Blog Blindgaengerin

Frankreich

Eine weiße Tür in einer weißen Wand. An der Tür hängt ein brauner Bilderrahmen, die Bildfläche ist weiß. Davor steht die Blindgängerin, in der erhobenen Hand hält sie einen Ringpinsel mit weißer Farbe daran.

Ich und Kaminski

Kunst ist ein menschliches Kulturprodukt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses und beneidenswert frei! Kann man ein weißes Bild mit weißen Streifen als Kunst durchgehen lassen? Der Streit über diese Frage stellt die langjährige Freundschaft dreier Männer in dem 1994 in Paris uraufgeführten Theaterstück „Kunst“ von Yasmina Reza auf eine harte Probe. Der stolze Eigentümer muß sein weißes weiß gestreiftes Bild als Kunstwerk und den dafür gezahlten Preis in Höhe von 200.000 französischen Francs gegen die spitzen Verbalattacken seines Freundes verteidigen. Der dritte im Bunde versucht, zwischen den Streithähnen zu vermitteln. Diesen amüsanten mit viel Wortwitz geführten Disput verfolgte ich vor vielen Jahren im Heidelberger Zimmertheater. Das Zimmer faßt ungefähr 100 Besucher und die erste Reihe gehört schon fast mit zur Bühnenkulisse. Als der Gegner des Bildes im Eifer des Wortgefechtes dieses als „weiße Scheiße“ betitelte, passierte es! Eine Dame im Publikum steckte mit ihrem glucksenden und nicht enden wollenden Lachanfall zuerst nach und nach alle Theaterbesucher an, schließlich aber auch die drei Schauspieler, die so für einige Minuten außer Gefecht gesetzt wurden. Viele Menschen können es kaum erwarten, bis die ersten Schneeflocken spätestens zu Weihnachten alles in eine Winterlandschaft verwandeln. Besonders nervös beobachten „gepriesen sind die Skifahrer“ ab Mitte Dezember die sich in den Bergen ansammelnden Schneemassen. Seit diesem Theaterbesuch verfluche ich die weiße Schneepracht jedenfalls im Alltag als „weiße Scheiße“, durch die ich mich mit dem weißen Stock wühlen muß, ohne von den mir vertrauten und gewohnten Geräuschen geleitet zu werden. Um gleich mehrere Bilder geht es auch in dem vor kurzem angelaufenen Film „Ich und Kaminski“. Vor dem Kinostart eröffnete im Bikini Berlin die Ausstellung „Retrospektive Kaminski“, in der erstmals für einige Tage Bilder aus seiner „Blinden Serie“ zu sehen waren. Manuel Kaminski wurde Mitte der 60er Jahre als The Blind Painter berühmt, hatte in den großen Museen der Welt einige Ausstellungen und geriet nach seinem plötzlichen Rückzug in Vergessenheit, heißt es. Er wird in einem Atemzug mit Henri Matisse, Andy Warhol, Claes Oldenburg und Pablo Picasso genannt und sei einer der letzten Überlebenden der klassischen Moderne. Anfang des 20. Jahrhunderts kam eine Vielfalt neuer Kunststile auf, die alles bisher dagewesene revolutionierten, so in Frankreich der Kubismus, in Rußland der Konstruktivismus und in Deutschland das Bauhaus. Die Künstler der klassischen Moderne entwickelten sich weg von der gegenständlichen Malerei hin zur Abstraktion, um die Wahrheit hinter den Dingen zu ergründen. Sehr oft lassen sie allerdings die Betrachter ihrer Werke über ihre so gewonnenen Erkenntnisse im Unklaren. Die Sache mit Kaminski hat allerdings einen Kunstfehler. Der blinde Maler ist eine Kunstfigur des Schriftstellers Daniel Kehlmann in seinem 2003 erschienenen und jetzt verfilmten Roman „Ich und Kaminski“. Die Künstler Matisse, Warhol und Picasso sind in aller Munde und sogar mir als Kunstunbeflissener ein Begriff. Daß ich von Kaminski noch nie etwas gehört hatte, war für mich aber kein Grund, an seiner Existenz zu zweifeln. Erst das erfolglose Googeln machte mich stutzig. Wer, wenn nicht Kaminski, steckt hinter den Bildern, die in der Ausstellung „Retrospektive Kaminski“ zu sehen sind? Das Art-Magazin spekulierte in einem Artikel, die „Blinde Serie“ im Gruselstil könnte von der Hand des US-amerikanischen Musikers und Künstlers Marilyn Manson stammen. Im Film jedenfalls sucht der Kunstjournalist Sebastian Zöllner (Daniel Brühl) den blinden Maler Kaminski (Jesper Christensen) in dessen Chalet in den Schweizer Alpen auf, um über den inzwischen alten Mann eine Biographie zu schreiben. Schon bei der Vorankündigung im August war mir sofort klar, daß ich mir das außergewöhnliche und hochinteressante Duo unbedingt in voller Filmlänge anschauen muß. Blinde tun, abgesehen vom eigenhändigen Führen von Fortbewegungsmitteln in der Luft, zu Wasser oder auf der Straße, fast alles, was auch die sehende Welt tut, und das ist gut so! Dazu gehören neben allen Sportarten beispielsweise das Fotografieren und natürlich auch das Malen. Ich hatte noch nie Freude daran, etwas außer Buchstaben aufs Papier zu bringen, und meine malerischen Fähigkeiten reichen wahrscheinlich nur zu einem weißen Bild mit weißen Streifen. Schon in der Schule war mir der Kunstunterricht ziemlich verhaßt. Noch wie heute kann ich mich an die aussichtslose Anstrengung erinnern, wie ich mit meiner Lupenbrille fünf cm über dem Millimeterpapier maßstabgetreu den Grundriß des Speyerer Doms übertragen sollte. Auch im Park zu sitzen und einen herbstlich belaubten Baum zu zeichnen, fand ich einfach nur lästig. Bei meinen kindlichen Malversuchen mit Wasserfarben hatte ich in kurzer Zeit den Tuschkasten geflutet und aus allen Farbtöpfchen eine undefinierbare Mischung angerührt. Was schließlich mit dem Pinsel den Weg auf das Papier gefunden hatte, wäre mit viel gutem Willen vielleicht als extrem klassische Moderne durchgegangen. Spaß gemacht hat mir das Malen mit Fingerfarben, das Werkeln mit Kartoffeldruck und Linoleumschnitt und das Formen von Knetmasse und Ton, eben Material, das ich direkt mit den Fingern bearbeiten konnte, ohne eine künstliche Verlängerung durch einen Stift oder Pinsel kontrollieren zu müssen. Genauso gespannt wie der fiktive Kunstjournalist bin auch ich zu erfahren, wie und ob der fiktive und vielleicht auch fiktiv blinde Maler Kaminski die in dem Film real auftauchenden und in der Ausstellung real ausgestellten Bilder gemalt hat. Jemand hat zu meiner großen Freude meinen ganz leise geäußerten Wunschgedanken erhört und die Bildbeschreibung für den Film über die App von Greta hörbar gemacht. Hoffentlich waren die Dialogpausen lang genug, um die angeblich im Gruselstil gemalten Bilder zu beschreiben. Sobald ich wieder in die Nähe eines deutschsprachigen Kinos komme, haben ich und „Ich und Kaminski“ einen Termin. Danach besteige ich mit Greta, Popcorn und einer Cola den Mount Everest. Aber jetzt gehe ich erst einmal an den Strand!

