Blog Blindgaengerin

Internationaler Film

Eine Regalwand aus hellem Holz. Auf dem Unterschrank steht eine Musikanlage mit Plattenspieler. Die Blindgängerin kniet davor und hebt den Tonarm an. Auf dem Plattenteller liegt statt einer LP eine große runde Uhr.

Nur eine Stunde Ruhe!

Nur eine Stunde Ruhe versucht der Zahnarzt und Jazzmusikliebhaber Michel während der 75 Filmminuten, einem ganz gewöhnlichen Samstag abzutrotzen. Er möchte sich einfach nur die frisch erworbene Schallplatte von Niel Youart, seiner Meinung nach dem Jazzklarinettisten schlechthin, aus den 50er Jahren zu Gemüte führen. Gerade hat er bei einem Bummel über einen Pariser Flohmarkt genau diese ihm in seiner immensen Sammlung noch fehlende Schallplatte entdeckt, hat mit seinen Begeisterungsausbrüchen noch den Preis in die Höhe getrieben, und denkt dennoch, ein Schnäppchen gemacht zu haben. Bestens gelaunt muß er bereits auf dem Heimweg zwei Telefonanrufe seiner Mutter abwehren, einen Patienten mit Zahnschmerzen vertrösten und seine Geliebte, die ihn dringlichst zu einem Treffen zitiert, abwimmeln. In der weiträumigen und nobel eingerichteten Wohnung angekommen, liegt die schwarze Scheibe endlich auf dem Plattenteller eines Plattenspielers im Wert eines Kleinwagens! Die Nadel schwebt über der Rille, setzt auf, und als knisternd die ersten Takte des Stückes „Me, Myself and I“ erklingen und er entzückt mitsummt, heult der Staubsauger auf, begleitet von lauten Schniefgeräuschen der putzenden Maria. Zeitgleich fordert die bildschöne psychisch leicht angeschlagene Gattin genau jetzt ein seit Jahren überfälliges klärendes Gespräch. Ein polnischer Handwerker portugiesischer Herkunft trifft bei äußerst geräuschvollen Durchbrucharbeiten die Abwasserleitung, sorgt für die Flutung eines der Zimmer und ruft den Mieter der darunterliegenden Wohnung, bei dem es jetzt durchregnet, auf den Plan. Wenn nicht gerade jemand unaufschiebbar genau jetzt mit ihm sprechen muß, wie auch sein bester ihn stets anpumpender Freund, klingelt entweder das Telefon oder es bimmelt an der Wohnungstür. Auf eine Stippvisite kommt der 30-jährige Sohn – von Beruf Globalisierungsgegner – vorbei, um seine schmutzige Wäsche bei Muttern abzugeben. Er lebt auf Papas Kosten in der Wohnung eine Etage höher, in der er einer neunköpfigen Flüchtlingsfamilie Asyl gewährt. Aber Michel gibt nicht auf! Immer wieder schwebt die Nadel über der schwarzen Scheibe, um wenn überhaupt, nur für einige Runden auf der Platte zu verweilen. Schön, daß dem guten alten Vinyl so eine bedeutende Rolle zugedacht wurde. Ich konnte mich mit dem auch schon wieder überholten Tonträger CD nie anfreunden. Die seelenlosen Plastikhüllen wollen sich schnell auflösen und gestapelt bei der geringsten Erschütterung umstürzen. An Schallplatten mag ich den Geruch und in Reih und Glied nebeneinandergestellt, geben sie im Regal auch ein schönes Bild ab. Die Lage eskaliert, als die Gemeinschaft der Hausbewohner wegen Regens sowohl draußen als auch in der darunterliegenden Wohnung spontan das für diesen Nachmittag anberaumte Mieterfest in Michels Wohnung verlagert. Sie rücken mit Kind und Kegel und mitgebrachten Speisen an. Der Sohn beschließt derweil, die Flüchtlingsfamilie in die größere und komfortablere Wohnung seiner Eltern umzuquartieren. Ruhe kehrt erst wieder ein, als Michel, nun von allen guten wie schlechten Geistern verlassen, allein in seiner völlig verwüsteten Wohnung zurückbleibt. Nur das kleine etwa fünfjährige Mädchen aus der Flüchtlingsfamilie ist dageblieben. Mit seinen großen dunklen Kulleraugen hat es Michel schon immer das Herz erweicht. Als er sich nun endlich wieder seiner Schallplatte widmen will und dabei erneut scheitert, gesellt sich das Mädchen zu ihm. Und bringt ihn auf eine gute Idee. Während der sehr kurzweiligen 75 Minuten steht Michel, gespielt von Christian Clavier, häufig kurz vor dem Kollaps. Er hatte doch kaum Zeit, sich von den Strapazen als M. Claude, Vater von vier Töchtern im heiratsfähigen Alter, zu erholen… Dem wachsamen Augenpaar an meiner Seite, das natürlich noch viel mehr Spaß hatte als ich, ist übrigens nicht entgangen, daß durch das Kappen der Frischwasserleitung die Abwasserleitung abgesperrt werden sollte, so ist das halt in Frankreich! Aber Komödien können sie unschlagbar gut, und das liegt bei diesem Film auch an den ausnahmslos tollen Darstellern!!!

