Vor- oder Nachteil. Auf jeden Fall hat er meine Neugierde geweckt, mich mit der realen Lili einmal näher zu beschäftigen. Heute gibt es in unseren Breitengraden glücklicherweise so gut wie keine konventionellen Maßregeln, womit man seinen Körper wie zu welchem Anlaß zu umhüllen hat. Das war 1963 noch etwas anders, als Rita Pavone und später Nina Hagen schmetterte: Wenn ich ein Junge wär, das wäre wunderschön, dann könnte ich jeden Tag in langen Hosen gehen. Und käm ich abends spät nach Haus, machte mir kein Schwanz ein Drama daraus. Ich bin zwar nicht mehr so ganz taufrisch, halte es aber lieber mit Lucie van Org, die Anfang der 90er Jahre ins Mikrophon kokettierte: Ich bin so froh, daß ich ein Mädchen bin!

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Vor einem offenen Burgtor mit Zugbrücke steht die Blindgängerin. Sie trägt einen ausgefransten Strohhut, eine lange dicke Winterjacke, Jeans und Stiefel. Auf ihren Rucksack ist eine zusammengerollte Wolldecke geschnallt. Die Blindgängerin hat eine Zigarette im Mund und hält neben ihrem weißen Langstock einen Wanderstock und eine weiße Muschel in der Hand.

Ich bin dann mal weg

So also sprach der vor allem als Komiker bekannte Hape Kerkeling. Er löste sich vor 15 Jahren von seiner Couch, nahm Abschied von seiner Katze Beatrice und machte sich auf den Weg zu einer garantiert käsekuchenfreien Zone, dem Jakobsweg. Hätte er nicht in seinem Buch über die Strapazen und Freuden des Pilgerns und seine für ihn teilweise einschneidenden Begegnungen berichtet, wäre wahrscheinlich nicht nur mir der Jakobsweg im Verborgenen geblieben. Und, ohne Buch natürlich kein Film! Die Jakobsmuschel, das Symbol des Jakobsweges, habe ich aber lange bevor mir Hape aus seinem Buch vorlas, kennen und genießen gelernt. Sie ist die größte eßbare Muschel und verweist ihre kleineren Konkurrentinnen, was den Geschmack angeht, auf die hinteren Plätze. Man kann sie gratinieren mit der Gefahr, ihren feinen Geschmack mit dem Käse zu erschlagen, zu Ragout verhackstücken oder brutal auf Spieße pieken. Ich bevorzuge sie mit einem Hauch Knoblauch und kleingehackter Petersilie, liebevoll in Butter geschwenkt und dann auf einem knackigen Salat drapiert. Der Namensgeber für die Muschel und den Weg war nicht einfach irgendein Jakob, sondern kein Geringerer als der Heilige Jakobus, ein Weggefährte und Jünger Jesu Christi. Seine Existenz als Apostel Jakobus ist im neuen wie im brandneuen Testament unstreitig belegt. Wie Muschel und Weg zu ihrem bedeutungsschwangeren Namen kamen, hat mehr mit Glauben und weniger mit Tatsachen zu tun. Ein junger Adliger soll einst dem Schiff entgegen geritten sein, in dem der Leichnam des gewaltsam ums Leben gekommenen Jakobus nach Spanien überführt wurde. Als der Reiter dabei zu ertrinken drohte, wurde er auf wundersame Weise vom toten Jacobus und der im Atlantik heimischen Muschel Pecten maximus gerettet. Seitdem nennt man diese Meeresfrucht Große Pilgermuschel bzw. Jakobsmuschel. Ihre Schale ist das Schutz- und Erkennungszeichen der Jakobspilger, die diese bis heute an Hutschnüren und Rucksäcken befestigen. Erst ungefähr 900 Jahre nach diesem wunderlichen Ereignis soll der heilige Jakobus in einer Grabstätte in Santiago de Compostela seine letzte Ruhestätte gefunden haben. Zwischen seinem Tod und der endgültigen Beisetzung liegt erstaunlicherweise fast ein Jahrtausend. Man könnte daran zweifeln, ob es wirklich die sterblichen Überreste des Apostels