Blog Blindgaengerin

Internationaler Film

Die Blindgängerin steht im Park auf einem Skywalker, einem Fitnessgerät. Sie trägt die schwarze Maske des Kylo Ren, eine schwarze Jacke und schwarze Jeans. Mit dem rechten Arm schwingt sie ein rotes Lichtschwert.

Star Wars – Die letzten Jedi

Entwarnung: Keine Spoilergefahr! Hier geht es zwar um den neuen Blockbuster, es werden aber keine Details verraten! Vielmehr ist es mir ein Bedürfnis, kundzutun, daß ich vor kurzem mit „Star Wars – Die letzten Jedi“ zum ersten Mal und völlig unvorbelastet Kontakt zum Star-Wars-Universum aufnahm. Und das fand ich so galaktisch gut, daß ich anschließend meine rabenschwarzen Wissenslöcher schließen wollte. Dabei hätte ich mich beinahe im enzyklopädischen Universum mit 1375 Links verloren, Tendenz steigend, weil die Beiträge für „Die letzten Jedi“, die achte Episode, ja noch ausstehen. Aber jetzt kann ich wenigstens ein bißchen mitreden! Vor dem Kinobesuch war mir der Begriff „Skywalker“ nur als Bezeichnung für mein Lieblingsgerät in einem Fitnessstudio bekannt. Mit den Füßen gleitet man auf zwei parallelen Schienen abwechselnd vor und zurück über dem Boden. Das hat etwas Schwebendes, nur daß man auf der Stelle schwebt. Wahrscheinlich weiß jedes Kind, daß Skywalker, mit Vornamen Luke, ein Meister des Jedi-Ordens ist. Als Vertreter der hellen Seite der Macht spielt er in sechs der acht Episoden eine zentrale Rolle. In den beiden letzten Folgen hat er es immer wieder mit seinem abtrünnigen Neffen Kylo Ren zu tun, der sich auf die dunkle Seite der Macht geschlagen hat und seinem Onkel um jeden Preis den Garaus machen möchte. Das war nicht gespoilert und die Verletzung, wegen der Kylo Ren sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske verbirgt, hat er sich auch schon in Episode sieben eingefangen. Der Sound im Kinosaal war einfach grandios. Das gilt, davon gehe ich unbesehen aus, auch für die vielen visuellen Effekte bei den Kämpfen sowie für die Bilder zum Beispiel der Planeten, ihrer Landschaften und der vielen fantastischen Tierwesen. Diese Bilderflut bekam ich bestmöglich von einer sehr gut gemachten Hörfilmbeschreibung über die App Greta vermittelt. Auch der Sprecher hat für meine Ohren maßgeblich zum Gelingen der Audiodeskription beigetragen, Chapeau! Und ganz viele Chapeaus oder auch zehn von zehn Sternen vergebe ich an Disney für sein großartiges Engagement! Seit über einem Jahr macht der Medienkonzern all seine Filmtitel mit Audiodeskriptionen und Untertitel über die App Greta und Starks für alle Kinobegeisterten uneingeschränkt erlebbar! Die Tatsache, daß es für “Die letzten Jedi“ erstmals für einen Star-Wars-Film eine Audiodeskription gab, war für mich das schlagende Argument, mir den Film anzuschauen! Entwarnung gibt es seit Anfang der 1970er Jahre übrigens für alle „Blockbuster“! Denn von da an wurde dieser Begriff für Filme verwendet, die so viel Publikum anlocken, daß sich Warteschlangen um den Häuserblock bilden, bzw. die mit ihrem Erfolg die Kinos blockieren. Vorher aber, während des Zweiten Weltkrieges, war Blockbuster die Bezeichnung für eine Fliegerbombe, die das verheerende Zerstörungspotential hatte, einen ganzen Wohnblock komplett in Schutt und Asche zu legen. Hoffentlich geht es auch in Zukunft, wenn überhaupt, nur auf der großen Leinwand kriegerisch zu! Verabschieden möchte ich mich bis zum Wiedersehen in 2018 mit dem leicht abgewandelten Jedi-Gruß: Mögen Gesundheit, Friede und Glück mit Euch sein! Und der Link zur selben Prozedur wie jedes Jahr, ebenfalls leicht abgewandelt, darf natürlich auch nicht fehlen:

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Ein Mann namens Ove

Klappt’s mit dem oder noch besser mit allen Nachbarn, dann ist das schon die halbe Miete. Harmonische und gut funktionierende Mietergemeinschaften sind keine Seltenheit. Man sitzt in einem Boot, und das nicht nur bei Wasserschäden. Der gemeinsame Gegner ist entweder der Vermieter oder die von ihm beauftragte Hausverwaltung. Beide lassen gefühlt keine Gelegenheit ungenutzt, den Mietern das Leben schwer zu machen. Bei Eigentümergemeinschaften tilgt der einzelne Wohnungs- oder Hauseigentümer seinen Kredit bei einer Bank. Das Wohngeld zur Begleichung der laufenden Kosten überweist er an die von der Gemeinschaft ausgewählte und einstimmig oder per Mehrheitsbeschluß bestellte Verwaltung. Es fehlt also das gemeinsame Feindbild. Ich wage zu behaupten, daß es in jeder Eigentümergemeinschaft mindestens einen Stinkstiefel gibt, der den Miteigentümern und der Verwaltung mit den absurdesten Ideen auf die Nerven geht. Vorausgesetzt, man muß in solch einer Gemeinschaft nicht wohnen oder diese verwalten, kann man darüber nur verwundert den Kopf schütteln oder einfach darüber lachen. Als ob nicht jede Minute Streit verschenkte Lebenszeit wäre und gerade Nachbarn sich helfen und zusammenhalten sollten! Zu dieser Einsicht kommt „Ein Mann namens Ove“ zwar spät, aber nicht zu spät. In die deutschen Kinos kam er für die Kinoblindgänger gGmbH aber leider zu früh! Ove aus Schweden hat mich sehr begeistert. Zu gern und bestimmt auch zu Maries großer Freude hätte ich ihn mit einer Hörfilmbeschreibung und Untertiteln ausgestattet und über die Apps Greta und Starks im Kinosaal ins Ohr bzw. vors Auge gebracht (Wer ist Marie? www.kinoblindgaenger.com) Die erste Spende (250,00 Euro) ist übrigens schon eingegangen! Über die Dialogpausen hat mich mein freundlicher Nachbar mit diskretem Zugeflüster vom Kinosessel nebenan so gut es ging hinweggerettet. Ove stützt meine oben aufgestellte These mit dem Stinkstiefel allerdings nur in abgeschwächter Form. Er wohnt in einem hübschen Holzhäuschen in einer sehr gepflegten Einfamilienhaus-Siedlung irgendwo in Schweden. Jeden Morgen dreht er seine Runde, um zu kontrollieren, ob die Siedlungsbewohner die überall angebrachten kleinen gelben Verbotsschilder auch respektieren. Das tun sie natürlich nicht und es scheint ihm großes Vergnügen zu bereiten, seine Nachbarn ruppig und mürrisch zurechtzuweisen. Das klingt eigentlich nicht unbedingt nach einem Sympathieträger, aber trotzdem mochte ich Ove von Anfang an. Er ist gradlinig, konsequent und hat einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ausgestattet mit einem gesunden Menschenverstand und einer Portion Witz und Wortwitz läßt er sich auch nicht von seinen Vorgesetzten oder staatlichen Autoritäten auf der Nase herumtanzen. In Schweden scheint es üblich zu sein, daß sich Hauseigentümer wie hier in der Siedlung in einem Verein zusammentun, um ein gesittetes Miteinander auf den gemeinsam benutzten Straßen und Flächen zu organisieren und diese auch zu pflegen. Ove stand dem Nachbarschaftsverein solange als Präsident vor, bis er von seinem besten Freund Rune – wie er meint – „weggeputscht“ wurde. Aber auch schon vor diesem Drama standen sich die Freunde als Kontrahenten gegenüber und veranstalteten in ihren Garagen ein Wettrüsten. Saab oder Volvo, das muß wohl eine hochideologische Grundfrage gewesen sein. Ob man bei 59 Lebensjahren von einem jüngeren oder älteren Menschen spricht, hängt auch maßgeblich vom Alter des Betrachters ab. Von einem „alten Schweden“ möchte ich bei Ove daher nicht sprechen, er ist allenfalls ein bißchen lebensmüde. Im wahrsten Sinne des Wortes steinalt ist ein Findling, der vor 17 Jahren bei Baggerarbeiten in der Elbe entdeckt und auf den Namen „Alter Schwede“ getauft wurde. Der 217 t schwere Koloss hat einen Umfang von fast 20 m und wanderte während der „Elster-Eiszeit“ vor 320.000 bis 400.000 Jahren mit einem Gletscher Richtung Hamburg. Ein bißchen kann man Ove, wunderbar gespielt von Rolf Lassgård, dem Ur-Wallander, sogar mit dem Findling vergleichen. An seiner rauhen, etwas grauen Schale scheint alles abzuprallen. Sein Kern ist allerdings wachsweich. Er kann seine fünf Selbstmordversuche nur deshalb nicht erfolgreich beenden, weil er sie vorher abbricht, um jemandem zu helfen oder jemanden zu retten. Er ist eben ein Macher und kann einfach nicht anders. Nur ein Versuch scheitert ausschließlich an Materialermüdung. Er gab Sonja, der viel zu früh verstorbenen großen Liebe seines Lebens, das Versprechen, ihr so bald wie möglich zu folgen. Daß er dieses Versprechen nicht wie geplant einhalten kann und sogar wieder Freude am Leben gewinnt, verdankt er seinen neuen Nachbarn. Anfangs ist er entsetzt, daß sich ausgerechnet direkt neben ihm ein Ehepaar mit zwei Kindern einnistet. Seine neue Nachbarin Parvaneh (Bahar Pars) ist zu allem Überfluß nicht einmal Schwedin und auch noch schwanger. Aber gegen ihr herzhaftes Lachen ist auch ein Mann namens Ove nicht gewappnet. Zum Glück hatte und habe ich immer tolle Nachbarn, man hilft sich, hat Spaß miteinander, ohne sich zu eng auf die Pelle zu rücken. Wenn es bei mir nur mit auf Hochglanz polierten Gläsern beim Nachbarn klappen würde, hätte ich ganz schön trübe Aussichten!

