Blog Blindgaengerin

Hier und da unterwegs

Die Blindgängerin und ihr Begleiter Nino. Sie halten Popcorntüten in den Händen. Beide tragen Masken.

Auf der Filmkunstmesse 2020

Hundertprozentige Planungssicherheit gab es noch nie, aber zur Zeit gibt es so gut wie gar keine. Viele Veranstaltungen werden deshalb gleich verschoben oder komplett ins Netz verlegt. Aber nicht die 20. Filmkunstmesse in Leipzig Die „AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater“ entschied, das Festival zwar auch digital, aber hauptsächlich analog stattfinden zu lassen, und setzte damit ein so wichtiges Signal an die Kino- und Filmbranche! Kinoblindgänger durfte zum fünften Mal bei dem jährlichen Branchentreffen dabei sein und ich habe mich während der zwei Tage immer sicher gefühlt! Das lag vor allem an der hervorragenden Organisation und dem ausgeklügelten Hygiene- und Sicherheitskonzept. Aber auch ich hatte mich dieses Mal anders organisiert. Mein Sicherheitskonzept hieß Nino! Wir sind inzwischen nach einigen gemeinsam erlebten Filmfestivals ein eingespieltes Team. Nino, der junge Mann auf dem Foto neben mir, war immer an meiner Seite. Ich mußte also niemanden ansprechen, um mir zu helfen, von A nach B zu kommen. Er hatte sich im Vorfeld um die Akkreditierungsunterlagen und die online-Buchungen der Tickets gekümmert. Wie sonst spontan irgendwo hinzugehen, ging dieses Jahr nämlich gar nicht. Das war ein ganz wichtiger Punkt des Sicherheitskonzepts. Im Kinosaal saßen wir nicht direkt nebeneinander. Die Plätze vor, hinter und neben mir waren immer frei, also eine 50-prozentige Auslastung der Säle bei größtmöglichem Abstand. Der Mittwoch stand zunächst im Fokus Diversität! Bei dem Panel „Female Spirits – weibliche Filme sichtbar machen“ stellten fünf Regisseurinnen ihre Filmprojekte vor. Von Katrin Schlössers Film „Szenen meiner Ehe“ hatte ich schon gehört, weil ich seitens der Produktion um Rat wegen der zu erstellenden Audiodeskription gefragt wurde. Auch bei der anschließenden öffentlichen Podiumsdiskussion ging es um das Thema Vielfalt: „Das Gesellschaftsbild im Film – Deutschland hat viele Gesichter“. Aber sind die auch im Kino zu sehen? Nein, und darüber herrschte auch Einigkeit auf dem Podium! Bei der Gelegenheit wies die Medienwissenschaftlerin Prof. Elizabeth Prommer auf die von einem breiten Bündnis inklusive Kinoblindgänger getragene Initiative „Vielfalt im Film“ (VIF) hin. Am Donnerstag war dann Kino mit Popcorn angesagt und ich war auf Ninos Filmauswahl gespannt. Unter den drei Filmen „Falling“, der deutschen Produktion „Räuberhände“ und „Coup“ von Sven O. Hill, war “Coup”, der Gewinner des Förderpreises Neues Deutsches Kino, unser absoluter Favorit! Diese witzige Mischung von dokumentarischem Material, nachgespielten Szenen und Animationen kommt im nächsten Frühjahr ins Kino, unbedingt vormerken! Nur soviel sei verraten: Es geht um einen Bankräuber, dem man jeden Pfennig gönnt. Der krönende Abschluß der Filmkunstmesse ist jedes Jahr die Preisverleihung der Gildepreise am Donnerstagabend. In der Location „Täubchenthal“ ließen Nino und ich bei etwas kühleren Temperaturen und ein, zwei Gläsern Wein die sehr schönen Tage ausklingen. Die AG Kino hat jedenfalls bewiesen, daß und wie auch ohne Planungssicherheit eine Veranstaltung mit rund 800 Besucherinnen und Besuchern über fünf Tage erfolgreich und sicher über die Bühne gehen kann! Und Nino, hat wie immer viel Spaß gemacht mit dir!

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Die Blindgängerin steht in einem leuchtend blauen ärmellosen Kleid vor einem Bügelbrett. Eine Frau, Anna Flemmer, korrigiert den Sitz des Kleides.