Ich und Kaminski Read More »

Täglich grüßt das Murmeltier

Murmeltier müßte man sein! Sich den Winter über einigeln und Ende Januar, Anfang Februar seinem Instinkt vertrauend einmal ganz vorsichtig mit einem Auge blinzelnd nach draußen luken, ob das Schlimmste bereits überstanden ist. Diesen Murmeltierinstinkt machen sich die Bewohner eines Landstriches irgendwo in Amerika zunutze, die nach den sehr langen frostigen Wintern den Frühling herbeisehnen. Ein Murmeltier wird ganz vorsichtig in seinem Zuhause aufgesucht und beäugt, um nach dessen Wachheitsgrad auf das mehr oder weniger nahende Ende des Winters zu schließen. Überall auf der Welt finden die Menschen mit Leichtigkeit einen Grund zum Feiern, leider fast genauso leicht einen, um sich die Köpfe einzuschlagen. In dem Film „Täglich grüßt das Murmeltier“ von 1993 wird das Aufsuchen eines solchen Tierchens mit einem Volksfest begangen. Der Bürgermeister befragt dieses quasi in der Ausübung seiner hoheitlichen Aufgaben, ob und wann es nun Frühling werde und anschließend wird gefeiert. Die Presse darf dabei natürlich nicht fehlen. Zur Live-Übertragung des Spektakels schickt ein Fernsehsender ein Kamerateam und einen TV-Wettermoderator, so eine Art Kachelmann, in die Provinz. Kaum ein Schauspieler kann schlechte Laune auf der Leinwand so inbrünstig verbreiten wie Bill Murray. Ich bin immer wieder von seiner deutschen Stimme fasziniert. Ohne seine Mimik sehen zu können, springt mich die Übellaunigkeit förmlich an. Das ist ein dickes Kompliment an den Sprecher und die Stimmensucher, die bei der Wahl der Stimme ein glückliches Händchen bewiesen!!! Murray mault sich als eben der Wetterman durch den Tag, er täte alles andere lieber, als in der Einöde in einer Kleinststadt über ein orakelndes wettervorhersagendes Murmeltier zu berichten. Zu allem Überfluß gerät er dort aus Gründen, an die ich mich nicht mehr erinnere, in eine Dauerschleife. Jeden Morgen um 6 Uhr in seinem Hotelzimmer tröten dieselben Meldungen aus einem Radiowecker und reißen ihn aus seinen Träumen. Er reagiert ähnlich verärgert wie wahrscheinlich ein zu früh aus dem Winterschlaf geholtes Murmeltier. Ihm ist es unfreiwillig gelungen, die Zeit anzuhalten. Jeden Morgen ist der zweite Februar und zugleich Murmeltiertag, bis schließlich…, weiß ich auch nicht mehr, was dann geschieht. Auch ich befinde mich gerade in einer Dauerschleife. Allerdings wache ich jeden Morgen ohne Wecker recht spät bei blitzblauem Himmel und einer jeglichen Aktivitätssinn niederbretzelnden Sonne auf. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als über den Holzweg an den Strand, ins Meer, in die Strandbar und irgendwann über den Holzweg wieder zurück zu wandeln. Damit ist heute leider Schluß! Die Hör- und Lesebücher sind abgearbeitet und es ist Zeit, die Zelte hier abzubrechen. Auf dem Rückweg über die Provence kommen meine Sinne noch einmal so richtig auf ihre Kosten. Die Grillen grillen, der Lavendel blüht und überall duftet es nach den typischen provencalischen Kräutern. Der britische Schriftsteller Peter Mayle hat mit seinem Buch „Mein Jahr in der Provence“ in den 90er Jahren einen unglaublichen Run, insbesondere unter seinen Landsleuten, auf die in seinem Buch erwähnten Orte ausgelöst. Gemütlicher und urwüchsiger geht es in den Städtchen zu, die ihm nicht unter die Feder kamen. Der Schriftsteller hat sich übrigens wegen des Rummels nach Kanada abgesetzt. Zu Hause angekommen geht es dann recht schnell durch die popcorngeschwängerte Luft der Foyers in dunkle Kinosäle. Das mit dem Popcorn im Kino scheint ein ähnlicher Automatismus zu sein wie der des Tomatensaftes im Flugzeug. Popcorn kaufe ich mir eher selten, aber fliegen geht nur mit Tomatensaft. Jetzt bekomme ich gerade den Saft aus der Dose abgedreht und der Akku ist natürlich auch leer. Das ist die Gelegenheit, ein Gläschen auf die ersten sechs Monate meines nicht mehr blogfreien Daseins zu trinken. Das nächste Mal lasse ich zwei, drei Tage später als gewohnt von mir hören!

