Mit Ralf bei der Berlinale im Zirkus
Und ich übergebe gleich das Wort an meinen geschätzten Kollegen und guten Freund, den Journalisten und Filmbeschreiber Ralf Krämer: „Ob es nun ein Geschenk zum 75. Geburtstag der Berlinale war oder nicht, in diesem Jahr gab es auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin für blinde und sehbehinderte Kinofans ein größeres Angebot als je zuvor.15 deutsch- und ein englischsprachiger Film mit deutscher Audiodeskription standen auf dem Programm. Dazu zählte auch der Dokumentarfilm „Zirkuskind“.Die ganz besondere Vorführung im großen Saal des Berliner Zoo-Palastes haben wir, die Blindgängerin und ich, besucht. Aber wie jedes Festival beginnt auch unser Bericht mit der Eröffnung.Zum ersten Mal gab es während der feierlichen Eröffnungsgala der Berlinale eine Live-Audiodeskription. Den Saal, die stets wechselnde Beleuchtung, die Outfits und die vielen eingespielten Filmausschnitte galt es zu beschreiben und die vielen Promis auf dem roten Teppich zu erwähnen. Und das bei sehr wenig Zeit zwischen den Wortbeiträgen.Die Live-AD, getextet und gesprochen von Anke Nicolai, konnte über Audioguides und Kopfhörer leider nur in der zum Kino umgebauten Uber Eats Music Hall empfangen werden. Dort waren 40 Plätze für blinde und sehbehinderte Menschen reserviert und die waren sehr begeistert.Die zeitversetzte Übertragung der von Désirée Nosbusch moderierten Gala samt der Überreichung des Ehrenbären für das Lebenswerk an Tilda Swinton im rbb oder beim ZDF/3sat war so straff gekürzt, dass nicht eine Sekunde Zeit für die AD gewesen wäre, schade!Aber der Blindgängerin wurde das Skript der Live-AD zugespielt. Hier eine Kostprobe mit der Beschreibung von Tilda Swintons wie immer hinreißenden Äußeren:„Sie ist groß, hager, hat hellblondes hochgegeltes Haar, das an den Seiten abrasiert ist, blaue Augen, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und geschwungene rot geschminkte Lippen. An ihrem linken Ohr glänzen zwei silberne Ringe. Swinton trägt den bodenlangen dunklen Mantel mit kleinem Stehkragen, Kunstpelzbesatz an Kragen und vorderem Saum sowie glänzenden Knöpfen.“ Sowohl im großen Berlinale Palast mit seinen 1631 Sitzplätzen als auch in der Music Hall konnte man dann mit der Greta-App der Audiodeskription des Eröffnungsfilms, Tom Tykwers „Das Licht“ lauschen.Gleiches gilt auch für den Berlinale-Trailer mit seiner rotierenden Kugel aus lauter goldenen Bären, die schließlich explodiert und sich in einen Funkenregen auflöst.Den Link zum Trailer mit der von Ulrike Hübschmann gesprochenen AD gibt es ganz unten. Der wahrlich zauberhafte Berlinale-Trailer passte dann auch perfekt zum Start der Vorführung von „Zirkuskind“, am frühen Montagmorgen im Zoo-Palast.Der Film von Julia Lemke und Anna Koch, der als erster Dokumentarfilm von der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ gefördert wurde, feierte seine Weltpremiere im Berlinale Programm Generation Kplus. Bei „Zirkuskind“, empfohlen ab sieben, wurde die Audiodeskription live von Anke Nicolai eingesprochen und wie bei der Eröffnung über Audioguides und Kopfhörer zugänglich gemacht. Diese technische Lösung war im Vorfeld mit einer eingeladenen Grundschulklasse der Berliner Johann-August-Zeune-Schule für Blinde abgesprochen.Damit wurde sichergestellt, dass das noch nicht so im Umgang mit Smartphones geübte junge blinde Publikum gleich von Anfang an dem Film und der Bildbeschreibung folgen konnte. Und so tauchten alle (und wir), die in den großen Saal hereinspaziert waren, in den Alltag des Zirkus Arena ein. Im Mittelpunkt stehen dabei der etwa 