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In der Hocke steckt die Blindgängerin mit dem Kopf in der Waschmaschine. Sie streckt eine Hand mit einer einzelnen Socke hinter den Rücken. Auf der Waschmaschine ein großer Nemo-Fisch und eine aufgeschlagene Bibel, auf einem Regal daneben ein helles kleines Pferd mit einem Affen auf dem Rücken.

Das brandneue Testament

Herbert Grönemeyer plädiert in seinem Hit „Kinder an die Macht“ dafür, den Kindern das Kommando zu übergeben, weil sie unter anderem nicht berechnen, was sie tun. Weiter im Text heißt es, daß die Kinderwelt ohne die Begriffe „gut und böse“ und „schwarz und weiß“ auskommt. Wenn er sich da mal nicht täuscht! Ich habe zwar keine Kinder, war aber immerhin mal selbst eins. Ganz bestimmt irrt er sich bei den beiden neun- und zehnjährigen Mädchen, die ich jetzt ins Spiel bringe. Die zwei sind sehr wohl in der Lage, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und berechnen ganz genau, was sie tun. Sie warten nicht, bis ihnen die Erwachsenen das Kommando übergeben, sondern nehmen das Zepter gleich selbst in die Hand. Die jüngere der beiden zaubert schon seit 70 Jahren zunächst den Lesern und später auch den Kino- und Fernsehzuschauern jung wie alt ein Lachen ins Gesicht. Die sommersprossige, rotbezopfte, bärenstarke und freche Göre aus Schweden namens Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminze Efraimstochter Langstrumpf macht sich die Welt, widdewidde wie sie ihr gefällt. Pippi war mein erstes und einziges Idol! Die zehnjährige Ea (Pili Groyne) gab ihr Debut bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes als eine der wichtigsten Mitwirkenden des „Brandneuen Testaments“. Anders als Pippi muß sie sich mit nur einem Namen, bestehend aus gerade zwei Buchstaben, begnügen und macht die Welt zwar nicht, wie sie ihr gefällt, stellt sie aber auf den Kopf und hebt sie fast aus den Angeln. Das gelingt ihr dank der Macht ihres allmächtigen Vaters. Es ist Gott persönlich, der unter den Menschen verweilt und mit seiner Familie in Brüssel wohnt. Im ersten der zehn Gebote heißt es: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist.“ Diesem Gebot zum Trotz blickte Gott in meiner kindlichen Fantasie mit seinem überirdisch großen wie aus einem Stein gemeißelten Gesicht streng zwischen den Wolken auf die Erde herab. Auch der Regisseur und Drehbuchautor (Jaco Van Dormael) pfeift auf das Gebot und verpaßt dem Herrn ein herrlich verloddertes Aussehen. Der Heilige Vater schafft es nicht einmal in die berüchtigte Jogginghose. Im Bademantel mit Latschen und immer einer Bierpulle am Hals schlurft er zwischen dem Eßtisch, dem Fernseher und seiner Machtzentrale, einem hermetisch abgeschlossenen Kabuff, hin und her. Seinem verkommenen Äußeren entspricht seine niederträchtige Gesinnung allem und jedem gegenüber. Er sitzt am Rechner, erschafft die Welt inklusive Brüssel so widdewidde wie sie ihm gefällt und traktiert zu seiner Belustigung Menschen und Tiere mit Katastrophen und unzähligen fiesen Geboten. Auch vor der Flora macht er nicht halt und dennoch macht es höllischen Spaß, ihm bei seinem Machtmißbrauch zuzuschauen. In den Schaffenspausen demütigt er seine Gattin, Frau Gott, oder versemmelt seine Tochter. Beide wünschen sich die Rückkehr des vor 2015 Jahren gekreuzigten Sohnes und Bruders, der die schäbige Behausung nur als Figur ziert. Das schwedische Mädchen in seinen riesigen Schuhen und Ringelstrümpfen liebt ihren irdischen Vater abgöttisch und hätte an Eas Stelle mit ihren Wahnsinnskräften schon längst dem Spuk des überirdischen Tyranns ein Ende gemacht. Aber auch die schwarzhaarige, kluge, irdisch aussehende Ea zieht schließlich mit Köpfchen die Reißleine. Sie setzt den Rechner und damit ihren Papa Schachmatt. Die Flucht vor dem jetzt rasend wütigen Alten aus dem göttlichen Gefängnis gelingt ihr durch dieses große weiße Haushaltsgerät, das bevorzugt natürlich immer nur einzelne Socken frißt. Bestimmt hat dabei auch der da oben seine Finger mit im Spiel. Bei beiden Mädels ist das mit der Schulbildung so eine Sache. Pippi stellt das Einmaleins auf den Kopf und Ea leidet an einer starken Schreibschwäche. Deshalb verpflichtet sie den Erstbesten, der ihr nach der Flucht in Brüssel über den Weg läuft, zum Schriftführer für ihr brandneues Testament. Brandneu bedeutet hier, daß sie die ursprünglich 12 Apostel des Neuen Testaments um sechs weitere nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Apostel und Apostelinnen aufstockt. Den Tip, dem alten Neuen Testament auf diese Weise neues Leben einzuhauchen, bekommt sie von ihrer zeitweise wiederauferstehenden brüderlichen Jesusfigur. Von den testamentarischen Neuzugängen ist einer verkorkster und verkrachter als der andere und jeder für sich wäre schon für eine Geschichte gut. Die weise Ea zeigt jedem Einzelnen eine unglaubliche Möglichkeit auf, sich aus seinem Schlamassel zu befreien, und kennt dabei keine Tabus. Zudem schenkt sie ihnen Träume, fängt ihre Tränen ein, und findet für jeden eine passende Melodie. Besonders rührend kümmert sie sich um den sechsten Apostel, einen totkranken Jungen. Dieser wäre lieber ein Mädchen und möchte seine letzten Stunden unbedingt am Meer verbringen. Ea begleitet ihn und im Schlepptau haben sie einen Fisch, der die Melodie des Jungen, „La Mer“, blubbert. Der kleine Apostel kennt seinen Todeszeitpunkt auf die Sekunde genau, weil Ea ihm und allen anderen Menschen vor ihrer Flucht vom väterlichen Rechner aus eine SMS mit dem jeweiligen Todesdatum geschickt hatte. Über die Tragweite dieser Maßnahme beispielsweise für mich und die Menschheit im Allgemeinen möchte ich nicht einmal nachdenken. Jedenfalls strömen immer mehr Menschen zu dem Strand ans Meer, wo die apokalyptische Stimmung immer wieder vom Blubbergesang des Fisches aufgeheitert wird. Die Rettung ist der plötzliche aufkeimende Putzfimmel von Frau Gott, die nach getaner Arbeit die Welt macht, wie sie ihr gefällt. Sie beschränkt sich allerdings auf das Design. Für den göttlichen Strippenzieher a. D. haben sich die Filmemacher zu guter Letzt eine besonders witzige Quasi-Rache Gottes auf Erden ausgedacht. Besonders beneidete ich Pippi damals um ihr Äffchen und das große weiße Pferd mit den schwarzen Tupfen. Zur gleichen Zeit eroberten zwei Stuttgarter Schwaben, das Äffle und das Pferdle, in den Pausen zwischen den Werbespots des Süddeutschen Rundfunks die Herzen der badischen und schwäbischen Fernsehzuschauer. Das Äffle schwäbelt beispielsweise „I glaub, mi tritt e Pfärd“, „Noi noi, des Äffle isch net dahoim“ und liest mit rollenden Augen als Nachrichtensprecher „Wetter… gibt’s heut koins“. Koi Hörfilmbeschreibung hat’s auch beim Brandneuen Testament gäbe. Meine Freundin Pascale hat mir, wenn sie nicht gerade in sich hineingeknickert hat, so viele Bilder wie möglich beschrieben. Davon gab es mehr als genug. Aber ich hatte auch

