In der Jury beim “KLAPPE AUF! Kurzfilmfestival”
Er hat es geschafft!Nach einigen Anläufen sang das Publikum im Saal des Hamburger Metropolis Kinos begeistert und fast bühnenreif dreistimmig den Kanon „Der Hahn ist tot“! Genauso heißt auch der kultige Kurzfilm von Zoltan Spirandelli aus dem Jahr 1988.Wie seit 34 Jahren animierte auch uns der Filmemacher geduldig immer wieder von der Leinwand aus zum Mitsingen. Als ob er’s ahnt, unterbricht er, wenn es aus dem Ruder läuft, und mahnt bei „kokokokokokokokodi, kokoda“, den Rhythmus zu halten. Zum Einteilen der Stimmen läuft er geräuschvoll auf der Leinwand von einer Seite zur anderen, vielleicht auch wegen der weit verbreiteten Rechts-Links-Schwäche. Ich saß in der Mitte und sang erst ganz leise, piano, dann lauter, mezzoforte, bis ich mich dann ein fortissimo traute.Der singende Kinosaal war nur einer der grandiosen Auftakte zum 5. KLAPPE AUF! Kurzfilmfestival in Hamburg vom 26. bis 28.08. 2022! Und dann ging’s los, mit der rasanten cineastischen Fahrt auf der „Achterbahn“, dem diesjährigen Motto. Ob Spiel-, Dokumentar- oder Experimentalfilm, in allen 34 gezeigten Kurzfilmen wurde auf verschiedenste Weise das Auf und Ab einer Achterbahnfahrt thematisiert. Für mich ging es nach einem kurzen Durchatmen an der frischen Luft zum Glück nur ganz unspektakulär mit dem Fahrstuhl vom Foyer im Erdgeschoß zwei Etagen tiefer. Dort händigte mir Wolfgang vom KLAPPE AUF!-Team an der Rampe zum Kinosaal einen Funkkopfhörer aus. Über diesen bekam ich die Audiodeskriptionen für alle Filme und das, was sich zwischendurch vor der Leinwand abspielte, live in mein Ohr geflüstert.Für Menschen mit Hörbeeinträchtigung gab es die Untertitel auf der Leinwand und eine Hörunterstützung über eine Induktionsschleife.Gebärdendolmetscherinnen übersetzten die Publikumsgespräche und eine Schriftdolmetscherin machte die Worte simultan auf der Leinwand lesbar.Genau SO klappt’s auch mit dem Anspruch KINO FÜR ALLE, den sich das inklusive Festival-Team ganz groß auf die Fahne geschrieben hat! Aber wer sind eigentlich die Leute da mit mir auf dem Foto?Wir sind‘s, die Jurorinnen und Juroren des diesjährigen Festivals, und wenn ich vorstellen darf, von links nach rechts:Dario Aguirre, Rosemarie Tobor-Schmidt, Axel Behrens, ich, Pheline Roggan. Und wie funktioniert eigentlich Juryarbeit, gibt es bestimmte Bewertungskriterien, fragte ich mich?Katrin Mersmann vom Festival beruhigte mich mit den Worten „Das wird schon“.Sie war während der drei Tage für uns fünf zuständig. Bei unseren Besprechungen machte sie Notizen, gab Tipps aus ihren Erfahrungen mit früheren Jurys, hatte immer die Zeit im Blick und sorgte ganz rührend für unser leibliches Wohl! Nach dem ersten von fünf Blöcken mit sieben Filmen hatte ich, wie die anderen, drei Favoriten. Schweren Herzens verwarf ich nach den nächsten beiden Blöcken zwei, dafür kamen vier neue dazu und so weiter. Dank der gut bis sehr gut gemachten Audiodeskriptionen konnte ich bei unseren Besprechungen auf Augenhöhe mitreden. Nur bei zwei Filmen mußte ich passen, das lag aber an der extrem chaotischen Filmvorlage. Wie unterschiedlich doch der Blick auf einen Film aus so verschiedenen Perspektiven sein kann: Der von Pheline als Schauspielerin, der des Filmemachers Dario, der von Axel vom Kurzfilmverleih Hamburg, der von Rosemarie als Mitglied des Deutschen Gehörlosentheaters und meiner.Das war für uns alle spannend, höchst interessant und nicht nur einmal änderte ich meine