Täglich grüßt das Murmeltier Read More »

Die Blindgängerin steht im knietiefen Wasser mit Blick auf einen langen Sandstrand. Sie trägt einen rot und weiß gestreiften Bikini und hat eine Taucherbrille auf die Stirn geschoben. Mit der linken Hand deckt sie die Augen gegen das Sonnenlicht ab und schaut suchend Richtung Strand, auf dem viele Badegäste lagern.

Und wo ist jetzt mein Handtuch?

Statt in dunkle Kinosäle stürze ich mich gerade in Südfrankreich bei hochsommerlichen Temperaturen an einem kilometerlangen Sandstrand in die Fluten des Mittelmeeres. Wasser ist mein Element und ich schwimme leidenschaftlich gerne und gut. Im Meer kann ich nach Herzenslust ohne Kollisionsgefahr drauflos kraulen und allenfalls im Eifer des Gefechts zu weit ins offene Meer gen Afrika, genauer gesagt Algerien, abdriften. Der längst verstorbene Genosse und SPD-Politiker Herbert Wehner schnauzte einst in den 70er Jahren bei einer hitzigen Bundestagsdebatte den Mitgliedern der Opposition, die empört den Plenarsaal verließen, hinterher: „Das ist der Nachteil derer, die herausgehen, sie müssen auch wieder hereinkommen“, und zwar spätestens zur Abstimmung. Dieser in die Geschichte eingegangene Spruch gilt jetzt auch für mich, allerdings in umgekehrter Reihenfolge. Den Einstieg ins Meer zu finden ist unproblematisch, aber irgendwann muß ich auch wieder heraus, und das ist an einer völlig anderen Stelle als der Einstieg. Ich stehe also knietief am Ufer, die Wellen umspielen sanft meine Beine, ich suche natürlich vergebens kritischen Blickes den so langen Strand ab und frage mich: „Wo ist jetzt mein Handtuch?“ Einen Strandläufer nach dem Weg zu fragen kommt nicht in Frage. Wenn ich jemanden anspreche, wie beispielsweise „Pardon Monsieur, könnten Sie mir vielleicht sagen, wo ich hinwill“, ernte ich höchstwahrscheinlich nur ein befremdetes Schulterzucken. Bleiben also Geruchssinn, Tastsinn und die Ohren. Ein Handtuch, das ich über diese Entfernung noch erriechen kann, möchte ich erst gar nicht wiederfinden. Sich mit dem Langstock tastend eine Route zu erarbeiten, könnte wie folgt aussehen: 10 Schritte geradeaus, an der Sandburg nach links und bei der vierten Muschel noch fünf Schritte nach rechts. Aber bei so vielen sich stets ändernden Spuren im Sand ist das keine gute Idee. Die Sandburg kann jederzeit geflutet und die Muschel verbuddelt werden. Der Teleskopstock reagiert auf das kleinste Sandkörnchen höchst allergisch und bleibt zudem auf dem Handtuch zurück. Jetzt bleiben nur noch die Ohren, aber Handtücher geben an sich leider oder glücklicherweise keine Geräusche von sich. Ich könnte einen Hund darauf Platz nehmen lassen und als freudig bellenden Abholservice einsetzen. Aber isch abe gar keinen Hund. Gibt es vielleicht eine Handtuchaufspür-App? Oder könnte man in das Handtuch einen GPS-Sender einnähen und über die wasserdichte Applewatch anfunken? Aber bis dies technisch realisiert ist, wird mein Handtuch mit den Gezeiten wohl verappt sein. Der Rettungsanker ist wie so oft im Leben die Bar, am Strand die Strandbar. Mit dem Handtuch wie die Touristen auf Malle einen Barhocker blockieren und nach dem durstig machenden Bade die Bar dank der Musik erhören und notfalls einen Strandläufer befragen. Nach einem Getränk wäre ich dann wieder einmal direkt auf dem an die Bar angrenzenden Holzweg zur Düne und hätte so das perfekte taktile Leitsystem für den Rückweg. All diese Überlegungen sind ehrlicherweise rein hypothetischer Natur. Derjenige, der mich fotografiert, geleitet mich zu meinem Handtuch, das praktischerweise neben seinem liegt, und dann geht’s erst einmal in die Strandbar. Hab ich ein Glück!!! Allerdings hat mich vor vielen Jahren genau an diesem Strand der Fotograf, damals der Lesende, einmal vergessen. Das Buch war zu spannend, um sich mit mir abzukühlen und um, wie versprochen, gelegentlich nach mir Ausschau zu halten. Ich saß wie bestellt und nicht abgeholt sehr lange an der Waterkant, die Erfrischung war längst hinüber und mein rechtes Ohr von der Sonne feuerrot und elefantös angeschwollen. Der Lesende hatte dafür einen geschwollenen rechten Knöchel, wir waren damit quitt! Einen hab ich noch, der ist allerdings nicht von mir (der oft Lesende ist manchmal auch der Schwafelnde): Zum Schwimmen einen Blindenseehund mitnehmen und vorher neben das Handtuch einen leckeren Fisch als Köder auslegen. Dann mit dem Seehund sozusagen als Blindensehhund das verdammte Handtuch finden. Man darf also keinen blinden Seehund nehmen. Aber nicht zu lange im Wasser bleiben, sonst haben die Möwen inzwischen den Fisch geklaut!

