Blog Blindgaengerin

Gesehen gehört

Ein Berliner Zeitungskiosk mit gelber Holzfassade und einer gelbgestreiften Markise. Der Verkäufer sieht aus der geöffneten Ladenluke in Richtung eines Mannes, der mit aufgerissenen Augen auf die Zeitung in seiner Hand schaut. Der hat ein Hitlerbärtchen. An seiner Uniformmütze eine goldene Kordel. An der Mütze und am Ärmel seines grauen Uniformmantels trägt er das Emblem des Reichsadlers.

Er ist wieder da

Schon vor 50 Jahren konnte die deutsche Schlagersängerin Marion Maerz in der ZDF-Hitparade ein Lied davon singen, daß er wieder da ist. Damals schüttete sie zu der moll-lastigen Melodie ihr Herz natürlich nicht über den da aus, der sich gerade durch die deutsche Kinolandschaft demagogisiert, sondern über den da, der zwar wieder da ist, aber leider eben nicht bei ihr. Jetzt ist ihr größter Hit wieder da, weil die Filmemacher von „Er ist wieder da“ die letzten Filmminuten mit genau diesem gleichnamigen Schlager ausklingen lassen. Da liegt er also plötzlich im Sommer 2014 rücklings wie ein gestrandeter Maikäfer, auferstanden aus Ruinen, in seiner ramponierten Nazi-Uniform auf dem Boden irgendeiner Berliner Baulücke. Wer eigentlich? Es ist der da, der sich am 30. April 1945 feige und selbstbestimmt im Führerbunker ins Jenseits beförderte. Nach dem Motto „Totgeglaubte leben länger“ ist der Führer als 56-jähriger wieder da und staunt genauso wie die Zuschauer, wie das vonstatten gegangen sein könnte. Er stellt schnell fest, daß er der einzige des Naziregimes ist, der wieder da ist, und begreift so nach und nach, in welche Zeit es ihn katapultiert hat. Aber Hitler kapituliert vor den damit verbundenen Herausforderungen genauso wenig, wie er 1945 einer Kapitulation des deutschen Reiches zustimmte. Er beginnt, Kapitel für Kapitel die Veränderungen seiner Umwelt seit der Kapitulation zu entdecken, interpretiert diese für sich aber recht eigenwillig. Beim Verzehr eines Müsliriegels, wie er meint „gepreßtes Korn“, schließt er auf immer noch bestehende Versorgungsengpässe. Wegen der auffälligen Präsenz türkischer Landsleute stellt er zunächst wohlwollend fest, daß der einst unentschlossene türkische Kriegsverbündete dem Deutschen Reich doch noch zu Hilfe gekommen sein muß. Bei seinem Rundumschlag durch die politische Landschaft stellt er allen außer den Grünen ein gleichermaßen vernichtendes Urteil aus. Wenn überhaupt, ist es die grüne Landschaftspfleger-Partei wert, ihm bei seiner erneuten Machtergreifung Hilfsdienste zu leisten. Die teuflisch gute Idee, die Zustände des heutigen Deutschland aus der Sicht dieses kranken Hirns zu analysieren, hatte der deutsche Journalist, Buchautor und Übersetzer Timur Vermes. In seinem 2012 erschienenen Buch „Er ist wieder da“ treibt Vermes diese Idee auf die Spitze. Er läßt Hitler vermeintliche Probleme erkennen, seltsame Lösungswege entwickeln und in Führermanier durchsetzen. Christoph Maria Herbst gelingt es in dem Hörbuch, die schauderhafte Stimme so gut zu imitieren, daß man meinen könnte, vor einem Volksempfänger dem neuesten Wahnsinn des Reichskanzlers zu lauschen. Im Film übernimmt Oliver Masucci die Führerrolle. Ihm gelingt es nicht nur, so schauderhaft zu sprechen, sondern auch noch so auszusehen, eben so wie in einer Ausgabe der Wochenschau 2014. Deshalb liegt sein Wiedererkennungswert bei allen, auf die er trifft, bei 100 Prozent, und weil nicht sein kann, was nicht sein kann, halten ihn alle für einen neuen, noch nicht entdeckten Kometen am Comedianhimmel. Recht schnell entdeckt ihn die Medienwelt als den größten Führerimitator und rock zock demagogisiert er vor laufenden Kameras in der Talkshow eines Privatsenders das Publikum. Demagogie kommt aus dem Griechischen und bedeutet Volk und Führen. Der Demagoge in der Antike war ein angesehener Redner und Führer des Volkes bei politischen Entscheidungen. Ihren Höhepunkt erfuhr die Demagogie im 20. Jahrhundert als Mittel der Ideologisierung der Massen und das führte zu dem totalen Imageverlust des ursprünglich positiven Begriffs. Hitler war zu seinen eigentlichen Lebzeiten ein Meisterdemagoge und schürte aus Machtgier methodisch Emotionen und Vorurteile seiner Zuhörerschaft. Es ist mir ein Rätsel, wie er mit dem schrecklich gerollten r und seiner kehligen Brüllstimme, mit der er seine Schrecklichkeiten wortweise eher herausspuckt als spricht, die Massen so in seinen Bann ziehen konnte. In dem Kinderbuch „Urmel aus dem Eis“ gibt es einen See-Elefanten namens Seele-Fant. Er liegt den ganzen Tag einsam auf einer Eisscholle vor der Insel Titiwu und seine Lieder klingen deshalb besonders trübselig, weil er die Vokale umlautet, also verändert. Der Ex-Diktator hat einen verblüffend ähnlichen Sprachtick wie der traurige Seele-Fant. In der Jetztzeit genießt er in den Talkshows als vermeintlicher Imitator des Führers eine Narrenfreiheit, die er gnadenlos für seine Propagandazwecke ausnutzt. Den Verantwortlichen hinter der Kamera stockt schon manchmal der Atem, mir übrigens auch, aber man läßt ihn gewähren, wie damals! Als ob das nicht schon genug wäre, setzt der Regisseur und Drehbuchautor David Wnendt noch einen drauf! Das Hitler-Double wird, begleitet von dem Fernsehfritzen Sawatzki (Fabian Busch), auf das real existierende heutige deutsche Volk losgelassen. Von dem so gewonnenen Doku-Material werden ca. 25 Minuten in den Film gestreut. Was dabei herauskommt, reicht von unglaublich, erschreckend bis haarsträubend und ganz selten auch witzig. An dem einsamen Fremden neben mir im Kino konnte ich spiegelbildlich wunderbar das Wechselbad seiner und meiner Gefühle beobachten: Mal herzhaftes Lachen, dann das Lachen, das im Hals steckenbleibt, manchmal verzweifeltes Aufstöhnen. Als ob die Welt nicht schon mit den bedruckten Seiten namens „Mein Kampf“ genug gestraft wäre, beginnt Hitler, inzwischen recht gut mit der Errungenschaft des Computers vertraut, wieder, geduldiges Papier zu beklecksen. Unter der Federführung der Medienfrau Bellini (Katja Riemann), die er in einem Atemzug mit Leni Riefenstahl nennt, wird die Chose dann auch noch verfilmt. Ohne die Hörfilmbeschreibung über Greta, meinen Rettungsanker, hätte ich spätestens bei dem Film im Film den Überblick verloren. Aber gemeinsam haben wir das problemlos hinbekommen. Die Sprecherin bewahrte auch bei noch so absurden Turbulenzen mit ihrer wohltuenden Stimme die Ruhe und war immer zur richtigen Zeit mit den wichtigen Informationen zur Stelle. Verlassen habe ich das an einem sonnigen Sonntagnachmittag bis auf den letzten Platz ausverkaufte Kino mit einem lachenden und einem nachdenklichen Auge. Auf daß er niemals mehr da sein möge!