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James Bond 007: Spectre

„Je suis Paris!“ Am Montag, dem 16. November 2015, um 12.00 Uhr verstummte für eine Minute mein Radio als einzige Geräuschquelle. Wer sich nicht an die zum Gedenken an Paris europaweit ausgerufene Schweigeminute hielt, war mein Handy, um mir idiotischerweise genau in diesem Moment seine Bildschirmsperre mitzuteilen. Ich fühle mich den Franzosen und Frankreich, das inzwischen meine zweite Heimat ist, von jeher sehr, sehr eng verbunden. Die Grausamkeiten vom letzten Freitag sind mir deshalb ganz besonders nahegegangen, auch wenn sich Ähnliches täglich irgendwo auf der Welt abspielt. Jeder hat wahrscheinlich schnell vor seinem geistigen Auge Revue passieren lassen, ob sich jemand aus dem Freundes- oder Familienkreis gerade in Paris aufhält. Ich mußte sofort an eine meiner besten Freundinnen denken, die beruflich während der letzten Woche auf einer Fotomesse in Paris zu tun hatte. Aber dank der sozialen Netzwerke bekam ich noch in derselben Nacht eine beruhigende Nachricht. Ans Schreiben meines Artikels über den aktuellen James Bond-Film war am Wochenende schon deshalb nicht zu denken, weil die Handlung teuflische Berührungspunkte mit den Ereignissen in Paris hat. Aber nichtsdesto- trotz…! „Spectre“, der Filmtitel, heißt übersetzt Schreckgespenst. Zugleich war das bereits in früheren Bond-Filmen die Abkürzung für die gegnerische Terrororganisation, „Special Executive for Counterintelligence, Terrorism, Revenge and Extortion“. Aktuell erfährt Bond erst später im Film, daß er dieses Mal vor der Organisation namens Spectre die Welt retten muß. Zunächst ist der Film mehr oder weniger ein Stummfilm. Zwischen fast martialisch und ohrenbetäubend lauter lateinamerikanischer Percussion ist gelegentlich ein undefinierbares Stimmengewirr zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit fragt eine Frau mit südamerikanischem Akzent: „Wo gehst du hin?“ Die vertraute Stimme von James Bond antwortet. „Ich bin gleich wieder zurück!“ Ich denke, die Dame wartet heute noch. Kurz darauf gibt es noch ein paar Sätze auf Spanisch, einen mächtigen Knall, wieder Stimmengewirr und Motorengeräusche. Vom Nachbarsitz bekam ich zugeraunt, daß sich mit Totenmasken verkleidete Menschenmassen durch die Straßen einer mexikanischen Stadt in Richtung auf ein riesiges Stadion walzen. Genau dieses Stadion haben die spanisch Sprechenden im Visier, um es, natürlich erst wenn alle Menschen sich dort eingefunden haben, in die Luft zu jagen. Das ist das bei allen Bond-Filmen übliche Vorgeplänkel. Bevor es richtig zur Sache geht, hat der Titelsong seinen Auftritt und Sam Smith erhebt zu dramatischer, getragener Orchestermusik seine Stimme. Erheben kann hier wörtlich genommen werden. In dem Song „Writing’s on the Wall” singt er den höchsten Ton seiner bisherigen Karriere. Smith wollte ein dichterisch erzählendes Liebeslied und zugleich einen angemessen klassischen Bond-Song schreiben. Ersteres ist ihm gelungen. Wenn er auch den noch so hohen Ton trifft, erhebe ich den Song dennoch nicht in meine persönliche Bond-Song-Hitliste. Die wird angeführt von Adele mit „Skyfall“, Tina Turner mit „Golden Eye“, „Live and Let Die“ von Paul McCartney, „Dance into the Fire“ von Duran Duran und, der Erste soll der Letzte sein, „Goldfinger“ von Shirley Bassey. Daniel Craig hätte wohl gerne den Song aus dem Hause seiner Lieblingsband Radiohead gehabt. Nach jetzigem Stand wird er auch beim nächsten Bond-Film die Welt retten und vielleicht kann er sich dann mit seinem Wunsch durchsetzen. Der Songtitel „Writing’s on the Wall“ geht auf ein biblisches Motiv zurück und bedeutet ein unübersehbares Omen für ein drohendes und nur sehr schwer abwendbares Unheil, wie wahr! Um Klassen besser gefallen als der Song hat mir der Film. Ich mag, daß sich die Bond-Filme an eine gewisse Grundstruktur halten. Bond kommt nach dem Vorgeplänkel in seine Befehlszentrale, flirtet mit Moneypenny, bekommt von M meistens zuerst einmal eins auf den Deckel und wird von Q mit höchstraffiniertem technischen Schnickschnack und nicht ganz freiwillig den tollsten Autos ausgestattet. So ist es auch dieses Mal. Um während des Vorspiels die Katastrophe von den Stadionbesuchern abzuwenden, sprengt Bond einen ganzen Häuserblock inklusive der spanisch sprechenden Terroristen in die Luft. Das gibt international mächtig Ärger! Viele krachende Geräusche erklären sich erst im Nachhinein im Gespräch. Bei „Spectre“ muß sich Bond zunächst einmal selbst retten. Er soll wegen einer drohenden Fusion der konkurrierenden britischen Geheimdienste abgeschafft werden. Eine ganz wichtige Rolle im Film spielt ein Fingerring mit einem eingravierten Oktopus, dem Symbol der Spectre-Organisation. Da Ringe eher nicht sprechen, ist mir so ziemlich alles um dessen Bewandtnis entgangen. Bei einem Bond-Film im Kinosaal vom Nachbarn Informationen zugeflüstert zu bekommen, ist wegen des Geräuschpegels und der Ereignisdichte eine unmögliche Mission. Nächster Tage werde ich bei dem Verleih eine vorsichtige freundliche Nachfrage starten, wie es mit einer Hörfilmbeschreibung aussieht. Etwas Schlimmeres als eine Absage kann mir schließlich kaum passieren, aber vielleicht gibt es ja doch noch die Lizenz zum Hören! Entschädigt für das Fehlen der Audiodeskription hat mich die traditionell grandiose Bond-Filmmusik. Die Bläser kündigen bombastisch die unmittelbar bevorstehende Entladung einer dramatischen Situation an. Indes bauen die Streicher eine nervenzerreißende Anspannung auf und der heisere Triller einer Querflöte vermittelt etwas Verschwörerisches. Verfolgungsjagden werden meistens mit rasend schnellen Percussionwirbeln auf Congas begleitet. James hatte so viel zu tun, daß er kaum zum Trinken kam, und wurde sogar einmal mit einem alkoholfreien Getränk konfrontiert. Der Ekel in seiner Stimme war nicht zu überhören. Maßgeblich zum Gelingen seiner Mission tragen zwei Mäuschen bei, ein vierbeiniges und natürlich das zweibeinige Bond-Girl Madeleine Swann (Léa Seydoux). Im Film ist am Ende jedenfalls alles gut!!!

