Blog Blindgaengerin

Hier und da unterwegs

Zu Gast in Leipzig bei der Filmkunstmesse

„Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, daß was geschieht!“ Weiter im Text des uralten Gassenhauers heißt es dann unter anderem: „Die Nacht, die man in einem Rausch verbracht, bedeutet Seligkeit und Glück“ oder „Rebellion, Rebellion in den Katakomben“ Als Erster sang der Schauspieler Gustaf Gründgens diese Zeilen in dem Film „Tanz auf dem Vulkan“. Der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels war über die Handlung und die Filmmusik nicht unbedingt erfreut. Trotzdem lief dieser Film im Jahr 1938 erstaunlicherweise unzensiert in den Kinos des Deutschen Reichs. Ich habe nicht auf dem Vulkan getanzt, rebelliert oder mich über die Maßen alkoholisch berauscht. Aber zum Schlafen bin ich nicht nach Leipzig gekommen. Und so waren meine Leipziger Nächte sehr lang, spannend, lustig und hochinteressant. Ich bereue keine schlaflose Minute. Zum 16. Mal veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft Kino – Gilde deutscher Filmkunsttheater e.V. in Leipzig die Filmkunstmesse. Leipzig kann nämlich nicht nur Bücher, sondern auch Filme! Vom 19. Bis 23. September fanden sich dieses Jahr über tausend Kinobetreiber, Verleiher und Fachleute der Arthouse-Branche in der Messestadt ein. An zwei Tagen mischte sich auch die Blindgängerin als Vertreterin der Ki-noblindgänger gemeinnützige GmbH gemeinsam mit Lena unters Kinovolk. Nur wer ein Badge um seinen Hals trug wie früher die Schlüsselkinder den Hausschlüssel, hatte freien Zutritt zu allen Kinovorstellungen, Veranstaltungen und natürlich zu den abendlichen Partys und Preisverleihungen. Lena und ich gehörten dazu und das war ein tolles Gefühl! Ermöglicht hat das die AG Kino – Gilde, die uns freundlicherweise unkompliziert und kostenlos auf die Teilnehmerliste setzte. Dafür bedanken wir uns noch einmal herzlichst! Wir hatten also die wunderbare Qual der Wahl: Bei insgesamt 74 Filmen konnten wir uns aus Zeitgründen leider nur einige aussuchen. Konzentriert haben wir uns dabei auf ausländische Filmproduktionen, die möglichst erst im nächsten Jahr offiziell in den Kinos starten. Die Messe war die ideale Gelegenheit, sich schon einmal nach einem neuen Projekt für die Kinoblindgänger gGmbH umzuschauen. Unter den acht Filmen, die wir geschafft haben, wurden wir auch fündig! Die meisten liefen als Original mit Untertitel. Die französischsprachigen Filme verstand ich ganz gut, den auf Englisch, na ja, und beim Spanischen mußte ich dann doch weitgehend passen. Bei zwei Vorstellungen gab es die Möglichkeit, die App CinemaConnect von der Firma Sennheiser einmal auszuprobieren. Diese Gelegenheit haben wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Sennheiser ist Partner und Sponsor der Filmkunstmesse und stattete extra für diese beiden Vorstellungen zwei Kinosäle mit seiner Technik aus, einem WLAN. Zuerst loggten wir uns mit unseren Smartphones im Kinosaal in dieses Netz ein. Damit hatten wir über die App Zugriff auf die französische Originalfassung des Films „Einfach das Ende der Welt“, die wir über unsere Kopfhörer hören konnten. Auf der Leinwand wurde währenddessen die deutsche Sprachversion abgespielt. Im Prinzip hat das zwar funktioniert, allerdings benötigt man dazu Kopfhörer, die einen zu 100 Prozent von den Außengeräuschen abkapseln. Die Meinigen, übrigens von Sennheiser, sind für solche Zwecke nicht gedacht. Ich hatte mit einem leichten Knistern die französische Fassung über Kopfhörer, und viel lauter die deutsche gleichzeitig in meinen Ohren. Das war eindeutig zu viel und so habe ich nach einigen Minuten das Experiment abgebrochen. Was die App CinemaConnect noch so alles kann und wie sie sich dabei von der App Greta und Starks unterscheidet, kann man sich in dem Hörspiel unter folgendem Link einmal anhören: Ein Hörspiel Der nächste Film lud nach Norwegen ein, natürlich auch als Originalfassung, und endlich war es soweit! Torsten Frehse von Neue Visionen Filmverleih (oben rechts im Bild) begrüßte das Fachpublikum zu „Welcome to Norway“, der am 13. Oktober startet. Dann war ich an der Reihe, die Kinoblindgänger gGmbH kurz vorzustellen, und konnte mit der ersten barrierefreien Fassung für diesen Film auch schon ein Ergebnis vorweisen. Die von Neue Visionen und Kinoblindgänger gemeinsam finanzierte Audiodeskription und Untertitel waren auch schon über die App Greta und Starks verfügbar. Lena und ich konnten uns also gleich einmal die Audiodeskription von der Greta ins Ohr flüstern lassen. Der Letzte soll der Nächste werden! „Mein Leben als Zucchini“ stand als letzter Film auf unserem Programm. Das gesamte Publikum schmolz bei dem Animationsfilm dahin und ließ sich von der Musik von Sophie Hunger verzaubern. Dieser Familienfilm aus der Schweiz wird Projekt Nummer drei der Kino-blindgänger und bekommt zum Kinostart am 16. Februar 2017 eine barrierefreie Fassung. Vorher wird aber noch Weihnachten mit „A Holy Mess“ am 22.12.2016 gefeiert. Für Lena und mich hieß es nach der zweiten noch längeren Nacht, leider Abschied von der Filmkunstmesse zu nehmen. Aber nächstes Jahr hängen wir mindestens eine dritte Nacht dran!

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Auf einer Wiese unter blauem Himmel steht eine etwa einen Meter hohe Wand aus grauen Platten, obenauf liegt eine graue Röhre. An der Wand ein Schild: Achtung, Sie verlassen jetzt West-Berlin. Hinter der Mauer ist die bayerische Flagge gehißt und ein künstlicher Schweinskopf schaut über den Rand. Vor der Mauer steht die Blindgängerin. Sie trägt ein blauweißkariertes Shirt und eine kurze Trachtenlederhose. Mit einer vollen Maß Bier prostet sie in Richtung Kamera.