Und wo ist jetzt mein Handtuch? Read More »

Die Blindgängerin beugt sich über ein Blumenbeet mit gelben Tulpen, in der rechten Hand ein kleines Gieskännchen. Sie hat die Haare zu einem Dutt gebunden und trägt lange goldene Ohrringe. Ihr wallendes Kleid ist kupferfarben und mit einem goldenen Gürtel gebunden. Sie trägt Gummistiefel. Neben ihr steht ein Korb mit Gartenwerkzeugen.

Die Gärtnerin von Versailles

Es war einmal ein sehr mächtiger König, genannt der Sonnenkönig, dem wurde sein Stadtschloß in Paris, der Louvre, zu klein und so beschloß er, sich vor den Toren Lutetias nach einem geeigneten Fleckchen Erde für ein neues Zuhause umzusehen. Er liebte weite Aussichten und große Wasserflächen und so fiel seine Wahl auf das Städtchen Versailles bei Paris, in dem seinem Vorgänger Ludwig XIII. bereits ein Jagdschloß im Stil des Barock errichtet wurde. Dort war genug Platz und Raum, um das vorhandene Schloß nebst Park nach seinen Vorstellungen umzubauen und zu erweitern, und 1661 ging’s los. Schon 21 Jahre später, im Mai 1682, bezog der französische Hof das fertiggestellte Château de Versailles, so wie man es heute noch besichtigen kann. Das für den gigantischen Umfang der damaligen Arbeiten rasante Bautempo läßt den einen oder anderen Politiker, Planer, Techniker von heute bestimmt vor Neid erblassen. Aber Ludwig mußte ja auch, wenn überhaupt, nur sich selbst Rechenschaft ablegen, frei nach dem Motto „L‘ Etat, c‘est moi“. Das bedeutet extrem verkürzte Dienstwege. Der bedeutende Landschafts- und Gartengestalter André Le Nôtre konzipierte den Stil des französischen Barockparks und begann Ende 1660 als oberster Gartenarchitekt von Ludwig XIV. mit der Durchführung des Großprojekts „Schloßpark von Versailles“. Heute nennen wir das Ausschreibungsverfahren, damals kamen jedenfalls die wichtigsten und möchtegernwichtigen Landschaftsgärtner Frankreichs mit ihren Plänen zu Le Nôtre, um ein kleines Stückchen vom riesigen Auftragskuchen Schloßpark zu ergattern. Vor dieser historischen Kulisse erzählt der Film „Die Gärtnerin von Versailles“, wie sich die Landschaftsgärtnerin Sabine de Barra, eine fiktive Filmfigur, unter die männliche Konkurrenz mischt. Von dieser abschätzend und mißbilligend beäugt, hat sie auch bei Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) erst einmal schlechte Karten. Ihre Pläne entsprechen nicht dem Prinzip des großflächigen symmetrischen Barockparks, das der Natur die Regeln der Mathematik auferlegt. Le Nôtre schmettert ihre Pläne als das totale Chaos ab. Im englischsprachigen Raum heißt der Film übrigens „A little chaos“. Beim Verlassen des Ateliers verschiebt sie einen der in Reih und Glied wie mit dem Lineal ausgerichteten und angeordneten Pflanzenkübel. Dem wachsamen Auge des Meisters entgeht das natürlich nicht. Dieser sehr kleine Eingriff in die Ordnung seiner Töpfe scheint auch in seinem Kopf etwas zu bewegen und Sabine bekommt – Ende gut, alles gut – den ersehnten Zuschlag. Die wunderschöne Gärtnerin, sehr glaubwürdig gespielt von der ebenso wunderschönen Kate Winslet, legt nun Hand an, wühlt im Schlamm, watet durchs Wasser und scheut keine noch so kräftezehrenden körperlichen Anstrengungen. Entstehen soll ein Ballsaal unter freiem Himmel in der Form eines Amphitheaters, bei dem Le Nôtre und Sabine jeweils mit ihrem Stil für die Gestaltung je einer Hälfte zuständig sind. Das enge und erfolgversprechende Zusammenwirken der beiden geht schon bald über ein reines Arbeitsverhältnis hinaus und zieht sowohl den Neid der männlichen Kollegen als auch Eifersüchteleien in der Damenwelt nach sich. Es wird, wie am Hofe üblich, intrigiert und boykottiert. Zu kämpfen hat die verwitwete Sabine auch noch mit einem traurigen Ereignis aus ihrer Vergangenheit. Die Erinnerung daran trägt sie ständig mit sich herum. Als Sabine zu Hofe zitiert wird, begegnet sie dort beide Male Liselotte von der Pfalz. Diese wurde aus machtpolitischen Gründen mit dem Bruder des Sonnenkönigs, Philipp I., Herzog von Orléans, verheiratet. Wegen dessen allgemein bekannter Homosexualität war Liselotte von Beginn an am französischen Hofe isoliert. In unzähligen Briefen, wovon heute noch einige erhalten sind, beschrieb sie sehr kritisch das höfische Leben und daß sie sich in Versailles inmitten der gepuderten Damen- wie Herrenwelt nie wohlgefühlt habe. Außerdem mußte sie von Ferne miterleben, wie die Franzosen ihre Heimatstädte Mannheim und Heidelberg inklusive des Heidelberger Schlosses in Schutt und Asche legten. Da wäre ich als gebürtige Mannheimerin und in Heidelberg aufgewachsen auch sehr böse gewesen. Hätten sich die Wege Liselottes und der Landschaftsgärtnerin wirklich gekreuzt, so wären die bodenständigen und für damalige Verhältnisse naturbelassenen Damen bestimmt beste Freundinnen geworden. Aber zu Ludwigs Zeiten hätte es niemals eine weibliche Landschaftsgärtnerin gegeben! Um Liselotte möglichst glaubhaft spielen zu können, reiste Paula Paul eigens nach Heidelberg. Sie hat die im Schloß ausgestellten Portraits der Kurpfälzerin angeschaut und sich einen Überblick über deren Leben verschafft. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt!!! „Wir trafen uns in einem Garten!“ hätte Sabine singen können. Genauer gesagt, handelt es sich um die Königliche Baumschule, die Sabine aufsucht, um sich unter der fachlichen Aufsicht des dortigen Maestros mit Pflanzen für ihr Projekt zu versorgen. Der Maestro hatte jedoch kurz vor dem Eintreffen Sabines auf das diskrete Handzeichen des Königs das Gelände verlassen. Diesem dient die Baumschule als sein Refugium, in dem er unerkannt seinen Gedanken nachhängen und sich der bestimmt juckenden Perücke entledigen kann. An diesem Tag trauert er seiner gerade verstorbenen Gemahlin, Maria Theresia von Spanien, nach. Sabine richtet ihre Worte und Fragen an den vermeintlichen Maestro und der König läßt sich auf das Spiel ein. Sie plaudern über Bäume im Allgemeinen und Birnbäume im Speziellen, essen Birnen, bis es Sabine dämmert, wen sie vor sich hat, weil sie ihn an der Stimme erkennt. Diese Stimme gehört übrigens Alan Rickman. Er verzaubert dieses Mal sein Publikum nicht als Magier, sondern ist das Oberhaupt sowohl im Film als auch am Set! Wenigstens im Film wird einmal etwas fertig und so dürfen wir mit dem König und seinem Gefolge den übrigens real existierenden „Salle de bal“ bestaunen. Ma copine francaise konnte sich an den Kostümen, der Landschaft und „hier ein Schloß und da ein Schloß“ kaum sattsehen. Ich gehe jetzt einmal wieder in den Garten an Tulpen schnuppern!