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A Perfect Day

Der perfekte Tag begann an einem totstillen, finsteren, naßkalten und beklemmenden Ort. Den Wechsel zwischen hell und dunkel auf der anfangs nur spärlich beleuchteten Leinwand konnte ich immerhin noch gut ausmachen. Wasserrinnsale plätscherten die nackten Wände herunter und ich war froh, in dem gut beheizten und trockenen Kinosaal zu sitzen. Die unheimlich hallende Akustik tat ihr Übriges, als Metall auf Metall stieß, und ich an einen unterirdischen und engen Raum mit hohen Wänden denken mußte. Getippt habe ich auf eine Kanalisation. Zum Glück konnte sich die Idee nicht durchsetzen, den Filmgenuß im Kinosaal noch mit den entsprechenden Düften zu steigern. Aber ich hatte mich vertippt. Es ist ein Brunnen. In den ist zwar kein Kind gefallen, aber ein Mann geworfen worden. Der Mann ist tot, das erklärt schon einmal den fehlenden Dialog. Gesprochen wird erst, als das Tageslicht die Leinwand erhellt. Um den Brunnen herum beratschlagen die Mitarbeiter einer Nichtregierungsorganisation (NGO), wie der leblose bereits verwesende Körper schnellstmöglich geborgen werden kann. Ansonsten stünde die Trinkwasserversorgung aller Bewohner eines Dorfes irgendwo in Bosnien auf dem Spiel. Beim ersten Versuch ist der Tote der Stärkere, genauer gesagt der Schwerere, und entscheidet die Zerreißprobe des einzigen weit und breit aufzutreibenden Seiles für sich. Die Helfer brauchen ein Zweitseil, das dem Fettsack, wie sie ihn nennen, standhält. Ihre abenteuerliche Autofahrt durch das bergige unwegsame Bosnien auf der Suche nach einem tauglichen Seil zieht sich ab jetzt als roter Faden durch das Filmgeschehen. Zeitlich fällt die Seilsuche in das Jahr 1995, in dem die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe unter den sechs jugoslawischen Teilrepubliken nach drei Jahren ein Ende fanden. Ein Ende fand damit auch die 1945 ausgerufene Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. „Jugo“ heißt übersetzt Süden, die Slawen sind slawischsprachige Volksstämme und fertig war das Kunstgebilde Jugoslawien: Ein Mix unterschiedlichster ethnologischer und religiöser Volksgruppen, deren einzige Gemeinsamkeiten die südliche geographische Lage und die slawische Sprache waren. In dem Gebiet des heutigen Staates Bosnien-Herzegowina wüteten die Kämpfe besonders lange und grausam. Deshalb stationierte man zur Sicherung des Friedensprozesses die IFOR und verschiedene Hilfsorganisationen versuchten, das Leid der Zivilbevölkerung zu lindern. Auf die Seilsuche begeben sich die prominent besetzten NGO-Mitarbeiter Mambrú (Benicio del Toro), B (Tim Robbins) und Sophie (Mélanie Thierry). Später gesellen sich noch Katya (Olga Kurylenko), ein Dolmetscher und ein kleiner einheimischer Junge zu der Seilschaft. So wie bei „Er ist wieder da“ der gleichnamige Hit von Marion Maerz aus der Versenkung geholt wurde, hätte das hier mit dem Song „Perfect Day“ von Lou Reed aus dem Jahr 1972 wiederholt werden können. Aber „Hätte, hätte, Fahrradkette“, ein Zitat des Genossen Peer Steinbrück aus seiner Zeit als Kanzlerkandidat! Lou Reed besingt in “Perfect Day” seinen höchstpersönlich perfekten Tag, leider ohne zu verraten, wer oder was genau diesen Tag so perfekt macht. Im Film wird dank des Jungen, der die NGO-Leute zu seinem verlassenen Elternhaus führt, das perfekte Seil für den zweiten Versuch gefunden. Problematisch ist nur, daß das Seil an einer Seite irgendwo angebunden ist, während an dem anderen Ende ein gefährlich bellender wütender Hund hängt. Im nächsten Moment macht das Helferteam in dem ziemlich zerstörten Haus einen grausigen Fund. Die Figuren nehmen den Zuschauer mit in ihre ständig wechselnden Gefühlslagen und es wird einem nichts erspart. Oft kann man sich bei den grotesk komischen Situationen auch das Lachen nicht verkneifen. Begleitet werden die Protagonisten von der perfekt ausgewählten und immer passenden Musik. Lou Reed singt zwar nicht solo, ist aber einige Male als Sänger und Mitbegründer der Band „The Velvet Underground“ zu hören. Die psychedelischen, ruhigen und leisen Klänge werden je nach Stimmung des Filmes vom lauten, chaotischen, fast zerstörerischen Punkrock der Ramones, von Marilyn Manson oder den Buzzcocks abgelöst. Dazwischen ist wieder der melodischere Gesang von Gogol Bordello mit einem leicht folkloristischen Einschlag zu hören. Ein außergewöhnlicher Film verlangt eben nach der entsprechenden Musik. Ein Tag ist für die Helfer wohl schon dann perfekt, wenn sie nicht auf eine der vielen Landminen auffahren, nicht von marodierenden Soldaten überfallen werden, und trotz aller bürokratischen Hindernisse wenigstens ein bißchen helfen können. Dem spanischen Drehbuchautor und Regisseur Fernando León de Aranoa ist es gelungen, solch einen perfekten Tag so glaubhaft und traurig wie leise und humorvoll zu zeigen. Die Romanvorlage zum Film stammt von Paula Farias, die in ihrem Buch „Dejarse Llover“ (Laß es regnen) über ihre eigenen Erfahrungen als Mitarbeiterin von „Ärzte ohne Grenzen“ schrieb. Der Film entläßt das liebenswerte Helferteam mit dem Auftrag, sich um die verstopften Latrinen in einem eilig errichteten Flüchtlingslager zu kümmern. Ich konnte noch einmal aufatmen und die gute Luft im Kinosaal einatmen. Popcorn statt Latrine! Was für ein perfekter Kinoabend!

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Zwei an einem Abend – natürlich Filme!