Schweinskopf al dente

„Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten…“ …quäkte Walter Ulbricht am 15. Juni 1961 bei einer Pressekonferenz in Ostberlin mit seiner kehligen und monoton emotionslosen Stimme. Von dieser Stunde an hing das Wörtchen „Mauer“ in der Luft und schon zwei Monate später zog sich die „Niemandsabsicht“ erschreckend real quer durch Berlin. 55 Jahre später, am 13. August 2016, war das Einzige, was während meiner knapp siebenstündigen Zugfahrt von München nach Berlin kontrolliert wurde, die Fahrkarte. Der Eberhofer Franz würde die Abschaffung der innerdeutschen Grenze vor 27 Jahren vielleicht mit einem „das ist schön“ oder „wunderboar“ kommentieren. Er ist die zentrale Filmfigur im „Schweinskopf al dente“ und sorgt als Dorfpolizist in dem bayerischen Fantasiedorf Niederkaltenkirchen für Ruhe und Ordnung. Als ob speziell für diesen Schweinskopf über Nacht zum Kinostart am 11. August 2016 eine Mauer nach Berliner Vorbild errichtet worden wäre, kann er aber die bayerische Landesgrenze nicht wie jedes andere Schwein einfach so passieren. Er darf sich nur in bayerischen Kinos aufhalten, immerhin 130 an der Zahl. Dazu hätte der Eberhofer, der nie mit seiner Meinung hinterm Berg hält, möglicherweise ein „Schweinerei“ oder „Sauerei“ gebrummelt. Dem „Winterkartoffelknödel“ und dem „Dampfnudelblues“, den beiden vegetarischen Vorgängern des Schweinskopfes, ging es diesbezüglich nicht besser. Einer der Gründe dafür könnte sein, daß in den drei urig bayerischen Kriminalkomödien natürlich die bayerische Mundart par excellence im Original und ohne hochdeutsche Untertitel gepflegt wird. Ausgedacht hat sich die mittlerweile sieben in sich abgeschlossenen Kriminalgeschichten rund um das 1000 Seelen zählende Niederkaltenkirchen die Münchnerin Rita Falk. Bis auf den Schweinskopf haben alle Titel mit typisch bayerischen Gerichten zu tun. Die Frau war wohl auch beim Schreiben entweder sehr oft hungrig oder wollte ihren Lesern einfach nur so den Mund wässrig machen. Beim Hören der ersten drei Romane hätte ich mich am liebsten zur obercoolen Oma vom Franz mit an den Tisch gesetzt. Da gab es Knödel, Schweinsbraten mit Soße, Haxen, lauwarmen Kartoffelsalat und Früchtequark und Apfelstrudel und so weiter. Einen Durscht muß die Autorin ebenso gehabt haben. Zum Feierabend trifft man sich in der Dorfkneipe vom Wölfi mit reichlich Bier zu vielen Prosits auf die Gemütlichkeit. Dem dorfansässigen Ein-Mann-Sanitärbetrieb hat sie gleich den Namen der in Rosenheim ansässigen Flötzinger Privatbrauerei verpaßt, die schon im Jahr 1543 gegründet wurde. Deshalb genehmigten auch wir uns zur Stärkung vor dem „Schweinskopf al dente“ auf der Leinwand ein allerdings anderes Teil vom Schwein ganz real auf dem Teller, dazu ein zünftiges Weißbier. Dann ging es zum Cadillac Veranda Kino am Münchner Rosenkavalierplatz. Im diesem Kino sitzt man nicht nur einfach in einem Kinosaal, sondern wie in einem überdimensionierten Cadillac. Kurz bevor die Vorstellung Fahrt aufnimmt, blickt man noch einmal prüfend in den gigantischen Rückspiegel. Dann erst wird dieser hochgefahren, um die Sicht auf die Leinwand freizugeben. Für mich war es dann an der Zeit, die über die App Greta auf meinem Smartphone mitgebrachte Audiodeskription zu starten. Neben unzähligen visuellen Schmankerln beschrieb der Sprecher mit seiner sehr angenehmen Stimme, aus der das Bayerische gerade noch so herauszuhören war, die teilweise schon recht skurrilen Bewohner Niederkaltenkirchens. Falls sie nicht zwischendurch versterben, tauchen sie in zumindest den ersten drei Krimis immer wieder auf und genau davon leben diese Geschichten. Es kommen aber auch immer wieder Fremdlinge dazu, wie z. B. Mörder, Leichen oder wie hier der Schweinskopf, der gezielt als angsteinflößendes Objekt herhalten muß und diese Aufgabe auch einwandfrei erfüllt. Bei allen drei bis jetzt in den Kinos gelaufenen Filmen hatte ich den Eindruck, als ob die von Rita Falk erdachten Figuren einfach so aus den Büchern auf die Leinwand gesprungen wären. Aber das Herüberbringen der Stimmung in der bayerischen Provinz, so wie man sie sich vorstellt, und die Handlung mit ihrer Situationskomik ist dem Schweinskopf mit Abstand am besten gelungen! Der Franz Eberhofer ist der Einzige, der es mit allen anderen Figuren zu tun bekommt, und zwar ob er will oder nicht. Er ist Sohn, Enkel, Bruder, Schwager und Onkel, locker verbandelt mit der Susi, Kunde beim Metzger Simmerl, dem „Heizungs-Pfuscher“ Flötzinger und Stammgast beim Wirt Wölfi. Der Rest ergibt sich aus seiner Funktion als Dorfpolizist. Das alles scheint der Schauspieler Sebastian Bezzel auch dank des sauguten Zusammenspiels mit all den anderen charismatischen Darstellern genauso leicht zu stemmen wie einen Maßkrug. Nach einer ganz kurzen Gewöhnungsphase konnte ich den bayerischen Wortgefechten problemlos folgen, das mit dem Maßkrug war da schon viel schwerer! Und wer weiß, vielleicht schafft der Schweinskopf ja noch mit letzter Kraft den Hopser über die Mauer und beglückt Kinobesucher auch über die bayerische Grenze hinaus. Schaun mer mal!

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Ich, nein, wir werden hängen!

