Das Buch ist ein kostbares Kulturgut und hat irgendwie auch eine Seele!
Es möchte, genauso wie alle Dinge und Lebewesen, daß mit ihm respektvoll, sorgfältig und fachgerecht umgegangen wird. Leider ist es aber auch vor Schicksalsschlägen nicht gefeit.
Fehler, die beim Drucken oder Binden auftreten, degradieren das Buch zum Defektexemplar. Die nächste Gefahr lauert beim Transport und der Lagerung. Zieht es sich dabei gut sichtbare und nicht zu korrigierende Beschädigungen zu, wird es als Mängelexemplar abgestempelt und unterliegt nicht mehr der Buchpreisbindung.
Mit einer gewollt verknittert aussehenden Titelseite veröffentlichte die Autorin Sarah Kuttner aus Berlin 2009 ihren Roman „Mängelexemplar“. Ob sich der Buchdeckel auch so anfühlt, wie er aussieht, kann ich mangels eines Exemplars nicht beurteilen.
Ganz genau wissen wird das die Berliner Regisseurin und Drehbuchautorin Laura Lackmann. Beim Lesen des Bestsellers hatte sie sofort einen Film vor Augen und im Jahr 2014 nahm ihr Kopfkino bei den Dreharbeiten Gestalt an. Wer das Mängelexemplar, die 27-jährige Berlinerin Karo, verkörpern sollte, kam ihr jedoch nicht sofort in den Sinn.
Die Wahl fiel beim Casting dann recht schnell auf die gebürtige Berliner Schauspielerin Claudia Eisinger.
Wie gut diese an sich und ganz besonders am gigantischen Lehrstoff eines Jurastudiums verzweifeln kann, bewies sie bereits als Studentin Katharina in „Wir sind die Neuen“.
Im krassen Gegensatz zu dem verknitterten Buchdeckel kann man bei Karos äußerer Erscheinung absolut nichts Mängelexemplarisches feststellen. Dennoch wird die sehr attraktive junge Frau von ihrer Chefin kurz und schmerzlos wie ein ramponiertes Buch ausgemustert.
Sie sei viel zu unbeherrscht und emotional. Und so, wie sich Karo dann in einem Baumarkt aufführt, ihren Freund überfordert und ihre beste Freundin Anna vor den Kopf stößt, scheint da was dran zu sein.
Die Einzige, die ihr gar nichts übel nimmt, und zu der sie sich jederzeit Trost suchend flüchten kann, ist ihre Oma Bille. Den Part der Oma übernimmt Barbara Schöne aus Berlin mit ihrer wundervoll warmherzigen und tiefen Stimme.
Und dann ist da noch Laura Tonke, natürlich auch aus Berlin.
Hier steckt sie nicht als Hedi Schneider in einem Fahrstuhl fest, sondern heißt Anna, besitzt eine Kneipe in Kreuzberg und ist eigentlich Karos beste Freundin.
Wenn sich fünf Frauen als geballte Berlinerinnen-Kompetenz daran machen, eine mal tragische, meist aber komische Berliner Geschichte auf die Leinwand zu bringen, kann ja eigentlich nüscht mehr schiefjehn und das isses auch nicht!
Dazu maßgeblich beigetragen haben aber auch zwei Wahlberlinerinnen.
Zum einen versucht Katja Riemann als Karos Mutter – und eigentlich selbst ein Mängelexemplar – mehr schlecht als recht, ihrer Tochter aus einer tiefen psychischen Krise herauszuhelfen.
Professioneller geht es da schon in der Praxis von Maren Kroymann als Psychotherapeutin Annette zu. Mit stoischer Ruhe und minimalistischen Gesten läßt sie Karo ihr Leben Seite für Seite wie in einem Buch Revue passieren und daraus erzählen.
Darin kommen natürlich auch Männer vor, Christoph Letkowski als Karos Freund, Detlev Buck ist ihr Vater und Maximilian Meyer-Bretschneider mal Kumpel und mal mehr.
Das männliche Geschlecht kommt zwar nicht allzu oft zu Wort, ist aber dennoch unverzichtbar, wie im Leben eben.
Unverzichtbar für den vollen Filmgenuß ist wie immer eine Audiodeskription. Die gibt es auch und ich bekam sie über die App Greta im Kino auf die Ohren.
Dieser frauendominante Film schreit geradezu nach einer Sprecherin für die Hörfilmbeschreibung und das war auch der Fall.
Was ich von der angenehm ruhigen und unaufgeregten Stimme zu hören bekam, war mir sehr vertraut, weil ich bei der Erstellung der Audiodeskription redaktionell mitwirken konnte. Genau gesagt, las mir der Autor den Text seines Manuskriptes zwischen die Dialoge. Wenn mir etwas unklar war, haben wir gemeinsam nach einer neuen Formulierung gesucht.
Die Regisseurin mußte sich einiges einfallen lassen, um Karos diffuse Gedanken und Gemütsschwankungen, wie sie im Buch beschrieben sind, in Bild und Ton darzustellen. Das ist ihr auf beeindruckende Weise geglückt, auch mit Unterstützung durch die jeweils genau passende Filmmusik. Die vielen Bilder mußten dann für die Audiodeskription wieder in Worte gefaßt und in die kurzen Dialogpausen platziert werden. Und ganz subjektiv gesprochen, ich finde, das haben vor allem der Autor, ein Urberliner, und ein bißchen auch ich, jahrzehntelange Wahlberlinerin, ganz gut hinbekommen.
Mein Honorar für diese Tätigkeit kommt übrigens zu 100 % der Kinoblindgänger gemeinnützige GmbH zugute!
Schöner kurzweiliger Artikel, der Vorfreude auf den Film weckt, Spaß macht zu lesen und nicht zu viel verrät.
Freue mich auf den Film. Ich mag Filme, die aus einer weibliche Perspektive erzählen und die Frauenrealitäten darstellen.