Heil

Heil-igs Blechle, was war dees? Heute gehört uns Prittwitz, und morgen? Prittwitz gibt es wirklich, und zwar als Name eines alten sehr weit verzweigten schlesischen Adelsgeschlechts. Den Schauplatz des filmischen „Heil“-losen Durcheinanders, Prittwitz in Brandenburg, sucht man genauso vergebens wie das Dreiländereck Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Tauscht man Sachsen gegen Sachsen-Anhalt, sieht die Sache schon ganz anders aus. So leise und mit feinsinnigen Humor der Film „Señor Kaplan“ an die braune Vergangenheit herangeht, so laut und chaotisch läßt der Regisseur Dietrich Brüggemann seine Figuren durch die braune Szene von heute poltern. An Akteuren hat er nicht gespart und ich versuche, mich an so viele wie möglich zu erinnern. Johnny und Kalle repräsentieren das Prittwitzer braune Jungdummvolk, das in blindem Gehorsam dem Führer der Prittwitzer Kameradschaft, Sven Stanislawski, folgt. Die beiden tragen besonders bei der Umsetzung des geplanten Einmarsches in Polen maßgeblich zur allgemeinen Erheiterung bei. Doreen, die Prittwitzer blonde Rasse(n)schönheit, läßt ihre Verehrer mit dem Hitlergruß abblitzen und weist darauf hin, daß diese, bevor sie nicht in Polen einmarschiert seien, auch bei ihr kein Land gewinnen könnten. Herr Georgi aus Hamburg täuscht als „Nipster“ mit seinem für Nazis untypischen Outfit über seine wahre braune Gesinnung hinweg und versucht als harmloser Saubermann der Nation sein Glück. Auch seine Söhne müssen, ob sie wollen oder nicht, für das Image des Vaters herhalten. Einige verwirrt wirkende Antifa-Kämpfer versuchen mehr oder weniger erfolgreich, die braune Suppe zu versalzen. Den afrodeutschen Antirassismus-Bestsellerautor Sebastian Klein verschlägt es anläßlich seiner Lesereise nach Prittwitz. Eine unsanfte Begegnung mit dem braunen Schlägervolk macht ihn unfreiwillig zu dessen willenlosem Sprachrohr, verziert mit einem Hakenkreuz-Tattoo auf der Stirn. Seine hochschwangere und höchst besorgte Freundin Nina bedient das Klischee einer „Prenzlauer Berg-Ökomutti“. Der auf dem rechten Auge blinde Bürgermeister macht dem mit beiden Augen hinschauenden Dorfpolizisten das Leben schwer. Schwer haben es auch die nichtdeutschen Imbißbetreiber in Prittwitz. Dann mischen noch einige Nachrichtendienste und ein TV-Moderator mit. In zwei Talkshows prallen einige dieser Pappnasen aufeinander. Talkshows gehören nicht gerade zu meinen Lieblingsfernsehformaten, aber in diesem Fall mußte ich zweimal eine Ausnahme machen. Bei dieser Vielfalt an Personen und Aktionen hätte ich mich sehr über einen einst von Ulrich Roski besungenen „Mann im Ohr“ gefreut. In diesem Film wäre es, wie mir die federführende Hörfilmautorin verriet, eine Sprecherin gewesen. Bei Filmen, in denen männliche Stimmen dominieren, wählt sie als Gegenpol gerne eine Frauenstimme und umgekehrt. Die bestimmt liebevoll erstellte Hörfilmbeschreibung ist zwar auf einer der Tonspuren des DCP im Kinosaal gelandet, war für mich aber mangels einer speziellen Technik vor Ort nicht nutzbar und stand auch nicht über die App von Greta zur Verfügung. Das DCP heißt „Digital Cinema Package“ und ist ein standardisiertes Medium, das seit einigen Jahren in fast allen Kinos die altehrwürdige Filmrolle ablöst. Man könnte meinen, daß es bei dialogstarken Filmen möglich sei, dem Geschehen auch ohne Bildbeschreibung weitgehend folgen zu können. Das war mir allerdings bei der Menge der Personen, die in einem irren Tempo von einem Chaos ins nächste jagten, nur sehr eingeschränkt möglich. Bis ich geschnackelt hatte, wer da gerade irgendwelche Dämlichkeiten von sich gibt, wurden mir schon wieder die nächsten Sprüche um die Ohren gehauen. Auch das fröhliche Geräuscheraten half mir wenig. Was nützt es, wenn man jemanden mit einer Spraydose herumhantieren hört und weder weiß, wer derjenige ist, noch, was er sprüht. Daß geprügelt, geschossen und explodiert wurde, war einfach zu erraten, aber wer sich mit wem prügelte und wen es erwischte, blieb mir meistens verborgen. Verkompliziert haben das Geschehen dann auch noch die Beamten der Nachrichtendienste des Dreiländerecks beim natürlich nicht miteinander abgesprochenen Rekrutieren ihrer V-Leute aus der Prittwitzer Kameradschaft. Letztlich wußte ich genauso wenig wie die braunen Dödels, ob sie gerade als überzeugte Nazis oder als V-Leute und wenn ja, für welchen Nachrichtendienst, über die Leinwand tobten. Aber die Verfassungsschützer waren genauso überfordert. Eine große Herausforderung war der Film auch für das Team der Hörfilmbeschreiber. Im selben wahnsinnigen Tempo wie die Filmhandlung mußte die Sprecherin den Text der Bildbeschreibung, oft nur ein Wort, in die nur sehr kurzen Dialogpausen platzieren, sofern es überhaupt Pausen gab. Um den Sprechern die Arbeit im Tonstudio zu erleichtern, werden solche Stellen im Skript mit den Buchstaben ss für „super schnell“ lesen gekennzeichnet. Das Skript für den Film „Heil“ war nur so gespickt mit den wohlgemerkt kleingeschriebenen Buchstaben ss! Die Wortgefechte haben mich nicht immer unbedingt vom Hocker gerissen und gegen Ende des Filmes war mein Aufnahmevermögen auch weitgehend erschöpft. Entgangen sind mir leider unzählige äußerst witzige und fantasievolle visuelle Details, die den Film erst zu der grotesken, absurd-komischen Satire machen. Eine „Frau im Ohr“ hätte mir zwar das Verstehen der Handlung erleichtert, für diese unverzichtbaren Details aber sicher keine Zeit gehabt. Schade, aber nicht zu ändern!

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