sind, die dort begraben wurden. Dennoch strömen seit dem Mittelalter Pilger aus aller Welt zu dem bedeutenden Wallfahrtsort Santiago de Compostela und so entwickelte sich quer durch Europa ein System von Wegen der Jakobspilger. Hape entschied sich damals für den Camino Francés, den klassischen Jakobsweg, der 1993 in das UNESCO-Welterbe aufgenommen wurde. Er startete an der französischen Grenze von Saint-Jean-Pied-de-Port und pilgerte dann auf dem knapp 800 km langen Weg quer durch Nordspanien über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela. Weil Hape sich das nicht ein zweites Mal zumuten wollte, schickt die Regisseurin den u.a. als Tatortkommissar bekannten Devid Striesow auf den Weg. Ich finde, Julia von Heinz hätte keinen Besseren finden können. Beide fluchen, leiden, freuen sich zum Verwechseln ähnlich und kommen so ganz allmählich mit sich ins Reine. Auch von der Stimme her hätte man mir den einen für den anderen verkaufen können. Warum sich so viele Leute als Jakobspilger Tag für Tag 30 km lang bei sengender Hitze oder im strömenden Regen mit mindestens 13 kg Gepäck auf dem Rücken bergauf und -ab schleppen, hat sich mir auch durch den Film nicht erschließen können. Ich schwanke zwischen Bewunderung, Mitleid oder einfach für verrückt erklären. Nach meinen Einkäufen kann ich gar nicht früh genug meinen meist 10 kg schweren Rucksack abwerfen und an die wundgelaufenen Pilgerfüße und die Blasen möchte ich erst gar nicht denken. Eine Entschädigung für die Strapazen ist bestimmt die atemberaubend schöne und abwechslungsreiche Landschaft Nordspaniens mit den hübschen alten Dörfchen und Städtchen am Wegesrand. Aber anstatt sich dort abends in einem gemütlichen Hotelzimmer einzumieten, kann man sich glücklich schätzen, in der Pilgerherberge eine unkomfortable Schlafgelegenheit in einem riesigen überfüllten Schlafsaal zu ergattern. Zu einer dieser Herbergen pilgere ich übrigens mehrmals im Jahr. Eine Szene wurde in der Zitadelle Spandau „vor den Toren Berlins“ und damit etwa vier km von meiner Haustür entfernt gedreht. Zwischen den Dialogen und den von Striesow zitierten täglichen Erkenntnissen Hapes war genug Zeit für eine sehr detaillierte Beschreibung von Land und Leuten. Diese Zeit hat der Autor der Hörfilmbeschreibung perfekt genutzt. Vor meinem geistigen Auge entstanden unendlich viele tolle Bilder, nachdem mir der Sprecher dank der App Greta die Schlüsselworte in mein Ohr geflüstert hat. Hape stürzte sich damals zwar alleine in sein Pilgerabenteuer, blieb es aber nicht lange. Immer wieder kreuzt sich sein Weg mit dem der herzerfrischend kecken Lena und der nachdenklichen und etwas geheimnisvollen Stella. Auch diese beiden Frauen sind toll besetzt mit Karoline Schuch und Martina Gedeck. Ein Extra-Bonbon ist Katharina Thalbach als Hapes Omma, die bei den Rückblenden in dessen Knabenalter gar nicht oft genug auftauchen konnte. Mehrmals brachte es den echten Hape auf die Palme, wenn er unterwegs an Hunden vorbeipilgerte, die in der prallen Sonne ohne Wasser angekettet waren. Eine dieser armen Kreaturen, die er Pepe nannte, nahm er einfach mit und versuchte, für sie ein neues Zuhause zu finden. Dieses traurige Thema kommt im Film glücklicherweise zu kurz. Ich würde von der Pilgerschaft garantiert mit einem Tross geretteter Katzen und Hunde im Schlepptau zurückkehren. Schade, daß Hape sich im Dezember 2014 noch einmal verabschiedete, und zwar bis auf weiteres aus dem großen Showgeschäft!

