Learning to Drive – Fahrstunden fürs Leben
Zuerst schnallen Sie sich bitte an, schalten die Zündung ein, starten den Motor, setzen den linken Blinker und schauen vorm Losfahren über ihre Schulter nach hinten, um den toten Winkel einsehen zu können. Nein, nicht über die rechte, sondern die linke Schulter! Dann macht der Wagen einen mächtigen Satz nach vorne. Also alles bis auf das Anschnallen noch einmal, und zwar mit Gefühl! So ähnlich begann meine erste Fahrstunde, aber leider nur im Film „Learning to Drive“! Hier sitzt Wendy, eine prominente New Yorker Literaturkritikerin Mitte 40, am Steuer. Bis zur Trennung von ihrem Mann sah sie keine Notwendigkeit, sich dem Streß einer Fahrprüfung und dem des New Yorker Straßenverkehrs auszusetzen. Entweder übernahm ihr Mann die Chauffeurdienste oder das gut ausgebaute öffentliche New Yorker Nahverkehrssystem. Ich hätte sehr gerne auf Wendys Platz gesessen und dann auch noch neben dem indischen Fahrlehrer Darwan mit seiner unendlich ruhigen und sanftmütigen Stimme. Für mich ist es unbegreiflich, wie man freiwillig auf das Privileg der Mobilität, die einem der Führerschein eröffnet, verzichten kann. Sich einfach in ein Auto zu setzen und jederzeit spontan mal eben dahin zu fahren, wo man hin möchte, beneidenswert!!! Ich brauche immer zuerst einmal einen Plan, wie ich mein Ziel erreichen kann, und den mit reichlich zeitlichem Vorlauf. Es gibt bestimmt Schlimmeres, aber die Lizenz zum Autofahren wäre schon toll. Daß Wendy ausgerechnet bei dem Fahrschullehrer Darwan landet, ist ihr Glück im Unglück. Darwan hätte übrigens gesagt: „Gluck im Ungluck“! Indern kommt so gut wie kein Ü über die Lippen. Als ich vor Jahren mit einem Inder Silvester feierte, „wunschte“ er uns viel „Gluck furs neue Jahr“. Im Film hat das mit dem Ü-Sagen allerdings geklappt. Ausgerechnet während einer Taxifahrt erklärt Wendys Mann die Ehe für ab sofort beendet, nicht gerade auf die feine Art und zumindest für Wendy aus heiterem Himmel. Am Steuer sitzt Darwan, der sich auch noch als Taxifahrer seine Brötchen verdient. Das Ehepaar sitzt streitend auf der Rückbank, Wendy kreischt hysterisch, bis der ehebrecherische Gatte sich den Wutausbrüchen seiner Frau entzieht. Fluchtartig stürzt er aus dem Taxi und fleht Darwan an, seine nun Ex-Frau nach Hause zu fahren. Dort liefert dieser das traurige Bündel Wendy schon fast mit schlechtem Gewissen ab. Als Wendys Mann eines Tages noch einmal bei ihr auftaucht, um seine persönlichen Sachen zu holen, zieht sie noch einmal alle Register, leider vergebens. Er geht “Back to Her” und sie geht „Back to Black“. Auch aus dem Besuch der gemeinsamen, ungefähr 20-jährigen Tochter Tasha wird zu Wendys Enttäuschung nur eine Stippvisite. Wieder zieht Wendy den Kürzeren, weil die Tochter mit dem Vater und dessen neuer Flamme zum Essen verabredet ist. Anschließend muß Tasha nach Vermont, wo sie seit kurzem auf einer Farm arbeitet. Dort hat sie entdeckt, daß Gemüse nicht in Plastikfolie gezwängt im Supermarktregal wächst, sondern der Samen in die Erde gesteckt und später die gereifte Frucht ausgebuddelt werden muß. Und überhaupt Erde! Wie sie sich anfaßt, wie sie duftet, zum Reinbeißen! Als Tasha ihrer Mutter vorwirft, sie nur mangels Führerschein niemals in Vermont zu besuchen, beißt Wendy in den sauren Apfel. Sie beschließt, sich zur Fahrschule anzumelden, und verabredet sich schon einmal mit ihrer Tochter zum Erde Essen in Vermont. Wie das Leben manchmal so spielt und sich doch noch alles zum Guten fügt! Gerade dank der für sie doch so unerfreulichen Taxifahrt sitzt Wendy jetzt am Steuer des Fahrschulwagens neben Darwan, der sich trotz ihrer chaotischen Fahrversuche mit stoischer Ruhe durch das Dickicht des New Yorker Straßenverkehrs kutschieren läßt. Sie flucht über alles und jeden, der ihre Kühlerhaube kreuzt, oder sitzt tief in Gedanken unkonzentriert am Steuer und verursacht einen Auffahrunfall. Darwan ist zugleich Fahrschullehrer und Seelendoktor, die beiden philosophieren über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und Besonderen. Aber auch Darwan fragt seine Schülerin gelegentlich um Rat in wichtigen Lebensfragen. Schritt für Schritt findet sich Wendy mit ihrem Solodasein und den damit verbundenen Unannehmlichkeiten, wie z.B. saftigen Unterhaltszahlungen an den Ex, ab. So allmählich wird auch angedacht, sich zur Fahrprüfung anzumelden. Doch auch der scheinbar in sich ruhende Darwan, ein traditionsbewußter, streng gläubiger Sikh, trägt einige Probleme mit sich herum. Weil er darauf besteht, seinen Turban und Bart zu tragen, kann er trotz seiner Bildung nur den Beruf des Fahrschullehrers ausüben. Nicht nur einmal schlägt ihm fremdenfeindliche Gesinnung entgegen. Die Brautsuche übernimmt seine Schwester in der indischen Heimat. Er muß sich auf deren Geschmack verlassen und bekommt die Zukünftige das erste Mal am New Yorker Flughafen zu Gesicht. Die für westliche Vorstellungen undenkbare Art der Eheschließung wird von Fahrschülerin und Lehrer natürlich völlig kontrovers diskutiert. Beim Autofahren, vor allem bei längeren Strecken, fallen mir immer früher oder später die Augen zu. Bei den „Fahrstunden fürs Leben“ hatte ich ein-, zweimal den gefährlichen Sekundenschlaf. Wahrscheinlich, als nur der schöne Musikmix aus westlichen und indischen Klängen zu hören war. Ansonsten habe ich mich auf der Rückbank bei Wendy (Patricia Clarkson) und Darwan (Ben Kingsley), in Szene gesetzt von Isabel Coixet, sehr gut und kurzweilig unterhalten gefühlt. Mit dem Ende am Schluß ist das so eine Sache! Ich bin mir ziemlich sicher, wie die Sache zwischen den beiden ausgeht, aber wegen der letzten wortlosen Filmminuten eben nicht ganz sicher. So komme ich nicht einmal in die Verlegenheit, das Ende zu verraten.
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