Männer wie Frauen, Kopf an Kopf und fünf an der Zahl. Und zwar öffentlich schon übermorgen ab 19.00 Uhr in der Ausstellung „Bildwechsel -Fotografie“. Aufgehängt sind unsere fünf Portraits im Studio 1 im Kunstquartier Bethanien, Mariannenplatz 2, in 10997 Berlin. Aber wir hängen dort natürlich nicht alleine. In der Ausstellung präsentiert das Photocentrum der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg über 100 Arbeiten von 12 Fotografen und Fotografinnen, die an dem Projekt „Bildwechsel – Fotografie nach der Werkstatt für Photographie“ beteiligt sind. Daß wir fünf uns in der Serie des Fotografen Uwe Schumacher „mit anderen augen“ nebeneinander reihen, ist kein Zufall. Uns ist gemeinsam, daß wir zwar nicht sehen, aber umso besser gesehen werden können. Wir haben unser Schicksal also vertrauensvoll in Uwes Hände gelegt, im Wissen, daß er den Auslöser zur rechten Zeit und im günstigsten Moment betätigt. Das spricht schon einmal für den Fotografen! Für Informationen über die anderen Fotografen und deren Serien, wie z. B. über „Berliner Wirtshäuser“ und „Veränderungen des Berliner Stadtbildes“ verweise ich auf die Homepage des Projektes. Dort findet man auch die genauen Öffnungszeiten und Details über das Programm: http://www.werkstattfürphotographie.de/ Ich werde die anderen und mich gleich einmal am Freitag zur Vernissage besuchen!

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Leipziger Allerlei mal anders!

„Verstecken wir den Speck und bringen nur noch Gemüse auf den Tisch, sonntags vielleicht ein Stückchen Mettwurst…“, riet der Legende nach Malthus Hempel, ein Stadtschreiber, den Stadtvätern von Leipzig um 1815 kurz nach Beendigung der napoleonischen Kriege. Das so erfundene Gemüsegericht, heute als Leipziger Allerlei bekannt, sollte die einst reiche Stadt vor Bettlern und Steuereintreibern schützen. Wenn sich das wirklich so zutrug, machte man sich damals aus heutiger Sicht mit dem Verzehr jeder einzelnen jungen Erbse, Karotte, Spargel und Morchel der Steuerhinterziehung strafbar. Zu dem Straftatbestand gesellten sich oft auch grüne Bohnen, Blumenkohl und Kohlrabi. Das klassische Leipziger Allerlei wird mit Flußkrebsen, Krebsbutter und Semmelklößchen serviert, klingt wirklich lecker und kommt bei mir demnächst in einem garantiert runden Suppenteller auf den Tisch! So allerlei einfallen ließen sich auch die Mitarbeiter der Deutschen Zentralbücherei für Blinde zu Leipzig (DZB) und öffneten am 5. September die Türen für interessierte Besucher. Wie in allen Bibliotheken, ist auch in der DZB ausschließlich geistige Nahrung zu finden. Die heute mit den modernsten Techniken ausgestattete DZB kann stolz auf eine 121-jährige Geschichte zurückblicken. Die Wurzeln gelegt wurden im November 1894, als die erste öffentliche Leihbücherei für Blinde in Deutschland gegründet wurde, unter dem Namen „Verein zur Beschaffung von Hochdruckschriften für Blinde zu Leipzig“. Heute ist die DZB ein Staatsbetrieb des Freistaates Sachsen und wird seit 1999 von Prof. Dr. Thomas Kahlisch geleitet. Kaum angekommen in der Gustav-Adolf-Straße 7, konnte ich mich einer der Führungen durch das Haus anschließen, untergehakt bei dem netten Herrn, der unser Grüppchen führte. Es öffneten sich unzählige Türen, hinter denen jeder einzelne in Schwarzschrift gedruckte Buchstabe technisch aufwendig ertastbar oder hörbar gemacht wird. Hinter der ersten Tür zu einem der Tonstudios bekamen wir eine Hörprobe, wie eine geschulte Sprecherin unter der Regie eines Tontechnikers ein Buch zu einem Hörbuch vertonte. Unter den jährlich rund 100.000 Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt haben die Mitarbeiter die Qual der Wahl und müssen sich aus Kapazitätsgründen für 300 Titel entscheiden. Die Dame hinter der zweiten Tür hat es mit der Daisyfizierung zu tun, das klingt nur gefährlich und ist garantiert keimfrei! Rückblickend kommt die Einweihung der Hörbücherei der DZB im März 1956 einer Revolution gleich. Bis dahin waren blinde und vor allem spät erblindete Menschen, die die Punktschrift meist nicht erlernt hatten, vom Genuß jeglicher Literatur ausgeschlossen. Den Startschuß gab „Der Lotterieschwede“ von Martin Andersen Nexø, das erste in Leipzig damals auf ein Magnettonband gesprochene Hörbuch. Meine ersten Hörbücher von der inzwischen abgewickelten Süddeutschen Blindenhörbücherei spielte ich von den inzwischen ebenso quasi abgewickelten Kassetten ab. Oft hatten die Gehäuse einen Knacks und es kam zu unzähligen Bandsalaten nicht selten bei der letzten von 30 Kassetten. Das ist, als ob die letzten Seiten eines spannenden Buches herausgerissen wären. Diesem Drama machte eine schwedische Blindenbücherei 1992 ein Ende, als sie das DAISY-Hörbuch entwickelte, einen weltweiten Standard für navigierbar zugängliche Multimedia-Dokumente. Was da so kompliziert klingt, ist ein Datenträger im MP3-Format. Dieser kann auf einem speziell entwickelten Gerät, ähnlich einem Discman, abgespielt werden. Mit viel technischem Komfort ist das Gerät auch für Blinde problemlos zu bedienen. Das DAISY-Hörbuch hat die altehrwürdige Kassette seit 13 Jahren abgelöst und so nach und nach wird der Kassettenaltbestand „daisyfiziert“. Neben dem Lotterieschweden und der innovativen schwedischen Blindenbücherei ist Gustav II. Adolf als Namensgeber der gleichnamigen Straße der dritte Schwede im Bund. Mit seinem Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg verhinderte der bedeutendste Schwedenkönig den Sieg des kaiserlichen Lagers der Habsburger und sicherte damit indirekt die Existenz des deutschen Protestantismus. Tragischerweise führte die Beeinträchtigung seines Sehvermögens durch witterungs- und schießpulverbedingten Nebel in der Schlacht bei Lützen im November 1632 zu seinem frühen Tod. Orientierungslos lenkte er sein Pferd irrtümlicherweise in die feindlichen Truppen. Die nächste Tür zur Reliefabteilung sollte für mich die letzte sein. Wir bekamen ein Papier mit Erhebungen, ein sogenanntes Schwellpapier, in die Hand gedrückt. Die thermoplastische PVC-Schicht dieses Spezialpapiers läßt sich bemalen oder bedrucken. Anschließend wird das Blatt in einem speziellen Gerät beleuchtet, bis sich die geschwärzten Stellen erwärmen und anschwellen. Punkt, Punkt, Komma, Strich, und fertig ist das Mondgesicht, das sich aber erfolgreich weigerte, von mir ertastet zu werden. Neben Mondgesichtern können mit dieser Technik einfach und kostengünstig Bilderbücher für Kinder und Graphiken aller Art tastbar gemacht werden. Die spannende Führung war für mich damit leider zu Ende, ich hatte ja noch eine Aufgabe! In den großen Räumen des Versands hingen vor meinem Einsatz die Fußballbegeisterten an den Lippen des Blindenreporters Axel Ackermann. Dank des Engagements des Behindertenfanbeauftragten, wie er sich jetzt nennt, werden die Fußballspiele des Vereins RasenBallsport Leipzig in der Red Bull Arena mit einer live eingesprochenen Audiodeskription auch für die blinden RB-Fans zum ganz großen Fußballerlebnis. Kurz vor dem Abpfiff gab es am Kickerautomaten eine Kostprobe der schweißtreibenden Sonderberichterstattung und deshalb hat sich Herr Ackermann auch noch zwei Co-Bildbeschreiber auf das Spielfeld geholt. Dann hatte mein Stündlein geschlagen. Als Demo-DVDs hatte ich mich für „M. Claude und seine Töchter“ und „Die Sprache des Herzens“ entschieden. Die Hörfilmbeschreibung dazu war nicht live, sondern kam aus der Konserve. Sie war auf der App von Greta geparkt und wurde über mein an einen Lautsprecher angeschlossenes Smartphone laut in die Runde geflüstert. Nach einigen Filmminuten mußte ich die gemütliche Kinovorstellung aus Zeitgründen abbrechen und beantwortete nach bestem Wissen und Gewissen alle Fragen über Audiodeskription im Allgemeinen und über die App von Greta mit dem Smartphone im Besonderen. Vom Kino ging es direkt nach England ins Schloß Fotheringhay, wo Mary Stewart auf ihr Todesurteil und dessen Vollstreckung wartete. Diese Szene aus dem Theaterstück „Maria Stuart“ von Friedrich Schiller wurde von einem Beamer auf die Leinwand im Versandraum projiziert und Beatrix Hermens sprach dazu live mit ihrer schönen, warmen und ruhigen Stimme die Bildbeschreibung, die auch ihrer eigenen Feder entstammte. Im Schauspiel Leipzig gibt es seit 2013 monatlich eine Vorstellung, bei der die Bildbeschreibung über Kopfhörer in die Ohren der Theaterbesucher kommt. Die Dramaturgin des Schauspiel Leipzig, Christin Ihle, hatte ein Modell des Bühnenbildes zum Ertasten mitgebracht und die in den Kostümen steckenden Puppen durften in Ruhe untersucht werden. Die große Herausforderung an die