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„Dinner for One“ oder „Der 90. Geburtstag“

In ein paar Stunden ist es wieder soweit und in unzähligen Wohnzimmern findet auf den Fernsehbildschirmen die gleiche Prozedur wie letztes Jahr, nein, natürlich die gleiche Prozedur wie jedes Jahr statt. Seit über 40 Jahren dürfen wir an jedem Silvesterabend an Miss Sophies sehr spezieller Feier anläßlich ihres 90. Geburtstages teilhaben. Das klingt nicht nur rekordverdächtig, sondern ist es auch. Schon im Jahr 1988 gelang es dem „Dinner for One“, sich im Guinness-Buch der Rekorde als „weltweit am häufigsten wiederholte Fernsehproduktion“ zu platzieren. Obwohl man inzwischen den Text der Prozedur schon fast mitsprechen kann und genau weiß, wann und wie oft der unvergleichlich komische Butler James sich mit dem Kopf des Tigerfells anlegt (genau elfmal), kann man gar nicht anders, als immer wieder herzhaft mit zu lachen. Dabei hat sich bestimmt noch nie jemand Gedanken über Miss Sophies Seelenheil gemacht, die alle ihre Freunde überlebt hat. Und alleine zurückbleibt. Was wirklich in ihr vorgeht, läßt sich die kultivierte Dame nicht anmerken und behält immer die Contenance. Das kann ich übrigens bestätigen, weil ich Miss Sophies bezauberndes deutsches Double kennengelernt habe. Als „Butlerin Jamie“ begegnete ich ihr vor zwei Wochen im Kaminzimmer der Redoute im Bonner Stadtteil Bad Godesberg. Die Redoute, ein Ballhaus aus kurfürstlichen Zeiten, bot genau das richtige gediegene Ambiente für die gleiche und diesmal doch so andere Prozedur. Nicht nur ein James, sondern gleich mehrere verschieden gehandicapte Butler und Butlerinnen umkreisten Miss Sophie torkelnd und lallend und servierten den dritten Gang des Menüs: Hühnchen mit Champagner. Daß wir alle unsere Sache unter erschwerten Bedingungen mindestens genauso gut meistern konnten wie der Original-James und dabei wahrscheinlich noch mehr Spaß hatten, hat das supernette Team von Opposition Studios auf einem Video festgehalten. Initiiert hat diese grandiose Begegnung der ganz besonderen Art die Aktion Mensch. Eine prima Idee ganz nach meinem Geschmack! Damit verabschiede ich mich für dieses Jahr, wünsche allerseits viel Spaß bei der nicht gleichen Prozedur wie jedes Jahr und einen „juten Rutsch“ ins neue Jahr!!! Hier ist der Link zum Video: https://www.aktion-mensch.de/blog/beitraege/unser-dinner-for-one.html Für eine Audiodeskription war die Zeit zu knapp, sie wird aber so schnell wie möglich nachgeliefert.

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In der Hocke steckt die Blindgängerin mit dem Kopf in der Waschmaschine. Sie streckt eine Hand mit einer einzelnen Socke hinter den Rücken. Auf der Waschmaschine ein großer Nemo-Fisch und eine aufgeschlagene Bibel, auf einem Regal daneben ein helles kleines Pferd mit einem Affen auf dem Rücken.