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45 Years

Das Edelmetall Silber ist ein chemisches Element, hat eine weißliche Farbe und wird vorzugsweise zu Schmuck verarbeitet. Messing ist das Produkt einer künstlich erzeugten Legierung aus den Metallen Kupfer und Zink. Seine Farbe variiert zwischen goldbraun und goldgelb, je nach der Konzentration des Kupfer- oder Zinkanteils. Aus Messing werden Türklinken und Kerzenständer gefertigt, Messingbeschläge zieren alte Holzboote. Bei der diesjährigen Berlinale gab es gleich zweimal Silber für eine Messinghochzeit. Mit den Silbernen Bären honorierte die Jury die herausragende schauspielerische Leistung der Hauptdarsteller Charlotte Rampling und Tom Courtenay in dem Film „45 Years“. Die beiden stecken als das Ehepaar Kate und Geoff Mercer in einem Vorbereitungscountdown für ein großes Fest, mit dem sie ihren 45. Hochzeitstag, die Messinghochzeit, feiern möchten. Seit langem werden Hochzeitsjubiläen feierlich begangen und jeder Feiertag hat einen eigenen Namen mit entsprechenden Bedeutungen und Bräuchen. Los geht es bereits mit dem ersten Jahrestag, der Papierhochzeit. Im 18. Jahrhundert gab es den Brauch, daß sich die Eheleute nach 35 Jahren zur Leinwandhochzeit auf einer Leinwand verewigen ließen. Hätte ich geheiratet, feierte ich dieses Jahr die Perlenhochzeit. Auch ohne das behördlich dokumentierte und kirchlich abgesegnete Ja-Wort reihen sich 30 Perlen auf der Perlenkette, einfach nur aus Liebe, erst recht ein Grund zum Feiern! Üblicherweise werden Hochzeitsjubiläen zwischen den Eheleuten oder im engsten Familienkreis begangen. Kate und Geoff wollen ihre Messinghochzeit genau so wie damals ihre Hochzeit feiern: Mit einem rauschenden Fest in einem festlich geschmückten großen Saal, mit all ihren Freunden. Wie beim Messing das Kupfer und das Zink, gehen die Ehepartner eine Verbindung ein. Nach 45 Jahren sind sie aufeinander eingespielt und eine Trennung scheint höchst unwahrscheinlich. Sinnbildlich ist die Ehe nun genauso hart und schwer verformbar wie Messing. Soweit jedenfalls die Theorie! Mitten in die Vorbereitungen des Jahrestages flattert ein an Geoff adressierter Brief aus der Schweiz ins Haus. Die Schweizer Behörden teilen ihm mit, daß man jetzt seine vor 50 Jahren tödlich verunglückte Jugendliebe aus einer Gletscherspalte bergen konnte. Bei einer gemeinsamen Wanderung, begleitet von einem ortskundigen Führer, war Katya damals vor Geoffs Augen in die Tiefe gestürzt. Dieser Brief vermag es, sowohl die Alltagsroutine als auch den Hochzeitstagsvorbereitungsmarathon empfindlich zu stören. Die Kameraführung läßt sich viel Zeit, die Blicke und Gesten der beiden einzufangen, mit denen sie ihre sich langsam ändernden Gefühle für einander zum Ausdruck bringen. So nahe sich Kate und Geoff zu sein schienen, so erschreckend ist es anzuschauen, wie sich Kate allmählich in die Eifersucht auf Geoffs Liebe weit vor ihrer Zeit hineinsteigert und alles heutige in Frage stellt. Geoff wird von der Nachricht 50 Jahre zurückkatapultiert. Er hängt den Erinnerungen an seine erste große Liebe nach und sein Interesse an den Vorbereitungen für den großen Tag bewegt sich gegen null. Als Kate ihn so lange löchert, bis er offen ausspricht, daß er Katya geheiratet hätte, die auch noch ein Kind von ihm erwartete, gibt ihr das den Rest. Der Volksmund sagt, die Augen seien das Tor zur Seele. Geöffnet wird das Tor über den Augenkontakt. Mit einem Blick in die Augen läßt sich die Gefühlsregung des Gegenübers ergründen und Nähe aufbauen. Um sich zu verstehen, reichen Blicke und es bedarf keiner Worte. Diese Möglichkeit der Kommunikation, von der Kate und Geoff reichlich Gebrauch machen, bleibt mir leider versagt. Ich brauche das gesprochene Wort oder zumindest ein zu hörendes Seufzen, Atmen, Ächzen, und versuche anhand der Stimmung der Stimme, die Gefühlsstimmung zu erraten. Schon die kleinste Veränderung der Mimik, z.B. der Mundwinkel oder der Augenbrauen, wirkt sich für mich hörbar auf die Stimme aus. Man wird wohl kaum im Brustton der Überzeugung etwas in die Welt posaunen und dabei überrascht eine Augenbraue nach oben ziehen. Sehr treffend hat es ein Texter namens Günther Damm 1968 auf den Punkt gebracht: „Wenn die Augen das Tor zur Seele sind, sind die Ohren der Geheimgang.“ Aber was nutzen mir meine Ohren, wenn eben nicht gesprochen, sondern nur geblickt und gestikuliert wird? Die Rettung ist wieder einmal die Hörfilmbeschreibung. Neben „Fack ju Göhte 2“ ist „45 Years“ der zweite am Donnerstag vor zehn Tagen gestartete Film, bei dem die Hörfilmbeschreibung mit der App von Greta über den Geheimgang in mein Ohr gelangte. Selten haben die Bildbeschreiber die Gelegenheit, die Menschen, ihr Verhalten und das Umfeld so detailliert zu beschreiben, wie bei diesem Film der wenigen Worte. Ich glaube, kein Blick, Achselzucken, zur Seite schauen, einfach jede noch so minimalistische Nuance und Veränderung der Körperhaltung und der Mimik wurde mir vorenthalten. Das Haus der beiden habe ich mir vor meinem geistigen Auge eingerichtet. Dank der Spaziergänge Kates mit dem Hund Max konnte ich mir auch von der ländlichen Gegend der britischen Grafschaft Norfolk eine Vorstellung machen. Max‘ Beschreibung wurde, glaube ich, vergessen. Der Text der Bildbeschreibung hat mir sehr gut gefallen. Mit der Stimme der Sprecherin, oder vielmehr ihrer Sprachmelodie, konnte ich nicht so recht warm werden. Trotz aller Irrungen und Wirrungen der Gefühle lassen sich zu guter Letzt die Eheleute dann doch von ihren Freunden zur Messinghochzeit gratulieren und feiern. Geoff kämpft bei seiner Ansprache an die Geladenen mit den Tränen. Er eröffnet mit Kate zu ihrem Song von damals den Tanz, der vielleicht der letzte der beiden sein könnte. Eine sehr nette Frau hatte mich schon an der Kinokasse unter ihre Fittiche genommen und wir verließen beide gleichermaßen beeindruckt von dem Film das Kino. Ich konnte sie allerdings nicht wirklich davon überzeugen, daß und wie sich mir der für die Augen gemachte Film nur über die Ohren erschließen konnte.

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Ein sehr alter Schreibsekretär mit offener Klappe. Auf dem Sekretär eine Kuhglocke und ein hoher schwarzer Hut, auf dem ein Apfel liegt, in dem drei Pfeile stecken. Darüber ein goldgerahmter Wandspiegel, aus dem eine Teufelsmaske schaut. Vor dem Sekretär sitzt die Blindgängerin und blättert bei Kerzenschein in zwei alten Büchern. Sie hat die Haare zurückgekämmt und trägt eine langärmelige weiße Bluse mit goldenen Borten.