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Eine weiße Tür in einer weißen Wand. An der Tür hängt ein brauner Bilderrahmen, die Bildfläche ist weiß. Davor steht die Blindgängerin, in der erhobenen Hand hält sie einen Ringpinsel mit weißer Farbe daran.

Ich und Kaminski

Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses und beneidenswert frei! Kann man ein weißes Bild mit weißen Streifen als Kunst durchgehen lassen? Der Streit über diese Frage stellt die langjährige Freundschaft dreier Männer in dem 1994 in Paris uraufgeführten Theaterstück „Kunst“ von Yasmina Reza auf eine harte Probe. Der stolze Eigentümer muß sein weißes weiß gestreiftes Bild als Kunstwerk und den dafür gezahlten Preis in Höhe von 200.000 französischen Francs gegen die spitzen Verbalattacken seines Freundes verteidigen. Der dritte im Bunde versucht, zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Diesen amüsanten mit viel Wortwitz geführten Disput verfolgte ich vor vielen Jahren im Heidelberger Zimmertheater. Das Zimmer faßt ungefähr 100 Besucher und die erste Reihe gehört schon fast mit zur Bühnenkulisse. Als der Gegner des Bildes im Eifer des Wortgefechtes dieses als „weiße Scheiße“ betitelte, passierte es! Eine Dame im Publikum steckte mit ihrem glucksenden und nicht enden wollenden Lachanfall zuerst nach und nach alle Theaterbesucher an, schließlich aber auch die drei Schauspieler, die so für einige Minuten außer Gefecht gesetzt wurden. Viele Menschen können es kaum erwarten, bis die ersten Schneeflocken spätestens zu Weihnachten alles in eine Winterlandschaft verwandeln. Besonders nervös beobachten „gepriesen sind die Skifahrer“ ab Mitte Dezember die sich in den Bergen ansammelnden Schneemassen. Seit diesem Theaterbesuch verfluche ich die weiße Schneepracht jedenfalls im Alltag als „weiße Scheiße“, durch die ich mich mit dem weißen Stock wühlen muß, ohne von den mir vertrauten und gewohnten Geräuschen geleitet zu werden. Um gleich mehrere Bilder geht es auch in dem vor kurzem angelaufenen Film „Ich und Kaminski“. Vor dem Kinostart eröffnete im Bikini Berlin die Ausstellung „Retrospektive Kaminski“, in der erstmals für einige Tage Bilder aus seiner „Blinden Serie“ zu sehen waren. Manuel Kaminski wurde Mitte der 60er Jahre als The Blind Painter berühmt, hatte in den großen Museen der Welt einige Ausstellungen und geriet nach seinem plötzlichen Rückzug in Vergessenheit, heißt es. Er wird in einem Atemzug mit Henri Matisse, Andy Warhol, Claes Oldenburg und Pablo Picasso genannt und sei einer der letzten Überlebenden der klassischen Moderne. Anfang des 20. Jahrhunderts kam eine Vielfalt neuer Kunststile auf, die alles bisher dagewesene revolutionierten, so in Frankreich der Kubismus, in Rußland der Konstruktivismus und in Deutschland das Bauhaus. Die Künstler der klassischen Moderne entwickelten sich weg von der gegenständlichen Malerei hin zur Abstraktion, um die Wahrheit hinter den Dingen zu ergründen. Sehr oft lassen sie allerdings die Betrachter ihrer Werke über ihre so gewonnenen Erkenntnisse im Unklaren. Die Sache mit Kaminski hat allerdings einen Kunstfehler. Der blinde Maler ist eine Kunstfigur des Schriftstellers Daniel Kehlmann in seinem 2003 erschienenen und jetzt verfilmten Roman „Ich und Kaminski“. Die Künstler Matisse, Warhol und Picasso sind in aller Munde und sogar mir als Kunstunbeflissener ein Begriff. Daß ich von Kaminski noch nie etwas gehört hatte, war für mich aber kein Grund, an seiner Existenz zu zweifeln. Erst das erfolglose Googeln machte mich stutzig. Wer, wenn nicht Kaminski, steckt hinter den Bildern, die in der Ausstellung „Retrospektive Kaminski“ zu sehen sind? Das Art-Magazin spekulierte in einem Artikel, die „Blinde Serie“ im Gruselstil könnte von der Hand des US-amerikanischen Musikers und Künstlers Marilyn Manson stammen. Im Film jedenfalls sucht der Kunstjournalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) den blinden Maler Kaminski (Jesper Christensen) in dessen Chalet in den Schweizer Alpen auf, um über den inzwischen alten Mann eine Biographie zu schreiben. Schon bei der Vorankündigung im August war mir sofort klar, daß ich mir das außergewöhnliche und hochinteressante Duo unbedingt in voller Filmlänge anschauen muß. Blinde tun, abgesehen vom eigenhändigen Führen von Fortbewegungsmitteln in der Luft, zu Wasser oder auf der Straße, fast alles, was auch die sehende Welt tut, und das ist gut so! Dazu gehören neben allen Sportarten beispielsweise das Fotografieren und natürlich auch das Malen. Ich hatte noch nie Freude daran, etwas außer Buchstaben aufs Papier zu bringen, und meine malerischen Fähigkeiten reichen wahrscheinlich nur zu einem weißen Bild mit weißen Streifen. Schon in der Schule war mir der Kunstunterricht ziemlich verhaßt. Noch wie heute kann ich mich an die aussichtslose Anstrengung erinnern, wie ich mit meiner Lupenbrille fünf cm über dem Millimeterpapier maßstabgetreu den Grundriß des Speyerer Doms übertragen sollte. Auch im Park zu sitzen und einen herbstlich belaubten Baum zu zeichnen, fand ich einfach nur lästig. Bei meinen kindlichen Malversuchen mit Wasserfarben hatte ich in kurzer Zeit den Tuschkasten geflutet und aus allen Farbtöpfchen eine undefinierbare Mischung angerührt. Was schließlich mit