Die Gärtnerin von Versailles Read More »

Zu Ende ist alles erst am Schluß

„Zu Ende!“ bekomme ich immer bei unseren Fernsehabenden am Schluß eines Filmes vom anderen Ende der Couch zugerufen. Nicht selten erwischt mich dieser Zuruf auf kaltem Fuße, wenn nämlich schon Schluß ist, wogegen nach meinem ganz subjektiven Empfinden der Film noch nicht zu Ende sein kann. Bis auf wenige Ausnahmen bevorzuge ich eine in sich schlüssige und abgeschlossene Filmhandlung. So wie beispielsweise bei dem französischen Film „Zu Ende ist alles erst am Schluß“! Die 85-jährige Madeleine, ihr Sohn Michel nebst Gattin Natalie und deren 23-jähriger Sohn Romain sind eine ganz normale, drei Generationen umfassende, in Paris lebende Familie. Gar nicht normal ist das Verhältnis der Großmutter zu ihrem Enkel. Als Romain sein verspätetes Erscheinen auf der Beerdigung seines Großvaters mit der Verwechslung des Friedhofes entschuldigt, lächelt Madeleine nur verständnisvoll. Sie meint, daß ihr Mann ebenso immer dann aufgetaucht sei, wenn man nicht mit ihm gerechnet habe. Nach der Beerdigung geht jeder wieder seine eigenen Wege und Madeleine kehrt jetzt alleine in ihre schöne typische Pariser Wohnung zurück. Als sie dort stürzt, beschließen ihre Söhne über ihren Kopf hinweg und natürlich nur zu ihrem Besten, daß sie in einer Seniorenresidenz besser aufgehoben sei. Die geistig hellwache Madeleine läßt sich zunächst darauf ein, als sie aber nach kurzer Zeit in ihre Wohnung zurück möchte, muß sie feststellen, daß diese hinter ihrem Rücken aufgelöst wurde. Wie ein junges Mädchen macht sie sich heimlich auf den Weg nach Étretat, einem wunderschönen, an der Steilküste der Normandie liegenden Badeort. In dem Städtchen war sie zur Schule gegangen und mußte wegen der Kriegswirren in den 40er Jahre nach Paris umsiedeln. Der Einzige, dem sie mittels einer Postkarte einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gibt, ist ihr Enkel. Romain macht sich auch sofort auf den Weg. Er begleitet sie auf ihren Streifzügen durch ihre Jugend und weicht bis zum Schluß nicht von ihrer Seite! Ich habe Madeleine, gespielt von der als Sängerin bekannten Annie Cordy, sofort in mein Herz geschlossen und sie war für mich auch die wichtigste Figur des Filmes. Das klingt alles erst einmal ein bißchen traurig, ist es ja auch, wenn man daran denkt, daß man vielleicht selbst in absehbarer Zeit wie Madeleine eben nicht mehr so ganz frei über sich und sein Leben bestimmen darf oder kann. Da ist es tröstlich zu sehen, wie die alte Dame sich die Kontrolle zurückerobert. Dennoch mangelt es nicht an Situationskomik. Dafür sorgen vor allem Romains Eltern, gespielt von dem Komiker Michel Blanc und Chantal Lauby (Madame Claude!). Der Regisseur Jean-Paul Rouve philosophiert als Hotelbesitzer mit Romain über den Sinn des Lebens und ein Tankwart hilft mit Lebensweisheiten bei Romains Suche nach der großen Liebe aus. Zu Ende geht auch das Berufsleben von Romains Vater und bedingt dadurch beinahe die Ehe seiner Eltern. Es gibt allerdings auch einen Anfang: Romain hat während seines Aufenthalts in Étretat endlich die lang ersehnte Liebe gefunden. Auch seine Eltern haben sich gerade noch so kurz vor Schluß wieder berappelt. Daß alles erst am Schluß zu Ende ist, klingt plausibel, wann auch sonst. Wie wann was wo und mit welchem Schluß zu Ende geht, kann gewollt, geplant oder provoziert sein, kommt aber auch überraschend und anders als gedacht. Wie das Leben eben so spielt!