Fack ju Göhte 2

Goethe oder Schiller, wer macht das Rennen? Johann Wolfgang von Goethe und Johann Christoph Friedrich von Schiller zählen zu den bedeutendsten Klassikern der deutschsprachigen Literatur. Goethe wurde 1749 in Frankfurt am Main und Schiller 1759 in einem kleinen württembergischen Städtchen am Neckar geboren. Beide wurden vor ihrem Tod geadelt und starben 1832 bzw. 1805 in Weimar. Die Dichterfreunde gehörten neben Wieland und Herder dem „Viergestirn der Weimarer Klassik“ an und waren zwei der vielen jungen Autoren des Sturm und Drang. Bei „Fack ju Göhte 2“ gehen die zwei Johanns als Namensträger zweier Schulen ins Rennen. Die schon im ersten Film auffällig gewordene Goethe-Gesamtschule GGS trifft auf das elitäre Schiller-Gymnasium SG. Die taffe Rektorin der GGS Gudrun Gerster (Katja Riemann) ist stets bemüht, ihre Schule im Schulranking auch mit unkonventionellen Maßnahmen nach vorne zu bringen und dem benachbarten Schiller-Gymnasium eins auszuwischen. Da kommt ihr der Vorschlag einer ihrer Lehrkräfte, mit einigen Schülern nach Thailand zu reisen, um dort der elitären Konkurrenz deren thailändische Partnerschule abspenstig zu machen, gerade recht. Die Lehrkraft heißt Zeki Müller (Elyas M’Barek) und ist von Beruf Kleinkrimineller mit einem Bildungsgrad nur unerheblich über dem seiner Schüler. Im Vorgängerfilm wollte er eigentlich nur als Hausmeister an der GGS anheuern, um seine unter der Sporthalle vergrabene Diebesbeute in Ruhe ausbuddeln zu können. Genau so wie in der Realität ist die gestreßte Rektorin auch im Film damit beschäftigt, ihren Lehrernotstand zu verwalten, und so stellt sie Zeki irrtümlicherweise trotz seiner haarsträubenden Ausdrucksweise als neuen Aushilfslehrer ein. Müller ist es völlig wurscht, ob er als Hausmeister oder Lehrer einen Tunnel zu seiner Beute buddeln kann. Die für den Lehrerjob nötigen Papiere werden eben produziert. Sehr schnell gelingt es ihm, sogar die Horrorschüler der 10 b mit ihren eigenen Waffen sehr einfallsreich und unorthodox zu zähmen und erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Vielleicht könnte sein Unterrichtsmodell in etwas ausgereifter Form Schule machen? Während seine Kinokollegin Frau Müller Anfang des Jahres partout weg mußte, wird der inzwischen vom Schulalltag und den Schülern genervte Zeki mittels seiner kriminellen Vergangenheit zum Bleiben an der Schule erpresst. Die Erpresserin ist seine Kollegin Elisabeth Schnabelstedt (Karoline Herfurth), die – frisch von der Universität – noch voller Ideale an ihren Bildungsauftrag glaubt und zu diesem Druckmittel natürlich nur aus Liebe greift. Auch bei „Fack ju Göhte 2“ kommt Zeki wieder an Diebesbeute und der ersehnte Absprung vom lästigen Schulalltag und der manchmal etwas anstrengenden Elisabeth scheint in greifbarer Nähe. Doch das Beutelchen entzieht sich schnell seinem Zugriff. Die Diamanten gelangen, versteckt in einem Stofftier, ausgerechnet in den Spendencontainer, mit dem das Schiller-Gymnasium bei seiner Partnerschule in Thailand punkten möchte. Zeki reist notgedrungen dem Stofftier hinterher, mit acht Schülern, davon vier aus der Horrorklasse 10 b, im Gepäck. Mit demselben Flug macht sich auch das überorganisierte Team der Konkurrenz, angeführt von dem Superbiologielehrer und Saubermann Hauke Wölki, auf den Weg. Zekis Schüler lassen keine Chance ungenutzt, sich und ihren Lehrer verbal wie nonverbal in die unmöglichsten Situationen zu manövrieren, und bringen Zeki an den Rand seines eigentlich so unerschöpflichen Gleichmuts. Warum der Film erst ab 12 Jahre freigegeben ist, kann ich mir nur mit der Szene erklären, bei der es Chantal in einer Bar gelingt, einen Tischtennisball in eine ihrer dafür eigentlich nicht vorgesehenen Körperöffnungen zu befördern und wieder frei zu geben. Bei seiner Suche nach den glitzernden Steinchen wird Zeki sowohl von seinen eigenen Nervensägen als auch dem konkurrierenden Spießerteam gestört. Als seine Schützlinge seinen Plan durchschauen, gelangen diese aber auch nur für die berühmte logische Sekunde in den Besitz der wertvollen Steine, um diese zu Zekis Entsetzen gleich wieder in James Bond-Manier auf den Meeresgrund zu versenken. Nach einer längst überfälligen Aussprache versprechen die Schüler, Zeki bei der Suche nach dem verlorengegangenen Schatz zu suchen, vorausgesetzt, er verspricht das scheinbar Unmögliche, nämlich die Bagage durchs Abitur zu bringen. Um ihren guten Willen zu zeigen, liest Chantal die gemeinschaftlich erstellte Zusammenfassung der Faust, äh, des Faust von dem Reclam vor. Armer Goethe! Im ersten Film spielt Elisabeth Schnabelstedt die weibliche erste Geige, wird aber hier recht schnell ausgebremst. Dafür schnäbelt sich die Schülerin Chantal (Jella Haase) liebenswert und antigrammatikalisch um Kopf und Kragen und ihre Mitschüler tun es ihr gleich. Der Drehbuchautor und Regisseur Bora Dagtekin überrascht des weiteren mit einer affenartigen Kokoskopfnuß, einer abgefackelten Hanfplantage und einem befleckten Saubermann. Eine Gruppe auf sich gestellter Waisenkinder, ein trauriges Relikt des Tsunami vor 11 Jahren, klaut, um zu überleben und bekommt dank Zekis Gurkentruppe doch noch eine Perspektive. Zum Durchatmen kommt man erst, wenn die frischgebackenen kleinen Sozialhelden der GGS wieder heimatlichen Boden unter den Füßen haben. Der Sprecher der Hörfilmbeschreibung ergänzte leicht spitzbübisch im schnellen Rhythmus des Filmes die unglaublichen Dialoge mit genauso unglaublichen Bildbeschreibungen. Klassenziel mehr als erreicht! Übrigens! Bei Wikipedia findet man zu dem Ausruf „Fuck you“, natürlich nur korrekt geschrieben, einen Hinweis auf den „Schwäbischen Gruß“ der da lautet: „Leck me am Arsch“. Der altehrwürdige Goethe (mit oe!) setzt diesem Zitat in seinem Schauspiel „Goetz von Berlichingen“ ein literarisches Denkmal. Er läßt den Goetz sagen: „Er aber, sag’s ihm, er kann mich im Arsche lecken!“ So schließt sich der Teufelskreis, Mephisto läßt grüßen.

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Zwei an einem Abend – natürlich Filme!

Der kleinste gemeinsame Nenner der beiden Filme ist das Produktionsland USA und daß eine der Hauptrollen von der Musik gespielt wird. Zuerst gab es ein chorales „Halleluja“ in Weiß und danach ein schwarzes gerapptes „Fuck Tha Police“. Genauso unterschiedlich wie die Filme war das Publikum, nur ich war beide Male dieselbe. In „Der Chor – Stimmen des Herzens“ durfte ich mich zu den Jüngeren zählen und die meisten verließen ergriffen flüsternd den Kinosaal. Nach einer einstündigen Pause saß ich wahrscheinlich als Älteste bei „Straight Outta Compton“ unter Hip-Hop- und Rap-begeistertem Jungvolk, das entsprechend geräuschvoll nachts gegen 02.00 Uhr mit mir mitten drin ins Freie strömte. 1741 schrieb der deutsch-britische Komponist Georg Friedrich Händel das dreiteilige Oratorium „Messias“ in A-Dur und D-Dur für Solisten, Chor, Orgel, Cembalo und Orchester. Mit genau diesem englischsprachigen Werk tritt einer der besten Jugendchöre der Welt, der US-amerikanische „National Boychoir“ bei einem Wettbewerb gegen seine internationale Konkurrenz an. Im zweiten Teil des Messias singt der Schlußchor das wohl jedem bekannte „Halleluja“. Um die Chance auf den heißbegehrten ersten Platz zu erhöhen, peppt die Chorleitung dieses „Halleluja“ mit einem eigens komponierten Solo auf, in dem das eigentlich unerreichbare hohe D gesungen werden muß. Auf meiner Gitarre habe ich dieses hohe D vergebens gesucht, es läßt sich nur mit der Technik des Flageolett-Tones erzeugen. Sogar der weltberühmte italienische Tenor Pavarotti wurde als Meister „nur“ des hohen C gefeiert. Im Film gelingt es immerhin zwei der 12-jährigen Knaben, ihrer Kehle diesen Ton zu entlocken. Einer der beiden ist Stet, gespielt von Garrett Wareing. Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter durch einen Verkehrsunfall muß nun sein Vater die Verantwortung übernehmen, nachdem er sich 12 Jahre lang auf das Ausfüllen von Alimentenschecks beschränkt hatte. Für den Vater ist Stet die etwas lästige Folge eines 12 Jahre zurückliegenden „Verkehrsunfalls“. Bei seiner Frau und den beiden gemeinsamen Töchtern hat er die Existenz eines Sohnes sicherheitshalber unter den Tisch fallen lassen. Glücklicherweise gibt es überall auf der Welt Schulinternate und die Abschiebung auf ein solches, am besten auf einem anderen Kontinent, scheint ihm eine elegante Lösung des Problems zu sein. Dank seiner herausragenden Stimme und seines finanzkräftigen Vaters erhält Stet die – wenn auch zähneknirschende – Zustimmung des Direktoriums zur Aufnahme in das Musikinternat an der Ostküste mit der renommiertesten Chorschule der USA. Ihm gelingt damit eine rasante Fahrt mit dem sozialen Aufzug nach oben. Im Internat legt er sich mit fast all seinen hochnäsigen Mitschülern an und revoltiert bis auf eine Ausnahme gegen die Lehrerschaft. Aber der Film lechzt nach einem Happy End und bekommt das auch, abgesehen von einem Wermutströpfchen. Für die vorhersehbare und flache Filmhandlung entschädigen die wunderschöne unter die Haut gehende Chormusik und der 78-jährige Dustin Hoffman als charismatischer Chorleiter. Der kanadische musikerfahrene Regisseur François Girard gewährt uns Einblicke in den Schulalltag und besonders den Musikunterricht der Jungs. Der strenge Chorleiter Carvelle triezt seine Schüler mit Atemübungen, mathematischen Formeln ähnelnder Musiktheorie und straff geführten Proben zu Höchstleistungen. Aber um welchen Preis? Die Uhr tickt für uns alle in jeder Hinsicht, aber für die Chorknaben rasen die Zeiger besonders gnadenlos auf den alles beendenden Stimmbruch zu. Stet gelingt das Unmögliche und er brilliert beim „Halleluja“ mit dem hohen D. Meine Mutter singt, solange ich zurückdenken kann, in einem Bach-Chor und hat meine Zweifel beseitigt, ob der Junge uns wirklich das hohe D gegeben hat. Allerdings muß solch eine außerordentliche Leistung nicht unbedingt mit dem entsprechenden Genuß für die Ohren einhergehen. Kaum war das „Halleluja“ mit dem hohen D verstummt, gab es lauten Gangsta-Rap und Hip-Hop auf meine beiden Ohren. Im rechten Ohr hatte ich zusätzlich die Hörfilmbeschreibung, die mich auch dank der ruhigen Stimme des Sprechers über dieses Chaos rettete. „Straight Outta Compton“ heißt nicht nur der Film, sondern ist auch der Titel des am 08.08.1988 erschienenen Erfolgsalbums des Hip-Hop-Kollektivs N.W.A aus Compton im südlichen Großraum von Los Angeles. N.W.A. steht für „Niggaz Wit Attitudes“. Attitude bedeutet Haltung, innere Einstellung, ein großes Wort für die teilweise recht fragwürdigen Inhalte, die in das Publikum gerappt werden. Der Regisseur F. Gary Gray läßt in 147 Filmminuten neun Jahre Revue passieren, in denen die Fünf der N.W.A.-Crew 1986 klein anfangen, zu Ruhm und viel Geld kommen, sich bitter zerstreiten und sich zu guter Letzt 1995 am Sterbebett von Eazy-E wieder annähern. Die anderen vier, noch unter den Lebenden verweilenden Gründungsmitglieder heißen Dr. Dre, Ice Cube, DJ Yella und MC Ren. Mit dem Skandalsong „Fuck Tha Police“ von 1988 trafen die Fünf den Nerv ihrer Generation, sie wurden schlagartig als Helden gefeiert und kamen quasi über Nacht zu Geld und Ruhm. Nicht unerheblich verdanken sie diesen Erfolg der freundlichen Unterstützung durch das FBI, weil es das Zurückziehen der Platte erreichen wollte. Das Thema weiße Polizeigewalt gegen, wie darf ich eigentlich sagen, Farbige, ist heute leider immer noch aktuell. Aber die erste Filmszene, in der ein panzerähnliches Gefährt die Fassade eines Hauses niederwalzt, um ein vermutetes Drogengeschäft aufzudecken, ist so hoffentlich heute nicht einmal mehr in den USA möglich. Die unterschiedlich fließenden Geldströme führen recht schnell zu heftigen Streitereien und schließlich zum Bruch, was vor allem und wie auch eine Menge der Kohle auf das Konto des zwielichtigen Musikmanagers Jerry Heller geht. Während der gesamten Filmzeit lag immer eine Spannung in der Luft, die sich jederzeit zu einer saftigen Prügelei mit viel Scherben und immer einer Schnapsflasche in der Hand entladen konnte und auch entladen hat. Das weibliche Geschlecht übernimmt bis auf wenige Ausnahmen den Part, barbusig zur allgemeinen Erheiterung beizutragen. Obwohl immer mindestens drei Rapper gleichzeitig mit ihren kaum zu unterscheidenden Stimmen durcheinander quatschen, ist es den Hörfilmbeschreibern gelungen, das Chaos zu sortieren, bestimmt mit der einen oder anderen Schweißperle auf der Stirn. An meiner meist nur mäßigen Begeisterung für Rap und Hip-Hop konnte der Film nichts ändern und der Chorleiter Carvelle würde sich wahrscheinlich weigern, den Rap überhaupt als Musik durchgehen zu lassen. Aber die alte Volksweisheit „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“ trifft zumindest teilweise auch auf die fünf Rapper zu. Ich mag Filme, in