Bei der Anprobe mit Wechselwirkung

„Ich bin nicht ganz fertig geworden“, meint Anna, als wir uns an der Hofeinfahrt der Crellestraße 19 in Schöneberg begrüßen. „Macht nix“, sag ich, hake mich bei ihr unter und wir gehen zum Aufzug im zweiten Hinterhof. Im vierten Stock angekommen, setzt sich Anna in ihrem kleinen Reich gleich an die Nähmaschine. Ich sitze zwischen einer vollgehängten Kleiderstange, dem Bügelbrett und zwei Kleiderpuppen und lausche dem gleichmäßigen Geratter, als die Nähmaschine plötzlich piept. „Das macht sie immer bei der Rückwärtsnaht“, erklärt Anna. Dann beäugt sie kritisch die letzte Naht und kontrolliert, daß sich auch ja keine Nadel mehr im Stoff versteckt hat. Jetzt kann ich mir das leuchtend blaue Kleid beruhigt über den Kopf streifen und fühle mich gleich pudelwohl darin. Das liegt an dem lockeren, aber trotzdem figurbetonten Schnitt und an dem Stoff. Die Waschseide fühlt sich einfach herrlich an! Und der Clou ist, ich kann das Kleid drehen und wenden, wie ich möchte. Falsch herum reinschlüpfen ist unmöglich, weil das Kleid einfach keine falsche Seite hat! Dem jetzt vielleicht entstandenen Eindruck, Blinde wären nicht in der Lage, sich richtig anzuziehen, erteile ich hier sicherheitshalber aber gleich einmal eine Absage! „Das behalt ich gleich an!“ Würde ich gerne, ich weiß aber, daß das nicht geht. Das Kleid ist ein Prototyp, wie bis jetzt alle Teile der Kollektion des Modeprojekts „Wechselwirkung“! Die Initiatorin ist die Modedesignerin Anna Flemmer. Sie hat die kreative Leitung inne und bringt seit dem Frühjahr 2019 das Projekt mit viel Engagement voran! Ich bin zwar von Anfang an dabei, jetzt aber, Anna, stelle ich mich einmal ganz dumm und frage einfach drauflos, bevor ich mich auf den Heimweg mache. Auf den Punkt gebracht, welcher Gedanke steckt hinter dem Projekt Wechselwirkung? Eine Kollektion zu schaffen, die Blinden und Sehbehinderten den Umgang mit Mode und Bekleidung vereinfacht und interessant ist für Sehende! Wann kam dir dieser Gedanke und was war der Auslöser? Während meines Studiums in Modedesign an der Hochschule Hannover betreute ich zeitweise ein blindes Mädchen mit einer geistigen Behinderung. Mir fiel auf, daß sie beim Umziehen oft rechts und links verwechselte und der Reißverschluß der Hose oft offen blieb. Das war ein Denkanstoß, wie kleiden sich Blinde und welche Designlösungen könnte ich finden? Das Mädchen inspirierte mich zu meiner Bachelor-Kollektion mit dem Namen SAME:SAME. Das Besondere ist, daß die Kleidungsstücke vorne und hinten, innen und außen gleichermaßen getragen werden können. Aber Anna, du hast unterschlagen, daß deine Kollektion eine preisgekrönte ist! Und jetzt wieder zurück zur Wechselwirkung, bei der du den kreativen Part hast. Aber wer steht eigentlich noch hinter dem Projekt? Die Werkstatt für interkulturelle Medienarbeit e.V., kurz die WIM! Ich konnte zum Beispiel mit Hilfe der WIM mein kleines Reich, wie du es nennst, einrichten. Der Verein wurde schon im Jahr 1988 in Berlin-Schöneberg gegründet und vor drei Jahren hatte Karsten Hein die Idee, die WIM gemeinsam mit ein paar Leuten zu übernehmen. Menschen sollten sich dort künstlerisch begegnen und entfalten können! Der Schwerpunkt liegt seitdem auf der Fotografie und dem Dialog von Blinden und Sehenden über Bilder. Zu den inzwischen entstandenen Projekten zählt unter anderen das Fotostudio für blinde FotografInnen. Bei der Einweihung vor zwei Jahren hatten wir uns ja kennengelernt. Und jetzt gehört auch mein Modeprojekt dazu und Karsten ist der Schirmherr. Uns verbindet eine sehr gute und produktive Partnerschaft. Und ganz wichtig, die Aktion Mensch fördert unser Projekt! Du hast von drei Säulen des Projekts gesprochen, welche sind das? Erstens: Blinde wirken von Anfang an aktiv mit! Wie für meine Bachelor-Kollektion führte ich auch für das Projekt Interviews mit Blinden. Karstens viele Kontakte waren mir eine super Hilfe und wir konnten uns in den allen vertrauten Räumen der WIM treffen. Ich fragte: Wie wichtig ist Mode, nach welchen Kriterien kleidet ihr euch, wie kauft ihr ein, informiert euch über Trends, und was sind eure Wünsche und Ansprüche an Klamotten? Als Antworten bekam ich: Die Stoffe sollten sich angenehm auf der Haut anfühlen. Die Wendbarkeit und rechts-/ linksneutrale Kleidung ist eine Erleichterung. Bei Röcken kommt man besonders schnell ins Grübeln, sitzt der Reißverschluß nun hinten, vorne oder an der Seite? Wichtig sind Klamotten, die reflektieren. Also reflektierende Details für bessere Sichtbarkeit. Super wäre auch, über die Struktur eines Stoffs auf ein Muster oder die Farbe schließen zu können und bei Teilen von einer Modelinie farblich alles miteinander kombinieren zu können. Und von knitterfreien Klamotten träumen, glaube ich, alle, ob sehend oder nicht! Zweitens: Die Kooperation mit der Näherei der Behindertenwerkstatt “Doppelpunkt“ der Diakonie in Mühlhausen/Thüringen, weil wir das Projekt so inklusiv wie möglich gestalten wollen! In der Schneiderei arbeiten Menschen mit einer geistigen Behinderung oder einer psychischen Erkrankung. Ich fahre regelmäßig dort hin und gebe Workshops, um die Mitarbeiterinnen zu schulen. Gerade werden übrigens in der Werkstatt Korkleder-Labels mit lesbarer Brailleschrift auf die bereits fertigen Teile genäht. Drittens: Die Mode wird von Blinden fotografiert und blinden wie sehenden Models gezeigt! Bei unserer für Anfang Juni geplanten großen Modeschau kam leider Corona dazwischen. Aber wir haben schon einige Fotoshootings mit blinden FotografInnen im Fotostudio der WIM gemacht, auch mit der Light Painting Technik neuerdings mit Reflexstoffen. Infos zu dieser besonderen Technik gibt’s auf der Website www.wim-berlin.de. Was siehst du als die größte Herausforderung an? Die total andere Herangehensweise! Normalerweise würde ich nach einer Inspiration alle Entwürfe für die gesamte Kollektion zeichnen, dann die Schnitte konstruieren und Stoffe auswählen. Hier steht an erster Stelle, einen gut zu verarbeitenden Stoff zu wählen. Das ist wichtig für die Näherei in Mühlhausen. Dann zeitlose und alltagstaugliche Schnitte mit fetzigen Detaillösungen zu kreieren! Zum Beispiel mit interessanten Reißverschlüssen, reflektierenden Nähten, kontrastreichen Taschenöffnungen, bequemen Gummizügen und reflektierenden und dezenten Bändern. Und schließlich die innovative Verarbeitung durch die Wendbarkeit und Vorne-/ Hinten- Neutralität. Was begeistert dich an dem Projekt? Vor allem die Freude bei den Anproben, wie zum Beispiel bei dir gerade! Ich mache zwischendurch Termine zum Abstecken und wir freuen uns gemeinsam, wie aus einem Stück Stoff, den die Blinden vorher in den Händen hatten und ausgesucht haben, ein Shirt oder eine Hose wird. Wie sieht es mit

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Die Blindgängerin sitzt vor einem TV-Bildschirm, auf dem Bibiana Beglau zu sehen ist. Mit einem Weinglas prostet sie der Schauspielerin zu.

Noch einmal in Feierlaune

„Hallo, mein Name ist Bibiana Beglau. Ich bin Schauspielerin. Und eigentlich würden Sie jetzt im Publikum sitzen und ich würde auf der Bühne stehen, um die Laudatio zu verlesen. Nun also auf diesem Wege… Der Deutsche Hörfilmpreis 2020 in der Kategorie „Dokumentation“ geht an Kinoblindgänger und 48hearts für die herausragende Audiodeskription für „For Sama“! Und so beendete Bibiana ihre Videobotschaft: „Ich gratuliere euch von ganzem ganzem Herzen und wünsche euch, daß ihr euch wenigstens im kleinen Kreis treffen und feiern könnt. Prost, habt’s gut, tschüss!“ Da konnte ich nicht anders. Ich habe mich sofort mit meinem Glas Rosé direkt vor unseren Fernseher gesetzt und Bibiana wenigstens virtuell zugeprostet, um ihr auf diesem Weg für die Laudatio zu danken. Die kam nämlich von Herzen! Gleich danach wurde unser Videoclip eingespielt, für den fast alle an der Audiodeskription Beteiligten in den loftigen Räumen von speaker-search/48hearts zusammengekommen waren. Leider nicht dabei sein konnte Lena Hoffmann. Sie übernahm wie bei allen Produktionen von Kinoblindgänger die Redaktion des Skripts. Sie arbeitet supergründlich, gewissenhaft und schaut immer noch einmal ganz genau hin! Nur bei einigen wirklich schockierenden Bildern, die das Leid der Kinder im syrischen Bürgerkrieg zeigten, war ihr das nicht möglich, sie war zu der Zeit schwanger. Wie so oft rettete mich mein Partner Jürgen Schulz, der einsprang, denn die Zeit war verdammt knapp! Der originale Trailer, für den wir auch kurzfristig eine AD erstellten, bietet eine kurze Kostprobe von der großartigen Leistung des Teams: Jetzt zurück zum Hörfilmpreis: Zwischen den Laudationen für alle Preisträgerinnen und Preisträger, deren Clips und den Videobotschaften von Prominenz aus Film, Politik und dem DBSV meldete sich immer wieder Steven Gätjen zu Wort. Zum dritten Mal in Folge moderierte er in seiner gewohnt charmanten und lockeren Art die Preisverleihung. Dieses Jahr allerdings aus seinem Lieblings-Café in Hamburg. Als in dieser Hinsicht alter Hase weiß er genau, worauf es ankommt: So viel wie möglich zu beschreiben! Bei unserem Videoclip hörte sich das unter anderem so an: „Das Audiodeskriptions-Team ist in Feierlaune und freut sich der Reihe nach aus dem Studio auf einem grünen Samtsofa vor einer unverputzten Mauer.“ Ergänzen möchte ich, daß immer, bevor auf dem Sofa jemand spricht, ganz kurz ein Paar Hände zu sehen ist, daß sich an dem Paket mit den ADeles zu schaffen macht. Die Preise bekamen wir vorab per Post zugeschickt. Zum Schluß stehen wir zu acht um den schwarzen Flügel herum, auf dem die stattliche ADele aus Bronze ihren dauerhaften Platz gefunden hat. Einige halten eine ADele aus Keramik und alle ein Glas Champagner in der Hand, danke und Prost, ADele! Das besagte grüne Samtsofa steht übrigens eigentlich bei speaker-search im Raum neben der Sprecherkabine vor einer zwecks Schallschutz mit Stoff bezogenen Wand. Dort sitze ich hoffentlich bald wieder und spitze die Ohren, wenn ich beim Einsprechen von Audiodeskriptionen wie natürlich auch bei der von „For Sama“ die Sprachregie führe. Einen Vorteil hat die Online-Preisverleihung, man kann sie sich, natürlich mit unserem Video, jederzeit und immer wieder anschauen: Aber live bleibt doch live! Hoffentlich können wir den nächsten Deutschen Hörfilmpreis wieder in der realen Welt feiern und von Angesicht zu Angesicht anstoßen, so daß die Gläser auch klingen!