dem Pinsel den Weg auf das Papier gefunden hatte, wäre mit viel gutem Willen vielleicht als extrem klassische Moderne durchgegangen. Spaß gemacht hat mir das Malen mit Fingerfarben, das Werkeln mit Kartoffeldruck und Linoleumschnitt und das Formen von Knetmasse und Ton, eben Material, das ich direkt mit den Fingern bearbeiten konnte, ohne eine künstliche Verlängerung durch einen Stift oder Pinsel kontrollieren zu müssen. Genauso gespannt wie der fiktive Kunstjournalist bin auch ich zu erfahren, wie und ob der fiktive und vielleicht auch fiktiv blinde Maler Kaminski die in dem Film real auftauchenden und in der Ausstellung real ausgestellten Bilder gemalt hat. Jemand hat zu meiner großen Freude meinen ganz leise geäußerten Wunschgedanken erhört und die Bildbeschreibung für den Film über die App von Greta hörbar gemacht. Hoffentlich waren die Dialogpausen lang genug, um die angeblich im Gruselstil gemalten Bilder zu beschreiben. Sobald ich wieder in die Nähe eines deutschsprachigen Kinos komme, haben ich und „Ich und Kaminski“ einen Termin. Danach besteige ich mit Greta, Popcorn und einer Cola den Mount Everest. Aber jetzt gehe ich erst einmal an den Strand!

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Täglich grüßt das Murmeltier

Murmeltier müßte man sein! Sich den Winter über einigeln und Ende Januar, Anfang Februar seinem Instinkt vertrauend einmal ganz vorsichtig mit einem Auge blinzelnd nach draußen luken, ob das Schlimmste bereits überstanden ist. Diesen Murmeltierinstinkt machen sich die Bewohner eines Landstriches irgendwo in Amerika zunutze, die nach den sehr langen frostigen Wintern den Frühling herbeisehnen. Ein Murmeltier wird ganz vorsichtig in seinem Zuhause aufgesucht und beäugt, um nach dessen Wachheitsgrad auf das mehr oder weniger nahende Ende des Winters zu schließen. Überall auf der Welt finden die Menschen mit Leichtigkeit einen Grund zum Feiern, leider fast genauso leicht einen, um sich die Köpfe einzuschlagen. In dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ von 1993 wird das Aufsuchen eines solchen Tierchens mit einem Volksfest begangen. Der Bürgermeister befragt dieses quasi in der Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben, ob und wann es nun Frühling werde und anschließend wird gefeiert. Die Presse darf dabei natürlich nicht fehlen. Zur Live-Übertragung des Spektakels schickt ein Fernsehsender ein Kamerateam und einen TV-Wettermoderator, so eine Art Kachelmann, in die Provinz. Kaum ein Schauspieler kann schlechte Laune auf der Leinwand so inbrünstig verbreiten wie Bill Murray. Ich bin immer wieder von seiner deutschen Stimme fasziniert. Ohne seine Mimik sehen zu können, springt mich die Übellaunigkeit förmlich an. Das ist ein dickes Kompliment an den Sprecher und die Stimmensucher, die bei der Wahl der Stimme ein glückliches Händchen bewiesen!!! Murray mault sich als eben der Wetterman durch den Tag, er täte alles andere lieber, als in der Einöde in einer Kleinststadt über ein orakelndes wettervorhersagendes Murmeltier zu berichten. Zu allem Überfluß gerät er dort aus Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, in eine Dauerschleife. Jeden Morgen um 6 Uhr in seinem Hotelzimmer tröten dieselben Meldungen aus einem Radiowecker und reißen ihn aus seinen Träumen. Er reagiert ähnlich verärgert wie wahrscheinlich ein zu früh aus dem Winterschlaf geholtes Murmeltier. Ihm ist es unfreiwillig gelungen, die Zeit anzuhalten. Jeden Morgen ist der zweite Februar und zugleich Murmeltiertag, bis schließlich…, weiß ich auch nicht mehr, was dann geschieht. Auch ich befinde mich gerade in einer Dauerschleife. Allerdings wache ich jeden Morgen ohne Wecker recht spät bei blitzblauem Himmel und einer jeglichen Aktivitätssinn niederbretzelnden Sonne auf. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als über den Holzweg an den Strand, ins Meer, in die Strandbar und irgendwann über den Holzweg wieder zurück zu wandeln. Damit ist heute leider Schluß! Die Hör- und Lesebücher sind abgearbeitet und es ist Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Auf dem Rückweg über die Provence kommen meine Sinne noch einmal so richtig auf ihre Kosten. Die Grillen grillen, der Lavendel blüht und überall duftet es nach den typischen provencalischen Kräutern. Der britische Schriftsteller Peter Mayle hat mit seinem Buch „Mein Jahr in der Provence“ in den 90er Jahren einen unglaublichen Run, insbesondere unter seinen Landsleuten, auf die in seinem Buch erwähnten Orte ausgelöst. Gemütlicher und urwüchsiger geht es in den Städtchen zu, die ihm nicht unter die Feder kamen. Der Schriftsteller hat sich übrigens wegen des Rummels nach Kanada abgesetzt. Zu Hause angekommen geht es dann recht schnell durch die popcorngeschwängerte Luft der Foyers in dunkle Kinosäle. Das mit dem Popcorn im Kino scheint ein ähnlicher Automatismus zu sein wie der des Tomatensaftes im Flugzeug. Popcorn kaufe ich mir eher selten, aber fliegen geht nur mit Tomatensaft. Jetzt bekomme ich gerade den Saft aus der Dose abgedreht und der Akku ist natürlich auch leer. Das ist die Gelegenheit, ein Gläschen auf die ersten sechs Monate meines nicht mehr blogfreien Daseins zu trinken. Das nächste Mal lasse ich zwei, drei Tage später als gewohnt von mir hören!