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Zu Ende ist alles erst am Schluß

„Zu Ende!“ bekomme ich immer bei unseren Fernsehabenden am Schluß eines Filmes vom anderen Ende der Couch zugerufen. Nicht selten erwischt mich dieser Zuruf auf kaltem Fuße, wenn nämlich schon Schluß ist, wogegen nach meinem ganz subjektiven Empfinden der Film noch nicht zu Ende sein kann. Bis auf wenige Ausnahmen bevorzuge ich eine in sich schlüssige und abgeschlossene Filmhandlung. So wie beispielsweise bei dem französischen Film „Zu Ende ist alles erst am Schluß“! Die 85-jährige Madeleine, ihr Sohn Michel nebst Gattin Natalie und deren 23-jähriger Sohn Romain sind eine ganz normale, drei Generationen umfassende, in Paris lebende Familie. Gar nicht normal ist das Verhältnis der Großmutter zu ihrem Enkel. Als Romain sein verspätetes Erscheinen auf der Beerdigung seines Großvaters mit der Verwechslung des Friedhofes entschuldigt, lächelt Madeleine nur verständnisvoll. Sie meint, daß ihr Mann ebenso immer dann aufgetaucht sei, wenn man nicht mit ihm gerechnet habe. Nach der Beerdigung geht jeder wieder seine eigenen Wege und Madeleine kehrt jetzt alleine in ihre schöne typische Pariser Wohnung zurück. Als sie dort stürzt, beschließen ihre Söhne über ihren Kopf hinweg und natürlich nur zu ihrem Besten, daß sie in einer Seniorenresidenz besser aufgehoben sei. Die geistig hellwache Madeleine läßt sich zunächst darauf ein, als sie aber nach kurzer Zeit in ihre Wohnung zurück möchte, muß sie feststellen, daß diese hinter ihrem Rücken aufgelöst wurde. Wie ein junges Mädchen macht sie sich heimlich auf den Weg nach Étretat, einem wunderschönen, an der Steilküste der Normandie liegenden Badeort. In dem Städtchen war sie zur Schule gegangen und mußte wegen der Kriegswirren in den 40er Jahre nach Paris umsiedeln. Der Einzige, dem sie mittels einer Postkarte einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort gibt, ist ihr Enkel. Romain macht sich auch sofort auf den Weg. Er begleitet sie auf ihren Streifzügen durch ihre Jugend und weicht bis zum Schluß nicht von ihrer Seite! Ich habe Madeleine, gespielt von der als Sängerin bekannten Annie Cordy, sofort in mein Herz geschlossen und sie war für mich auch die wichtigste Figur des Filmes. Das klingt alles erst einmal ein bißchen traurig, ist es ja auch, wenn man daran denkt, daß man vielleicht selbst in absehbarer Zeit wie Madeleine eben nicht mehr so ganz frei über sich und sein Leben bestimmen darf oder kann. Da ist es tröstlich zu sehen, wie die alte Dame sich die Kontrolle zurückerobert. Dennoch mangelt es nicht an Situationskomik. Dafür sorgen vor allem Romains Eltern, gespielt von dem Komiker Michel Blanc und Chantal Lauby (Madame Claude!). Der Regisseur Jean-Paul Rouve philosophiert als Hotelbesitzer mit Romain über den Sinn des Lebens und ein Tankwart hilft mit Lebensweisheiten bei Romains Suche nach der großen Liebe aus. Zu Ende geht auch das Berufsleben von Romains Vater und bedingt dadurch beinahe die Ehe seiner Eltern. Es gibt allerdings auch einen Anfang: Romain hat während seines Aufenthalts in Étretat endlich die lang ersehnte Liebe gefunden. Auch seine Eltern haben sich gerade noch so kurz vor Schluß wieder berappelt. Daß alles erst am Schluß zu Ende ist, klingt plausibel, wann auch sonst. Wie wann was wo und mit welchem Schluß zu Ende geht, kann gewollt, geplant oder provoziert sein, kommt aber auch überraschend und anders als gedacht. Wie das Leben eben so spielt!