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Der Sommer mit Mamã

Dieser alles auf den Kopf stellende Sommer mit Mama spielt sich hauptsächlich auf einem sehr luxuriösen Anwesen in der brasilianischen Metropole São Paulo ab und endet dort mit einem Befreiungsschlag im Swimmingpool. Mit durchschlagendem Erfolg hat sich der Film bereits im letzten Winter bei der Berlinale gegen die Konkurrenz durchgesetzt und den Panorama Publikumspreis gewonnen. Ohne die konkurrierenden Filme zu kennen: Ich hätte bestimmt auch für den „Sommer“ gestimmt und das nicht etwa, weil ich im Februar den Winter schon mehr als leid bin. Ich denke, die eigentliche Preisträgerin des Publikumspreises ist Val (Regina Casé), die gute Seele nicht nur des Filmes, sondern auch des Hauses mit dem bedeutungsschwangeren Swimmingpool. Val ist die Abkürzung für den schönen Mädchennamen Valerie, der seine Wurzeln in dem lateinischen Verb „valere“ (gesund sein, stark sein) hat. Seit über zehn Jahren kümmert sich Val als Haushälterin und Kindermädchen um Wohl und Wehe der drei Bewohner des Latifundiums, und das so ziemlich rund um die Uhr. Wenn sie nicht den inzwischen 17-jährigen Sohn des Hauses Fabinho mit ihrer Liebe und Fürsorge überschüttet, hat sie damit zu tun, die pausenlos geäußerten Wünsche ihrer Herrschaften zu erfüllen. Das einzige, was die Bewohner alleine bewerkstelligen, ist es, die Gabel oder das gerade servierte Getränk zum Munde zu führen. Auch der verwöhnte Sprößling wird frühzeitig an seinen Status als Befehlsgeber herangeführt. Der Herr des Hauses, Herr Carlos, wurde mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren und ermöglicht so seiner Familie ein sorgenloses und luxuriöses Leben. Neben Val gibt es auch noch eine Putzfrau und einen Chauffeur. Gelangweilt und ein bißchen lebensmüde schleppt sich Carlos durch den Tag und wird von Val ständig an das Einnehmen seiner Medikamente erinnert. Dagegen strotzt die Dame des Hauses, Frau Barbara, vor Energie, allerdings nur, um sich selbst darzustellen und an ihrer Karriere in der Modebranche zu basteln. Ihre Rolle als Mutter hat sie für die letzten zehn Jahre dankbar an Val abgetreten. Anhand der Stimmen und dem, was sie wie sagen, habe ich mir ein Bild von den drei Figuren gemacht. Der Lektor hat sich einfach den Trailer angeschaut und dann haben wir unsere Ergebnisse verglichen. Von den Stimmen auf das Äußere zu schließen kann ganz schön schief gehen, aber hier lag ich gar nicht so falsch. Meiner Namensvetterin habe ich ein ziemlich unsympathisches Äußeres verpaßt. Ihre Stimme klingt mal schrill, mal genervt, und immer aufgesetzt. Das entspricht auch ihrer Erscheinung, wie sie sich kleidet, schminkt und frisiert. Wenn sie sich überhaupt zu Hause blicken läßt, stolziert sie Befehle erteilend durch die Räumlichkeiten und beendet jeden zweiten Satz mit „Schätzchen, Küßchen“. Unter Val habe ich mir eine etwas kräftiger gebaute robuste Frau vorgestellt, die ihr Päckchen zu tragen hat und mitten im Leben steht. Ihre tiefe Stimme klingt mal energisch streng, mal müde, mal gütig warmherzig, oder sie lacht ihr ehrliches befreiendes Lachen. Sie ist keine Schönheit, aber wenn sie ihr Lachen lacht, werden ihre kantigen Gesichtszüge weich und ihre Augen funkeln lebenslustig. Der Mann des Hauses geht mit seiner angenehm ruhigen und leisen Stimme zwischen den beiden Frauen etwas unter. Er hat in mir nicht gerade die Vorstellung eines glutäugig schwarzgelockten temperamentvollen Brasileiros geweckt. Sein eher unauffälliges Äußeres entspricht ein bißchen der ihm in der Familie zugedachten Rolle. Eines Tages platzt Val mit der Neuigkeit heraus, daß ihre Tochter Jéssica nach São Paulo komme, um an einer Aufnahmeprüfung für die Universität teilzunehmen. Jéssica ist natürlich herzlich willkommen und bekommt in Vals Kemenate Asyl. Vor zehn Jahren mußte Val, anders als Barbara, ihre Mutterrolle gezwungenermaßen an eine Verwandte abtreten. Um ihre Tochter und sich ernähren zu können, ging sie schweren Herzens vom Land nach São Paulo und zog liebevoll, aber stets von Gewissensbissen geplagt, den damals siebenjährigen Fabinho auf statt ihre eigene Tochter. Während dieser Zeit hatten Mutter und Tochter so gut wie keinen Kontakt und bei ihrem Wiedersehen stehen sie sich wie zwei Fremde gegenüber. Jéssica ist eine moderne, selbstbewußte, attraktive junge Frau und erweckt zu Barbaras Mißfallen die Lebensgeister und die Gunst des Senioren des Hauses. Von Vals besserer Besenkammer darf sie in das Gästezimmer mit eigenem Bad umziehen, diniert mit dem Hausherrn am selben Tisch und wird so zwangsläufig von ihrer Mutter mit bedient. Sie darf sogar das den Herrschaften vorbehaltene Erste-Klasse-Eis verspeisen. Val versteht die Welt nicht mehr und das ihr eigentlich Halt gebende Weltbild gerät ins Wanken. Mutter und Tochter beginnen, sich aneinander zu reiben und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Regisseurin Anna Muylaert versteht es, an vielen alltäglichen Kleinigkeiten das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich in Brasilien aufzuzeigen. Sie tut dies feinfühlig und mit Witz, ohne daß Val dabei ihr Gesicht verliert. Anna wurde selbst von einem Kindermädchen betreut, das in einem sklavenähnlichen Verhältnis im elterlichen Haus lebte. Für die Betreuung ihrer eigenen Kinder beschäftigt sie eine Tagesmutter mit festen Arbeitszeiten. Der Himmel über dem Swimmingpool ist immer blitzeblau und das glasklare Wasser verlockt verführerisch, sich mit einem Sprung ins kühlende Naß der flimmernden Hitze zu entziehen. Aber Val verbietet ihrer Tochter schon den Gedanken daran, der Pool sei für sie ein absolutes Tabu. Das kümmert den Kronsohn wenig und er befördert Jéssica aus Jux und Dollerei in voller Montur in das Heiligtum. Barbara ist entsetzt und veranlaßt unter dem Vorwand, eine Ratte am Wasser gesehen zu haben, den Pool zu leeren. Jéssica hat verstanden und verläßt so schnell wie möglich die ungastliche Stätte, worauf Barbara ja schon seit längerem drängt. Weil Jéssica nicht nur hübsch, sondern auch intelligent ist, besteht sie im Gegensatz zu Fabinho die Aufnahmeprüfung sogar mit Bravour. Val kann sich gar nicht oft genug mit stolzgeschwellter Brust die Punktzahl auf der Zunge zergehen lassen, natürlich nur in Barbaras Gegenwart. Ob genau das ihr die Kraft gibt, sich aus dem Herrschaftsgefüge zu lösen, kann sie nur selbst beantworten. Jedenfalls sitzt sie plötzlich quietschvergnügt planschend in dem nur knietief gefüllten Tabu und telefoniert dabei lachend mit ihrer Tochter. Als nächstes trifft sie selbstbewußt einige Entscheidungen, damit sich ihr tragisches Schicksal nicht bei Jéssica wiederholt. Ich drücke den beiden beide Daumen!