Das brandneue Testament

Herbert Grönemeyer plädiert in seinem Hit „Kinder an die Macht“ dafür, den Kindern das Kommando zu übergeben, weil sie unter anderem nicht berechnen, was sie tun. Weiter im Text heißt es, daß die Kinderwelt ohne die Begriffe „gut und böse“ und „schwarz und weiß“ auskommt. Wenn er sich da mal nicht täuscht! Ich habe zwar keine Kinder, war aber immerhin mal selbst eins. Ganz bestimmt irrt er sich bei den beiden neun- und zehnjährigen Mädchen, die ich jetzt ins Spiel bringe. Die zwei sind sehr wohl in der Lage, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und berechnen ganz genau, was sie tun. Sie warten nicht, bis ihnen die Erwachsenen das Kommando übergeben, sondern nehmen das Zepter gleich selbst in die Hand. Die jüngere der beiden zaubert schon seit 70 Jahren zunächst den Lesern und später auch den Kino- und Fernsehzuschauern jung wie alt ein Lachen ins Gesicht. Die sommersprossige, rotbezopfte, bärenstarke und freche Göre aus Schweden namens Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminze Efraimstochter Langstrumpf macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihr gefällt. Pippi war mein erstes und einziges Idol! Die zehnjährige Ea (Pili Groyne) gab ihr Debut bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes als eine der wichtigsten Mitwirkenden des „Brandneuen Testaments“. Anders als Pippi muß sie sich mit nur einem Namen, bestehend aus gerade zwei Buchstaben, begnügen und macht die Welt zwar nicht, wie sie ihr gefällt, stellt sie aber auf den Kopf und hebt sie fast aus den Angeln. Das gelingt ihr dank der Macht ihres allmächtigen Vaters. Es ist Gott persönlich, der unter den Menschen verweilt und mit seiner Familie in Brüssel wohnt. Im ersten der zehn Gebote heißt es: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist.“ Diesem Gebot zum Trotz blickte Gott in meiner kindlichen Fantasie mit seinem überirdisch großen wie aus einem Stein gemeißelten Gesicht streng zwischen den Wolken auf die Erde herab. Auch der Regisseur und Drehbuchautor (Jaco Van Dormael) pfeift auf das Gebot und verpaßt dem Herrn ein herrlich verloddertes Aussehen. Der Heilige Vater schafft es nicht einmal in die berüchtigte Jogginghose. Im Bademantel mit Latschen und immer einer Bierpulle am Hals schlurft er zwischen dem Eßtisch, dem Fernseher und seiner Machtzentrale, einem hermetisch abgeschlossenen Kabuff, hin und her. Seinem verkommenen Äußeren entspricht seine niederträchtige Gesinnung allem und jedem gegenüber. Er sitzt am Rechner, erschafft die Welt inklusive Brüssel so widdewidde wie sie ihm gefällt und traktiert zu seiner Belustigung Menschen und Tiere mit Katastrophen und unzähligen fiesen Geboten. Auch vor der Flora macht er nicht halt und dennoch macht es höllischen Spaß, ihm bei seinem Machtmißbrauch zuzuschauen. In den Schaffenspausen demütigt er seine Gattin, Frau Gott, oder versemmelt seine Tochter. Beide wünschen sich die Rückkehr des vor 2015 Jahren gekreuzigten Sohnes und Bruders, der die schäbige Behausung nur als Figur ziert. Das schwedische Mädchen in seinen riesigen Schuhen und Ringelstrümpfen liebt ihren irdischen Vater abgöttisch und hätte an Eas Stelle mit ihren Wahnsinnskräften schon längst dem Spuk des überirdischen Tyranns ein Ende gemacht. Aber auch die schwarzhaarige, kluge, irdisch aussehende Ea zieht schließlich mit Köpfchen die Reißleine. Sie setzt den Rechner und damit ihren Papa Schachmatt. Die Flucht vor dem jetzt rasend wütigen Alten aus dem göttlichen Gefängnis gelingt ihr durch dieses große weiße Haushaltsgerät, das bevorzugt natürlich immer nur einzelne Socken frißt. Bestimmt hat dabei auch der da oben seine Finger mit im Spiel. Bei beiden Mädels ist das mit der Schulbildung so eine Sache. Pippi stellt das Einmaleins auf den Kopf und Ea leidet an einer starken Schreibschwäche. Deshalb verpflichtet sie den Erstbesten, der ihr nach der Flucht in Brüssel über den Weg läuft, zum Schriftführer für ihr brandneues Testament. Brandneu bedeutet hier, daß sie die ursprünglich 12 Apostel des Neuen Testaments um sechs weitere nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Apostel und Apostelinnen aufstockt. Den Tip, dem alten Neuen Testament auf diese Weise neues Leben einzuhauchen, bekommt sie von ihrer zeitweise wiederauferstehenden brüderlichen Jesusfigur. Von den testamentarischen Neuzugängen ist einer verkorkster und verkrachter als der andere und jeder für sich wäre schon für eine Geschichte gut. Die weise Ea zeigt jedem Einzelnen eine unglaubliche Möglichkeit auf, sich aus seinem Schlamassel zu befreien, und kennt dabei keine Tabus. Zudem schenkt sie ihnen Träume, fängt ihre Tränen ein, und findet für jeden eine passende Melodie. Besonders rührend kümmert sie sich um den sechsten Apostel, einen totkranken Jungen. Dieser wäre lieber ein Mädchen und möchte seine letzten Stunden unbedingt am Meer verbringen. Ea begleitet ihn und im Schlepptau haben sie einen Fisch, der die Melodie des Jungen, „La Mer“, blubbert. Der kleine Apostel kennt seinen Todeszeitpunkt auf die Sekunde genau, weil Ea ihm und allen anderen Menschen vor ihrer Flucht vom väterlichen Rechner aus eine SMS mit dem jeweiligen Todesdatum geschickt hatte. Über die Tragweite dieser Maßnahme beispielsweise für mich und die Menschheit im Allgemeinen möchte ich nicht einmal nachdenken. Jedenfalls strömen immer mehr Menschen zu dem Strand ans Meer, wo die apokalyptische Stimmung immer wieder vom Blubbergesang des Fisches aufgeheitert wird. Die Rettung ist der plötzliche aufkeimende Putzfimmel von Frau Gott, die nach getaner Arbeit die Welt macht, wie sie ihr gefällt. Sie beschränkt sich allerdings auf das Design. Für den göttlichen Strippenzieher a. D. haben sich die Filmemacher zu guter Letzt eine besonders witzige Quasi-Rache Gottes auf Erden ausgedacht. Besonders beneidete ich Pippi damals um ihr Äffchen und das große weiße Pferd mit den schwarzen Tupfen. Zur gleichen Zeit eroberten zwei Stuttgarter Schwaben, das Äffle und das Pferdle, in den Pausen zwischen den Werbespots des Süddeutschen Rundfunks die Herzen der badischen und schwäbischen Fernsehzuschauer. Das Äffle schwäbelt beispielsweise „I glaub, mi tritt e Pfärd“, „Noi noi, des Äffle isch net dahoim“ und liest mit rollenden Augen als Nachrichtensprecher „Wetter… gibt’s heut koins“. Koi Hörfilmbeschreibung hat’s auch beim Brandneuen Testament gäbe. Meine Freundin Pascale hat mir, wenn sie nicht gerade in sich hineingeknickert hat, so viele Bilder wie möglich beschrieben. Davon gab es mehr als genug. Aber ich hatte auch