Der kleinste gemeinsame Nenner der beiden Filme ist das Produktionsland USA und daß eine der Hauptrollen von der Musik gespielt wird. Zuerst gab es ein chorales „Halleluja“ in Weiß und danach ein schwarzes gerapptes „Fuck Tha Police“. Genauso unterschiedlich wie die Filme war das Publikum, nur ich war beide Male dieselbe. In „Der Chor – Stimmen des Herzens“ durfte ich mich zu den Jüngeren zählen und die meisten verließen ergriffen flüsternd den Kinosaal. Nach einer einstündigen Pause saß ich wahrscheinlich als Älteste bei „Straight Outta Compton“ unter Hip-Hop- und Rap-begeistertem Jungvolk, das entsprechend geräuschvoll nachts gegen 02.00 Uhr mit mir mitten drin ins Freie strömte. 1741 schrieb der deutsch-britische Komponist Georg Friedrich Händel das dreiteilige Oratorium „Messias“ in A-Dur und D-Dur für Solisten, Chor, Orgel, Cembalo und Orchester. Mit genau diesem englischsprachigen Werk tritt einer der besten Jugendchöre der Welt, der US-amerikanische „National Boychoir“ bei einem Wettbewerb gegen seine internationale Konkurrenz an. Im zweiten Teil des Messias singt der Schlußchor das wohl jedem bekannte „Halleluja“. Um die Chance auf den heißbegehrten ersten Platz zu erhöhen, peppt die Chorleitung dieses „Halleluja“ mit einem eigens komponierten Solo auf, in dem das eigentlich unerreichbare hohe D gesungen werden muß. Auf meiner Gitarre habe ich dieses hohe D vergebens gesucht, es läßt sich nur mit der Technik des Flageolett-Tones erzeugen. Sogar der weltberühmte italienische Tenor Pavarotti wurde als Meister „nur“ des hohen C gefeiert. Im Film gelingt es immerhin zwei der 12-jährigen Knaben, ihrer Kehle diesen Ton zu entlocken. Einer der beiden ist Stet, gespielt von Garrett Wareing. Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter durch einen Verkehrsunfall muß nun sein Vater die Verantwortung übernehmen, nachdem er sich 12 Jahre lang auf das Ausfüllen von Alimentenschecks beschränkt hatte. Für den Vater ist Stet die etwas lästige Folge eines 12 Jahre zurückliegenden „Verkehrsunfalls“. Bei seiner Frau und den beiden gemeinsamen Töchtern hat er die Existenz eines Sohnes sicherheitshalber unter den Tisch fallen lassen. Glücklicherweise gibt es überall auf der Welt Schulinternate und die Abschiebung auf ein solches, am besten auf einem anderen Kontinent, scheint ihm eine elegante Lösung des Problems zu sein. Dank seiner herausragenden Stimme und seines finanzkräftigen Vaters erhält Stet die – wenn auch zähneknirschende – Zustimmung des Direktoriums zur Aufnahme in das Musikinternat an der Ostküste mit der renommiertesten Chorschule der USA. Ihm gelingt damit eine rasante Fahrt mit dem sozialen Aufzug nach oben. Im Internat legt er sich mit fast all seinen hochnäsigen Mitschülern an und revoltiert bis auf eine Ausnahme gegen die Lehrerschaft. Aber der Film lechzt nach einem Happy End und bekommt das auch, abgesehen von einem Wermutströpfchen. Für die vorhersehbare und flache Filmhandlung entschädigen die wunderschöne unter die Haut gehende Chormusik und der 78-jährige Dustin Hoffman als charismatischer Chorleiter. Der kanadische musikerfahrene Regisseur François Girard gewährt uns Einblicke in den Schulalltag und besonders den Musikunterricht der Jungs. Der strenge Chorleiter Carvelle triezt seine Schüler mit Atemübungen, mathematischen Formeln ähnelnder Musiktheorie und straff geführten Proben zu Höchstleistungen. Aber um welchen Preis? Die Uhr tickt für uns alle in jeder Hinsicht, aber für die Chorknaben rasen die Zeiger besonders gnadenlos auf den alles beendenden Stimmbruch zu. Stet gelingt das Unmögliche und er brilliert beim „Halleluja“ mit dem hohen D. Meine Mutter singt, solange ich zurückdenken kann, in einem Bach-Chor und hat meine Zweifel beseitigt, ob der Junge uns wirklich das hohe D gegeben hat. Allerdings muß solch eine außerordentliche Leistung nicht unbedingt mit dem entsprechenden Genuß für die Ohren einhergehen. Kaum war das „Halleluja“ mit dem hohen D verstummt, gab es lauten Gangsta-Rap und Hip-Hop auf meine beiden Ohren. Im rechten Ohr hatte ich zusätzlich die Hörfilmbeschreibung, die mich auch dank der ruhigen Stimme des Sprechers über dieses Chaos rettete. „Straight Outta Compton“ heißt nicht nur der Film, sondern ist auch der Titel des am 08.08.1988 erschienenen Erfolgsalbums des Hip-Hop-Kollektivs N.W.A aus Compton im südlichen Großraum von Los Angeles. N.W.A. steht für „Niggaz Wit Attitudes“. Attitude bedeutet Haltung, innere Einstellung, ein großes Wort für die teilweise recht fragwürdigen Inhalte, die in das Publikum gerappt werden. Der Regisseur F. Gary Gray läßt in 147 Filmminuten neun Jahre Revue passieren, in denen die Fünf der N.W.A.-Crew 1986 klein anfangen, zu Ruhm und viel Geld kommen, sich bitter zerstreiten und sich zu guter Letzt 1995 am Sterbebett von Eazy-E wieder annähern. Die anderen vier, noch unter den Lebenden verweilenden Gründungsmitglieder heißen Dr. Dre, Ice Cube, DJ Yella und MC Ren. Mit dem Skandalsong „Fuck Tha Police“ von 1988 trafen die Fünf den Nerv ihrer Generation, sie wurden schlagartig als Helden gefeiert und kamen quasi über Nacht zu Geld und Ruhm. Nicht unerheblich verdanken sie diesen Erfolg der freundlichen Unterstützung durch das FBI, weil es das Zurückziehen der Platte erreichen wollte. Das Thema weiße Polizeigewalt gegen, wie darf ich eigentlich sagen, Farbige, ist heute leider immer noch aktuell. Aber die erste Filmszene, in der ein panzerähnliches Gefährt die Fassade eines Hauses niederwalzt, um ein vermutetes Drogengeschäft aufzudecken, ist so hoffentlich heute nicht einmal mehr in den USA möglich. Die unterschiedlich fließenden Geldströme führen recht schnell zu heftigen Streitereien und schließlich zum Bruch, was vor allem und wie auch eine Menge der Kohle auf das Konto des zwielichtigen Musikmanagers Jerry Heller geht. Während der gesamten Filmzeit lag immer eine Spannung in der Luft, die sich jederzeit zu einer saftigen Prügelei mit viel Scherben und immer einer Schnapsflasche in der Hand entladen konnte und auch entladen hat. Das weibliche Geschlecht übernimmt bis auf wenige Ausnahmen den Part, barbusig zur allgemeinen Erheiterung beizutragen. Obwohl immer mindestens drei Rapper gleichzeitig mit ihren kaum zu unterscheidenden Stimmen durcheinander quatschen, ist es den Hörfilmbeschreibern gelungen, das Chaos zu sortieren, bestimmt mit der einen oder anderen Schweißperle auf der Stirn. An meiner meist nur mäßigen Begeisterung für Rap und Hip-Hop konnte der Film nichts ändern und der Chorleiter Carvelle würde sich wahrscheinlich weigern, den Rap überhaupt als Musik durchgehen zu lassen. Aber die alte Volksweisheit „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder“ trifft zumindest teilweise auch auf die fünf Rapper zu. Ich mag Filme, in