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Auf einem roten Ecksofa sitzt die Blindgängerin mit einer goldenen Pappkrone auf dem Kopf. Sie trägt ein goldenes Trägershirt und einen blauen Minirock. In der Hand einen Filzstift, schaut sie in einen Schreibtischkalender, auf dem schon alle Tage schwarz angekreuzt sind. Neben ihr liegt ein großer Wandkalender. Auf dem Tisch vor ihr eine Rechenmaschine und ein goldener Pokal mit der Zahl 1.

Dating Queen

Was ist eigentlich Monogamie, außer unrealistisch? Der Begriff Monogamie kommt aus dem Altgriechischen, monos heißt „alleine, einzig“ und gamos „Ehe“. Er bezeichnet eine lebenslange exklusive Fortpflanzungsgemeinschaft zwischen zwei Individuen einer Art, wie bei den Höckerschwänen und manchmal beim Menschen. Wenn Monogamie unrealistisch sein soll, ist dann Polygamie realistisch? Die Übersetzung für poly ist „viel“ und die für gamos wie gehabt „Ehe“. Polygamie bedeutet Vielehe und die Duldung von gleichzeitigen eheähnlichen Beziehungen. Eine der Varianten ist die Polygynie, auf Deutsch die Vielweiberei. Die sich seit knapp zwei Wochen durch die Kinos datende Queen Amy hat sich mit Haut und Haar der Polyandrie, der Vielmännerei, verschrieben. Dieses Wort gefällt mir und wird in sehr schnellen und witzigen 130 Filmminuten mit viel männlicher Präsenz zum Leben erweckt. Der Grund für Amys Vielmännerei könnte 23 Jahre zurückliegen, als der Vater ihr und der jüngeren Schwester Kim den Scheidungsgrund der Eltern so unkonventionell wie amüsant zu erklären versuchte. Mit der Puppe der jüngeren Kim in der Hand stellt er die Frage, ob sich die beiden vorstellen könnten, lebenslänglich immer nur mit dieser einen Puppe spielen zu müssen. Vielleicht möchte diese Puppe phasenweise auch gar nicht mehr so unbedingt angefaßt werden. Und was, wenn sich viel attraktivere Puppen dazugesellen? Er verspinnt sich in einem Netz von plötzlich auftauchenden und wieder verschwindenden Puppen, verpuppt sich, bis er sich wieder entpuppt und zwar zu einem Puppenspieler, er will ja nur spielen. Zu guter Letzt gibt er die Parole aus „Monogamie ist unrealistisch“, die er die ungefähr fünf- und siebenjährigen Mädchen gleich zweimal hintereinander im Chor nachplappern läßt. Was den Mädchen damals wie böhmische Dörfer vorgekommen sein muß, haben die inzwischen jungen Frauen natürlich längst verstanden. Amy tritt ganz anders als ihre jüngere Schwester Kim begeistert in die väterlichen Fußstapfen und traktiert das männliche Geschlecht. Die in den 70ern besungene Dancing Queen hat sich ihren Titel ertanzt. Die vor drei Jahren für ein Fernsehformat irgendeines Privatsenders erfundene Shopping Queen wird für ihre Einkaufsqualitäten zur Königin gekürt. Die Dating Queen darf wegen ihrer zahllosen Rendezvous ihr Haupt mit einer Krone schmücken. Ich tauge weder zur Dancing, Shopping noch Dating Queen, aber im Verschusseln bin ich umso besser. Trotz Ankündigung habe ich es nämlich verschusselt, die App von Greta zu updaten mit der Folge, daß anstatt der Hörfilmbeschreibung in meinem rechten Ohr gähnende Stille herrschte. Beim ersten One-Night-Stand übernimmt Amy personifiziert die Bildbeschreibung. Amy heißt im wirklichen Leben Amy Schumer und wurde als amerikanische Stand-Up-Comedienne mit ihrer Comedyserie „Inside Amy Schumer“ bekannt. Sie schrieb das biographisch angehauchte Drehbuch für den Film und die besagte Szene stammt aus ihrem Fundus eigener Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht. Sie ist völlig außer sich über die Dimension des Gemächts ihres Spielgefährten, da ist kein Ende in Sicht! Zu sehen ist der Bursche nur von hinten, so daß wir Amys Beschreibung glauben müssen. Anfangs dachte ich, daß bei dem geschlechtsübergreifenden Gequassel ohne Punkt und Komma kaum Platz für eine Hörfilmbeschreibung bleibt. Schließlich häuften sich die amüsierten Lacher im Kinosaal, bei denen ich nicht mithalten konnte, kein gutes Zeichen! Also habe ich mich ein zweites Mal mit der Queen, diesmal begleitet von Greta, verabredet und plötzlich sah die Sache ganz anders aus. Ich konnte mir ein Bild von Amys Outfit machen, wie sie durch New York stöckelt, sich dem Alkohol und Shitrauchen hingibt und ihre Dates verwaltet. Auch auf das ein oder andere sehr nett beschriebene Detail bei ihren nächtlichen Abenteuern hätte ich nicht verzichten wollen. Auch beruflich hat sie es mit der Männerwelt zu tun. Sie schreibt erfolgreich Artikel für den Verlag eines Männermagazins, bei dem eine herrische Chefin die Aufträge je nach Sympathie unter den weiblichen und männlichen Schreiberlingen aufteilt. Ausgerechnet die verklemmte Nikki soll in Erfahrung bringen, wie sich der Verzehr von Knoblauch auf den Geschmack von Sperma auswirkt. Amy hat mehr Glück, sie darf den erfolgreichen Sportchirurgen Aaron (Billy Hader) interviewen. Zwischendurch schießt sie noch das Muskelpaket Oliver ab, der sich zu ihrem Entsetzen nach einer Frau fürs Leben mit einem Haus auf dem Land, gefüllt mit Kindern, sehnt. Beim Interview kommt es natürlich, wie es kommen muß, sie bestimmt zwar das Tempo, bricht allerdings gleich in der ersten Nacht mit ihrem Gelübde, nämlich niemals für die ganze Nacht zu bleiben. Die Liebe nimmt ihren Lauf und alle Versuche, sich den Sportchirurgen schlecht zu reden, scheitern kläglich. Ein Wermutstropfen in Amys Leben ist ihr an MS erkrankter Vater, den sie mit ihrer Schwester in einem Pflegeheim unterbringen muß. Jeder weiß, wie traurig Besuche in solchen Einrichtungen sind. Und wieder kommt es, wie es kommen muß! Die junge Liebe zerbricht. Nach einer kurzen Trotzphase, in der sie ein unglaublich komisches sexuelles Intermezzo mit dem 16-jährigen Praktikanten des Verlages hat, trifft Amy knallhart die Erkenntnis, daß Monogamie vielleicht doch gar nicht so unrealistisch ist. Sehr schön hörfilmbeschrieben ist das große Finale. Amy bricht sich einen Zacken aus ihrer Krone und versucht, zwischen den ihr eigentlich so verhaßten Cheerleader-Mädels mit einer Art Versöhnungsveitstanz alles wieder ins Lot zu bringen. Vielleicht klappt‘s ja dann auch mit dem Sportchirurgen! Mich juckt‘s in den Fingern, unzählige Szenen zu beschreiben, die ich erst mit dem Mann in meinem Ohr genießen konnte. Zusammenfassend kann ich jetzt mit Gewißheit sagen, daß Hörfilmbeschreibungen sogar bei vor Dialogen nur so strotzenden Filmen wie diesem für mich alternativlos sind!