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Verstehen Sie die Béliers?

Verstehen Sie die Béliers? Bei Paula, der 15-jährigen Tochter der Béliers, hatte ich diesbezüglich keine Probleme. Schwierig bis aussichtslos gestaltete sich das bei dem Rest der Familie, ihren gehörlosen Eltern und dem älteren Bruder, aber Paula hat ja ganz oft für die Zuschauer gedolmetscht. Die vier kommunizieren per Gebärdensprache und man könnte meinen, daß es im Leben der Béliers deshalb still zugeht. Das fehlende Geplapper bei den Mahlzeiten wird durch heftiges Tellergeklapper ersetzt. Die Maman poltert ständig durchs Haus und ich dachte gleich an Holzpantinen. Google hat mich aufgeklärt, daß sie, nicht unbedingt typisch für einen Bauernhof, auf High Heels über den Hof stakst. Paula begrüßt ihre Familie gern mit „Hallo, Ihr Dumpfbacken!“, aber das ist lieb gemeint. Gemeinsam bewirtschaften sie einen kleinen Bauernhof mit Molkerei in der französischen Provinz ungefähr zwei Autostunden von Paris entfernt. Da gibt es lebende Kühe und Hühner, ein Hund meldet sich ständig zu Wort und den neugeborenen Kälbchen werden sogar liebevoll Namen gegeben. Da wäre das kleine Mädchen, das vor einigen Jahren in einer Fernsehwerbung als Urlaubswunsch sehr energisch gefordert hat „Ich will Kühe“, sehr gut aufgehoben gewesen. Gleich zu Beginn des Films hört man Paula zu einem weltweit rauf und runter gedudelten Popsong trällern und bekommt sofort eine Ahnung von ihrem Stimmvolumen. Die Darstellerin der Paula singt übrigens personifiziert. In der Schule muß sie sich für eine Arbeitsgemeinschaft entscheiden und landet eher zufällig in dem von Monsieur Thomasson geleiteten Chor. Dieser fühlt sich in der Provinz total deplaziert und überqualifiziert und macht aus seiner Verachtung den Schülern gegenüber keinen Hehl. Alternativlos schlägt er als Repertoire die Stücke des französischen Chansonniers Michel Sardou vor und ringt den Schülern damit nur ein müdes Gähnen ab. Sie hätten lieber etwas Moderneres gesungen. Michel Sardou ist vor allem mit einigen seiner Chansons aus den 70ern weit über Frankreich hinaus bekannt geworden, z.B. „La Maladie d’amour“, „En chantant“. Den Schülern bleibt nichts erspart und so müssen sie sich einer nach dem anderen beim Einzelvorsingen mehr oder weniger blamieren. Als Paula an der Reihe ist, erkennt Monsieur Thomasson sofort ihr stimmliches Potential und beginnt, sie in Einzelunterricht für die Aufnahmeprüfung des berühmten Chores „La Maîtrise de