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Der Sommer mit Mamã

Dieser alles auf den Kopf stellende Sommer mit Mama spielt sich hauptsächlich auf einem sehr luxuriösen Anwesen in der brasilianischen Metropole São Paulo ab und endet dort mit einem Befreiungsschlag im Swimmingpool. Mit durchschlagendem Erfolg hat sich der Film bereits im letzten Winter bei der Berlinale gegen die Konkurrenz durchgesetzt und den Panorama Publikumspreis gewonnen. Ohne die konkurrierenden Filme zu kennen: Ich hätte bestimmt auch für den „Sommer“ gestimmt und das nicht etwa, weil ich im Februar den Winter schon mehr als leid bin. Ich denke, die eigentliche Preisträgerin des Publikumspreises ist Val (Regina Casé), die gute Seele nicht nur des Filmes, sondern auch des Hauses mit dem bedeutungsschwangeren Swimmingpool. Val ist die Abkürzung für den schönen Mädchennamen Valerie, der seine Wurzeln in dem lateinischen Verb „valere“ (gesund sein, stark sein) hat. Seit über zehn Jahren kümmert sich Val als Haushälterin und Kindermädchen um Wohl und Wehe der drei Bewohner des Latifundiums, und das so ziemlich rund um die Uhr. Wenn sie nicht den inzwischen 17-jährigen Sohn des Hauses Fabinho mit ihrer Liebe und Fürsorge überschüttet, hat sie damit zu tun, die pausenlos geäußerten Wünsche ihrer Herrschaften zu erfüllen. Das einzige, was die Bewohner alleine bewerkstelligen, ist es, die Gabel oder das gerade servierte Getränk zum Munde zu führen. Auch der verwöhnte Sprößling wird frühzeitig an seinen Status als Befehlsgeber herangeführt. Der Herr des Hauses, Herr Carlos, wurde mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund geboren und ermöglicht so seiner Familie ein sorgenloses und luxuriöses Leben. Neben Val gibt es auch noch eine Putzfrau und einen Chauffeur. Gelangweilt und ein bißchen lebensmüde schleppt sich Carlos durch den Tag und wird von Val ständig an das Einnehmen seiner Medikamente erinnert. Dagegen strotzt die Dame des Hauses, Frau Barbara, vor Energie, allerdings nur, um sich selbst darzustellen und an ihrer Karriere in der Modebranche zu basteln. Ihre Rolle als Mutter hat sie für die letzten zehn Jahre dankbar an Val abgetreten. Anhand der Stimmen und dem, was sie wie sagen, habe ich mir ein Bild von den drei Figuren gemacht. Der Lektor hat sich einfach den Trailer angeschaut und dann haben wir unsere Ergebnisse verglichen. Von den Stimmen auf das Äußere zu schließen kann ganz schön schief gehen, aber hier lag ich gar nicht so falsch. Meiner Namensvetterin habe ich ein ziemlich unsympathisches Äußeres verpaßt. Ihre Stimme klingt mal schrill, mal genervt, und immer aufgesetzt. Das entspricht auch ihrer Erscheinung, wie sie sich kleidet, schminkt und frisiert. Wenn sie sich überhaupt zu Hause blicken läßt, stolziert sie Befehle erteilend durch die Räumlichkeiten und beendet jeden zweiten Satz mit „Schätzchen, Küßchen“. Unter Val habe ich mir eine etwas kräftiger gebaute robuste Frau vorgestellt, die ihr Päckchen zu tragen hat und mitten im Leben steht. Ihre tiefe Stimme klingt mal energisch streng, mal müde, mal gütig warmherzig, oder sie lacht ihr ehrliches befreiendes Lachen. Sie ist keine Schönheit, aber wenn sie ihr Lachen lacht, werden ihre kantigen Gesichtszüge weich und ihre Augen funkeln lebenslustig. Der Mann des Hauses geht mit seiner angenehm ruhigen und leisen Stimme zwischen den beiden Frauen etwas unter. Er hat in mir nicht gerade die Vorstellung eines glutäugig schwarzgelockten temperamentvollen Brasileiros geweckt. Sein eher unauffälliges Äußeres entspricht ein bißchen der ihm in der Familie zugedachten Rolle. Eines Tages platzt Val mit der Neuigkeit heraus, daß ihre Tochter Jéssica nach São Paulo komme, um an einer Aufnahmeprüfung für die Universität teilzunehmen. Jéssica ist natürlich herzlich willkommen und bekommt in Vals Kemenate Asyl. Vor zehn Jahren mußte Val, anders als Barbara, ihre Mutterrolle gezwungenermaßen an eine Verwandte abtreten. Um ihre Tochter und sich ernähren zu können, ging sie schweren Herzens vom Land nach São Paulo und zog liebevoll, aber stets von Gewissensbissen geplagt, den damals siebenjährigen Fabinho auf statt ihre eigene Tochter. Während dieser Zeit hatten Mutter und Tochter so gut wie keinen Kontakt und bei ihrem Wiedersehen stehen sie sich wie zwei Fremde gegenüber. Jéssica ist eine moderne, selbstbewußte, attraktive junge Frau und erweckt zu Barbaras Mißfallen die Lebensgeister und die Gunst des Senioren des Hauses. Von Vals besserer Besenkammer darf sie in das Gästezimmer mit eigenem Bad umziehen, diniert mit dem Hausherrn am selben Tisch und wird so zwangsläufig von ihrer Mutter mit bedient. Sie darf sogar das den Herrschaften vorbehaltene Erste-Klasse-Eis verspeisen. Val versteht die Welt nicht mehr und das ihr eigentlich Halt gebende Weltbild gerät ins Wanken. Mutter und Tochter beginnen, sich aneinander zu reiben und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Die Regisseurin Anna Muylaert versteht es, an vielen alltäglichen Kleinigkeiten das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich in Brasilien aufzuzeigen. Sie tut dies feinfühlig und mit Witz, ohne daß Val dabei ihr Gesicht verliert. Anna wurde selbst von einem Kindermädchen betreut, das in einem sklavenähnlichen Verhältnis im elterlichen Haus lebte. Für die Betreuung ihrer eigenen Kinder beschäftigt sie eine Tagesmutter mit festen Arbeitszeiten. Der Himmel über dem Swimmingpool ist immer blitzeblau und das glasklare Wasser verlockt verführerisch, sich mit einem Sprung ins kühlende Naß der flimmernden Hitze zu entziehen. Aber Val verbietet ihrer Tochter schon den Gedanken daran, der Pool sei für sie ein absolutes Tabu. Das kümmert den Kronsohn wenig und er befördert Jéssica aus Jux und Dollerei in voller Montur in das Heiligtum. Barbara ist entsetzt und veranlaßt unter dem Vorwand, eine Ratte am Wasser gesehen zu haben, den Pool zu leeren. Jéssica hat verstanden und verläßt so schnell wie möglich die ungastliche Stätte, worauf Barbara ja schon seit längerem drängt. Weil Jéssica nicht nur hübsch, sondern auch intelligent ist, besteht sie im Gegensatz zu Fabinho die Aufnahmeprüfung sogar mit Bravour. Val kann sich gar nicht oft genug mit stolzgeschwellter Brust die Punktzahl auf der Zunge zergehen lassen, natürlich nur in Barbaras Gegenwart. Ob genau das ihr die Kraft gibt, sich aus dem Herrschaftsgefüge zu lösen, kann sie nur selbst beantworten. Jedenfalls sitzt sie plötzlich quietschvergnügt planschend in dem nur knietief gefüllten Tabu und telefoniert dabei lachend mit ihrer Tochter. Als nächstes trifft sie selbstbewußt einige Entscheidungen, damit sich ihr tragisches Schicksal nicht bei Jéssica wiederholt. Ich drücke den beiden beide Daumen!

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Die Blindgängerin auf dem Fahrersitz eines PKW, von der Beifahrerseite aus aufgenommen. Die Sonnenbrille in die Haare hochgeschoben, hat sie beide Hände am Lenkrad. Fröhlich lächelnd schaut sie nach vorn. Sie trägt ein weißes Shirt mit bunten Tupfen und weiße Jeans. Am Armaturenbrett lehnt der weiße Langstock.

Learning to Drive – Fahrstunden fürs Leben

Zuerst schnallen Sie sich bitte an, schalten die Zündung ein, starten den Motor, setzen den linken Blinker und schauen vorm Losfahren über ihre Schulter nach hinten, um den toten Winkel einsehen zu können. Nein, nicht über die rechte, sondern die linke Schulter! Dann macht der Wagen einen mächtigen Satz nach vorne. Also alles bis auf das Anschnallen noch einmal, und zwar mit Gefühl! So ähnlich begann meine erste Fahrstunde, aber leider nur im Film „Learning to Drive“! Hier sitzt Wendy, eine prominente New Yorker Literaturkritikerin Mitte 40, am Steuer. Bis zur Trennung von ihrem Mann sah sie keine Notwendigkeit, sich dem Streß einer Fahrprüfung und dem des New Yorker Straßenverkehrs auszusetzen. Entweder übernahm ihr Mann die Chauffeurdienste oder das gut ausgebaute öffentliche New Yorker Nahverkehrssystem. Ich hätte sehr gerne auf Wendys Platz gesessen und dann auch noch neben dem indischen Fahrlehrer Darwan mit seiner unendlich ruhigen und sanftmütigen Stimme. Für mich ist es unbegreiflich, wie man freiwillig auf das Privileg der Mobilität, die einem der Führerschein eröffnet, verzichten kann. Sich einfach in ein Auto zu setzen und jederzeit spontan mal eben dahin zu fahren, wo man hin möchte, beneidenswert!!! Ich brauche immer zuerst einmal einen Plan, wie ich mein Ziel erreichen kann, und den mit reichlich zeitlichem Vorlauf. Es gibt bestimmt Schlimmeres, aber die Lizenz zum Autofahren wäre schon toll. Daß Wendy ausgerechnet bei dem Fahrschullehrer Darwan landet, ist ihr Glück im Unglück. Darwan hätte übrigens gesagt: „Gluck im Ungluck“! Indern kommt so gut wie kein Ü über die Lippen. Als ich vor Jahren mit einem Inder Silvester feierte, „wunschte“ er uns viel „Gluck furs neue Jahr“. Im Film hat das mit dem Ü-Sagen allerdings geklappt. Ausgerechnet während einer Taxifahrt erklärt Wendys Mann die Ehe für ab sofort beendet, nicht gerade auf die feine Art und zumindest für Wendy aus heiterem Himmel. Am Steuer sitzt Darwan, der sich auch noch als Taxifahrer seine Brötchen verdient. Das Ehepaar sitzt streitend auf der Rückbank, Wendy kreischt hysterisch, bis der ehebrecherische Gatte sich den Wutausbrüchen seiner Frau entzieht. Fluchtartig stürzt er aus dem Taxi und fleht Darwan an, seine nun Ex-Frau nach Hause zu fahren. Dort liefert dieser das traurige Bündel Wendy schon fast mit schlechtem Gewissen ab. Als Wendys Mann eines Tages noch einmal bei ihr auftaucht, um seine persönlichen Sachen zu holen, zieht sie noch einmal alle Register, leider vergebens. Er geht “Back to Her” und sie geht „Back to Black“. Auch aus dem Besuch der gemeinsamen, ungefähr 20-jährigen Tochter Tasha wird zu Wendys Enttäuschung nur eine Stippvisite. Wieder zieht Wendy den Kürzeren, weil die Tochter mit dem Vater und dessen neuer Flamme zum Essen verabredet ist. Anschließend muß Tasha nach Vermont, wo sie seit kurzem auf einer Farm arbeitet. Dort hat sie entdeckt, daß Gemüse nicht in Plastikfolie gezwängt im Supermarktregal wächst, sondern der Samen in die Erde gesteckt und später die gereifte Frucht ausgebuddelt werden muß. Und überhaupt Erde! Wie sie sich anfaßt, wie sie duftet, zum Reinbeißen! Als Tasha ihrer Mutter vorwirft, sie nur mangels Führerschein niemals in Vermont zu besuchen, beißt Wendy in den sauren Apfel. Sie beschließt, sich zur Fahrschule anzumelden, und verabredet sich schon einmal mit ihrer Tochter zum Erde Essen in Vermont. Wie das Leben manchmal so spielt und sich doch noch alles zum Guten fügt! Gerade dank der für sie doch so unerfreulichen Taxifahrt sitzt Wendy jetzt am Steuer des Fahrschulwagens neben Darwan, der sich trotz ihrer chaotischen Fahrversuche mit stoischer Ruhe durch das Dickicht des New Yorker Straßenverkehrs kutschieren läßt. Sie flucht über alles und jeden, der ihre Kühlerhaube kreuzt, oder sitzt tief in Gedanken unkonzentriert am Steuer und verursacht einen Auffahrunfall. Darwan ist zugleich Fahrschullehrer und Seelendoktor, die beiden philosophieren über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und Besonderen. Aber auch Darwan fragt seine Schülerin gelegentlich um Rat in wichtigen Lebensfragen. Schritt für Schritt findet sich Wendy mit ihrem Solodasein und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten, wie z.B. saftigen Unterhaltszahlungen an den Ex, ab. So allmählich wird auch angedacht, sich zur Fahrprüfung anzumelden. Doch auch der scheinbar in sich ruhende Darwan, ein traditionsbewußter, streng gläubiger Sikh, trägt einige Probleme mit sich herum. Weil er darauf besteht, seinen Turban und Bart zu tragen, kann er trotz seiner Bildung nur den Beruf des Fahrschullehrers ausüben. Nicht nur einmal schlägt ihm fremdenfeindliche Gesinnung entgegen. Die Brautsuche übernimmt seine Schwester in der indischen Heimat. Er muß sich auf deren Geschmack verlassen und bekommt die Zukünftige das erste Mal am New Yorker Flughafen zu Gesicht. Die für westliche Vorstellungen undenkbare Art der Eheschließung wird von Fahrschülerin und Lehrer natürlich völlig kontrovers diskutiert. Beim Autofahren, vor allem bei längeren Strecken, fallen mir immer früher oder später die Augen zu. Bei den „Fahrstunden fürs Leben“ hatte ich ein-, zweimal den gefährlichen Sekundenschlaf. Wahrscheinlich, als nur der schöne Musikmix aus westlichen und indischen Klängen zu hören war. Ansonsten habe ich mich auf der Rückbank bei Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley), in Szene gesetzt von Isabel Coixet, sehr gut und kurzweilig unterhalten gefühlt. Mit dem Ende am Schluß ist das so eine Sache! Ich bin mir ziemlich sicher, wie die Sache zwischen den beiden ausgeht, aber wegen der letzten wortlosen Filmminuten eben nicht ganz sicher. So komme ich nicht einmal in die Verlegenheit, das Ende zu verraten.