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Die Blindgängerin auf dem Fahrersitz eines PKW, von der Beifahrerseite aus aufgenommen. Die Sonnenbrille in die Haare hochgeschoben, hat sie beide Hände am Lenkrad. Fröhlich lächelnd schaut sie nach vorn. Sie trägt ein weißes Shirt mit bunten Tupfen und weiße Jeans. Am Armaturenbrett lehnt der weiße Langstock.

Learning to Drive – Fahrstunden fürs Leben

Zuerst schnallen Sie sich bitte an, schalten die Zündung ein, starten den Motor, setzen den linken Blinker und schauen vorm Losfahren über ihre Schulter nach hinten, um den toten Winkel einsehen zu können. Nein, nicht über die rechte, sondern die linke Schulter! Dann macht der Wagen einen mächtigen Satz nach vorne. Also alles bis auf das Anschnallen noch einmal, und zwar mit Gefühl! So ähnlich begann meine erste Fahrstunde, aber leider nur im Film „Learning to Drive“! Hier sitzt Wendy, eine prominente New Yorker Literaturkritikerin Mitte 40, am Steuer. Bis zur Trennung von ihrem Mann sah sie keine Notwendigkeit, sich dem Streß einer Fahrprüfung und dem des New Yorker Straßenverkehrs auszusetzen. Entweder übernahm ihr Mann die Chauffeurdienste oder das gut ausgebaute öffentliche New Yorker Nahverkehrssystem. Ich hätte sehr gerne auf Wendys Platz gesessen und dann auch noch neben dem indischen Fahrlehrer Darwan mit seiner unendlich ruhigen und sanftmütigen Stimme. Für mich ist es unbegreiflich, wie man freiwillig auf das Privileg der Mobilität, die einem der Führerschein eröffnet, verzichten kann. Sich einfach in ein Auto zu setzen und jederzeit spontan mal eben dahin zu fahren, wo man hin möchte, beneidenswert!!! Ich brauche immer zuerst einmal einen Plan, wie ich mein Ziel erreichen kann, und den mit reichlich zeitlichem Vorlauf. Es gibt bestimmt Schlimmeres, aber die Lizenz zum Autofahren wäre schon toll. Daß Wendy ausgerechnet bei dem Fahrschullehrer Darwan landet, ist ihr Glück im Unglück. Darwan hätte übrigens gesagt: „Gluck im Ungluck“! Indern kommt so gut wie kein Ü über die Lippen. Als ich vor Jahren mit einem Inder Silvester feierte, „wunschte“ er uns viel „Gluck furs neue Jahr“. Im Film hat das mit dem Ü-Sagen allerdings geklappt. Ausgerechnet während einer Taxifahrt erklärt Wendys Mann die Ehe für ab sofort beendet, nicht gerade auf die feine Art und zumindest für Wendy aus heiterem Himmel. Am Steuer sitzt Darwan, der sich auch noch als Taxifahrer seine Brötchen verdient. Das Ehepaar sitzt streitend auf der Rückbank, Wendy kreischt hysterisch, bis der ehebrecherische Gatte sich den Wutausbrüchen seiner Frau entzieht. Fluchtartig stürzt er aus dem Taxi und fleht Darwan an, seine nun Ex-Frau nach Hause zu fahren. Dort liefert dieser das traurige Bündel Wendy schon fast mit schlechtem Gewissen ab. Als Wendys Mann eines Tages noch einmal bei ihr auftaucht, um seine persönlichen Sachen zu holen, zieht sie noch einmal alle Register, leider vergebens. Er geht “Back to Her” und sie geht „Back to Black“. Auch aus dem Besuch der gemeinsamen, ungefähr 20-jährigen Tochter Tasha wird zu Wendys Enttäuschung nur eine Stippvisite. Wieder zieht Wendy den Kürzeren, weil die Tochter mit dem Vater und dessen neuer Flamme zum Essen verabredet ist. Anschließend muß Tasha nach Vermont, wo sie seit kurzem auf einer Farm arbeitet. Dort hat sie entdeckt, daß Gemüse nicht in Plastikfolie gezwängt im Supermarktregal wächst, sondern der Samen in die Erde gesteckt und später die gereifte Frucht ausgebuddelt werden muß. Und überhaupt Erde! Wie sie sich anfaßt, wie sie duftet, zum Reinbeißen! Als Tasha ihrer Mutter vorwirft, sie nur mangels Führerschein niemals in Vermont zu besuchen, beißt Wendy in den sauren Apfel. Sie beschließt, sich zur Fahrschule anzumelden, und verabredet sich schon einmal mit ihrer Tochter zum Erde Essen in Vermont. Wie das Leben manchmal so spielt und sich doch noch alles zum Guten fügt! Gerade dank der für sie doch so unerfreulichen Taxifahrt sitzt Wendy jetzt am Steuer des Fahrschulwagens neben Darwan, der sich trotz ihrer chaotischen Fahrversuche mit stoischer Ruhe durch das Dickicht des New Yorker Straßenverkehrs kutschieren läßt. Sie flucht über alles und jeden, der ihre Kühlerhaube kreuzt, oder sitzt tief in Gedanken unkonzentriert am Steuer und verursacht einen Auffahrunfall. Darwan ist zugleich Fahrschullehrer und Seelendoktor, die beiden philosophieren über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und Besonderen. Aber auch Darwan fragt seine Schülerin gelegentlich um Rat in wichtigen Lebensfragen. Schritt für Schritt findet sich Wendy mit ihrem Solodasein und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten, wie z.B. saftigen Unterhaltszahlungen an den Ex, ab. So allmählich wird auch angedacht, sich zur Fahrprüfung anzumelden. Doch auch der scheinbar in sich ruhende Darwan, ein traditionsbewußter, streng gläubiger Sikh, trägt einige Probleme mit sich herum. Weil er darauf besteht, seinen Turban und Bart zu tragen, kann er trotz seiner Bildung nur den Beruf des Fahrschullehrers ausüben. Nicht nur einmal schlägt ihm fremdenfeindliche Gesinnung entgegen. Die Brautsuche übernimmt seine Schwester in der indischen Heimat. Er muß sich auf deren Geschmack verlassen und bekommt die Zukünftige das erste Mal am New Yorker Flughafen zu Gesicht. Die für westliche Vorstellungen undenkbare Art der Eheschließung wird von Fahrschülerin und Lehrer natürlich völlig kontrovers diskutiert. Beim Autofahren, vor allem bei längeren Strecken, fallen mir immer früher oder später die Augen zu. Bei den „Fahrstunden fürs Leben“ hatte ich ein-, zweimal den gefährlichen Sekundenschlaf. Wahrscheinlich, als nur der schöne Musikmix aus westlichen und indischen Klängen zu hören war. Ansonsten habe ich mich auf der Rückbank bei Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley), in Szene gesetzt von Isabel Coixet, sehr gut und kurzweilig unterhalten gefühlt. Mit dem Ende am Schluß ist das so eine Sache! Ich bin mir ziemlich sicher, wie die Sache zwischen den beiden ausgeht, aber wegen der letzten wortlosen Filmminuten eben nicht ganz sicher. So komme ich nicht einmal in die Verlegenheit, das Ende zu verraten.