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Highway to Hellas

Schlemihl: Hey, duu! Ernie: Hey, ich? Schlemihl: Willst du mir ein A und ein S abkaufen? Ernie: Warum sollte ich das tun? Schlemihl: Weil genau diese beiden Buchstaben dem Wörtchen HELL fehlen! Ernie: Ach so, du meinst, damit aus dem AC/DC-Song „Highway to Hell“ der Filmtitel „HIGHWAY TO HELLAS“ wird? Schlemihl: Genaau! Ernie: Ich habe aber kein Geld! Schlemihl: Pssst! Diesen kleinen Umweg über die Sesamstraße mit Ernie und Schlemihl zum HIGHWAY hat es natürlich nie gegeben. Wie auch immer, der Highway im Film führt nicht geradewegs in die Hölle, sondern nach Hellas, also Griechenland. Konkret geht es um die sehr, sehr kleine griechische Insel Paladiki, die ähnlich wie Ernie mit umso größeren finanziellen Problemen zu kämpfen hat. An einem wunderschönen Sommertag erreicht der Bankangestellte Jörg Geissner mangels eines Flughafens über den Highway zu Wasser die idyllische Insel. Dort bringt er das recht geruhsame Leben der wenigen Inselbewohner mächtig durcheinander. Er tut das im Auftrag der Münchner AVO-Bank, die der verarmten Insel vor einigen Jahren einen Kredit gewährt hatte. Offiziell soll sich Geissner von der Existenz der angegebenen Sicherheiten, einem Elektrizitätswerk und einem Krankenhaus, überzeugen. Das eigentliche Objekt der Begierde des Bankhauses ist jedoch der „tranmartige Stand“. Diese Version eines traumhaften Strandes ist ein liebenswertes Überbleibsel einer unserer Urlaube auf der ebenfalls griechischen Insel Samos und stammt aus einem sehr wortschöpferisch ins Deutsche übersetzten Prospekt über eine Taverne. Der tranmartige Stand war dann auch noch „umhüllt von fichtegefüllte Berge“. Die Insulaner versuchen nun sehr trickreich, ihr ruhiges Idyll vor aus dem Boden schießenden Hotelanlagen zu bewahren, zumal man sich bereits mit einem sogar geöffneten Hotel brüsten kann. Auch von ihrem sonnigen, eher bescheidenen Müßiggang wollen sie sich nicht verabschieden müssen. Dazu gehören beispielsweise einsame Spaziergänge an ihrem noch naturbelassenen Bilderbuchstrand. Das gesellschaftliche Leben spielt sich in der einzigen Taverne des Dorfes ab. Eingekauft wird im einzigen Minisupermärktchen, vorausgesetzt, der Chef läßt es sich nicht gerade in der Taverne gut gehen. Was es auf Paladiki mehr als genug gibt, sind überall frei herumlaufende Ziegen, die so ziemlich alles in sich hineinstopfen. Gerne darf es zwischendurch einmal eine Steuererklärung sein, wahrscheinlich eine zugunsten der Staatskasse. Obwohl sie gelegentlich auch selbst verzehrt werden, sind die Ziegen aber auf keinen Fall vom Aussterben bedroht. Das kann man von den Wasserschildkröten nicht behaupten und die Freude ist umso größer, als am Strand ein Schildkrötenbaby entdeckt und liebevoll in sein Element Wasser befördert wird. Anstatt mit einem Mietwagen über die Highways zu brettern, zuckelt man zu Esel durch die Berge, ob fichtegefüllt oder nicht. Diese etwas störrische Art der Fortbewegung ohne Klimaanlage und die ständige Netzsuche macht dem Banker ganz schön zu schaffen. Der geiernden Chefin in München gelingt es dennoch, den armen Kerl im Fünfminutentakt zu nerven und unter Druck zu setzen. So allmählich empfindet man mit dem von allen Seiten getriezten Eselsreiter von der traurigen Gestalt mit nur fünf Kontakten in seinem Smartphone nur noch Mitleid. Wie wäre es spätestens jetzt mit einem Gläschen, natürlich vom griechischen Wein? Oder dürfen es auch zwei oder drei sein? Nicht zum ersten Mal trägt Alkohol wie hier maßgeblich zur verzerrten Wahrnehmung der Realität und später zur großen Verbrüderung bei. Jamas! Authentisch griechisch wird nicht nur getrunken und gegessen, sondern von den griechischen Darstellern auch sehr häufig gesprochen, schon fast wie bei einer OMU-Filmfassung. Die Sprecherin der Audiodeskription mußte also auch noch den Job einer Synchronsprecherin übernehmen und zwar für alle Griechen, Männer wie Frauen und einen kleinen Jungen. Das hat sie mit ihrer jungen frischen Stimme auch bei noch so hitzköpfig geführten Debatten mit Bravour gemeistert. Witzig aber waren nicht nur die Dialoge. Auch unzählige Filmszenen trugen im Kinosaal zur allgemeinen Erheiterung bei, inklusive meiner. Mit der Beschreibung dieser Bilder und dem Vorlesen der Untertitel war die Sprecherin fast im Dauereinsatz. Wenn ich den Film nicht in der Liste der App Greta entdeckt hätte, wäre das Filmvergnügen wahrscheinlich an mir vorbeigegangen. Es war auch gar nicht einfach, ein Kino zu finden, das für mich noch so halbwegs gut zu erreichen war. Zum Glück konnte ich Greta und damit die Hörfilmbeschreibung über die steile Treppe zu dem gemütlichsten, schon fast wohnzimmerähnlichen Saal des Thalia-Kinos in Berlin-Lankwitz einfach mitnehmen. Auch im Thalia hatte ich bei diesem ersten Besuch sehr netten Begleitschutz zu meinem Platz inklusive Getränke- und später einem Abholservice. Um noch einmal auf die Buchstaben A und S zurückzukommen: Wie dicht der HIGHWAY TO HELLAS und der Highway to Hell beieinanderliegen können, bekommt Christoph Maria Herbst als Jörg Geissner gleich zweimal am eigenen Leib zu spüren. Aber beide Male kommt er fast nur mit dem Schrecken davon, alles andere wäre auch sehr schade gewesen, und zwar um beide, den Darsteller und seine Filmfigur. Und was den Darsteller betrifft: Auch um seine schöne Stimme! Der Highway zu Ernie und Schlemihl in der Sesamstraße ist übrigens unter dem folgenden Link zu finden: https://www.youtube.com/watch?v=Y60LlHchdEI