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Tag der offenen Tür im Berufsförderungswerk Halle (Saale)

Ich halle an der Saale, Du hallst an der Saale, er, sie, es hallt an der Saale usw. läßt der Schriftsteller Curt Goetz die Patientin Maria Violetta Höllriegel im Bühnenstück „Dr. med. Hiob Prätorius“ die gleichnamige Stadt konjugieren. Wahrscheinlich wurde aus diesem Grund in Halle nach ihm eine Straße benannt. Ich hallte letzte Woche Donnerstag an der Saale, und zwar als das Berufsförderungswerk Halle (Saale) als Kompetenzzentrum „Rund um das Sehen“ zum 25. Mal seine Tore für die Allgemeinheit öffnete. Anfang März stellte ich meinen Blog www.blindgaengerin.com und damit mein Anliegen, Blinde, Sehbehinderte und alle anderen fürs Kino zu begeistern, per Mail bei Herrn Stemmler vor. Mein Gedanke war, in dem BFW viele Blinde und Sehbehinderte zu erreichen, die oft nicht in Vereinen organisiert sind. Herr Stemmler meinte wortwörtlich, da hätte ich voll ins Schwarze getroffen, und lud mich zum Tag der offenen Tür ein. Am 28. Mai um 10.00 Uhr begrüßte die Geschäftsführerin Kerstin Kölzner in der Aula im Haus 1 die sehr sehr zahlreich erschienenen Gäste und eröffnete den Tag der offenen Tür unter dem Motto „Steigende Sehanforderungen am Arbeitsplatz – Wir liefern Lösungen“. Anschließend referierte Herr Matthias Benninghofen über den Stand der Forschung bei dem von „Second Sight“ entwickelten Netzhautchip. Immerhin gelingt es unter gewissen Voraussetzungen, Vollblinden ein Hell-/ Dunkelsehen zu ermöglichen. Mein Sehrest ist zwar minimal, aber ich kann Kontraste sehr gut wahrnehmen. Ich falle also durchs Raster, aber Herr Benninghofen versprach, daß an der Weiterentwicklung der Technik fieberhaft gearbeitet werde. Dann hatte mein Stündlein geschlagen. Unter dem Motto „Smart mit dem Phone – Kino über die Ohren erleben“ stellte ich mich als Blindgängerin aus Berlin und meinen Blog so knapp wie möglich vor und verwies auf die Bibliothek eine Etage tiefer, die für vier Stunden mein Reich war. Die Audiodeskription war dort über mein an einer Lautsprecherbox angeschlossenes Smartphone zu hören. Ein Abspielgerät sorgte für das Bild und den Originalton der DVD des Filmes „Wir sind die Neuen“ in Dauerschleife. Ich konnte die Lautstärke der Audiodeskription und die des Films getrennt regeln und meinen Besuchern, die manchmal auch die Augen zukniffen, so sehr plastisch den Unterschied eines Filmerlebens mit und ohne Bildbeschreibung vorführen. Während der vier Stunden gesellten sich ungefähr 50 Sehende, Blinde und Sehbehinderte jung wie alt, zu mir, um sich über die Audiodeskription im Allgemeinen zu informieren und zu erleben, wie einfach es sein kann, diese mit der App von Greta und Starks in die Ohren zu bekommen. Alle verließen begeistert die Bibliothek, bedankten sich, und vereinzelt konnte ich auch die Berührungsängste vor dem Smartphone wenigstens ein bißchen nehmen. Das war schön! Zwischendurch kamen die Herren Stemmler und Küchler und die Damen Frau Scheibe und Frau Sander nach mir schauen und sorgten für mein leibliches Wohl. Kurz bevor ich meine Zelte abbrechen mußte, erschien plötzlich das Fernsehteam von TV Halle in der Tür. Sie wollten einen kleinen Beitrag für die Sendung „Hallo Halle“ über mich drehen. Bevor ich nervös werden konnte, war schon alles vorbei. Es blieb leider keine Zeit, eine Runde über das parkähnliche Gelände des BFW zu drehen, auf dem bereits am 01. April 1898 die Provinzial-Blindenanstalt ihrer Bestimmung übergeben wurde. Die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude wurden liebevoll restauriert und die Mitarbeiter behaupten durchweg mit Stolz, das bundesweit kleinste, aber schönste BFW zu sein. In der Turnhalle war die größte Hilfsmittelausstellung des mitteldeutschen Raumes untergebracht. Dort war ich eigentlich locker mit Jette Förster und Andy Chyla, beide auch aus Berlin angereist, verabredet. Herr Chyla präsentierte das Hörfilmprojekt des DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) und Frau Förster informierte als Jugendreferentin des Blinden- und Sehbehindertenvereines Sachsen-Anhalt. Die treuen vierbeinigen Begleiter durften natürlich auch nicht fehlen. Eine Blindenführhundschule zeigte die Arbeit und Ausbildung mit Führhunden. Ich habe zwar keinen Führhund, liebe aber Hunde und die Hunde eigentlich auch immer mich. Am nächsten Tag erfuhr ich über die im Internet noch bereitgestellte Sendung „Hallo Halle“ von den ungeahnten Möglichkeiten, den an sich schmucklosen weißen Langstock aufzupeppen. Den Griff und die Kugel passend zum Outfit und Anlaß austauschen, vielleicht auch einmal eine Diskokugel? Ich kenne da jemanden, die, wenn man sie ließe…, mon dieu!!! Das ist ein nur sehr kleiner Ausschnitt aus dem vielfältigen und bunten Programm, das über 500 Besucher nutzten, um sich über die Arbeit des BFW Halle zu informieren. Ich hoffe für meinen Teil, in Halle nicht verhallt zu sein, und fuhr gegen 16.00 Uhr, um in der Sprache der gelesenen Emoticons zu sprechen, mit glücklichem Gesicht und halbgeschlossenen müden Augen zurück in die Hauptstadt.

