Das schweigende Klassenzimmer
Silber ist schon sehr edel, kann aber mit dem ca. achtzigmal so wertvollen Gold nicht mithalten! In dem unterschiedlichen Wert dieser beiden Metalle ist ein althergebrachtes und weitverbreitetes Sprichwort begründet. Danach rangiert Schweigen weit vor dem Verbreiten unpassender und überflüssiger Bemerkungen. Um Silber oder Gold geht es bei „Das schweigende Klassenzimmer“ allerdings nicht! Hier hat die Entscheidung zu reden oder zu schweigen für alle Beteiligten weitreichende und dramatische Folgen. Denn Reden bedeutet Verrat und Schweigen Loyalität! Den Namen des Rädelsführers wollen sie um jeden Preis erfahren, das Schulrektorat, die Kreisschulrätin und vor allem der Volksbildungsminister der DDR. Ich darf den Namen des Gesuchten schon einmal verraten, es ist der Abiturient Kurt (Tom Gramenz). Ende Oktober 1956 ist es seine Idee, der gerade zu beklagenden Opfer des ungarischen Volksaufstands zu gedenken, mit zwei Schweigeminuten während des Geschichtsunterrichts. Bis auf einen Mitschüler stimmt die gesamte Abiturklasse eines Gymnasiums im brandenburgischen Stalinstadt zu. Das Klassenzimmer schweigt für zwei Minuten. Nur der linientreue Geschichtslehrer tobt sich lautstark in Rage! Was für eine harmlose Art der Meinungsäußerung und Solidaritätsbekundung, könnte man meinen. Aber die Schulbehörden der erst vor sieben Jahren gegründeten DDR verurteilen das Schweigen als konterrevolutionären Akt, der mit aller Härte geahndet werden muß. Und so besteht die Gefahr, daß das schweigende Klassenzimmer auch zu einem „fliegenden“ wird! Der Volksbildungsminister droht, die gesamte Klasse mit sofortiger Wirkung der Schule zu verweisen und auch in der gesamten DDR nicht mehr zum Abitur zuzulassen. Es sei denn, einer der Schüler bricht sein Schweigen. Einer hat das übrigens getan! Zum Glück, denn sonst gäbe es diesen großen Film nicht. Dietrich Garstka erfuhr genau das, was in dem Film erzählt wird, am eigenen Leib und schrieb darüber in seinem Sachbuch. 50 Jahre nach den dramatischen Ereignissen, in deren Verlauf seine Abiturklasse 1956 mit den höchsten Stellen des DDR-Staatsapparates in Konflikt geriet, erschien „Das schweigende Klassenzimmer“. Ich könnte mir vorstellen, daß sich ein Regisseur bei der Aufbereitung eines geschichtlichen Themas besonders über Komplimente von Zeitzeugen freut. Meine Schwiegermutter meinte bei vielen Szenen: „Genau so hat das damals ausgesehen und so war das bei mir auch!“ Dieses Kompliment gebe ich sehr gerne an den Regisseur Lars Kraume, der auch das Drehbuch schrieb, und natürlich an sein großartiges und teils sehr junges Team weiter! Nicht nur bei den im Klassenzimmer abgehaltenen Schweigeminuten war ich sehr dankbar für die erklärenden Worte der Hörfilmbeschreibung über die App Greta in meinem Ohr. Mit den Schülern, deren Eltern und der Obrigkeit kamen doch eine ganze Menge Personen zusammen, die eingeführt und beschrieben werden mußten. Aber es wurde weder zu viel geredet, noch zu lange geschwiegen! Und über ein Wiederhören mit der Sprecherin, die ich sehr schätze, habe ich mich auch sehr gefreut. Im vollbesetzten Kinosaal blieb es nach der Vorstellung noch ein Weilchen sehr still! Als ob die Kinobesucher mit ihren Gedanken noch ein bißchen bei den charakterstarken Schülern bleiben wollten. Mir ging es jedenfalls so!
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