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Amy

Ach ja, Amy! Hätte ich doch die Chance genutzt und wäre damals, ich denke 2007, zu ihrem Konzert in das Berliner Tempodrom gegangen. Im Radio erfuhr ich, daß sie etwas fahrig und unkonzentriert wirkte, sie bekam aber dennoch eine wohlwollende Kritik. Eine Woche bevor sich Amy Winehouses Todestag zum vierten Mal jährte, kam am 16.07.2015 der Dokumentarfilm „Amy“ in die deutschen Kinos. Erstaunlicherweise kann der Film bis jetzt nur knapp 54.000 Besucher verbuchen, das liegt vielleicht an den sehr sparsam und zu ungewöhnlichen Zeiten angebotenen Vorstellungen. Außerdem gibt es den Film nur auf Englisch im Original mit Untertitel zu sehen. Am dritten Tag, Samstag abends um 23.00 Uhr, habe ich im ausverkauften Clubkino des Berliner Zoopalasts von Amy Abschied genommen. Das klingt vielleicht ein bißchen theatralisch, aber so war das eben. Ich hatte gehofft, viele ihrer Songs, und nicht nur die gängigen, noch einmal ganz bewußt genießen zu können, und wurde nicht enttäuscht. Bei ihrem Superhit „Back to Black” bekam ich schon immer beim ersten Takt eine Gänsehaut. Im Kino bei der tollen Akustik kam die Gänsehaut gleich bei der ersten der 128 Filmminuten und blieb mehr oder weniger bis zum Schluß. Neben vielen Wegbegleitern aus ihrem privaten wie musikalischen Leben kommt natürlich auch Amy selbst einige Male zu Wort. Ich bin immer wieder erstaunt, wie unterschiedlich die Sprech- und Singstimmen, besonders die der Sängerinnen, klingen. Amy spricht eher leise in einer wesentlich höheren Tonlage als beim Singen, lispelt ein bißchen und ihre Stimme klingt sehr jung, ihrem zarten Alter entsprechend. Wenn sie aber mit ihrer schönen, kräftigen, klaren, tiefen Stimme ganz ruhig und fast schon ein bißchen abgeklärt ihre traurigen Texte vorträgt, denke ich eher an eine gestandene Frau mit großer Lebenserfahrung. Fast alle der Songtexte stammen aus ihrer Feder und sie meint, nur über Dinge schreiben zu können, die sie selbst erlebt hat. Da tun sich schon Abgründe auf. Insbesondere bei dem Titel „Back to Black“ hat sie, wie ich finde, einen Nerv getroffen. Wer ist nicht selbst schon mindestens einmal in seinem Leben back to black gegangen? Ganz wichtig war es ihr, als Jazzsängerin anerkannt zu werden. Die schönen und ganz schön traurigen Melodien nehme ich eigentlich nur wahr, wenn ihre dominante Stimme pausiert. Sie beherrscht perfekt die Kunst der musikalischen Pause. Eine Pause genau an der richtigen Stelle, nicht zu lang und nicht zu kurz eben nicht zu singen oder sein Instrument nicht zu spielen, ist mindestens genauso schwierig wie das Singen oder Spielen an sich. Amy verzichtet auf Füllsel wie schubidu, lalala und yeahyeahyeah und Backgroundsänger(innen) sind mir auch nie aufgefallen. Unmengen von Archivmaterial, zahllose Interviews mit Familie, Freunden und Vertrauten sowie von Freunden zur Verfügung gestellte Home Videos standen dem britischen Regisseur Asif Kapadia zur Verfügung. Er hatte die Qual der Wahl und mußte sich für die richtigen Ausschnitte entscheiden, um Amys grandiose wie traurige 27-jährige Biographie zu dokumentieren. Etwas Skepsis kam bei einigen Filmkritikern auf, weil auch der sehende Zuschauer gelegentlich nicht einmal das Gesicht des gerade Sprechenden zu sehen bekommt und so über dessen Identität im Dunkeln gelassen wird. Man könne so auch nicht an der Mimik beispielsweise die Aufrichtigkeit und Echtheit der Gefühle des Sprechenden erkennen. Das war für mich nichts Außergewöhnliches, da ich immer an der Stimme die Gefühlsregungen meines Gegenübers eruiere. Wegen meiner recht lausigen Englischkenntnisse hatte ich oft so meine Müh und Not, den Gesprächen bis ins letzte Detail zu folgen, besonders bei den teils nuschelnden Herren. Sicherheitshalber werde ich mir die DVD noch einmal zu Hause mit einem Zuflüsterer anschauen, der der englischen Sprache besser mächtig ist als ich, oder der mir die deutschen Untertitel vorliest. Aber mir kam es ja nicht darauf an, neue skandalöse Enthüllungen zu erfahren. Auch inwieweit ihr Vater sowie ihr langjähriger Freund und kurzfristiger Ehemann Blake Fielder-Civil an ihren Drogenproblemen und letztlich an ihrem Tod eine Mitschuld tragen, kann ich am allerwenigsten beurteilen. Das Wort „Mitschuld“ bedeutet ja auch, daß es dabei zumindest noch einen Rest Eigenverantwortung gibt. Einige ihrer Freundinnen aus der Zeit vor ihrer Karriere machten sich mit tränenerstickter Stimme Vorwürfe, Amy nicht oder erst viel zu spät geholfen zu haben. Aber all denjenigen, die Amy beim Auftaktkonzert ihrer Europatournee in Belgrad im Frühling 2011 auf die Bühne schleppten, gehören meterlang die Ohren langgezogen. Während der Autofahrt zum Londoner Flughafen lag sie im Koma, wurde in den Flieger verfrachtet und ist erst gegen Ende des Fluges ein bißchen zu sich gekommen. In Belgrad hat man sie einfach auf die Bühne gestellt. Als sie keine Silbe über ihre Lippen bekommt, wird sie vom enttäuschten und wütenden Publikum ausgebuht. Sie verläßt nicht nur für immer die Bühne, die Bretter, die die Welt bedeuten, sondern ungefähr zwei Monate später auch die Bühne des Lebens.