Radio France“ vorzubereiten. Jetzt geht in Paulas eh schon minutiös durchgeplantem Tagesablauf alles drunter und drüber. Mal muß sie die Eltern wegen deren Geschlechtskrankheit zum Gynäkologen begleiten, mal auf dem Markt beim Käseverkauf helfen, mit dem Tierarzt und überhaupt allen anderen sprechen oder telefonieren. Zu allem Überfluß will ihr Vater auch noch während des gerade anstehenden Wahlkampfes für das Amt des Bürgermeisters kandidieren. Die Eltern leben, wenn auch diskret, ihr Sexualleben trotz ihrer Geschlechtskrankheit aus und auch der sonst so gut wie gar nicht in Erscheinung tretende Bruder macht seine ersten Erfahrungen in dieser Hinsicht. Paula ist in Gabriel verliebt, mit dem sie ein Duo beim Schulkonzert singen soll, hat aber für ihre erste Liebe kaum Zeit. Eines Tages faßt sie sich ein Herz und eröffnet das Gespräch mit ihren Eltern mit dem Satz: „Ich muß euch etwas Wichtiges sagen“. Prompt kommt die Frage, ob sie schwanger sei. Von meiner Mutter kam genau diese Frage, als ich meinen Eltern sagte, daß ich nach Berlin gehen möchte. Nach der ersten Erleichterung beim Verneinen der Frage folgt bei Paulas wie auch damals bei meinen Eltern die Ernüchterung. Aber zuerst sind die Eltern stolze Zuhörer bei dem Schulkonzert. Der Chor singt „La Java de Broadway“ und Paula mit Gabriel als Duo „Je vais t‘aimer“. Beide Chansons weitaus schöner als von Monsieur Sardou gesungen. Während des Konzertes hört man plötzlich nicht mehr den Gesang, sondern ein Geräusch, so wie es Gehörlose hören könnten. Eine Mischung aus einem Dröhnen und Rauschen, so ein bißchen wie in einer Unterwasserwelt. Aber wie soll jemand, der nicht hören kann, beschreiben, was er wahrnimmt und was nicht und wie sich das für ihn anhört? Wenn mich jemand fragt, was und wieviel ich sehen kann, fällt mir das auch immer sehr schwer. Das Finale ist dann so herzzerreißend anrührend, fast ein klitzekleines bißchen kitschig, aber so schön. Paula singt in Paris vor der Jury des berühmten Chors „Je vole“, auch wieder von Michel Sardou, während ihr Lehrer sie auf dem Piano begleitet. Ihren Eltern dolmetscht sie den Text des Chansons per Gebärdensprache. Auch bei diesem Lied kann Michel Sardou Paula nicht das Wasser reichen, finde ich! Starks war dieses Mal solo, also ohne Greta, im Kino, es gab damit nur Untertitel für Gehörlose. Wenn Paula nicht laut gedolmetscht hat, mußte mir meine Freundin Andrea nicht nur kurze Bildbeschreibungen zuflüstern, sondern auch die Untertitel vorlesen.