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Steve Jobs

Nur noch fünf Minuten Zeit, bis es heißt „Vorhang auf“ und Steve Jobs sich mit der neuen Errungenschaft von Apple, dem Macintosh, von dem ungeduldig wartenden Publikum feiern läßt. Wir schreiben das Jahr 1984. Steve zerrinnt die Zeit zwischen den Fingern, um das Objekt der Neugierde exakt nach seinen Vorstellungen zu präsentieren. Der Apple-Mitbegründer vermag zwar viel zu bewirken, aber die Zeit anhalten kann auch er nicht. Die Zeit macht nämlich „nur vor dem Teufel halt, denn er wird niemals alt, die Hölle wird nicht kalt und heute ist schon beinah‘ morgen.“ Das gab der Sänger Barry Ryan 1971 in der ZDF-Hitparade zu bedenken. Ganz anders erging es Madonna vor ungefähr 10 Jahren in ihrem Hit „Time goes by so slowly“. Sie zählt die quälend langsam verstreichenden Minuten bis zum ersehnten Telefonklingeln. Dieses rein subjektiv empfundene relativ schnelle oder langsame Vergehen der Zeit hat natürlich nichts mit der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein zu tun. Fast auf den Tag genau vor 100 Jahren trug Einstein seine Theorie am 25. November 1915 bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften vor. Auch Einstein stellte fest, daß die Zeit nicht gleichmäßig voranschreitet. Diese Variable läßt sich allerdings objektiv exakt berechnen. In einem anderen Sonnensystem, das sich relativ zu uns schneller bewegt, würde eine 5-Minuten-Terrine sechs Minuten brauchen, jedenfalls von hier aus betrachtet. Dafür wäre aber der Becher geschrumpft. Es soll Ableitungen seiner Theorie geben, nach denen man die Zeit so krümmen kann, daß die Zeit wieder in sich selbst zurückläuft, so eine Art Zeitschleife, habe ich gelesen. Und absolut nichts verstanden. Anzubieten hätte ich noch die Beschreibung der gekrümmten Raumzeit… Steve Jobs jedenfalls möchte um jeden Preis und auf den letzten Drücker erreichen, daß der Macintosh auf der Bühne seine Bestauner mit einem gesprochenen „Hello“ begrüßt. Was für die Sängerin Adele in ihrem aktuellen Hit „Hello“ ein Leichtes ist, will dem Mac einfach nicht über seine designte Benutzeroberfläche kommen. Um ihn zum Sprechen zu bringen, müßte er mit Spezialwerkzeug behandelt werden, welches dummerweise gerade außer Reichweite ist. Es war Steves erklärtes Ziel, den Usern das Herumschrauben an Apple-Produkten unmöglich zu machen, und das gilt bis heute. Damit hat er sich gegen seinen Mitstreiter der ersten Stunde, Steve Wozniak, durchgesetzt. Dieser fünfminütige Wettlauf mit der Zeit dauert im Film sehr kurzweilige 40 Minuten, die sich, von einigen Rückblenden abgesehen, in der Kulisse hinter der Bühne abspielen. Jobs befindet sich in einem Dauerredefluß und die anderen Protagonisten umkreisen ihn dabei wie Motten das Licht. Der Schauspieler Michael Fassbender, der mit dem Apple-Manager zu verschmelzen scheint, hat ohne Zweifel den Löwenanteil des Textes zu bewältigen. Weil 40 Filmminuten zu kurz sind, gibt es noch für zwei weitere Produkte zwei weitere Vorhänge. Vier Jahre nach dem Macintosh bringt Steve den NeXT auf die Bühne. Als Dritter im Bunde feiert zehn Jahre danach, 1998, der iMac seine Geburtsstunde und Steve, der dem knallgrünen Apfel zwischendurch den Rücken zugekehrt hatte, zugleich seine Rückkehr in den Konzern. Auch vor diesen beiden glamourös inszenierten Auftritten von Mensch und Produkt spielt sich der Minuten-Countdown wieder weitgehend hinter der Bühne ab und dauert jeweils 40 Filmminuten. Macht zusammen gute zwei Stunden. Für abwechslungsreiche Dialoge sorgen neben dem leicht durchgeknallten Jobs unter vielen anderen seine Ex-Freundin Chrisann, die Heulsuse, mit der gemeinsamen klugen Tochter Lisa. Aber was wäre Steve ohne seine rechte und, wie ich finde, auch linke Hand Joanna Hoffman. Kate Winslet ist immer scharfzüngig zur richtigen Zeit zur Stelle, um den Herrn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Das Bild, das die Filmfigur bei mir hinterläßt, ist sehr zwiespältig. Dem Drehbuch lag eine autorisierte Biographie zugrunde und vieles im Film stimmt mit Wikipedia überein. So hat er Steve Wozniak, mit dem er 1976 die Firma Apple als Garagenfirma gründete, mehrmals gegen die Wand laufen lassen. Garagen und Teller haben eine erstaunliche Gemeinsamkeit: Beide können Millionäre hervorbringen. Steve Jobs‘ Vermögen wurde nach seinem frühen Tod 2011 auf 8 Milliarden Dollar geschätzt. Bemerkenswert fand ich eine Szene bei der Präsentation des iMac, als sich der große Steve Jobs kurz vor seinem grandiosen Auftritt die Füße in der Toilette wäscht. Was will uns das sagen, oder soll uns das überhaupt etwas sagen? Vielleicht zeigt sich hier schon die Idee von der Multifunktionalität der Dinge. Ohne Steve, die App Greta und selbstverständlich die Hörfilmbeschreibung wäre mir nicht nur dieses außergewöhnliche Detail verborgen geblieben. Die sympathische Sprecherin hat in den nicht relativ, sondern absolut kurzen Dialogpausen sofort das Wort ergriffen und knapp aber präzise souffliert. Am Ende des letzten Aktes zum Beispiel beschreibt sie, daß die inzwischen 19-jährige Tochter Lisa einen Walkman an ihrem Gürtel trägt. Dieses häßliche Teil läßt ihren Vater vor Ekel erschaudern. Das Vater-/ Tochterverhältnis ist nicht ganz unvorbelastet. Um ihren Vater zu ärgern, vergleicht sie dessen ganzen Stolz, den iMac, mit einem bunten Kinderbackofen. Damit liegt sie gar nicht so daneben! Aber kurz bevor der letzte Vorhang fällt, verspricht Steve seiner Tochter versöhnlich, ihr eine Unmenge Musik in die Jackentasche zu zaubern. Dieses Versprechen löst er drei Jahre später mit dem iPod ein. Mich hat er, natürlich ohne daß er das explizit wollte oder wußte, mit dem iPhone einige Jahre später beglückt. Steve Jobs war bekennender Beatles- und Bob Dylan-Fan und einige Jahre mit der Folksängerin Joan Baez liiert. Dem gebührend fällt der letzte Vorhang zu Ehren einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Computerindustrie zu den Klängen eines Dylan-Songs. Im Vorprogramm lief übrigens ein Trailer von Aktion Mensch, auf den ich unbedingt per Link aufmerksam machen möchte: https://www.youtube.com/watch?v=gZFHK3OwzFM Eine Art der Begegnung, wie sie Schule machen sollte, und die Reaktion des Publikums ist dafür der beste Beweis!