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Amy

Ach ja, Amy! Hätte ich doch die Chance genutzt und wäre damals, ich denke 2007, zu ihrem Konzert in das Berliner Tempodrom gegangen. Im Radio erfuhr ich, daß sie etwas fahrig und unkonzentriert wirkte, sie bekam aber dennoch eine wohlwollende Kritik. Eine Woche bevor sich Amy Winehouses Todestag zum vierten Mal jährte, kam am 16.07.2015 der Dokumentarfilm „Amy“ in die deutschen Kinos. Erstaunlicherweise kann der Film bis jetzt nur knapp 54.000 Besucher verbuchen, das liegt vielleicht an den sehr sparsam und zu ungewöhnlichen Zeiten angebotenen Vorstellungen. Außerdem gibt es den Film nur auf Englisch im Original mit Untertitel zu sehen. Am dritten Tag, Samstag abends um 23.00 Uhr, habe ich im ausverkauften Clubkino des Berliner Zoopalasts von Amy Abschied genommen. Das klingt vielleicht ein bißchen theatralisch, aber so war das eben. Ich hatte gehofft, viele ihrer Songs, und nicht nur die gängigen, noch einmal ganz bewußt genießen zu können, und wurde nicht enttäuscht. Bei ihrem Superhit „Back to Black” bekam ich schon immer beim ersten Takt eine Gänsehaut. Im Kino bei der tollen Akustik kam die Gänsehaut gleich bei der ersten der 128 Filmminuten und blieb mehr oder weniger bis zum Schluß. Neben vielen Wegbegleitern aus ihrem privaten wie musikalischen Leben kommt natürlich auch Amy selbst einige Male zu Wort. Ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich die Sprech- und Singstimmen, besonders die der Sängerinnen, klingen. Amy spricht eher leise in einer wesentlich höheren Tonlage als beim Singen, lispelt ein bißchen und ihre Stimme klingt sehr jung, ihrem zarten Alter entsprechend. Wenn sie aber mit ihrer schönen, kräftigen, klaren, tiefen Stimme ganz ruhig und fast schon ein bißchen abgeklärt ihre traurigen Texte vorträgt, denke ich eher an eine gestandene Frau mit großer Lebenserfahrung. Fast alle der Songtexte stammen aus ihrer Feder und sie meint, nur über Dinge schreiben zu können, die sie selbst erlebt hat. Da tun sich schon Abgründe auf. Insbesondere bei dem Titel „Back to Black“ hat sie, wie ich finde, einen Nerv getroffen. Wer ist nicht selbst schon mindestens einmal in seinem Leben back to black gegangen? Ganz wichtig war es ihr, als Jazzsängerin anerkannt zu werden. Die schönen und ganz schön traurigen Melodien nehme ich eigentlich nur wahr, wenn ihre dominante Stimme pausiert. Sie beherrscht perfekt die Kunst der musikalischen Pause. Eine Pause genau an der richtigen Stelle, nicht zu lang und nicht zu kurz eben nicht zu singen oder sein Instrument nicht zu spielen, ist mindestens genauso schwierig wie das Singen oder Spielen an sich. Amy verzichtet auf Füllsel wie schubidu, lalala und yeahyeahyeah und Backgroundsänger(innen) sind mir auch nie aufgefallen. Unmengen von Archivmaterial, zahllose Interviews mit Familie, Freunden und Vertrauten sowie von Freunden zur Verfügung gestellte Home Videos standen dem britischen Regisseur Asif Kapadia zur Verfügung. Er hatte die Qual der Wahl und mußte sich für die richtigen Ausschnitte entscheiden, um Amys grandiose wie traurige 27-jährige Biographie zu dokumentieren. Etwas Skepsis kam bei einigen Filmkritikern auf, weil auch der sehende Zuschauer gelegentlich nicht einmal das Gesicht des gerade Sprechenden zu sehen bekommt und so über dessen Identität im Dunkeln gelassen wird. Man könne so auch nicht an der Mimik beispielsweise die Aufrichtigkeit und Echtheit der Gefühle des Sprechenden erkennen. Das war für mich nichts Außergewöhnliches, da ich immer an der Stimme die Gefühlsregungen meines Gegenübers eruiere. Wegen meiner recht lausigen Englischkenntnisse hatte ich oft so meine Müh und Not, den Gesprächen bis ins letzte Detail zu folgen, besonders bei den teils nuschelnden Herren. Sicherheitshalber werde ich mir die DVD noch einmal zu Hause mit einem Zuflüsterer anschauen, der der englischen Sprache besser mächtig ist als ich, oder der mir die deutschen Untertitel vorliest. Aber mir kam es ja nicht darauf an, neue skandalöse Enthüllungen zu erfahren. Auch inwieweit ihr Vater sowie ihr langjähriger Freund und kurzfristiger Ehemann Blake Fielder-Civil an ihren Drogenproblemen und letztlich an ihrem Tod eine Mitschuld tragen, kann ich am allerwenigsten beurteilen. Das Wort „Mitschuld“ bedeutet ja auch, daß es dabei zumindest noch einen Rest Eigenverantwortung gibt. Einige ihrer Freundinnen aus der Zeit vor ihrer Karriere machten sich mit tränenerstickter Stimme Vorwürfe, Amy nicht oder erst viel zu spät geholfen zu haben. Aber all denjenigen, die Amy beim Auftaktkonzert ihrer Europatournee in Belgrad im Frühling 2011 auf die Bühne schleppten, gehören meterlang die Ohren langgezogen. Während der Autofahrt zum Londoner Flughafen lag sie im Koma, wurde in den Flieger verfrachtet und ist erst gegen Ende des Fluges ein bißchen zu sich gekommen. In Belgrad hat man sie einfach auf die Bühne gestellt. Als sie keine Silbe über ihre Lippen bekommt, wird sie vom enttäuschten und wütenden Publikum ausgebuht. Sie verläßt nicht nur für immer die Bühne, die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern ungefähr zwei Monate später auch die Bühne des Lebens.

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Kartoffelsalat – Nicht fragen!

Dieses Gespräch hat genau so stattgefunden: Ich: Ich gehe jetzt ins Kino! Sie: Was gibt’s denn? Ich: Kartoffelsalat! Sie: Ach ja, das ist der Film mit dem Youtuber. Ich warte mal, was Sie darüber schreiben, und dann werde ich mir den Film auch anschauen. Also schreibe ich! Helge Schneider veröffentlichte 1999 als Helga Maria Schneider einen Roman „Eiersalat, eine Frau geht seinen Weg“ und tourte vor einigen Jahren mit seinem Programm „Wullewupp Kartoffelsupp“ durch die Republik. Jetzt hat es der Kartoffelsalat in die Kinos geschafft. Auf die Frage, was sich die Macher des Kartoffelsalats bei der Namensgebung gedacht haben, erhält man die ehrliche Antwort: Nichts, uns ist einfach nichts Besseres eingefallen. Außerdem deutet der Zusatz im Filmtitel, “Nicht fragen!“, ja schon an, daß man besser nicht nach Sinn oder Unsinn des Titels fragen sollte. Weder die Macher des Films noch sich selbst. Youtube war für mich bislang nur eine unermeßliche Fundgrube für Musik, insbesondere für Gitarrenstücke aus dem Repertoire des Ensembles, in dem ich seit Jahren mitspiele. „Kartoffelsalat“ ist der Auslöser dafür, daß ich mich erstmals mit Youtube-Stars beschäftige, zumindest mit denen, die bei diesem Salat mitmischten. Der Youtuber Freshtorge, mit bürgerlichen Namen Torge Oelrich, ist der Drehbuchautor und in der Hauptrolle als der Schüler Leo Weiß zu sehen. Er hat mit seinem Youtube-Kanal „Freshhaltefolie“ über 1,4 Millionen Abonnenten und 250 Millionen Aufrufe, da kann die Blindgängerin vor Neid nur so erblassen. Was für den Kartoffelsalat die Schüssel, ist für den Film ein Schulgebäude, in dem Leo Weiß sein Unwesen treibt, und zwar als Schüler der Superlative der Adjektive alt, schlecht, uncool und unbeliebt. Die Zutaten sind wenig überraschend reichlich Schüler, jeder Einzelne für sich schon sehr speziell und durchweg von Youtube-Stars gespielt. Die Rollen des Schulpersonals vom Hausmeister bis zum Direktor, viel Polizei, Eltern, Presse und ganz kurz die Kanzlerin übernehmen Schauspieler und/ oder Comedians, die schon seit dem letzten Jahrhundert aus Film und Fernsehen bekannt sind, also aus der Vor-Youtube-Zeit. Als Biologielehrer meint der GZSZ-Darsteller Wolfgang Bahro, seine Schüler über den gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr anhand von Zügen ohne Bahnhof aufklären zu müssen. Ständig schwirrt das P-Wort durch das Klassenzimmer und Leo hat als angeblicher Haupt-P-Wortsager einmal wieder die A-Karte gezogen. Das bedeutet nach einem jedenfalls für die Zuschauer belustigenden Eltern-/ Direktorgespräch für Leo den Schulrausschmiß. Neue Schule, neues Glück? Auch mit Damenfahrrad? Und mit Spuren des morgendlichen mütterlichen Abschieds im Gesicht? Kurze Antwort: NEIN, jedenfalls erst mal nicht! Leos Empfang an der neuen Schule ist genauso schräg und abartig wie die Lehrer, deren Unterrichtsmethoden und die neuen Mitschüler. Besonders gut gefallen hat mir der Sportunterricht. Während des Frühlingsballes soll sich für Leo das Blatt wenden. Nicht die den Kartoffelsalat glücklicherweise nur höchst selten heimsuchenden Bakterien oder Salmonellen, sondern ein Virus greift im Schulgebäude scheinbar wahllos um sich und läßt die Befallenen mutieren, nämlich zu…. Ich darf hier nur das Z-Wort sagen. Jetzt endlich hat Otto Waalkes seinen Einsatz. Sein Amt als „Notrufbeamter“ übt er wirklich otto-manisch aus. Das Schulgebäude wird von wirr redenden Polizisten, Sonderkommandos und der Presse umstellt. Die Lage im Schulgebäude spitzt sich dramatisch zu, bis Leo versucht, mit einem genialen wie einfachem pädagogisch wertvollem Trick, der auch grundsätzlich Schule machen sollte, das Ruder herum zu reißen. Als der Spuk mit den Viren endlich vorbei ist, gestalten sich die Rekonstruktion des Geschehens und die Ermittlung des Täters äußerst sch-virig und lang-virig. Neben Otto und Wolfgang Bahro geben sich unter anderen noch Norbert Heisterkamp, Tobias Schenke, Martin Schneider, Katy Karrenbauer und Jenny Elvers-Elbertzhagen die Ehre. Einige der Herrschaften trafen sich einst im filmischen Wald: „7 Zwerge – Der Wald ist nicht genug“. Zum Schluß gibt’s noch ein paar Youtuber-Namen: Bibi, Y-Titty, iBlali, Melina Sophie, Simon Desue, Dagi Bee und Shirin David. Regie in dem Sprüchesalat führte Michael Davis Pate. Ganz deutlich wird, daß alle Mitwirkenden mächtig gewaltig viel Spaß bei den Dreharbeiten hatten. Ich im Kino übrigens auch, als wahrscheinlich die Älteste im Saal!