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Bande de filles

„Bande de filles“ würde man auf Deutsch vielleicht als eingeschworene Mädchenclique übersetzen. Der Film spielt in einer Pariser Vorstadt, deren Bewohner größtenteils afrikanischer Herkunft sind. Die Satellitenstädte vor Paris sind wie wahrscheinlich überall auf der Welt einfach nur scheußliche Ansammlungen von Wohnsilos. Meine Freundin und Begleiterin Pascale, eine Französin, meint, daß man die Architekten, die diese Wohnsilos verbrochen haben, für längere Zeit dort strafwohnen lassen müßte. Weit und breit ist nicht ein grüner Strunk zu sehen und der einzige Platz, an dem sich die Jugendlichen treffen können, ist eine große Betonfläche mit Mulden, die sich bei Regen mit Wasser füllen. Vor einigen Jahren kam es landesweit in mehreren französischen Vorstädten 12 Tage lang zu Ausschreitungen Jugendlicher mit vielen abgefackelten Autos und Gebäuden. Zwei der Pariser Vorstädte, Sevran und Vitry-sur-Seine, waren besonders betroffen. Der damalige Innenminister und als Hardliner bekannte Nicolas Sarkozy ist bestimmt vielen noch mit seinem Spruch in Erinnerung, daß er die Vorstädte mit einem Kärcher säubern wolle! In dem Film spielen aber Mädchen, insbesondere die 16-jährige Marieme, die Hauptrolle. Abgesehen von der Lehrerin, die Marieme kühl mitteilt, daß sie zum zweiten Mal das Klassenziel nicht erreicht habe und deshalb die Schule verlassen müsse, sind alle Protagonisten afrikanischer Herkunft, aber anders als Samba in Frankreich geboren. Marieme muß sich als Älteste von drei Mädchen um ihre jüngeren Schwestern kümmern, was sie auch mit viel Liebe und Geduld tut. Von ihrem älteren Bruder hat sie keine Unterstützung zu erwarten, außer daß er sie physisch wie psychisch drangsaliert. Die Mutter hat einen Putzjob und gibt zu Hause nur eine Gastrolle ab. Von einem Vater fehlt jede Spur. Der Schule kehrt Marieme sofort den Rücken und kommt beim Rumlungern in Kontakt zu drei Mädchen, die sie in ihre „Bande“ aufnehmen wollen. Vorher muß sie sich allerdings beweisen und erpreßt von Jüngeren kleine Geldbeträge. Marieme kann sich sehr gut prügeln und mit kleinen Gesten Druck auf ihre Zielperson ausüben. Sie spielt in einem American Football-Team, bekanntermaßen keine Sportart für Zimperliche. Mit dem erbeuteten Geld fahren die vier Mädchen mit der Metro in die große Stadt Paris und nehmen sich ein Hotelzimmer. Sie baden und schminken sich, ziehen die zuvor geklauten Klamotten an, essen Pizza, trinken Cola, rauchen Shishapfeife und tanzen ausgelassen, sie singen und lachen. Wichtig ist die Musik ihres Idols, der Sängerin Rihanna, mit ihrem Song „Shine bright like a diamond“. Aber am nächsten Morgen ist alles wieder beim alten. Wer von den rivalisierenden Mädchenbanden die coolste ist, wird in Zweikämpfen ausgemacht und da ist so ziemlich alles erlaubt, während die anderen johlend und anfeuernd danebenstehen. Bei dem zweiten Kampf rettet Marieme, die auch ein Messer besitzt, die Ehre ihrer Clique und wird gefeiert. Die mit den Handys aufgenommenen Kämpfe machen natürlich in den Netzwerken die Runde. Marieme ist auf den Geschmack gekommen, Spaß am Leben zu haben, sich immer wieder neu zu stylen. Es fällt ihr immer schwerer, nach Hause zu gehen, obwohl sie das schlechte Gewissen ihren Schwestern gegenüber plagt. Auch ihre erste Liebesbeziehung gestaltet sich schwierig, weil der ewig stänkernde machohafte Bruder allgegenwärtig scheint. Da kommt ihr das Angebot, als Drogenkurier tätig zu werden, gerade recht. Als ihr klar wird, daß das unweigerlich in die Prostitution führt, läßt sie die Hände davon. Völlig niedergeschlagen findet sie sich in einer Sackgasse der Tristesse gefangen. Entweder Putzengehen wie ihre Mutter und ein Kind nach dem anderen bekommen oder die Flucht in die Kriminalität und Prostitution. Die Jugendlichen werden alle von Laien gespielt. Ich hatte den Eindruck, als ob die Mädchen gar nicht bemerkt haben, daß sie gefilmt wurden, sie spielen einfach sich selbst. Die Kraft, Energie und Lebensfreude und andererseits die Tristesse und Hoffnungslosigkeit springen einem dadurch förmlich ins Gesicht. Daß die Vorstellung im Original mit Untertitel gespielt wurde, war uns nicht klar. Pascale hatte deshalb ein bißchen mehr zu tun. Ich konnte zwar fast alles verstehen, aber manchmal haben mich die Mädels und Jungs mit ihrem irrsinnig schnell gesprochenen Slang an meine Grenzen gebracht. Dafür kamen wir in den Genuß der Originalstimmen. Ich habe recht viel über den Film geschrieben, aber dieser lebt weniger von der Handlung als von dem, was man dank der tollen kraftvollen Darsteller mitbekommt und das Fehlen der Hörfilmbeschreibung haben sie so auch noch wettgemacht!