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Der Moderator Edin Hasanovic mit dem Rücken zur Kamera. Er spricht mit einem animierten Känguru, dessen Kopf und Schultern auf einem großen Monitor zu sehen sind.

Lola 2020

Känguru müßte man sein, kein x-beliebiges, sondern ein ganz bestimmtes! Aber zuerst einmal nachträglich herzliche Glückwünsche zum 70., Deutscher Filmpreis! Ausgerechnet bei der Feier dieses Runden mußten die rund 2.000 eigentlich geladenen Gäste, und nicht nur die, zu Hause bleiben. Stattdessen saßen bestimmt alle ab 22.30 Uhr bei der ARD in der ersten Reihe, so wie auch ich! Nur Edin Hasanovic konnte seine Gratulation persönlich aussprechen beziehungsweise singen. Sehr feierlich trug er ganz allein im Fernsehstudio sein Geburtstagsständchen vor und dann wurde es ernst. Als Moderator der live ausgestrahlten Geister-Preisverleihung ohne Publikum und ohne Klatschband trug er einen mächtigen Brocken Verantwortung auf seinen Schultern. Aber ganz von allen guten Geistern verlassen war er nicht. Nach einigen Minuten wurde zum ersten Mal die Kontaktsperre gelockert. Im gebotenen Abstand begrüßte er als erste Laudatorin die ehemalige Präsidentin der Filmakademie. Kaum hatte ihn die charmante Iris Berben verlassen, flirtete er mit Anke Engelke, der zweiten Laudatorin, per Livestream. Dann hatte er sich akklimatisiert. Sympathisch führte er durch den Abend und überreichte 20 Mal symbolisch die Lola, die einzige weibliche Trophäe unter den wichtigsten Filmpreisen! Und nur ihr Name vermag – auch wegen des gleichnamigen Songs der Kinks – wie Musik in den Ohren zu klingen! Ihren männlichen Kollegen, dem Oscar aus den USA, dem César aus Frankreich und dem BAFTA aus Großbritannien, gelingt das nicht. Die Lola ist längst nicht so alt wie der Deutsche Filmpreis und das Alter kann ihr sowieso nichts anhaben. Das liegt bestimmt an der Frischzellenkur, die ihr der deutsche Film alljährlich verabreicht. Wie frisch dieser Jahrgang ist, zeigen schon die sechs Nominierten in der Kategorie „Bester Spielfilm“: Einen Tag lang mit „Lara“ Geburtstag feiern, schwerelos mit „Undine“ durch die geheimnisvolle Unterwasserwelt Berlins schweben und bei „Lindenberg! Mach dein Ding“ in Udos Rhythmus mitmüssen! Ein Jawort, das gilt selbstverständlich, aber tut es das auch in „Es gilt das gesprochene Wort“? Der Film bekam die Lola in Bronze! An „Berlin Alexanderplatz“, wo einen – ob man will oder nicht – ein Sog mitreißt, der doch klar in den Abgrund führt, ging die Lola in Silber!! „Systemsprenger“, der so unter die Haut geht und aufwühlt, erhielt die Lola in Gold!!! An dieser Stelle meine herzlichsten Glückwünsche an alle, die mit einer oder sogar mehreren Lolas ausgezeichnet wurden, wie „Systemsprenger“, „Berlin Alexanderplatz“ oder Albrecht Schuch, der in beiden Filmen spielte! Die bekamen dieses Jahr leider nicht die verdiente große Bühne im Palais am Funkturm. Dafür konnten sie sich per Livestream aus ihren vier Wänden ganz ungezwungen nach Herzenslust freuen und jubeln. Dem Internet sei Dank und dem technisch raffiniert ausgeklügelten System, im richtigen Moment die Bilder aus dem richtigen Wohnzimmer ins Studio zu holen und auf die TV-Bildschirme zu bringen! Das hat bis auf zwei Ausnahmen, bei denen Edin Hasanovic tröstend einsprang, sehr gut funktioniert. Am geräuschvollsten jubelte Helena Zengel als beste Hauptdarstellerin. Wie gut sie schreien kann, und nicht nur das, hat sie als Systemsprengerin bereits bewiesen. Nicht so laut, aber um so bestimmter, verschaffte sich zwischendurch mit einem näselnden „Hallo“ das einzige sprechende Känguru Gehör und forderte eine neue Kategorie beim Deutschen Filmpreis. Liebend gerne hätte ich ihm Kinoblindgängers „Barrierefreiheits-Lolas“ in den Mund gelegt. Aber das vorlaute Beuteltier, das dem Film „Die Känguru-Chroniken“ gerade eine Lola in der brandneuen Kategorie „Beste visuelle Effekte“ beschert hatte, dachte gar nicht dran! Es forderte einen Preis für „sprechende Tiere“. Ganz uneigennützig – so wie man es kennt – verpaßte es sich selbst eine Lola. Erst nach dem Protest des Moderators schlug es „Lassie“ vor. Dann ruderte es zurück und forderte stattdessen Grundeigentum für alle. Das Känguru scheint mir zu sprunghaft zu sein. Kinoblindgänger muß sich wohl wie gehabt selbst um die Kategorien „Beste Filmfassung nur für die Ohren oder Augen“ kümmern! Und jetzt zu denjenigen, ohne die eine Preisverleihung undenkbar ist. Eine Laudatio halten zu dürfen, ist eine große Ehre, und der wurden alle, ob im Studio oder per Stream, mehr als gerecht! Nur zwei möchte ich in meiner höchstpersönlichen Kategorie „Beste Laudatio“ kurz erwähnen: Zuerst hörte man sie nur schimpfen, daß es so dunkel sei, und dann kam Svenja Liesau in der Uniform der Jungpioniere und mit langen rosa Kaninchenohren ins Studio gestolpert! Kurz und knackig brachte sie es auf den Punkt: Die beiden nominierten Kinder- und Jugendfilme „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ und „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“ erinnern ganz unterschiedlich auf wunderbare Weise an zwei Phasen deutscher Geschichte. Das finde ich auch! Gewinnen kann aber nur einer. Mein Herz hatte für „Fritzi“ etwas höher geschlagen, Sieger wurde aber das Kaninchen. Charly Hübner kann nicht nur Dokumentarfilm, sondern auch so darüber sprechen, daß man am liebsten sofort ins nächste Kino rennen und sich die drei nominierten Dokumentarfilme anschauen möchte: „Born in Evin“, „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ und „Heimat ist ein Raum aus Zeit“. Die Mitglieder der Akademie entschieden sich für „Born in Evin“. „Heimat“ ist auch eines der ganz großen Themen von Edgar Reitz. Das griff Giovanni di Lorenzo in seiner sehr schön vorgetragenen Laudatio für den über 80-jährigen Autoren, Regisseur, Filmemacher und Preisträger des diesjährigen Ehrenpreises auf. Daß er mit dieser großen Auszeichnung geehrt würde, wußte Edgar Reitz schon, überrascht war er aber von dem Laudator und dem, was dieser sagte. Sichtlich gerührt bedankte er sich und sprach über das Kino als wichtigsten Ort des Erinnerns. Zum Schluß stieß er mit seiner Frau Salome auf das Kino der Zukunft mit einem Glas Sekt an, und das tue ich jetzt auch noch einmal!