Zu Ende ist alles erst am Schluß Read More »

Verstehen Sie die Béliers?

Verstehen Sie die Béliers? Bei Paula, der 15-jährigen Tochter der Béliers, hatte ich diesbezüglich keine Probleme. Schwierig bis aussichtslos gestaltete sich das bei dem Rest der Familie, ihren gehörlosen Eltern und dem älteren Bruder, aber Paula hat ja ganz oft für die Zuschauer gedolmetscht. Die vier kommunizieren per Gebärdensprache und man könnte meinen, daß es im Leben der Béliers deshalb still zugeht. Das fehlende Geplapper bei den Mahlzeiten wird durch heftiges Tellergeklapper ersetzt. Die Maman poltert ständig durchs Haus und ich dachte gleich an Holzpantinen. Google hat mich aufgeklärt, daß sie, nicht unbedingt typisch für einen Bauernhof, auf High Heels über den Hof stakst. Paula begrüßt ihre Familie gern mit „Hallo, Ihr Dumpfbacken!“, aber das ist lieb gemeint. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Bauernhof mit Molkerei in der französischen Provinz ungefähr zwei Autostunden von Paris entfernt. Da gibt es lebende Kühe und Hühner, ein Hund meldet sich ständig zu Wort und den neugeborenen Kälbchen werden sogar liebevoll Namen gegeben. Da wäre das kleine Mädchen, das vor einigen Jahren in einer Fernsehwerbung als Urlaubswunsch sehr energisch gefordert hat „Ich will Kühe“, sehr gut aufgehoben gewesen. Gleich zu Beginn des Films hört man Paula zu einem weltweit rauf und runter gedudelten Popsong trällern und bekommt sofort eine Ahnung von ihrem Stimmvolumen. Die Darstellerin der Paula singt übrigens personifiziert. In der Schule muß sie sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden und landet eher zufällig in dem von Monsieur Thomasson geleiteten Chor. Dieser fühlt sich in der Provinz total deplaziert und überqualifiziert und macht aus seiner Verachtung den Schülern gegenüber keinen Hehl. Alternativlos schlägt er als Repertoire die Stücke des französischen Chansonniers Michel Sardou vor und ringt den Schülern damit nur ein müdes Gähnen ab. Sie hätten lieber etwas Moderneres gesungen. Michel Sardou ist vor allem mit einigen seiner Chansons aus den 70ern weit über Frankreich hinaus bekannt geworden, z.B. „La Maladie d’amour“, „En chantant“. Den Schülern bleibt nichts erspart und so müssen sie sich einer nach dem anderen beim Einzelvorsingen mehr oder weniger blamieren. Als Paula an der Reihe ist, erkennt Monsieur Thomasson sofort ihr stimmliches Potential und beginnt, sie in Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung des berühmten Chores „La Maîtrise de Radio France“ vorzubereiten. Jetzt geht in Paulas eh schon minutiös durchgeplantem Tagesablauf alles drunter und drüber. Mal muß sie die Eltern wegen deren Geschlechtskrankheit zum Gynäkologen begleiten, mal auf dem Markt beim Käseverkauf helfen, mit dem Tierarzt und überhaupt allen anderen sprechen oder telefonieren. Zu allem Überfluß will ihr Vater auch noch während des gerade anstehenden Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Die Eltern leben, wenn auch diskret, ihr Sexualleben trotz ihrer Geschlechtskrankheit aus und auch der sonst so gut wie gar nicht in Erscheinung tretende Bruder macht seine ersten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Paula ist in Gabriel verliebt, mit dem sie ein Duo beim Schulkonzert singen soll, hat aber für ihre erste Liebe kaum Zeit. Eines Tages faßt sie sich ein Herz und eröffnet das Gespräch mit ihren Eltern mit dem Satz: „Ich muß euch etwas Wichtiges sagen“. Prompt kommt die Frage, ob sie schwanger sei. Von meiner Mutter kam genau diese Frage, als ich meinen Eltern sagte, daß ich nach Berlin gehen möchte. Nach der ersten Erleichterung beim Verneinen der Frage folgt bei Paulas wie auch damals bei meinen Eltern die Ernüchterung. Aber zuerst sind die Eltern stolze Zuhörer bei dem Schulkonzert. Der Chor singt „La Java de Broadway“ und Paula mit Gabriel als Duo „Je vais t‘aimer“. Beide Chansons weitaus schöner als von Monsieur Sardou gesungen. Während des Konzertes hört man plötzlich nicht mehr den Gesang, sondern ein Geräusch, so wie es Gehörlose hören könnten. Eine Mischung aus einem Dröhnen und Rauschen, so ein bißchen wie in einer Unterwasserwelt. Aber wie soll jemand, der nicht hören kann, beschreiben, was er wahrnimmt und was nicht und wie sich das für ihn anhört? Wenn mich jemand fragt, was und wieviel ich sehen kann, fällt mir das auch immer sehr schwer. Das Finale ist dann so herzzerreißend anrührend, fast ein klitzekleines bißchen kitschig, aber so schön. Paula singt in Paris vor der Jury des berühmten Chors „Je vole“, auch wieder von Michel Sardou, während ihr Lehrer sie auf dem Piano begleitet. Ihren Eltern dolmetscht sie den Text des Chansons per Gebärdensprache. Auch bei diesem Lied kann Michel Sardou Paula nicht das Wasser reichen, finde ich! Starks war dieses Mal solo, also ohne Greta, im Kino, es gab damit nur Untertitel für Gehörlose. Wenn Paula nicht laut gedolmetscht hat, mußte mir meine Freundin Andrea nicht nur kurze Bildbeschreibungen zuflüstern, sondern auch die Untertitel vorlesen.