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Deutscher Hörfilmpreis

Zum 13. Mal die Verleihung des Deutschen Hörfilmpreises in Berlin, für mich eine Premiere! Normalerweise schreibe ich über höchstens 130 Kinominuten! Am Dienstag im Atrium der Deutschen Bank sind von 19.00 bis 24.00 Uhr eine Unmenge von Eindrücken auf mich eingeprasselt und ich weiß gar nicht so recht, wie ich da einen roten Faden hineinbekommen kann. Daß ich überhaupt dabei sein durfte, verdanke ich Claudia Schaffer vom DBSV. Als sie von meinem Blog erfuhr, hat sie mich sofort auf die Gästeliste gesetzt, konnte aber noch nicht versprechen, ob das auch klappt. Letzte Woche kam die ersehnte Zusage. Begleitet, mit Getränken versorgt und durch die Massen bugsiert hat mich meine Freundin Pascale. Bei grob geschätzt 900 Gästen kann man schon von Massen sprechen. Wirklich sehr viele trugen den weißen Stock. Wer eigentlich auch einen Preis verdient hätte, ist das Servicepersonal, das ständig und überall Tabletts mit Getränken und Häppchen vom Allerallerfeinsten an Sehenden und Nichtsehenden vorbeibalanciert hat. Da gab es nichts, was es nicht gab, und ich wäre gerne einmal kurz Mäuschen in der Küche gewesen oder vielleicht auch besser nicht. Sich von einer Platte ohne Zerstörung der umliegenden „Kunstwerke“ gezielt ein Häppchen herauszufischen ist, wenn man nichts sieht, ein Ding der Unmöglichkeit. Pascale hat mich treffsicher immer mit dem Besten versorgt, wir sind schon ein eingespieltes Team. Jetzt aber zum eigentlichen Thema! Zuerst einmal ein dickes Dankeschön an den DBSV und alle Mitwirkenden für diesen rundum gelungenen Abend in dem wunderschönen Atrium der Deutschen Bank Unter den Linden. Als schließlich auch der letzte Stuhl seinen Besetzer gefunden hatte, übernahm der TV-Journalist Mitri Sirin das Wort und begleitete uns charmant und souverän durch das zweistündige prallgefüllte Programm des Galaabends. Alle Akteure, ohne die die Institution „Deutscher Hörfilmpreis“ undenkbar wäre, wurden auf der Bühne begrüßt, in ein kurzes Gespräch verwickelt und natürlich immer, besonders die Damen, genauestens beschrieben. Das waren Vertreter des DBSV, die Sponsoren, die Gastgeberin Deutsche Bank, Vertreter aus der TV- und Kinobranche, die Jury, die Schirmherrin Christine Neubauer, Verena Bentele, die ergebnisverkündenden Öffnerinnen und Öffner der roten Briefumschläge und natürlich die glücklichen Gewinner der drei Kategorien. Um allen Gästen zu zeigen, wie wichtig Hörfilmbeschreibungen für Kinoblindgänger sind, wurden aus einer Filmszene zuerst nur die Geräusche abgespielt, dann kam die Hörfilmbeschreibung dazu und im dritten Schritt gab es Geräusch, Hörfilmbeschreibung und Bild. Das war eine sehr schöne Idee. Ich habe mich bei dem Versuch, die Geräusche zu deuten, ganz schön verdeutet. Erst mit der Hörfilmbeschreibung war der Filmausschnitt zu erkennen: Die berühmte Duschszene aus Alfred Hitchcocks „Psycho“. Mitri Sirin hat bei all seinen Gesprächspartnern eine Einschätzung sowohl des bereits Erreichten als auch der Zukunft des Hörfilmes herausgekitzelt. Abgesehen von einigen konkreten Projekten fasse ich das sehr pauschal so zusammen, daß bereits viel geschafft wurde, aber der Weg noch lang und auch ein bißchen steinig ist. Dem schließe ich mich einfach mal an, finde aber, daß in den letzten zwei Jahren ein extrem großer Schritt nach vorne gelungen ist. Ich für meinen Teil habe schon einmal die Ärmel hochgekrempelt und mir spuken auch schon viele Ideen im Kopf rum! Die musikalische Heldin des Abends war Judith Holofernes, begleitet von zwei Musikern ihrer Band. Für sie war das die erste Tuchfühlung mit dem Thema Hörfilm und sie meinte, daß sie mit ihren Songtexten ja auch irgendwie einen Hörfilm schreibt. Das stimmt, bei dem zweiten Song, „Pechmarie“, der mir auch am besten gefiel, hatte ich sofort Bilder im Kopf. Vor ihrem Abschiedssong ist sie auf den Geschmack des Beschreibens gekommen und hat sich gleich an ihren Musikern versucht. Spontan jemanden treffend und ohne ihm zu nahe zu treten zu beschreiben, ist gar nicht so einfach. Einige Male mußte sie sich auch das Lachen verkneifen. Und endlich kamen die Öffnerinnen und Öffner der roten ergebnisverkündenden Briefumschläge zum Zuge. In der Kategorie TV gewann der Film „Landauer – der Präsident“, in der Kategorie Kino der Film „Zwischen Welten“ und mit dem Publikumspreis wurde „Auf das Leben!“ gekürt. Ich dachte gerade so für mich, daß wäre es leider schon gewesen, als die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth in einem roten Mantel und der Regisseur und Oscar-Preisträger Pepe Danquart mit einem schwarzen Hut mit noch einem roten Briefumschlag ins Rampenlicht traten. Frau Roth meinte, die Jury wolle ein Projekt mit einem Sonderpreis belohnen, das sich besonders und wie kein anderes um ein barrierefreies und inklusives Kinoerlebnis für Blinde und Sehbehinderte verdient gemacht hat. Mir ist natürlich sofort die App von Greta und Starks durch den Kopf geschossen und dann gibt Claudia ihrem roten Outfit durch das Aufsetzen ihrer Brille die grüne Note und spricht es aus! Die App von Greta und Starks wird als Projekt mit einem Sonderpreis ausgezeichnet!!! Die App geisterte zwar einige Male während des Abends durch die Gespräche im Saal, aber Frau Roth hat es klipp und klar ausgesprochen. Nur wenn ein Film über Greta verfügbar ist, können Kinoblindgänger entscheiden, wann und in welchem Kino sie den Film sehen möchten. Für diese klaren Worte bin ich ihr wirklich sehr dankbar. Die Freude beim Team von Greta war natürlich riesig und auch das Publikum hat sehr sehr begeistert applaudiert. Das war der krönende und überraschende letzte Programmpunkt des Abends. In wenigen Minuten wurden dann mal eben 900 Stühle beiseite geräumt, um Platz für den geselligen Teil des Abends zu schaffen. Pascale und ich saßen solange auf einer Bank direkt am Küchenausgang und keine Platte mit den Häppchen kam unbeschadet an uns vorbei. Die verbleibende Zeit haben wir dann plaudernd mit dem natürlich überglücklichen Team von Greta, den Herren Ullmann und Kaminski (Herr Kaminski, selbst blind, ist Hörfilmbeschreiber) und einer Kollegin von Eurotape sowie der Hörfilmbeschreiberin Marit Bechtloff und Petra Wagner vom DBSV verbracht. Kurz sprechen konnten wir auch mit Frau Bentele und ihrem Kulturreferenten Herrn Krüger. Frau Roth konnten wir trotz ihres auffallend roten Mantels nicht mehr ausfindig machen. Das war’s für dieses Jahr mit dem Hörfilmpreis, und wenn ich einmal wieder dabei sein darf, immer wieder gerne!!! Jetzt gehe ich aber erst mal wieder ins Kino.