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Die Blindgängerin mit drei jungen Männern im Foyer des Kinos Cinestar in Leipzig

Beim DOK Leipzig 2019

Ich war noch niemals im Knast! Aber gerade bestand die Möglichkeit beim 62. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm! Wie vor zwei Jahren schrieb sich das Festival die wunderbar inklusive, schnörkellose Devise ganz groß auf die Fahne „Wir wollen, daß möglichst viele Menschen DOK Leipzig besuchen können.“ und setzte damit für andere Filmfestspiele nach wie vor wegweisende Maßstäbe! In diesem Jahr enthielt das barrierefrei geschnürte Paket 40 Filme mit deutschen und deskriptiven Untertiteln. Diese wurden bei den Vorstellungen für alle lesbar auf die Leinwand projiziert.Für 17 Filme standen teils eigens für das Festival produzierte Hörfilmfassungen bei der Greta App zum Download bereit. Davon landeten zehn in meinem persönlichen Päckchen, beziehungsweise auf meinem Smartphone. Ein Ohrenschmaus, aber auch ein ganz schön sportliches Programm für knapp drei Tage, zu dem mich das Festival-Team eingeladen hatte.Dafür ein ganz großes Dankeschön! Mit meiner Presseakkreditierung konnte ich mich theoretisch so frei und uneingeschränkt wie ein Fisch im Wasser durch alle Filmvorstellungen, Veranstaltungen und auch Partys bewegen. Und praktisch funktionierte das deshalb ganz prima, weil Franziska von morgens bis abends an meiner Seite war. Organisiert hat mir diese liebe Begleitung Susanne Jahn, zuständig für die Inklusion beim DOK. Nur aus dem Knast mußte ich, beziehungsweise mein Handy, wegen Sicherheitsbedenken draußen bleiben.Das hätte ich dort aber unbedingt gebraucht, um mir „Robolove“ und vorher den Kurzfilm „Warum Schnecken keine Beine haben“ mit Audiodeskription über die Greta App beim DOK im Knast in der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen anschauen zu können.Seit einigen Jahren bewertet eine Gefangenen-Jury ausgewählte Filme und vergibt dann den sogenannten „Gedanken-Aufschluß-Preis“. Und der ging in diesem Jahr an „Robolove“ von Maria Arlamovsky.Ich wäre schon sehr gerne dabei gewesen, wenn der Knast zum Kinosaal wird, und mit den jungen Leuten nach dem gemeinsamen Schauen der Filme ins Gespräch gekommen.Und warum haben nun Schnecken keine Beine? Nach wie vor keine Ahnung! Das großartige an Dokumentarfilmen ist, daß Fragen beantwortet werden, auf die man wie bei den Schnecken erst einmal kommen muß. Hier noch ein paar solcher Fragen und Antworten: Wie ergeht es Frauen in einem abgelegenen armenischen Bergdorf, wo die Männer neun Monate im Jahr am Stück im weit entfernten Russland zum Geldverdienen sind?Nach Tamara Stepanyans berührendem und sensiblem Film „Village of Women“ mit einer gelungenen Audiodeskription kann ich mir das ganz gut vorstellen.Und ganz wichtig, die in Armenisch geführten Gespräche und Interviews bekam ich wie die Audiodeskription ins Deutsche als Voice Over über die Greta App in mein Ohr.So konnte ich mir ein Bild von den charismatischen Frauen, den Kindern, gelegentlich auch von einem Mann und der wunderschönen, rauen Landschaft machen. Die Hörfilmbeschreibung harmonierte sehr schön mit dem Rhythmus des Lebens im Dorf, wo die Uhren sehr langsam ticken! Nächste Frage: Was sind „Space Dogs“? Laika, eine Moskauer Straßenhündin zum Beispiel!Sie wurde 1957 als erstes Lebewesen gezielt ins Weltall katapultiert und verstarb gleich nach dem Start der Kapsel. Nach einer Legende, die sich bis heute hält, soll sie als Geist auf die Erde zurückgekehrt sein und seitdem durch die Straßen Moskaus ziehen.So auch Schwarzschnauze und Hinkebein, die mal gemeinsam als Team, mal als Rivalen oder solo durch die russische Metropole stromern. Was sie dabei alles erleben, halten Elsa Kremser und Levin Peter mit der Kamera fest. Zwischendurch gibt es Archivaufnahmen aus der Sowjetzeit von Laborversuchen, wie Hunde auf Weltraumflüge vorbereitet wurden.Das war schon thematisch nicht unbedingt mein Film.Und dann ließ auch noch die Audiodeskription sehr zu wünschen übrig!Menschliche Dialoge waren die Ausnahme. Meistens hörte ich von den Hunden verursachte Geräusche oder die typische Geräuschkulisse einer Großstadt. Es wäre also viel Zeit für die Beschreibung der Hunde, ihrer Mimik und Gestik und der Umgebung gewesen. Das geschah aber extrem spärlich mit minutenlangem Schweigen zwischendurch. Viel zu oft bemerkte ich Gefühlsregungen im Publikum, die ich mir nicht erklären konnte, ein ganz schlechtes Zeichen!Und dann wurden Geräusche beschrieben, auf die ich gefühlt Minuten warten mußte, das ist kein gutes Timing! Diese Audiodeskription war ein Ausrutscher, die Qualität aller anderen war gut bis sehr gut, möchte ich an dieser Stelle betonen! Frage Nummer 3: Wie ticken „Russlands Millenniumskinder“? Ganz verschieden und ganz anders, als ich vermutet hätte! Die sieben inzwischen volljährigen jungen Leute, mit denen Irene Langemann sprach, haben eins gemeinsam, sie sind alle am 31.12.1999 an verschiedenen Orten in Russland geboren.Und genauso lange ist Putin an der Macht. Das hat ihnen weniger geschadet, als man meinen könnte. Es war mir eine Freude, die sieben Persönlichkeiten näher kennengelernt zu haben!Die deutschen Untertitel, die für das sehende Publikum im Kinosaal auf die Leinwand projiziert waren, bekam ich von Sprecherinnen und Sprechern als Voice Over über die Greta App in mein Ohr. Das war eine Menge, weil die jungen Leute sehr viel zu erzählen hatten. Ich konnte dem aber sehr gut folgen. Zunächst hörte ich immer ganz kurz die Stimmen der Millenniumskinder und dann das deutsche Voice Over.Das war hervorragend getimed und gemischt! Vierte Frage: Was machen Fußballspieler nach ihrer Profikarriere? Wie verschieden die Wege sein können, zeigen Christoph Hübner und Gabriele Voss sehr kurzweilig in „Nachspiel“! Zu Wort kommen die drei einstigen Hoffnungsträger der Profimannschaft Borussia Dortmund Florian Kringe, Heiko Hesse und Mohammed Abdulai.Ich habe den drei jungen Männern sehr gerne zugehört und war überrascht, als der Film nach der 8. Nachspielfilmminute plötzlich zu Ende war. Die Audiodeskription war sehr gut gemacht! Das fand auch einer der drei Studenten der Uni Leipzig, die mich in den Film begleitet hatten, und der die Greta App während der Vorstellung ausprobierte.Sie drehten während des DOK einen Beitrag für ihr Seminar „Magazinproduktion“ zum Thema Barrierefreiheit und Kino und ich war eine ihrer Protagonistinnen. Ich bin sehr auf das Ergebnis gespannt!Und dann hieß es für mich nach einem Selfie mit den drei sympathischen jungen Leuten Abpfiff! Ich freue mich schon aufs Wiederkommen im nächsten Jahr zum DOK nach Leipzig, ob mit oder ohne Knast! Nachtrag: Hier der Vollständigkeit halber noch die sechs aus Zeitgründen leider unkommentierten Filmtitel von meiner Liste! „In the Name of Scheherazade oder der erste Biergarten in Teheran“ von Narges Kalhor gewann total verdient den Dokumentarfilmpreis des Goethe-Instituts! „Waldstück“ von Hannes Schilling „It Takes