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Heil

Heil-igs Blechle, was war dees? Heute gehört uns Prittwitz, und morgen? Prittwitz gibt es wirklich, und zwar als Name eines alten sehr weit verzweigten schlesischen Adelsgeschlechts. Den Schauplatz des filmischen „Heil“-losen Durcheinanders, Prittwitz in Brandenburg, sucht man genauso vergebens wie das Dreiländereck Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Tauscht man Sachsen gegen Sachsen-Anhalt, sieht die Sache schon ganz anders aus. So leise und mit feinsinnigen Humor der Film „Señor Kaplan“ an die braune Vergangenheit herangeht, so laut und chaotisch läßt der Regisseur Dietrich Brüggemann seine Figuren durch die braune Szene von heute poltern. An Akteuren hat er nicht gespart und ich versuche, mich an so viele wie möglich zu erinnern. Johnny und Kalle repräsentieren das Prittwitzer braune Jungdummvolk, das in blindem Gehorsam dem Führer der Prittwitzer Kameradschaft, Sven Stanislawski, folgt. Die beiden tragen besonders bei der Umsetzung des geplanten Einmarsches in Polen maßgeblich zur allgemeinen Erheiterung bei. Doreen, die Prittwitzer blonde Rasse(n)schönheit, läßt ihre Verehrer mit dem Hitlergruß abblitzen und weist darauf hin, daß diese, bevor sie nicht in Polen einmarschiert seien, auch bei ihr kein Land gewinnen könnten. Herr Georgi aus Hamburg täuscht als „Nipster“ mit seinem für Nazis untypischen Outfit über seine wahre braune Gesinnung hinweg und versucht als harmloser Saubermann der Nation sein Glück. Auch seine Söhne müssen, ob sie wollen oder nicht, für das Image des Vaters herhalten. Einige verwirrt wirkende Antifa-Kämpfer versuchen mehr oder weniger erfolgreich, die braune Suppe zu versalzen. Den afrodeutschen Antirassismus-Bestsellerautor Sebastian Klein verschlägt es anläßlich seiner Lesereise nach Prittwitz. Eine unsanfte Begegnung mit dem braunen Schlägervolk macht ihn unfreiwillig zu dessen willenlosem Sprachrohr, verziert mit einem Hakenkreuz-Tattoo auf der Stirn. Seine hochschwangere und höchst besorgte Freundin Nina bedient das Klischee einer „Prenzlauer Berg-Ökomutti“. Der auf dem rechten Auge blinde Bürgermeister macht dem mit beiden Augen hinschauenden Dorfpolizisten das Leben schwer. Schwer haben es auch die nichtdeutschen Imbißbetreiber in Prittwitz. Dann mischen noch einige Nachrichtendienste und ein TV-Moderator mit. In zwei Talkshows prallen einige dieser Pappnasen aufeinander. Talkshows gehören nicht gerade zu meinen Lieblingsfernsehformaten, aber in diesem Fall mußte ich zweimal eine Ausnahme machen. Bei dieser Vielfalt an Personen und Aktionen hätte ich mich sehr über einen einst von Ulrich Roski besungenen „Mann im Ohr“ gefreut. In diesem Film wäre es, wie mir die federführende Hörfilmautorin verriet, eine Sprecherin gewesen. Bei Filmen, in denen männliche Stimmen dominieren, wählt sie als Gegenpol gerne eine Frauenstimme und umgekehrt. Die bestimmt liebevoll erstellte Hörfilmbeschreibung ist zwar auf einer der Tonspuren des DCP im Kinosaal gelandet, war für mich aber mangels einer speziellen Technik vor Ort nicht nutzbar und stand auch nicht über die App von Greta zur Verfügung. Das DCP heißt „Digital Cinema Package“ und ist ein standardisiertes Medium, das seit einigen Jahren in fast allen Kinos die altehrwürdige Filmrolle ablöst. Man könnte meinen, daß es bei dialogstarken Filmen möglich sei, dem Geschehen auch ohne Bildbeschreibung weitgehend folgen zu können. Das war mir allerdings bei der Menge der Personen, die in einem irren Tempo von einem Chaos ins nächste jagten, nur sehr eingeschränkt möglich. Bis ich geschnackelt hatte, wer da gerade irgendwelche Dämlichkeiten von sich gibt, wurden mir schon wieder die nächsten Sprüche um die Ohren gehauen. Auch das fröhliche Geräuscheraten half mir wenig. Was nützt es, wenn man jemanden mit einer Spraydose herumhantieren hört und weder weiß, wer derjenige ist, noch, was er sprüht. Daß geprügelt, geschossen und explodiert wurde, war einfach zu erraten, aber wer sich mit wem prügelte und wen es erwischte, blieb mir meistens verborgen. Verkompliziert haben das Geschehen dann auch noch die Beamten der Nachrichtendienste des Dreiländerecks beim natürlich nicht miteinander abgesprochenen Rekrutieren ihrer V-Leute aus der Prittwitzer Kameradschaft. Letztlich wußte ich genauso wenig wie die braunen Dödels, ob sie gerade als überzeugte Nazis oder als V-Leute und wenn ja, für welchen Nachrichtendienst, über die Leinwand tobten. Aber die Verfassungsschützer waren genauso überfordert. Eine große Herausforderung war der Film auch für das Team der Hörfilmbeschreiber. Im selben wahnsinnigen Tempo wie die Filmhandlung mußte die Sprecherin den Text der Bildbeschreibung, oft nur ein Wort, in die nur sehr kurzen Dialogpausen platzieren, sofern es überhaupt Pausen gab. Um den Sprechern die Arbeit im Tonstudio zu erleichtern, werden solche Stellen im Skript mit den Buchstaben ss für „super schnell“ lesen gekennzeichnet. Das Skript für den Film „Heil“ war nur so gespickt mit den wohlgemerkt kleingeschriebenen Buchstaben ss! Die Wortgefechte haben mich nicht immer unbedingt vom Hocker gerissen und gegen Ende des Filmes war mein Aufnahmevermögen auch weitgehend erschöpft. Entgangen sind mir leider unzählige äußerst witzige und fantasievolle visuelle Details, die den Film erst zu der grotesken, absurd-komischen Satire machen. Eine „Frau im Ohr“ hätte mir zwar das Verstehen der Handlung erleichtert, für diese unverzichtbaren Details aber sicher keine Zeit gehabt. Schade, aber nicht zu ändern!

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