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Heute bin ich Samba

Eine große Hochzeitsgesellschaft feiert in einem Restaurant und tanzt ausgelassen um eine gigantische Hochzeitstorte. Als die Torte genug umtanzt ist, wird sie in die Küche transportiert, portioniert und zum Verzehr auf Teller drapiert. In dieser Großküche begegnen wir zum ersten Mal Samba, gespielt von Omar Sy. Samba reiste vor zehn Jahren nicht so ganz legal aus dem Senegal nach Frankreich ein. Ohne Aufenthaltsgenehmigung hält er sich in Paris mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie über Wasser und unterstützt seine im Senegal lebende Familie. Als ihm eine unbefristete Stelle als Spüler angeboten wird, wendet er sich optimistisch an die Ausländerbehörde, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Da hat er die Rechnung ohne die Behörde gemacht und landet unverzüglich in Abschiebehaft. Die Abschiebehäftlinge sind praktischerweise gleich auf dem Flughafengelände kaserniert. Dort trifft er endlich auf Alice, gespielt von Charlotte Gainsbourg. Alice ist eine der beiden hübschen Sozialarbeiterinnen, die die Abschiebehäftlinge bei der Bewältigung des Papierkrieges unterstützen, der bei den Gerichtsverfahren gegen die Abschiebung anfällt. Sie hat ihr Hedgefondkostümchen und Lederaktenköfferchen gegen einen viel zu großen Mantel und einen Aktendeckel eingetauscht. Nach einem Burnout macht sie die Sozialarbeit so quasi auf Rezept als Therapie. Solch eine Therapie sollte man allen Hedgefondmanagern einmal zwischendurch aufs Auge drücken. Das Ergebnis des Gerichtstermins ist irgendwie kein Ergebnis. Samba wird zwar nicht sofort in ein Flugzeug verfrachtet und abgeschoben, darf aber bis auf Weiteres keinen französischen Boden betreten. Er macht halbherzige Anstalten, einem Flugzeug hinterherzulaufen, ist natürlich zu langsam und landet, wo auch sonst, auf französischem Boden. Die guten Ratschläge, sich erst einmal möglichst unauffällig zu verhalten, sich also in Luft aufzulösen und von derselben zu ernähren, machen ihn sehr wütend. Sein Leidensgenosse, Wilson, ein als Brasilianer getarnter Algerier, nimmt Samba unter seine Fittiche. Allen Warnungen zum Trotz jobben sie sich durch Paris und verpassen dem Film als Duo eine großartige komödiantische Note! Den französischen Regisseuren ist es wie schon bei dem Film „Ziemlich beste Freunde“ gelungen, ein trauriges Thema als Komödie aufzubereiten. In beiden Filmen wird bei der unbequemen Realität nicht weggeschaut, aber mit einer gewissen Leichtigkeit bekommen sie immer wieder den Dreh zur Komödie hin. Dabei hilft auch die wunderbare Filmmusik, die Samba-Rhythmen machen einfach gute Laune. Selbst die Sozialarbeiterin Alice kann sich dem nicht entziehen und tanzt ausgelassen. Das Duo ist mit ständig wechselnden, meist schlecht gefälschten Ausweispapieren unterwegs und Samba bekommt allmählich eine Identitätskrise. Ein bißchen Trost findet er in der ganz allmählichen und zaghaften Annäherung zu Alice, schwierig zu sagen, wer der Zögerlichere von den beiden ist. Die Synchronstimmen der beiden sind so gut getroffen, daß ich mir unter Samba einen großen kräftigen Mann und unter Alice ein zerbrechliches Wesen mit einem permanenten großen Fragezeichen im Gesicht vorgestellt habe. Daß ich da gar nicht so falsch lag, hat mir meine Freundin Andrea, die u.a. für Greta einspringen mußte, bestätigt. Verena Bentele, Bundesbeauftragte für die Belange Behinderter und selbst blind, hat in ihrem Buch geschrieben, daß der Zuflüsterer im Kino niemals geräuschvoller sein dürfe als der nebenan sitzende Popcornesser. Wir hatten einen Popcornesser neben uns sitzen, der jedes Korn vorm zum Munde führen unter den vielen anderen Popcörnern so geräuschvoll ausgewählt hat, daß Andrea mir die Bilder mit normaler Lautstärke hätte erklären können.