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Der Moderator Markus Kavka und die Blindgängerin im Gespräch. Sie sitzen in einem Kinosaal auf roten Polstersesseln. Im Hintergrund Filmplakate.

Im TV bei “Unicato”!

Je später der Abend, desto schöner das Fernsehprogramm! Ein Beispiel dafür ist das Kurzfilmmagazin Unicato – Junger Film im MDR kurz nach Mitternacht an jedem zweiten Mittwoch im Monat beim Mitteldeutschen Rundfunk. Und heute wird es in der Nacht vom 13. auf den 14. November wieder einmal später und umso schöner! Um 0:20 Uhr dreht sich bei Unicato INKLUSIVE alles um inklusive Filmkultur. Und ab sofort ist die Sendung für vier Wochen online unter Unicato INKLUSIVe Filmkultur Ich durfte mit dem Moderator Markus Kavka, der sehr sympathisch durch die Sendung führte, in Leipzig ins Kino Cineding gehen und über meine Erfahrungen als blinde Cineastin erzählen. Dann schauten wir uns gemeinsam „Sandmädchen“ an, ich natürlich mit der Greta App. Der Dokumentarfilm ging mir wieder genauso unter die Haut wie vor zwei Jahren. Und kaum war der Film von Mark Michel zu Ende, kam der Filmemacher ins Cineding und sprach darüber, wie es zu dem Film über und vor allem gemeinsam mit der Protagonistin Veronika Reila kam. Leider mußte ich mich nach einigen Minuten verabschieden und habe mich riesig gefreut, als mir Mark noch schnell eine DVD von „Sandmädchen“ in die Hand drückte. Der Film hat eine beeindruckende weltweite Tour bei vielen Festivals hinter sich und gewann viele Preise! Jetzt ist „Sandmädchen“ auch als DVD und Video-on-Demand erhältlich und warum man sich dieses Angebot auf keinen Fall entgehen lassen sollte, steht hier: blindgängerin.com/sandmaedchen Jetzt aber wieder zurück zu Unicato! Nach dem Motto je später der Abend, umso interessanter die Gäste, bin ich schon sehr gespannt auf die Leute, die heute nacht zu Wort kommen. Und natürlich auf die passend zum Thema ausgewählten Kurzfilme. Diese haben extra eine Audiodeskription und erweiterte Untertitel erhalten und auch Markus Kavka macht sich die Mühe, viele Beschreibungen der gezeigten Bilder und Personen in seine Moderation aufzunehmen! Zum Schluß ein großes Dankeschön an Markus Kavka und das gesamte Unicato-Team für die nette und entspannte Atmosphäre im Cineding!

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Ein Selfie zeigt Seneit Debese von der Greta und Starks App und die Blindgängerin. Sie stehen vor einem großen Plakat der 19. Filmkunstmesse Leipzig 2019.

Die Filmkunstmesse Leipzig 2019

Ich schreibe, also bin ich… …gewesen in Leipzig bei der 19. Filmkunstmesse und ich denke, also bedanke ich mich wieder einmal beim Veranstalter, der AG Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V., ganz herzlich fürs Akkreditieren! Schon zum vierten Mal durften zwei vom Team der Kinoblindgänger gGmbH bei allen Kinovorstellungen, Seminaren, Workshops und abendlichen Events dabei sein! Dieses Jahr war ich zwar alleine für Kinoblindgänger bei der Fachmesse unterwegs, aber nie länger als ein paar Minuten allein. Wie auch unter rund 1.200 Menschen, deren Herzen das Kino weit über das berufliche Interesse hinaus höher schlagen läßt! Meines ja auch. Kaum angekommen, verschlug es mich am Mittwochnachmittag auf die kanarische Insel La Gomera in einem der Säle des Passage Kinos, dem Herzen der Filmkunstmesse. In diesem deutsch-rumänisch-französischen Thriller fiel in der gezeigten Fassung kein deutsches Wort. Es wurde fast ausschließlich rumänisch gesprochen und auf gomerisch gepfiffen. Die bis heute hauptsächlich auf La Gomera praktizierte Pfeifsprache El Silbo zu erlernen, scheint ziemlich schwierig zu sein. Wer sie beherrscht, kann dann aber über einige Kilometer brisante Informationen zwitschern, die nur für ganz bestimmte Ohren gedacht sind. Meine Ohren würden sich über eine deutsche Fassung von „La Gomera“ – vielleicht sogar mit Audiodeskription – beim Kinostart im Februar 2020 freuen! Dann könnte ich auch nachvollziehen, warum das Publikum gelacht hat und bei einer Szene ziemlich erschrocken aufstöhnte. Von den Kanaren ging die Reise auf der Leinwand weiter dahin, wo ich gerade war, nämlich nach Leipzig! Dort spielt im geschichtsträchtigen Sommer und Herbst 1989 „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“. Der Kinostart des Familienfilms am 09. Oktober 2019 ist deshalb kein Zufall. Mein Platznachbar erzählte mir ganz begeistert, wie liebevoll die Figuren und die Kulisse gezeichnet seien. Und mir ging die Geschichte von Fritzi, ihrer Freundin Sophie und dem Hund Sputnik ans Herz! Ich trau’s mich kaum zu sagen, aber ich habe nur diese beiden der über 70 Filme geschafft, die die Verleiher während der fünftägigen Filmkunstmesse präsentierten. Der Grund war das spannende und interessante Angebot von Seminaren, Workshops und Diskussionen wie z.B. die unter dem Motto: „Wie politisch ist Kino heute? Welche Rolle spielt der Ort Kino für öffentliche Debatten?“ Allein die Tatsache, daß über diese Frage in einem Kinosaal öffentlich diskutiert wurde, ist schon ein Teil der Antwort! Nicht nur die sehr engagierten Gäste, auch das Publikum beteiligte sich lebhaft an der Debatte. Besonders beeindruckt war ich vom Mut der Kinobetreiberin Karin Leicher aus Hachenburg. Nach ihrer Ankündigung, AfD-Mitgliedern freien Eintritt zu der Aufführung von „Schindlers Liste“ am 27.01.2019 zu gewähren, wurde sie massiv bedroht. Trotz großer Sorge um sich und ihre Familie hielt sie an ihrem Entschluß fest! Der Mittwoch klang wie jedes Jahr mit der Verleiherparty aus. Nur aus Vernunftgründen verabschiedete ich mich dort schon gegen 0.30 Uhr von einer sehr lustigen Runde. Am Donnerstag schon um neun Uhr stellten in einem Seminar mit Workshop einige Anbieter ihre Lösungen zum Thema „Digitale Kundenkommunikation“ vor. Bei jedem Kinobesuch versuche ich, mir die Filmtitel zu merken, für die im Vorprogramm Trailer gespielt wurden. Ein aussichtsloses Unterfangen! Eine super Lösung ist die von Katja Struwe präsentierte Trailer App, die einen nach dem Kinobesuch per Push Message an die gezeigten Trailer erinnert! Auch Seneit Debese kam zu Wort. Sie stellte einige Neuigkeiten bei der Greta und Starks App vor, die bereits über 40 Tausend Nutzerinnen und Nutzer erreicht. Danach stellten wir uns für ein Selfie vor das Plakat der Filmkunstmesse! Beim Gedanken an Ostpakete kommt mir als absoluter Nasenmensch zwar kein spezieller Geruch in die Nase, aber die Erinnerung an die besten Dresdner Stollen überhaupt! Die bekamen wir immer zur Weihnachtszeit als Dankeschön für die Westpakete. Bei den Empfängern von Westpaketen scheinen allerdings bis heute ganz bestimmte Geruchserinnerungen aufzukommen. Diesem Phänomen gehen Maja Stieghorst und Brit-J. Grundel sehr amüsant in ihrem Film „Der Duft des Westpakets“ nach! Die beiden waren zwei von sechs Filmemacherinnen, die ihre Projekte unter dem Motto „Female Spirit“ vorstellten. Ich werde auf jeden Fall die Witterung zu einer Kinovorstellung über die Westpakete aufnehmen! Wie jedes Jahr hatte die Filmkunstmesse ihren Höhepunkt Donnerstag abends mit der Verleihung der Gilde Filmpreise. Und wie immer verteilte der Filmkritiker Knut Elstermann in seiner gewohnt lockeren sympathischen Art die Trophäen. Riesig gefreut hat mich der Preis der Jugendjury an „For Sama“. Für diesen ganz besonderen Dokumentarfilm hat Kinoblindgänger gGmbH dank der Unterstützung von Aktion Mensch gerade die barrierefreie Fassung produziert! Dann konnte ich beglückt von vielen tollen Gesprächen und mit neuen Eindrücken den Heimweg antreten. Und ich hoffe, also freue ich mich schon einmal auf die Filmkunstmesse Leipzig 2020!