Meinung. Dann kam die heiße Entscheidungsphase. Wir durften drei Jury-Preise vergeben und hatten immer noch zu viele Filme auf der Liste. Nur einmal sprachen wir im Eifer des Gefechts durcheinander, längst nicht so schlimm wie in gewissen abendlichen Talkshows, aber die Gebärdendolmetscherin protestierte: Sie könne so unmöglich für Rosemarie übersetzen.Das brachte Ruhe in die Runde. Wir verwarfen aktuelle Favoriten und holten ehemalige wieder hervor, ein sich wiederholendes, aber hilfreiches Auf und Ab wie bei einer Achterbahnfahrt!Aber auch die nahm ein Ende, wir hatten wieder festen Boden unter den Füßen und waren uns einig. Jetzt mußten noch die Begründungen unserer Entscheidungen formuliert werden. Dann ging es zum letzten Akt des Festivals, zur Preisverleihung auf die Bühne vor der Leinwand! Rosemarie machte den Anfang mit unserer Begründung für den dritten Preis. Mir gefallen unsere Texte so gut, daß ich daraus zitiere: „Der Film überzeugt durch seine Zugänglichkeit für ein visuell orientiertes Publikum, ohne dafür an anderer Stelle zu sparen. Ein rundum stimmiger, abwechslungsreicher Film, der auch ohne lautsprachliche Dialoge erfolgreich eine berührende Geschichte mithilfe von liebevoll animierten Charakteren erzählt. Die Jury verleiht den geteilten 3. Preis an “Meister des Lichts” von Stefan Vogt!” Nachtrag von mir: Die Meister sind übrigens Zimmerpflanzen. Geteilter Preis, doppelte Freud, Dario übernahm das Mikrophon.„Mit minimalen filmischen Mitteln, solider Dramaturgie und Humor entwirft der Filmemacher ein ungewöhnliches Porträt der deutschen Gesellschaft, die sich wie der Ventilator in seinem Zimmer um sich und ihre Themen dreht. Das sind Beruf, Bürokratie, Einsamkeit, Erschöpfung bis hin zu einer möglichen Liebe. Der zweite dritte Preis geht an “Der Telefonvoyeur 2.0″ von Werner Biedermann.“ Dann hatte ich das Mikro in der Hand und erklärte die Entscheidung der Jury, erstmals zwei dritte Preise zu vergeben:Wir wollten zwei Filme auszeichnen, die sich einerseits dem gehörlosen und andererseits dem blinden Publikum auf ganz besondere Weise erschließen und dabei höchsten Filmgenuß bieten.Das gelingt diesen beiden Filmen ganz vortrefflich! Und ich übergab an Axel.„Eine Stimme aus dem Radio berichtet über einen fernen Planeten, die Kamera zeigt uns verschwommene Bilder von Straßen im nächtlichen Berlin. Es ist sehr kalt und für Obdachlose gibt es kaum eine Chance, auf der Straße zu überleben. Begeistert hat die Jury die sensible Herangehensweise an das Thema und wie das Filmteam auf Augenhöhe den Protagonisten begegnet und sie begleitet. Der 2. Preis geht an den Dokumentarfilm „Nacht über Kepler 452b“ von Ben Voit.“ Und trara, den ersten Preis des fünften KLAPPE AUF! Kurzfilmfestivals verkündete Pheline. Der Preis ging an den Animationsfilm „Wochenbett“ von Henriette Rietz. „Der Film hat uns durch seine schonungslos ehrliche, sehr humorvolle und berührende Darstellung des Mutterwerdens überzeugt, das trotz seiner Alltäglichkeit oft seltsam verklärt und mystifiziert wird. Auch Menschen ohne Kinder wird ein Zugang und Eindruck zu dieser sehr privaten Situation vermittelt. „Wochenbett“ ist ein rundherum gelungener Film, der die Sprache findet, die wir brauchen, um wirkliches Verständnis füreinander zu erzeugen.“ Noch einmal einen herzlichen Glückwunsch an die Gewinnerin und die Gewinner! Haben Kanons eigentlich ein Ende?Wie auch immer, das fünfte KLAPPE
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