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James Bond 007: Spectre

„Je suis Paris!“ Am Montag, dem 16. November 2015, um 12.00 Uhr verstummte für eine Minute mein Radio als einzige Geräuschquelle. Wer sich nicht an die zum Gedenken an Paris europaweit ausgerufene Schweigeminute hielt, war mein Handy, um mir idiotischerweise genau in diesem Moment seine Bildschirmsperre mitzuteilen. Ich fühle mich den Franzosen und Frankreich, das inzwischen meine zweite Heimat ist, von jeher sehr, sehr eng verbunden. Die Grausamkeiten vom letzten Freitag sind mir deshalb ganz besonders nahegegangen, auch wenn sich Ähnliches täglich irgendwo auf der Welt abspielt. Jeder hat wahrscheinlich schnell vor seinem geistigen Auge Revue passieren lassen, ob sich jemand aus dem Freundes- oder Familienkreis gerade in Paris aufhält. Ich mußte sofort an eine meiner besten Freundinnen denken, die beruflich während der letzten Woche auf einer Fotomesse in Paris zu tun hatte. Aber dank der sozialen Netzwerke bekam ich noch in derselben Nacht eine beruhigende Nachricht. Ans Schreiben meines Artikels über den aktuellen James Bond-Film war am Wochenende schon deshalb nicht zu denken, weil die Handlung teuflische Berührungspunkte mit den Ereignissen in Paris hat. Aber nichtsdesto- trotz…! „Spectre“, der Filmtitel, heißt übersetzt Schreckgespenst. Zugleich war das bereits in früheren Bond-Filmen die Abkürzung für die gegnerische Terrororganisation, „Special Executive for Counterintelligence, Terrorism, Revenge and Extortion“. Aktuell erfährt Bond erst später im Film, daß er dieses Mal vor der Organisation namens Spectre die Welt retten muß. Zunächst ist der Film mehr oder weniger ein Stummfilm. Zwischen fast martialisch und ohrenbetäubend lauter lateinamerikanischer Percussion ist gelegentlich ein undefinierbares Stimmengewirr zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit fragt eine Frau mit südamerikanischem Akzent: „Wo gehst du hin?“ Die vertraute Stimme von James Bond antwortet. „Ich bin gleich wieder zurück!“ Ich denke, die Dame wartet heute noch. Kurz darauf gibt es noch ein paar Sätze auf Spanisch, einen mächtigen Knall, wieder Stimmengewirr und Motorengeräusche. Vom Nachbarsitz bekam ich zugeraunt, daß sich mit Totenmasken verkleidete Menschenmassen durch die Straßen einer mexikanischen Stadt in Richtung auf ein riesiges Stadion walzen. Genau dieses Stadion haben die spanisch Sprechenden im Visier, um es, natürlich erst wenn alle Menschen sich dort eingefunden haben, in die Luft zu jagen. Das ist das bei allen Bond-Filmen übliche Vorgeplänkel. Bevor es richtig zur Sache geht, hat der Titelsong seinen Auftritt und Sam Smith erhebt zu dramatischer, getragener Orchestermusik seine Stimme. Erheben kann hier wörtlich genommen werden. In dem Song „Writing’s on the Wall” singt er den höchsten Ton seiner bisherigen Karriere. Smith wollte ein dichterisch erzählendes Liebeslied und zugleich einen angemessen klassischen Bond-Song schreiben. Ersteres ist ihm gelungen. Wenn er auch den noch so hohen Ton trifft, erhebe ich den Song dennoch nicht in meine persönliche Bond-Song-Hitliste. Die wird angeführt von Adele mit „Skyfall“, Tina Turner mit „Golden Eye“, „Live and Let Die“ von Paul McCartney, „Dance into the Fire“ von Duran Duran und, der Erste soll der Letzte sein, „Goldfinger“ von Shirley Bassey. Daniel Craig hätte wohl gerne den Song aus dem Hause seiner Lieblingsband Radiohead gehabt. Nach jetzigem Stand wird er auch beim nächsten Bond-Film die Welt retten und vielleicht kann er sich dann mit seinem Wunsch durchsetzen. Der Songtitel „Writing’s on the Wall“ geht auf ein biblisches Motiv zurück und bedeutet ein unübersehbares Omen für ein drohendes und nur sehr schwer abwendbares Unheil, wie wahr! Um Klassen besser gefallen als der Song hat mir der Film. Ich mag, daß sich die Bond-Filme an eine gewisse Grundstruktur halten. Bond kommt nach dem Vorgeplänkel in seine Befehlszentrale, flirtet mit Moneypenny, bekommt von M meistens zuerst einmal eins auf den Deckel und wird von Q mit höchstraffiniertem technischen Schnickschnack und nicht ganz freiwillig den tollsten Autos ausgestattet. So ist es auch dieses Mal. Um während des Vorspiels die Katastrophe von den Stadionbesuchern abzuwenden, sprengt Bond einen ganzen Häuserblock inklusive der spanisch sprechenden Terroristen in die Luft. Das gibt international mächtig Ärger! Viele krachende Geräusche erklären sich erst im Nachhinein im Gespräch. Bei „Spectre“ muß sich Bond zunächst einmal selbst retten. Er soll wegen einer drohenden Fusion der konkurrierenden britischen Geheimdienste abgeschafft werden. Eine ganz wichtige Rolle im Film spielt ein Fingerring mit einem eingravierten Oktopus, dem Symbol der Spectre-Organisation. Da Ringe eher nicht sprechen, ist mir so ziemlich alles um dessen Bewandtnis entgangen. Bei einem Bond-Film im Kinosaal vom Nachbarn Informationen zugeflüstert zu bekommen, ist wegen des Geräuschpegels und der Ereignisdichte eine unmögliche Mission. Nächster Tage werde ich bei dem Verleih eine vorsichtige freundliche Nachfrage starten, wie es mit einer Hörfilmbeschreibung aussieht. Etwas Schlimmeres als eine Absage kann mir schließlich kaum passieren, aber vielleicht gibt es ja doch noch die Lizenz zum Hören! Entschädigt für das Fehlen der Audiodeskription hat mich die traditionell grandiose Bond-Filmmusik. Die Bläser kündigen bombastisch die unmittelbar bevorstehende Entladung einer dramatischen Situation an. Indes bauen die Streicher eine nervenzerreißende Anspannung auf und der heisere Triller einer Querflöte vermittelt etwas Verschwörerisches. Verfolgungsjagden werden meistens mit rasend schnellen Percussionwirbeln auf Congas begleitet. James hatte so viel zu tun, daß er kaum zum Trinken kam, und wurde sogar einmal mit einem alkoholfreien Getränk konfrontiert. Der Ekel in seiner Stimme war nicht zu überhören. Maßgeblich zum Gelingen seiner Mission tragen zwei Mäuschen bei, ein vierbeiniges und natürlich das zweibeinige Bond-Girl Madeleine Swann (Léa Seydoux). Im Film ist am Ende jedenfalls alles gut!!!