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Die Blindgängerin und ihre Begleitung Lena stehen vor langen weißen Schildern mit den Logos der Sponsoren der Verleihung des Deutschen Filmpreises. Im Hintergrund eine grüne Hecke. Lena hat langes braunes Haar und trägt ein türkisfarbenes Kleid mit einer weißen Jacke. Die Blindgängerin trägt ihr mittelblondes Haar schulterlang. Einen dunkelblauen Rock und ein gleichfarbiges Top kombiniert sie mit einer kupfergoldenen Jacke mit aufgenähten blauen Glasperlen.

Die Lola 2019

Foto: Claudia Schaffer, DBSV In meinem neuen Outfit traf ich sie wie 1.900 andere auch am 3. Mai im Palais am Berliner Funkturm, wo man Champagner trinkt, der aber nicht nach Cherry-Cola, C-o-l-a, Cola schmeckte, sondern einfach köstlich. Nur der Vernunft wegen beließ ich es für den Anfang bei einem Glas! Zu mir kam sie nicht, die Lola, aber 20 Glückliche durften die begehrte Trophäe beim 69. Deutschen Filmpreis in den Händen halten, eben eine L-o-l-a Lola Lo-lo-lo-lo Lola! Nein, ich bin nicht betrunken. Aber genau so hört es sich an, wenn der Sänger von The Kinks über seine aufregende Begegnung mit „Lola“ in einem Club down in Soho singt, wo der Champagner nach Cherry-Cola schmeckt! Ein bißchen berauscht von dem glamourösen Abend bei der Gala bin ich allerdings immer noch. Und ja, ich durfte zum ersten Mal LIVE dabei sein und dafür ein herzliches Dankeschön an das Team der Deutschen Filmakademie! Wir saßen im Block B in der ersten Reihe direkt bei dem wunderbaren Filmorchester Babelsberg, Lena und ich. Irgendwie mußten alle an uns vorbei, wie auch Ulrich Matthes, der neue Präsident der Filmakademie, mit der Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters. Grundsätzlich gehe ich sogar gerne ohne Begleitung zu Veranstaltungen und an helfenden Händen fehlte es mir dabei nie. So kam ich in den Genuß von vielen interessanten Begegnungen wie mit Ruth Toma, der Drehbuchautorin von z.B. „Der Junge muß an die frische Luft“, Kit Hopkins, Drehbuchautorin von z.B. „Ballon“ und Monika Bauert, Kostümbild bei z.B. „Das Boot“. Bei der Verleihung der Lolas hätte ich mir aber die Karten gelegt und war heilfroh, daß ich Lena an meiner Seite hatte. Wir sind ein super gut eingespieltes Team. Eine Menschenansammlung kann für uns nicht zu dicht, eine Treppe zu steil oder der Andrang am Buffett zu groß sein, wir schaffen das immer ganz geschmeidig! Und wurden dabei interessiert beäugt, sagt Lena. Ohne Lena wären auch Frau Grütters und Herr Matthes von mir unbemerkt direkt vor meiner Nase vorbeigegangen. Außerdem beschrieb sie mir die vielen Abendroben und brachte Ordnung in das oft sehr turbulente Treiben auf der Bühne. Dieses Jahr führte eine Doppelspitze, Désirée Nosbusch und Tedros Teclebrhan, durch die Preisverleihung. Beide Stimmen waren mir nicht so vertraut und da verlor ich doch das ein oder andere Mal den Überblick und brauchte Lenas Zugeflüster. Die Auszeichnung in 18 Kategorien mit 20 Lolas dauerte vier Stunden und ja, das ist eine lange Zeit. Aber es gebietet der Respekt vor allen Mitwirkenden an dem Kunstwerk Film, daß ihre Arbeit gleichberechtigt bei der Preisverleihung anerkannt und gekürt wird. Und nicht nur die „Barrierefreiheits-Lolas“ stehen noch in den Startlöchern! Mir wurde die Zeit während der Gala kein bißchen zu lang! Damit das auch allen, die diesen Beitrag lesen, so geht, fasse ich mich jetzt kurz. Meine persönlichen Lolas in der Kategorie „Beste Laudatio“ bekommen: Der 11-jährige Julius Weckauf spielte herzergreifend den jungen Hape in „Der Junge muß an die frische Luft“ und brachte mit seiner Laudatio für „Bestes Maskenbild“ mehr als frische Luft in den Saal! Christoph Maria Herbst könnte wahrscheinlich aus einem Telefonbuch vorlesen und ich würde an seinen Lippen hängen. Er hielt die Laudatio für den Empfänger des Bernd-Eichinger-Preises, den Produzenten Christian Becker. Wer mehr gerührt war, ist kaum zu sagen: Margarethe von Trotta, die den Ehrenpreis erhielt, oder ihre Laudatorin Katja Riemann. Maria Schrader brachte energisch auf den Punkt, wie wichtig die Arbeit der Drehbuchautorinnen und -autoren ist, ohne gutes Drehbuch kein guter Film! Bei der Vorstellung der Nominierten wurde zwischen den Dialogen aus den jeweiligen Skripten vorgelesen. Das war für mich super, eben wie ein Hörschnipsel mit Audiodeskription! Ein sehr trauriger und berührender Moment war das Gedenken an die seit der letzten Preisverleihung verstorbenen Mitglieder der Filmakademie. Begleitet von Alexander Scheer am Flügel wurden erschreckend viele Namen genannt. Und wie bekomme ich jetzt einen würdigen Bogen zu meinem Schlußwort hin? Weil das Leben eben weitergeht, am besten mit dem Neuen! Ulrich Matthes trat schon im Februar die Nachfolge von Iris Berben an und ist nun der Präsident der Deutschen Filmakademie. Sehr charmant und sympathisch, wie er Iris Berbens Arbeit noch einmal würdigte und sie musikalisch verabschiedete! Ich verabschiede mich jetzt auch und bin hoffentlich zur Lola 2020 im nächsten Jahr wieder live dabei!