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Whiplash

Rhythmus im Allgemeinen und das Instrument Schlagzeug im Besonderen fasziniert mich so lange ich denken kann. Ein Schlagzeugset besteht meistens aus sieben verschiedenen Trommeln und Becken. Trotz meines ganz gut ausgeprägten Rhythmusgefühls ist es mir bei meinen Versuchen an diesem Instrument nicht gelungen, mit dem Fuß und jeweils der rechten wie linken Hand verschiedene Tempi zu spielen. Jemals mit den Sticks im richtigen Moment die richtigen Teile zu treffen, die ja auf eine Fläche von 2 m² verteilt sind, schien mir aussichtslos. Da lag es nahe, mich für Percussion, also Djembé, Conga und Pandeiro zu entscheiden. Bei allen drei Instrumenten hat man mit den Händen direkten Kontakt zum Fell. An der Faszination, die das Schlagzeug auf mich ausübt, hat sich jedoch bis heute nichts geändert, also mußte ich mir den Film „Whiplash“ unbedingt anschauen! Mein Begleiter Andreas Pasche, sowohl ein Freund als auch ein seit 30 Jahren passionierter Schlagzeuger, hat mich mangels einer Hörfilmbeschreibung ins Bild gesetzt. Mit einer von ihm gegründeten Band spielt er Latin Jazz, in einer Bigband namens Kameleon Percussion und aushilfsweise das Schlagzeug. Ich hatte also auch noch einen Fachmann an meiner Seite. Das US-amerikanische Musikfilmdrama spielt in dem fiktiven Shaffer Conservatory of Music in New York. Mr. Fletcher ist der Leiter der schuleigenen Jazzband und entscheidet über Gedeih und Verderb der Mitspieler der Bigband. Als er den Schlagzeugschüler Andrew beim Üben überrascht, hält er den Daumen hoch und Andrew darf sich ab sofort mit den beiden anderen Drummern um die Gunst des Leiters bemühen. Die Atmosphäre bei den Proben erinnert an den Drill auf einem Militärübungsplatz. Fletcher bellt einen Songtitel in den Raum und die Spieler haben eigentlich gar keine Zeit, die entsprechenden Noten aufzuschlagen. Zu hören ist ein Geräusch, als ob 100.000 Blätter durcheinanderwirbeln. Dann bellt er eine Taktzahl nach der anderen und zählt nur sehr knapp vor, was es fast unmöglich macht, im vorgezählten Tempo einzusteigen. Zwischendurch pickt er sich einzelne Spieler heraus, um diese vor versammelter Mannschaft bloßzustellen und zu demütigen. Jedes Instrument ist mehrfach besetzt und wer gerade die erste Geige spielen darf, hat weniger mit den spielerischen Qualitäten zu tun, sondern eher mit Willkür. Der Wortschatz des Leiters ist grundsätzlich unterhalb der Gürtellinie und ich wage zu bezweifeln, daß das der Realität an den amerikanischen Konservatorien entspricht. Bekannt ist allerdings, daß dort ein rauher Ton herrscht und den Schülern ungemein viel abverlangt wird. Als Idol erwähnt Fletcher den Jazzschlagzeuger und Bandleader Buddy Rich, diesem wird ein ähnlicher Führungsstil nachgesagt. Andrew ist vom Ehrgeiz zerfressen und um seinem Lehrer zu gefallen, trommelt er sich besessen mit zusammengebissenen Zähnen die Hände blutig. Als ich von den „blutigen Händen“ in Filmkritiken hörte, habe ich mich sofort gefragt, wie das überhaupt funktionieren kann. Die Sticks liegen locker zwischen den Fingern, bei Anfängern kann es allenfalls zu Schwielen oder einer Blase kommen. Sowohl der Fachmann als auch mein Percussionlehrer haben das als rein filmdramaturgisches Mittel abgetan. Mein Begleiter hat das Aufzeigen des Weges vermißt, wie Andrew sein Spiel nach und nach verbessert, bis er bei dem Abschlußsolo brilliert. Aber das wäre wohl nicht spektakulär genug gewesen! Sehr viel geübt haben muß auch der Schauspieler Miles Teller, der Darsteller des Andrew. Bis auf das grandiose finale Trommelsolo hat er sich nicht doubeln lassen und seine Sache wirklich gut gemacht. Jetzt komme ich zum Schluß und da war ein phänomenal gut und wahnwitzig schnell gespieltes Solo des Schlagzeugers Andrew. Zu sehen sind laut Erklärung meines Begleiters entpersonalisierte Hände. Wem auch immer diese Hände gehören, ein kaum endendes Solo in der Geschwindigkeit von 400 Beats per minute präzise zu spielen, ist eine außergewöhnliche Leistung!!! Die am häufigsten gespielten Titel sind „Caravan“ und natürlich „Whiplash“! J.K. Simmons erhielt einen Oscar als bester Nebendarsteller für die Rolle des Fletcher. Ich als Ohrenmensch hätte mir einen Oscar für die Filmmusik gewünscht.