12jährige Santino und sein jüngerer Bruder Gitano. Sie helfen ihrem Vater, ihren Großvätern und Tanten beim Auf- und Abbau der Zelte, beim Verkauf flackernd bunter Plastikspielzeuge und üben erste artistische Nummern ein. Als wiederkehrendes Motiv stellt sich Santino mehrfach vor einer neuen Schulklasse vor, von der er weiß, dass er sie und seine neugewonnenen Freunde schon nach wenigen Wochen wieder wird verlassen müssen. Immer wieder streiten sich Santino und Gitano darum, wer denn nun mit dem schweren Hammer die massiven Heringe des Zirkuszeltes in den Boden schlagen darf. Das erzählt nachvollziehbar auch von der gewissen Monotonie des unsteten Lebens eines Wanderzirkusunternehmens. Irgendwann schien uns das aber eher redundant. Wir hätten uns stattdessen mehr Details aus dem Leben mit den Zirkustieren gewünscht, statt noch einmal mitzuerleben, dass am Ende der Vater der Brüder doch den Großteil der schweren Hammerarbeit erledigen muss. Pferde, Kamele, Hunde und Rinder mit imposanten Hörnern begleiten den Zirkus auf seinem Weg. Wohl wissend, dass Tierdressuren mittlerweile eher kritisch gesehen werden, schafft es zumindest die Frage einer Mitschülerin von Santino in den Film, ob im Zirkus „Tiere gequält würden“. Der Junge antwortet mit einem entschiedenen „Nein!“ Kein Betrieb, der mit Tieren arbeitet, würde so streng kontrolliert wie der Zirkus, heißt es einmal noch. Viel mehr erfährt man über die Haltung, Ausbildung und die Auftritte der Tiere leider nicht.Trotzdem ist „Zirkuskind“ durchaus gelungen. Die Familienmitglieder scheinen die Kameras während der langen Dreharbeiten gar nicht wahrzunehmen. Das führt zu vielen spannenden und auch immer wieder berührenden Einblicken in die Geschichte der traditionsreichen Zirkusfamilie. Für letztere ist Uropa Ehe zuständig, der mit seinen über 80 Jahren zu den „letzten großen Zirkusdirektoren Deutschlands“ zählt. Wenn er zum Beispiel von seinem einstigen Star, dem Elefantenbullen Sahib erzählt, übernehmen fantasievoll von Magda Krebs und Lea Majeran animierte Szenen die Bebilderung. In der Audiodeskription wurde dies so angekündigt: „Ein gezeichneter Trickfilm“.Dass bei dem abschließenden Publikumsgespräch ein Kind mit Sehbehinderung erstmal fragte, was eigentlich ein Trickfilm sei, machte deutlich: Bei der Erstellung von ADs für Kinder- und Jugendfilme sollte unbedingt auch das junge blinde Zielpublikum mit einbezogen werden. Auf großes Interesse stieß die abschließende Ankündigung, dass die jungen „Zirkuskinder“ im Kino-Foyer noch Autogramme geben würden. So bekamen zumindest die eifrigsten Autogrammjäger wohl nicht mehr mit, wie die Moderatorin gewissermaßen als Zugabe noch einmal dazu aufrief, sich für die Kinder-Jury der Berlinale zu bewerben. Diese Einladung gelte ganz besonders auch „allen Marginalisierten, egal ob Ihr schwarz oder trans seid oder eine Behinderung habt.“ Da fragten wir uns schon, ob man hier ernsthaft der Meinung war, gerade Kinder auf diese Weise angemessen anzusprechen. Der Veranstaltung, in der eigentlich ganz selbstverständlich Inklusion praktiziert wurde, erwies dieses unbeabsichtigt exkludierende Finale dann doch eher einen, nun ja, Bärendienst. Froh stimmte uns hingegen, dass wir mit Anke Nicolai noch ein Foto in der kalten Winterluft machen konnten und uns über das austauschten, was die Berlinale auch weiterhin noch an barrierefreien Veranstaltungen zu bieten hatte. Zum Beispiel eine weitere Vorstellung von „Zirkuskind“, mit offener, einer für alle hörbaren Live-Audiodeskription, erweiterten Untertiteln
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