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Die Blindgängerin beugt sich über ein Blumenbeet mit gelben Tulpen, in der rechten Hand ein kleines Gieskännchen. Sie hat die Haare zu einem Dutt gebunden und trägt lange goldene Ohrringe. Ihr wallendes Kleid ist kupferfarben und mit einem goldenen Gürtel gebunden. Sie trägt Gummistiefel. Neben ihr steht ein Korb mit Gartenwerkzeugen.

Die Gärtnerin von Versailles

Es war einmal ein sehr mächtiger König, genannt der Sonnenkönig, dem wurde sein Stadtschloß in Paris, der Louvre, zu klein und so beschloß er, sich vor den Toren Lutetias nach einem geeigneten Fleckchen Erde für ein neues Zuhause umzusehen. Er liebte weite Aussichten und große Wasserflächen und so fiel seine Wahl auf das Städtchen Versailles bei Paris, in dem seinem Vorgänger Ludwig XIII. bereits ein Jagdschloß im Stil des Barock errichtet wurde. Dort war genug Platz und Raum, um das vorhandene Schloß nebst Park nach seinen Vorstellungen umzubauen und zu erweitern, und 1661 ging’s los. Schon 21 Jahre später, im Mai 1682, bezog der französische Hof das fertiggestellte Château de Versailles, so wie man es heute noch besichtigen kann. Das für den gigantischen Umfang der damaligen Arbeiten rasante Bautempo läßt den einen oder anderen Politiker, Planer, Techniker von heute bestimmt vor Neid erblassen. Aber Ludwig mußte ja auch, wenn überhaupt, nur sich selbst Rechenschaft ablegen, frei nach dem Motto „L‘ Etat, c‘est moi“. Das bedeutet extrem verkürzte Dienstwege. Der bedeutende Landschafts- und Gartengestalter André Le Nôtre konzipierte den Stil des französischen Barockparks und begann Ende 1660 als oberster Gartenarchitekt von Ludwig XIV. mit der Durchführung des Großprojekts „Schloßpark von Versailles“. Heute nennen wir das Ausschreibungsverfahren, damals kamen jedenfalls die wichtigsten und möchtegernwichtigen Landschaftsgärtner Frankreichs mit ihren Plänen zu Le Nôtre, um ein kleines Stückchen vom riesigen Auftragskuchen Schloßpark zu ergattern. Vor dieser historischen Kulisse erzählt der Film „Die Gärtnerin von Versailles“, wie sich die Landschaftsgärtnerin Sabine de Barra, eine fiktive Filmfigur, unter die männliche Konkurrenz mischt. Von dieser abschätzend und mißbilligend beäugt, hat sie auch bei Le Nôtre (Matthias Schoenaerts) erst einmal schlechte Karten. Ihre Pläne entsprechen nicht dem Prinzip des großflächigen symmetrischen Barockparks, das der Natur die Regeln der Mathematik auferlegt. Le Nôtre schmettert ihre Pläne als das totale Chaos ab. Im englischsprachigen Raum heißt der Film übrigens „A little chaos“. Beim Verlassen des Ateliers verschiebt sie einen der in Reih und Glied wie mit dem Lineal ausgerichteten und angeordneten Pflanzenkübel. Dem wachsamen Auge des Meisters entgeht das natürlich nicht. Dieser sehr kleine Eingriff in die Ordnung seiner Töpfe scheint auch in seinem Kopf etwas zu bewegen und Sabine bekommt – Ende gut, alles gut – den ersehnten Zuschlag. Die wunderschöne Gärtnerin, sehr glaubwürdig gespielt von der ebenso wunderschönen Kate Winslet, legt nun Hand an, wühlt im Schlamm, watet durchs Wasser und scheut keine noch so kräftezehrenden körperlichen Anstrengungen. Entstehen soll ein Ballsaal unter freiem Himmel in der Form eines Amphitheaters, bei dem Le Nôtre und Sabine jeweils mit ihrem Stil für die Gestaltung je einer Hälfte zuständig sind. Das enge und erfolgversprechende Zusammenwirken der beiden geht schon bald über ein reines Arbeitsverhältnis hinaus und zieht sowohl den Neid der männlichen Kollegen als auch Eifersüchteleien in der Damenwelt nach sich. Es wird, wie am Hofe üblich, intrigiert und boykottiert. Zu kämpfen hat die verwitwete Sabine auch noch mit einem traurigen Ereignis aus ihrer Vergangenheit. Die Erinnerung daran trägt sie ständig mit sich herum. Als Sabine zu Hofe zitiert wird, begegnet sie dort beide Male Liselotte von der Pfalz. Diese wurde aus machtpolitischen Gründen mit dem Bruder des Sonnenkönigs, Philipp I., Herzog von Orléans, verheiratet. Wegen dessen allgemein bekannter Homosexualität war Liselotte von Beginn an am französischen Hofe isoliert. In unzähligen Briefen, wovon heute noch einige erhalten sind, beschrieb sie sehr kritisch das höfische Leben und daß sie sich in Versailles inmitten der gepuderten Damen- wie Herrenwelt nie wohlgefühlt habe. Außerdem mußte sie von Ferne miterleben, wie die Franzosen ihre Heimatstädte Mannheim und Heidelberg inklusive des Heidelberger Schlosses in Schutt und Asche legten. Da wäre ich als gebürtige Mannheimerin und in Heidelberg aufgewachsen auch sehr böse gewesen. Hätten sich die Wege Liselottes und der Landschaftsgärtnerin wirklich gekreuzt, so wären die bodenständigen und für damalige Verhältnisse naturbelassenen Damen bestimmt beste Freundinnen geworden. Aber zu Ludwigs Zeiten hätte es niemals eine weibliche Landschaftsgärtnerin gegeben! Um Liselotte möglichst glaubhaft spielen zu können, reiste Paula Paul eigens nach Heidelberg. Sie hat die im Schloß ausgestellten Portraits der Kurpfälzerin angeschaut und sich einen Überblick über deren Leben verschafft. Das hat sich auf jeden Fall gelohnt!!! „Wir trafen uns in einem Garten!“ hätte Sabine singen können. Genauer gesagt, handelt es sich um die Königliche Baumschule, die Sabine aufsucht, um sich unter der fachlichen Aufsicht des dortigen Maestros mit Pflanzen für ihr Projekt zu versorgen. Der Maestro hatte jedoch kurz vor dem Eintreffen Sabines auf das diskrete Handzeichen des Königs das Gelände verlassen. Diesem dient die Baumschule als sein Refugium, in dem er unerkannt seinen Gedanken nachhängen und sich der bestimmt juckenden Perücke entledigen kann. An diesem Tag trauert er seiner gerade verstorbenen Gemahlin, Maria Theresia von Spanien, nach. Sabine richtet ihre Worte und Fragen an den vermeintlichen Maestro und der König läßt sich auf das Spiel ein. Sie plaudern über Bäume im Allgemeinen und Birnbäume im Speziellen, essen Birnen, bis es Sabine dämmert, wen sie vor sich hat, weil sie ihn an der Stimme erkennt. Diese Stimme gehört übrigens Alan Rickman. Er verzaubert dieses Mal sein Publikum nicht als Magier, sondern ist das Oberhaupt sowohl im Film als auch am Set! Wenigstens im Film wird einmal etwas fertig und so dürfen wir mit dem König und seinem Gefolge den übrigens real existierenden „Salle de bal“ bestaunen. Ma copine francaise konnte sich an den Kostümen, der Landschaft und „hier ein Schloß und da ein Schloß“ kaum sattsehen. Ich gehe jetzt einmal wieder in den Garten an Tulpen schnuppern!

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