Verstehen Sie die Béliers? Read More »

Bande de filles

„Bande de filles“ würde man auf Deutsch vielleicht als eingeschworene Mädchenclique übersetzen. Der Film spielt in einer Pariser Vorstadt, deren Bewohner größtenteils afrikanischer Herkunft sind. Die Satellitenstädte vor Paris sind wie wahrscheinlich überall auf der Welt einfach nur scheußliche Ansammlungen von Wohnsilos. Meine Freundin und Begleiterin Pascale, eine Französin, meint, daß man die Architekten, die diese Wohnsilos verbrochen haben, für längere Zeit dort strafwohnen lassen müßte. Weit und breit ist nicht ein grüner Strunk zu sehen und der einzige Platz, an dem sich die Jugendlichen treffen können, ist eine große Betonfläche mit Mulden, die sich bei Regen mit Wasser füllen. Vor einigen Jahren kam es landesweit in mehreren französischen Vorstädten 12 Tage lang zu Ausschreitungen Jugendlicher mit vielen abgefackelten Autos und Gebäuden. Zwei der Pariser Vorstädte, Sevran und Vitry-sur-Seine, waren besonders betroffen. Der damalige Innenminister und als Hardliner bekannte Nicolas Sarkozy ist bestimmt vielen noch mit seinem Spruch in Erinnerung, daß er die Vorstädte mit einem Kärcher säubern wolle! In dem Film spielen aber Mädchen, insbesondere die 16-jährige Marieme, die Hauptrolle. Abgesehen von der Lehrerin, die Marieme kühl mitteilt, daß sie zum zweiten Mal das Klassenziel nicht erreicht habe und deshalb die Schule verlassen müsse, sind alle Protagonisten afrikanischer Herkunft, aber anders als Samba in Frankreich geboren. Marieme muß sich als Älteste von drei Mädchen um ihre jüngeren Schwestern kümmern, was sie auch mit viel Liebe und Geduld tut. Von ihrem älteren Bruder hat sie keine Unterstützung zu erwarten, außer daß er sie physisch wie psychisch drangsaliert. Die Mutter hat einen Putzjob und gibt zu Hause nur eine Gastrolle ab. Von einem Vater fehlt jede Spur. Der Schule kehrt Marieme sofort den Rücken und kommt beim Rumlungern in Kontakt zu drei Mädchen, die sie in ihre „Bande“ aufnehmen wollen. Vorher muß sie sich allerdings beweisen und erpreßt von Jüngeren kleine Geldbeträge. Marieme kann sich sehr gut prügeln und mit kleinen Gesten Druck auf ihre Zielperson ausüben. Sie spielt in einem American Football-Team, bekanntermaßen keine Sportart für Zimperliche. Mit dem erbeuteten Geld fahren die vier Mädchen mit der Metro in die große Stadt Paris und nehmen sich ein Hotelzimmer. Sie baden und schminken sich, ziehen die zuvor geklauten Klamotten an, essen Pizza, trinken Cola, rauchen Shishapfeife und tanzen ausgelassen, sie singen und lachen. Wichtig ist die Musik ihres Idols, der Sängerin Rihanna, mit ihrem Song „Shine bright like a diamond“. Aber am nächsten Morgen ist alles wieder beim alten. Wer von den rivalisierenden Mädchenbanden die coolste ist, wird in Zweikämpfen ausgemacht und da ist so ziemlich alles erlaubt, während die anderen johlend und anfeuernd danebenstehen. Bei dem zweiten Kampf rettet Marieme, die auch ein Messer besitzt, die Ehre ihrer Clique und wird gefeiert. Die mit den Handys aufgenommenen Kämpfe machen natürlich in den Netzwerken die Runde. Marieme ist auf den Geschmack gekommen, Spaß am Leben zu haben, sich immer wieder neu zu stylen. Es fällt ihr immer schwerer, nach Hause zu gehen, obwohl sie das schlechte Gewissen ihren Schwestern gegenüber plagt. Auch ihre erste Liebesbeziehung gestaltet sich schwierig, weil der ewig stänkernde machohafte Bruder allgegenwärtig scheint. Da kommt ihr das Angebot, als Drogenkurier tätig zu werden, gerade recht. Als ihr klar wird, daß das unweigerlich in die Prostitution führt, läßt sie die Hände davon. Völlig niedergeschlagen findet sie sich in einer Sackgasse der Tristesse gefangen. Entweder Putzengehen wie ihre Mutter und ein Kind nach dem anderen bekommen oder die Flucht in die Kriminalität und Prostitution. Die Jugendlichen werden alle von Laien gespielt. Ich hatte den Eindruck, als ob die Mädchen gar nicht bemerkt haben, daß sie gefilmt wurden, sie spielen einfach sich selbst. Die Kraft, Energie und Lebensfreude und andererseits die Tristesse und Hoffnungslosigkeit springen einem dadurch förmlich ins Gesicht. Daß die Vorstellung im Original mit Untertitel gespielt wurde, war uns nicht klar. Pascale hatte deshalb ein bißchen mehr zu tun. Ich konnte zwar fast alles verstehen, aber manchmal haben mich die Mädels und Jungs mit ihrem irrsinnig schnell gesprochenen Slang an meine Grenzen gebracht. Dafür kamen wir in den Genuß der Originalstimmen. Ich habe recht viel über den Film geschrieben, aber dieser lebt weniger von der Handlung als von dem, was man dank der tollen kraftvollen Darsteller mitbekommt und das Fehlen der Hörfilmbeschreibung haben sie so auch noch wettgemacht!