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EineTaubeSitzt-Plakat

Eine Taube ohne Greta

„Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ von dem schwedischen Regisseur Roy Andersson! Der Titel und eine Radiokritik haben meine Neugierde geweckt, und so habe ich mich ohne Greta, dafür mit menschlicher Begleitung auf den Weg ins Kino gemacht. Ich wußte, daß der Film überwiegend ein „Augenfilm“ ist, der Regisseur seine Darsteller in bis ins kleinste Detail sorgsam gestalteten Kulissen in Szene setzt, aber trotzdem…! Bei der Aneinanderreihung diverser etwas düsterer Episoden meist aus dem heutigen Schweden tauchen nur zwei gescheiterte traurige Gestalten immer wieder auf. Die beiden Vertreter versuchen ziemlich erfolglos, völlig aus der Mode gekommene Scherzartikel zu verkaufen. Und dann kommt plötzlich der schwedische König Karl XII. mit einem Heer von 100.000 Soldaten auf dem Weg zu einer Schlacht gegen Rußland durch die Kulisse geritten, trinkt in einer Kneipe ein Mineralwasser mit Kohlensäure, um dann gegen Ende des Films mit dem kläglichen Rest seiner Truppe geschlagen zurückzukommen. Der König verlangt also nach etwas zu trinken. Was er also trinken möge, ein Wasser, ein Mineralwasser und dann schließlich ein Mineralwasser mit Kohlensäure, das allein ist schon eine dreiminütige Szene. Schließlich bestellt seine Majestät den jungen hübschen Kellner gleich mit, fürs königliche Zelt. Die traurigen Vertreter bemühen sich weiterhin, ihre Scherzartikel zu verkaufen und ihre Außenstände einzutreiben, während sie doch selbst von Schulden gedrückt werden. Inzwischen empfindet man schon Mitleid mit den beiden. Der König kommt ohne Pferde mit seiner lädierten Kompanie an die Kneipe zurück, übrigens ohne den Kellner. Jetzt verlangt er nach einer Toilette, die dann ärgerlicherweise auch noch besetzt ist. Man könnte meinen, der König hätte während der zurückliegenden Zeit keine Gelegenheit gehabt, sich des Mineralwassers mit Kohlensäure zu entledigen. Sein Bedürfnis geht ihm auch näher als das Leid der Frauen, die nun vom Gastwirt erfahren, daß sie allesamt Kriegswitwen geworden sind. Während der Weg in die Schlacht noch unter lautem Absingen militärischer Marschlieder erfolgte, werden jetzt die düsteren Szenen der Rückkehr eines geschundenen Haufens von melancholischer Musik begleitet. Das paßt nun auch zum Rest des Filmes: Aus den Stimmen der Darsteller wie aus der Filmmusik springt mir förmlich die Schwermut, Hilflosigkeit oder Apathie ins Gesicht. In den langen Pausen zwischen den raren und oft ungemein langsam gesprochenen Dialogen war genug Zeit, nachzufragen, was gerade passiert. Ich wollte vermeiden, daß sich in meinem Kopf ein völlig anderer Film abspielt als auf der Leinwand. Die Taube hört man immer zwischendurch gurren, zu Gesicht bekommt man sie aber nur einmal ganz am Beginn des Films. Da sitzt sie tatsächlich auf einem Zweig, aber ausgestopft in einer Vitrine im Museum. Vielleicht denkt sie dort nicht nur über den Sinn des Lebens, sondern auch über den des Films nach? Mir ist erst beim Schreiben allmählich klar geworden, daß die Aneinanderreihung der Episoden wohl einen Sinn hat. Der Mensch kommt nicht allzu gut weg dabei! Er ist gefühlskalt gegenüber Mensch und Tier und unfähig oder unwillig, aus seinen eigenen Fehlern oder aus der Geschichte zu lernen. Die Tristesse wurde aber dank vieler satirischer Einlagen aufgelockert und nicht nur ich konnte mir des öfteren ein Lachen nicht verkneifen! Jetzt mache ich es der Taube gleich und sitze, allerdings nicht auf einem Zweig, sondern irgendwo rum. Und denke!

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