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Die Blindgängerin im roten Pulli und Jeans steht neben einem Berliner Taxi. Der Taxifahrer hinterm Steuer reicht ihr lächelnd einen großen goldenen Schlüssel durchs Seitenfenster.

Drei zündende Momente

Ein Schlüsselerlebnis, mein erster Artikel und der Anstupser einer sehr guten Freundin waren die Auslöser, meine blogfreie Zeit zu beenden. Und ich würde das immer wieder tun! Die Blindgaengerin.com ging Mitte Januar 2015 online. Daß der Starttermin auf einen Donnerstag fiel, war kein Zufall. Denn Donnerstag ist Kinotag! Daß ich ausgerechnet jetzt noch einmal im Blog über den Blog laut nachdenke, liegt an Anna Koschinskis schönen Idee einer Blogparade zu dem Thema „Warum ich mit dem Bloggen angefangen habe“. Und weil es längst nicht mehr beim Füttern der Blindgängerin mit Artikeln geblieben ist, hab ich’s gerade noch so geschafft, mich wahrscheinlich als Schlußlicht in die Blogparade einzureihen! Das Schlüsselerlebnis: „Das Blindsein, spielen Sie das eigentlich nur?“ Als mich vor Jahren ein Berliner Taxifahrer (nicht der freundliche Herr auf dem Foto!) mit dieser Frage irritierte, dachte ich, ich sei im falschen Film. Dabei war ich doch gerade erst auf dem Weg ins Kino, bewaffnet mit meinem weißen Langstock. Trotz beharrlichen Nachfragens, wie er auf diese absurde Idee komme, meinte er nur, „manche Leute haben halt so einen Tick“. Was gelegentlich vorkommen kann: Der Groschen fiel bei mir erst etwas später. Und was für mich das Normalste der Welt ist, schien für den Taxifahrer außerhalb jeglicher Vorstellungskraft, nämlich daß ein blinder Mensch ins Kino geht und dabei auch noch Spaß haben kann. Darüber besteht in der sehenden Welt wohl noch großer Aufklärungsbedarf, dachte ich schon damals bei mir! Mein erster Artikel: „Hast du Lust, über den Film „Monsieur Claude und seine Töchter“ für ein Magazin zu schreiben?“ Ja, die hatte ich und ohne weiter nachzudenken, begeistert zugesagt! Aber ein bißchen mulmig war mir dann schon. Gestellt hatte mir diese Frage jemand vom Team der Greta und Starks App im Sommer 2014. Damals gab es die App, mit der sehbeeinträchtigte Kinobegeisterte im Kinosaal voll auf ihre Kosten kommen, gerade ein halbes Jahr. Der Artikel über meine Erlebnisse mit der App bei „Monsieur Claude und seine Töchter“ war schneller fertig als gedacht. Und Spaß hat’s auch gemacht. Der Anstupser: „Dann fang doch an zu bloggen!“ Dein Artikel liest sich locker weg und ich hatte beim Lesen immer deine Stimme im meinem geistigen Ohr. Überleg dir ein Thema und schreib, aber regelmäßig, sonst stirbt dein Blog, bevor er richtig angefangen hat. So in der Art waren die Worte einer sehr guten Freundin bei Tapas und Wein, die immer gerade heraus sagt, was sie denkt. Und ein paar Minuten später lag mir zwischen zwei Bissen schon ein Name für den Blog auf der Zunge. Der kam – kaum ausgesprochen – gut an! Und als von jeher leidenschaftliche Kino-Blindgängerin lag der thematische Schwerpunkt sowieso auf der Hand. Und nu, wie wird aus der Idee ein Blog? Ich hatte keine Ahnung vom organisatorischen und technischen Ablauf. Ehrlich gesagt, war mir auch nicht klar, wieviel Schreibarbeit auf mich zukommt, bevor der erste Artikel veröffentlicht sein würde. Und ohne die geduldigen, lieben und auch professionellen Helfer wäre die Blindgängerin immer noch nichts als eine Idee! Das Auge liest mit! In jedem meiner Texte steckt sehr viel Herzblut, und zwar das von mir! Mein Anspruch ist, bloß nicht zu langweilen und den roten Faden, den ich mir überlegt habe, immer im Blick zu behalten. Ich sitze also an meinem Rechner und schreibe solange an einem Text, bis mir gefällt, was mir der Screenreader vorliest. Aber der Inhalt ist nicht alles. Wenn im wahrsten Sinne das Auge mitliest, ist ein ansprechendes Layout unverzichtbar. Bei der optischen Gestaltung des Blogs mußte ich mich blind auf meine Helfer verlassen und das Ergebnis kann sich, wie ich sehr oft zu hören bekomme, sehen lassen! Leider nicht von mir, was mich doch ein bißchen traurig stimmt! Auf wen soll der Funke überspringen? Grundsätzlich auf alle, ob sehend oder nicht, ob kinobegeistert oder Kinomuffel! Der sehenden Welt möchte ich Einblicke in die Kinowelt der Nichtsehenden gewähren und den Kinoblindgängern -so nenne ich diesen Teil der Zielgruppe- Lust aufs Kino machen. Denn das barrierefreie Kino hat im Jahr 2014 mit der Greta und Starks App und dank gesetzlicher Neuregelungen einen großen Schritt nach vorne getan. Und man stelle sich vor, es gibt barrierefreies Kino und kein Kinoblindgänger geht hin! Über die Jahre ist in der Kategorie „Gesehen Gehört“ eine beachtliche Filmliste zusammengekommen, die immer noch besagter Artikel eröffnet: „Ich gehe jetzt wieder öfter ins Kino und nehme Greta mit“ Was genau ist eigentlich die Greta und Starks App? Nicht nur darüber gibt’s Informationen in der Kategorie „Kino für die Ohren: Wie funktioniert’s?“ Was mich von meinen männlichen Namensvettern unterscheidet Blindgänger schlummern Jahrzehnte verborgen und zum Glück ruhig unter der Erde. Ich dagegen stehe mit beiden Beinen mitten im Leben, gehe offen und unbefangen auf andere Menschen zu und bin viel „Hier und da unterwegs“. Werden Blindgänger zufällig entdeckt und man geht ihnen auf den Zünder, besteht höchste Explosionsgefahr. Wenn man mir auf den Zünder geht, explodiere ich zwar nicht, das wäre auch blöd, weil so final, werde mich aber dann in meinem Blog darüber auslassen! Siehe „Eingemischt in die Film- und Förderpolitik“ und „Verflixt noch mal“. So kam eine Kategorie zur anderen. Jetzt muß ich den gewissen roten Faden leider kappen und zum Schluß kommen. Denn die Zeit drängt! Der Text muß noch strukturiert und Korrektur gelesen werden, bevor er in den Blog eingestellt wird. Dann muß noch eine zündende Idee für ein passendes Foto her und auf den Auslöser gedrückt werden. Damit gehe ich wie immer meinem geliebten Adlerauge auf den Zünder! Aber soviel Zeit muß sein, allen einen wunderschönen vierten Advent und eine ruhige Weihnachtszeit zu wünschen. Aber noch keinen guten Rutsch ins neue Jahr, ich werde nämlich noch einmal in 2018 aktiv!