Bande de filles Read More »

Heute bin ich Samba

Eine große Hochzeitsgesellschaft feiert in einem Restaurant und tanzt ausgelassen um eine gigantische Hochzeitstorte. Als die Torte genug umtanzt ist, wird sie in die Küche transportiert, portioniert und zum Verzehr auf Teller drapiert. In dieser Großküche begegnen wir zum ersten Mal Samba, gespielt von Omar Sy. Samba reiste vor zehn Jahren nicht so ganz legal aus dem Senegal nach Frankreich ein. Ohne Aufenthaltsgenehmigung hält er sich in Paris mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie über Wasser und unterstützt seine im Senegal lebende Familie. Als ihm eine unbefristete Stelle als Spüler angeboten wird, wendet er sich optimistisch an die Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Da hat er die Rechnung ohne die Behörde gemacht und landet unverzüglich in Abschiebehaft. Die Abschiebehäftlinge sind praktischerweise gleich auf dem Flughafengelände kaserniert. Dort trifft er endlich auf Alice, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Alice ist eine der beiden hübschen Sozialarbeiterinnen, die die Abschiebehäftlinge bei der Bewältigung des Papierkrieges unterstützen, der bei den Gerichtsverfahren gegen die Abschiebung anfällt. Sie hat ihr Hedgefondkostümchen und Lederaktenköfferchen gegen einen viel zu großen Mantel und einen Aktendeckel eingetauscht. Nach einem Burnout macht sie die Sozialarbeit so quasi auf Rezept als Therapie. Solch eine Therapie sollte man allen Hedgefondmanagern einmal zwischendurch aufs Auge drücken. Das Ergebnis des Gerichtstermins ist irgendwie kein Ergebnis. Samba wird zwar nicht sofort in ein Flugzeug verfrachtet und abgeschoben, darf aber bis auf Weiteres keinen französischen Boden betreten. Er macht halbherzige Anstalten, einem Flugzeug hinterherzulaufen, ist natürlich zu langsam und landet, wo auch sonst, auf französischem Boden. Die guten Ratschläge, sich erst einmal möglichst unauffällig zu verhalten, sich also in Luft aufzulösen und von derselben zu ernähren, machen ihn sehr wütend. Sein Leidensgenosse, Wilson, ein als Brasilianer getarnter Algerier, nimmt Samba unter seine Fittiche. Allen Warnungen zum Trotz jobben sie sich durch Paris und verpassen dem Film als Duo eine großartige komödiantische Note! Den französischen Regisseuren ist es wie schon bei dem Film „Ziemlich beste Freunde“ gelungen, ein trauriges Thema als Komödie aufzubereiten. In beiden Filmen wird bei der unbequemen Realität nicht weggeschaut, aber mit einer gewissen Leichtigkeit bekommen sie immer wieder den Dreh zur Komödie hin. Dabei hilft auch die wunderbare Filmmusik, die Samba-Rhythmen machen einfach gute Laune. Selbst die Sozialarbeiterin Alice kann sich dem nicht entziehen und tanzt ausgelassen. Das Duo ist mit ständig wechselnden, meist schlecht gefälschten Ausweispapieren unterwegs und Samba bekommt allmählich eine Identitätskrise. Ein bißchen Trost findet er in der ganz allmählichen und zaghaften Annäherung zu Alice, schwierig zu sagen, wer der Zögerlichere von den beiden ist. Die Synchronstimmen der beiden sind so gut getroffen, daß ich mir unter Samba einen großen kräftigen Mann und unter Alice ein zerbrechliches Wesen mit einem permanenten großen Fragezeichen im Gesicht vorgestellt habe. Daß ich da gar nicht so falsch lag, hat mir meine Freundin Andrea, die u.a. für Greta einspringen mußte, bestätigt. Verena Bentele, Bundesbeauftragte für die Belange Behinderter und selbst blind, hat in ihrem Buch geschrieben, daß der Zuflüsterer im Kino niemals geräuschvoller sein dürfe als der nebenan sitzende Popcornesser. Wir hatten einen Popcornesser neben uns sitzen, der jedes Korn vorm zum Munde führen unter den vielen anderen Popcörnern so geräuschvoll ausgewählt hat, daß Andrea mir die Bilder mit normaler Lautstärke hätte erklären können.

Heute bin ich Samba Read More »

Nach oben scrollen