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A Perfect Day

Der perfekte Tag begann an einem totstillen, finsteren, naßkalten und beklemmenden Ort. Den Wechsel zwischen hell und dunkel auf der anfangs nur spärlich beleuchteten Leinwand konnte ich immerhin noch gut ausmachen. Wasserrinnsale plätscherten die nackten Wände herunter und ich war froh, in dem gut beheizten und trockenen Kinosaal zu sitzen. Die unheimlich hallende Akustik tat ihr Übriges, als Metall auf Metall stieß, und ich an einen unterirdischen und engen Raum mit hohen Wänden denken mußte. Getippt habe ich auf eine Kanalisation. Zum Glück konnte sich die Idee nicht durchsetzen, den Filmgenuß im Kinosaal noch mit den entsprechenden Düften zu steigern. Aber ich hatte mich vertippt. Es ist ein Brunnen. In den ist zwar kein Kind gefallen, aber ein Mann geworfen worden. Der Mann ist tot, das erklärt schon einmal den fehlenden Dialog. Gesprochen wird erst, als das Tageslicht die Leinwand erhellt. Um den Brunnen herum beratschlagen die Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation (NGO), wie der leblose bereits verwesende Körper schnellstmöglich geborgen werden kann. Ansonsten stünde die Trinkwasserversorgung aller Bewohner eines Dorfes irgendwo in Bosnien auf dem Spiel. Beim ersten Versuch ist der Tote der Stärkere, genauer gesagt der Schwerere, und entscheidet die Zerreißprobe des einzigen weit und breit aufzutreibenden Seiles für sich. Die Helfer brauchen ein Zweitseil, das dem Fettsack, wie sie ihn nennen, standhält. Ihre abenteuerliche Autofahrt durch das bergige unwegsame Bosnien auf der Suche nach einem tauglichen Seil zieht sich ab jetzt als roter Faden durch das Filmgeschehen. Zeitlich fällt die Seilsuche in das Jahr 1995, in dem die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe unter den sechs jugoslawischen Teilrepubliken nach drei Jahren ein Ende fanden. Ein Ende fand damit auch die 1945 ausgerufene Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. „Jugo“ heißt übersetzt Süden, die Slawen sind slawischsprachige Volksstämme und fertig war das Kunstgebilde Jugoslawien: Ein Mix unterschiedlichster ethnologischer und religiöser Volksgruppen, deren einzige Gemeinsamkeiten die südliche geographische Lage und die slawische Sprache waren. In dem Gebiet des heutigen Staates Bosnien-Herzegowina wüteten die Kämpfe besonders lange und grausam. Deshalb stationierte man zur Sicherung des Friedensprozesses die IFOR und verschiedene Hilfsorganisationen versuchten, das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern. Auf die Seilsuche begeben sich die prominent besetzten NGO-Mitarbeiter Mambrú (Benicio del Toro), B (Tim Robbins) und Sophie (Mélanie Thierry). Später gesellen sich noch Katya (Olga Kurylenko), ein Dolmetscher und ein kleiner einheimischer Junge zu der Seilschaft. So wie bei „Er ist wieder da“ der gleichnamige Hit von Marion Maerz aus der Versenkung geholt wurde, hätte das hier mit dem Song „Perfect Day“ von Lou Reed aus dem Jahr 1972 wiederholt werden können. Aber „Hätte, hätte, Fahrradkette“, ein Zitat des Genossen Peer Steinbrück aus seiner Zeit als Kanzlerkandidat! Lou Reed besingt in “Perfect Day” seinen höchstpersönlich perfekten Tag, leider ohne zu verraten, wer oder was genau diesen Tag so perfekt macht. Im Film wird dank des Jungen, der die NGO-Leute zu seinem verlassenen Elternhaus führt, das perfekte Seil für den zweiten Versuch gefunden. Problematisch ist nur, daß das Seil an einer Seite irgendwo angebunden ist, während an dem anderen Ende ein gefährlich bellender wütender Hund hängt. Im nächsten Moment macht das Helferteam in dem ziemlich zerstörten Haus einen grausigen Fund. Die Figuren nehmen den Zuschauer mit in ihre ständig wechselnden Gefühlslagen und es wird einem nichts erspart. Oft kann man sich bei den grotesk komischen Situationen auch das Lachen nicht verkneifen. Begleitet werden die Protagonisten von der perfekt ausgewählten und immer passenden Musik. Lou Reed singt zwar nicht solo, ist aber einige Male als Sänger und Mitbegründer der Band „The Velvet Underground“ zu hören. Die psychedelischen, ruhigen und leisen Klänge werden je nach Stimmung des Filmes vom lauten, chaotischen, fast zerstörerischen Punkrock der Ramones, von Marilyn Manson oder den Buzzcocks abgelöst. Dazwischen ist wieder der melodischere Gesang von Gogol Bordello mit einem leicht folkloristischen Einschlag zu hören. Ein außergewöhnlicher Film verlangt eben nach der entsprechenden Musik. Ein Tag ist für die Helfer wohl schon dann perfekt, wenn sie nicht auf eine der vielen Landminen auffahren, nicht von marodierenden Soldaten überfallen werden, und trotz aller bürokratischen Hindernisse wenigstens ein bißchen helfen können. Dem spanischen Drehbuchautor und Regisseur Fernando León de Aranoa ist es gelungen, solch einen perfekten Tag so glaubhaft und traurig wie leise und humorvoll zu zeigen. Die Romanvorlage zum Film stammt von Paula Farias, die in ihrem Buch „Dejarse Llover“ (Laß es regnen) über ihre eigenen Erfahrungen als Mitarbeiterin von „Ärzte ohne Grenzen“ schrieb. Der Film entläßt das liebenswerte Helferteam mit dem Auftrag, sich um die verstopften Latrinen in einem eilig errichteten Flüchtlingslager zu kümmern. Ich konnte noch einmal aufatmen und die gute Luft im Kinosaal einatmen. Popcorn statt Latrine! Was für ein perfekter Kinoabend!

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