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AmourFou Plakat

Klappe, die erste!

Für die Aufnahme der Kostprobe von meiner Stimme habe ich mich vertrauensvoll in die professionellen Hände des sympathischen Tonstudios „speaker-search“ Jörn Witt und Sören Nehe begeben. Im Kopf hatte ich nur eine vage Vorstellung von dem Text, den ich sprechen wollte. Ich saß also mit den Kopfhörern in dem von allen Gerä uschen hermetisch abgeschirmten Aufnahmeraum und sollte erst mal munter drauf lossprechen, um meine Stimme einzupegeln. Im Hintergrund waren immer noch die beruhigenden Stimmen von Jörn Witt und dem Tontechniker Herbert Reichelt zu hören. Dann kam das Kommando „Uuuund jetzt!“. Nach einigen Schrecksekunden, in denen absolute Stille herrschte, habe ich mich dann plötzlich anders als gewohnt sprechen gehört. Die ersten Sätze gingen ganz flüssig, dann ein kurzes Stocken, Verhaspeln und Abbrechen. Beim Anhören der Aufnahme habe ich dann jeden noch so kleinen Fehler gnadenlos akustisch um die Ohren gehauen bekommen. Nach zwei oder drei weiteren Anläufen war schließlich genug Material zusammen und der Tontechniker hat das Beste daraus gemacht. Ich war übrigens nicht zufällig bei den „Stimmensuchern“. Ich durfte bereits zum zweiten Mal bei der Aufnahme einer Hörfilmbeschreibung dabei sein. Dieses Mal ging es um den Film „Amour fou“, der am 15.01.2015 in den deutschen Kinos angelaufen ist. Sprecher war, wie auch bei dem vorherigen Film, der Schauspieler „Thomas Arnold (z.B. Rechtsmediziner beim Dortmunder Tatort). Ich saß also gemütlich mit einem Kaffee auf der Couch und durfte mir den Film schon eine Woche vor Erscheinen ansehenhören. Thomas Arnold saß jetzt in dem Aufnahmeraum. Obwohl er den Text für die Hörfilmbeschreibung zum ersten Mal zu Gesicht bekam, ist es ihm gelungen, diesen mit seiner wohlklingenden Stimme präzise in die Dialogpausen einzusprechen. Auch die zungenbrecherischsten Sätze haben ihn nicht aus der Ruhe gebracht. Wie schon beim ersten Film habe ich mich gelegentlich zu Wort gemeldet, wenn sich mir ein Szenenbild nicht erschlossen hat oder die Personen zu viel oder zu wenig erwähnt wurden. Das hat mir sehr sehr viel Spaß gemacht und ich hoffe auf weitere Termine auf der Couch. Schon beim ersten Telefonat mit Jörn Witt im letzten Sommer hatte ich den Eindruck, daß nicht, wie schon so oft, alles wieder im Sande verläuft und ich nie wieder etwas hören würde. Die Leute von speaker-search nehmen die Produktion einer Hörfilmbeschreibung sehr ernst, um der Zielgruppe, also den Kinoblindgängern, ein optimales Kinoerlebnis zu ermöglichen. Noch kurz zu dem Film „Amour fou“! Der Kostümfilm spielt im Jahr 1811. Der Dichter Heinrich von Kleist geht gemeinsam mit Henriette Vogel in den Freitod. Uns wird erzählt, wie es dazu kam. Auch wenn viel fürs Auge geboten wird,  lohnt es sich schon wegen der Dialoge, den Film anzuschauen. Man bekommt einen Einblick in die großbürgerliche Gesellschaft dieser Zeit, die sich allmählich mit den Gedanken der französischen Revolution konfrontiert sieht. Dadurch enthält „Amour fou“ trotz des tragischen Endes auch komische Momente.

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