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Vor einer glatten schwarzen Theaterkulisse steht die Blindgängerin umringt von vier Mitgliedern des Emsembles der Jugendtheaterwerkstatt Spandau. Alle lachen fröhlich in die Kamera.

Hinter und vor den Kulissen

Zu Ende ist die blogfreie Zeit hinter den Kulissen! Nach einer zweiwöchigen Atempause am Mittelmeer war ich bis jetzt nur im Verborgenen und dort vor allem für die Kinoblindgänger gGmbH aktiv. Immer wieder feilte ich an dem Offenen Brief für unsere Initiative „Zwei Barrierefreiheits-Lolas beim Deutschen Filmpreis“. Jetzt geht es daran, die Öffentlichkeitskampagne zu organisieren. Einen Starttermin zu nennen, wage ich aber noch nicht. Am 28.06. lud Facebook mit dem Deutschen Fundraisingverband e.V. und betterplace.org zum NGO-Tag 2018 in Berlin ein. Diese Veranstaltung richtete sich exklusiv an gemeinnützige Organisationen. Sieben Stunden lang prasselten Informationen zum Thema Online-Fundraising auf mich ein. Neben vielen sehr netten Gesprächen konnte ich auch einige neue Erkenntnisse mit nach Hause nehmen, wie die spärlich gefüllte Kasse von Kinoblindgänger gGmbH aufgebessert werden könnte! Diesbezüglich hat sich vor kurzem eine tolle Möglichkeit aufgetan. Eine Kooperation, über die ich mich sehr freue, und über die ich in Kürze berichten werde. Jetzt aber nix wie raus aus den Kulissen und auf die Plätze davor! Gleich geht zum vorletzten Mal der Vorhang auf für „Metamorphosen“ Und den Göttern und Halbgöttern sei Dank: An diesem Abend mit Live-Audiodeskription! Zeus und Konsorten hatten dabei ihre Hände allerdings nicht im Spiel. Vielmehr geht dies auf das Konto der engagierten Leute von der Jugendtheaterwerkstadt Spandau in Berlin. Wie bei solchen speziellen Theateraufführungen üblich, durften wir Gäste mit Sehbeeinträchtigung vorher in die Kulissen, um die Requisite zu erkunden. Auf der Bühne stand nur ein vier Meter hoher schwarzer von innen begehbarer Turm. Dort begrüßte uns das 19-köpfige Ensemble mit einem fröhlichen Hallo. Da war mir sofort klar, die Figuren des Stücks nur nach den Stimmen sortieren zu wollen, wäre aussichtslos. Und das erst recht, weil jeder der Darsteller zwischen 19 und 78 Jahren im Schnitt vier bis fünf verschiedene Rollen übernimmt. Das macht zusammen knapp 100, was auch mit Audiodeskription eigentlich kaum zu vermitteln ist. Aber Anke Nicolai ist eine erfahrene Texterin und Sprecherin von Live-Audiodeskriptionen. Sie konnte uns so oft wie möglich das turbulente Treiben auf der Bühne entwirren und mit ihrer ruhigen angenehmen Stimme meist nur stichwortartig erzählen, wer mit wem wie und wo als was gerade agierte. Das war eine großartige Leistung! Ich könnte mir vorstellen, daß davon auch die sehenden Gäste profitierten. Die Audiodeskription wurde offen übertragen und war damit für alle im Saal zu hören. Einen Vorhang gab es übrigens nicht. Die Bühne stand mitten im Saal und das Publikum saß sich in zwei Blöcken rechts und links davon gegenüber. Dafür stieg Nebel auf. Der war so dicht, daß auch die sehenden Gäste nicht mehr ihre Hand vor den Augen erkennen konnten. Auch mein letzter Sehrest war kurzfristig verschwunden. Das hatte etwas von der Ursuppe, aus der vor Urzeiten irgendwie Lebewesen entstanden sein sollen. Als der Nebel sich lichtete, tummelten sich aber keine Einzeller auf der Bühne, sondern die wunderbar dargestellte Mutter Erde mit einer Karre voller Steine. Dann kam der Auftritt von Deukalion und Pyrrha, dem einzigen überlebenden Menschenpaar der Sintflut. Auch Ovids Metamorphosen, die literarische Vorlage, beginnen mit der Entstehung der Welt aus dem Chaos und der Sintflut. Der römische Dichter schrieb vor über zweitausend Jahren in 15 Büchern mit über zwölftausend Versen über die seelischen und moralischen Abgründe von Göttern und Menschen, die sich immerzu in Tiere oder Pflanzen verwandeln. Bei der Lektüre dieser vielen Verwandlungsgeschichten muß man sich fast zwangsläufig irgendwann verirren. Nicht aber der Regisseur Carlos Manuel. Er nimmt uns an die Hand durch seine geschickt ausgewählten Geschichten über Liebe, Verführung, Eifersucht, Freud und Leid, Mißgunst und Niedertracht, sexuelle Gewalt und Mord und Totschlag. Der Vorrat an Steinen, mit dem Mutter Erde die Bühne betreten hatte, neigt sich schnell dem Ende zu, da sie jedem Toten einen Stein zur Seite legt. Schließlich sammelt sie die Steine wieder auf, denn sie werden immer wieder gebraucht. Die größten Helden des Abends waren für mich die 19 Laiendarsteller, wie sie ihre kaum zu bändigende Spielfreude ins Publikum versprühten! Es wurde nach der Choreographie von Jenny Mezile getanzt, gestampft und auch gesungen. Herrlich waren auch die tänzelnden und badenden Musen! Dreh- und Angelpunkt war dabei der Turm. Besonders genossen habe ich die deutliche Aussprache der Spielbegeisterten. Jedes Wort peitschte glasklar durch die Luft. Davon können sich einige Profischauspieler aus Film und Fernsehen, die einfach nur in sich hinein nuscheln, eine große Scheibe abschneiden, geschlechterübergreifend. An diesem Abend hat mich mein Bezirk Spandau dieses Jahr schon zum zweiten Mal kulturell überrascht, begeistert und fasziniert! Anfang Mai war es der in Spandau von Spandauern gedrehte Kinofilm „Familiye“ und jetzt die wunderbar aufbereiteten Metamorphosen mit Live-Audiodeskription! Ob es für das nächste Projekt der Jugendtheaterwerkstatt Spandau, dem deutsch-angolanischen Theaterprojekt „Das Leben ist Traum“ im September einen Vorhang geben wird? Aber Vorstellungen mit Live-Audiodeskription und natürlich auch mit Gebärdensprache ganz bestimmt!

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