Blog Blindgaengerin

Saskia Rosendahl

Andres Schüpbach vom Team "Greta und Starks" mit der Blindgängerin vor einer hellblauen Wand mit den Logos der Berlinale: Die weiße Silhouette eines Bären, daneben der Schriftzug "Internationale Filmfestspiele Berlin".

Auch neben der Berlinale bärenstarkes Kino

„Ich will Kühe!“ So stellte ein kleines Mädchen einst im Werbeslogan eines Reiseveranstalters unmißverständlich klar, wo und mit wem sie die nächsten Ferien verbringen möchte. Genau von diesen gemütlichen Vierbeinern inklusive der Zweibeiner, mit denen sie auf dem schwiegerelterlichen Bauernhof lebt, hat die 24-jährige Christin die Nase gestrichen voll.Sie will einfach nur weg vom Land, weg von ihrem Freund, und ab in die Stadt. „Ich will eine Prinzessin werden!“ Vielleicht hatte auch Diana einst wie viele kleine Mädchen diesen Traum. Wie auch immer, er ist in Erfüllung gegangen.Einige Jahre später will auch sie einfach nur weg von ihrem Gemahl und der königlichen Familie. Sie sehnt sich nach Dingen, die einfach, gewöhnlich und real sind. Ich wollte frisch geboostert einfach wieder einmal ins Kino, konnte mich abernicht entscheiden. Also ist gleich zwei Mal an einem Tag daraus geworden mit „Niemand ist bei den Kälbern“ von Sabrina Sarabiund„Spencer“ von Pablo Larrain! Übrigens schon wegen der beiden großartigen Hauptdarstellerinnen eine sehr gute Entscheidung!Kristen Stewart als Diana und Saskia Rosendahl als Christin glaubt man sofort, wie fehl am Platz und mißverstanden sie sich in ihren so verschiedenen Welten fühlen. Ich dachte immer wieder bei mir: Dann setzt euch doch endlich in eure Autos, die eine in einen Porsche, die andere in einen alten Kombi, und gebt Gas!Aber das ist in Dianas Situation leichter gesagt als getan und bei Christin in der Mecklenburgischen Provinz will gut Ding eben Weile haben. Christins Welt dreht sich unerträglich gemächlich wie Windräder bei Flaute!Gelangweilt und pausenlos mit ihrem Handy beschäftigt trottet sie in knallengen Hotpants über den Hof und rührt unaufgefordert so gut wie keinen Finger. Nur einmal stapft sie in Gummistiefeln zum Melken in den Kuhstall. Ein anderes Mal versorgt sie wenig motiviert die Kälber. Vielleicht kommt daher der Filmtitel?Ansonsten verbringt sie sehr viel Zeit in ihrem engen Schlafzimmer vorm Spiegel beim Anprobieren diverser knapper Outfits. Dann weckt der plötzlich auftauchende Windkraftmechaniker Klaus ihr Interesse. Das ständige Muhen der Milchkühe auf dem Hof und den Weiden klingt sehr zufrieden. Sie haben sich scheinbar bedeutend mehr zu erzählen als die Dorfbewohner. Aber wo Kühe sind, gibt’s auch Fliegen. Deren Summen war im Kinosaal so präsent, daß es auf der Haut zu kribbeln schien.Saskia Rosendahl meinte in einem Interview, man müsse die mürrische, verstockte und scheinbar entscheidungsunfähige Christin aushalten. Das gelang mir bis zu einem gewissen Grad, aber am Schluß machte sie mich einfach nur wütend. So funktioniert eben gutes Kino!Und macht Lust aufs Lesen des gleichnamigen Romans von Alina Herbing. Jetzt zu Dianas Welt, in der ihr eine eisige Brise entgegenweht!Im Jahr 1991 steuert Kronprinzessin Diana, geborene Spencer, ihren grünen Porsche auf das imposante Portal von Gut Sandringham in der englischen Grafschaft Norfolk zu. Dort hat sich auf Einladung der Queen die königliche Familie wie jedes Weihnachten bereits versammelt. Aber Diana kommt zu spät, eine Todsünde! Deshalb steht kein Bediensteter in Livree bereit, um ihr wie den zuvor eingetroffenen Royals den Wagenschlag zu öffnen. Die einzigen, die sich auf Dianas Ankunft freuen und sie sehnsüchtig erwarten, sind ihre beiden Söhne William und Harry.Der Rest der Familie inklusive ihres Gatten Charles zeigt ihr während der Festtage die eiskalte Schulter und die Gefühlskälte war förmlich durch die Leinwand zu spüren.Diana steht auf Schritt und Tritt unter Beobachtung und wird ständig ermahnt, etwas zu tun oder zu lassen. Ihr Gemütszustand, hervorragend und so überzeugend dargestellt von Kristen Stewart, schwankt zwischen tiefer Verzweiflung, Wut, Selbstzweifeln und Resignation. Tragischerweise könnte es nach dem, was damals aus dem Buckingham-Palast an die Öffentlichkeit sickerte, genauso einst um die Psyche der Kronprinzessin Diana bestellt gewesen sein.Eine hundertprozentige Abbildung der damals 30-Jährigen ist wohl kaum möglich und diesen Anspruch hatten die Filmemacher auch nicht, im Gegenteil!Hier, wie ich denke, zwei Beispiele für die künstlerische Freiheit:Eines Nachts verlangt Diana nach Gummistiefeln, einer Taschenlampe und einer Drahtschere. Was für ein herrliches Bild, als sie dann in ihrem wunderschönen bodenlangen weißen Abendkleid über eine Wiese stapft.Noch besser gefiel mir, wie sie der königlichen Jagdgesellschaft die Fasanenjagd gründlich vermasselte! Diana im Film hat jedenfalls bis zum Schluß meine hundertprozentige Sympathie und ich drücke Kristen Stewart alle Daumen, die für ihre Leistung als beste Hauptdarstellerin bei den Oscars nominiert ist! Dank einer Audiodeskription über die Greta App in meinem Ohr konnte ich beiden Filmen prima folgen und hatte – denke ich – immer die richtigen Bilder im Kopf. Zum Beispiel war ich mit im Kuhstall beim Melken und fasziniert von dem militärischen Drill, der in der königlichen Riesenküche mit Heerscharen von Köchen und Kellnern herrschte.Sehr detailliert wurden mir auch die knappen Outfits von Christin beziehungsweise die Garderobe von Diana beschrieben. Bei „Spencer“ bin ich einige Male über die Formulierung „Sie scheint…“ gestolpert. Zum Beispiel „Sie scheint die Orientierung verloren zu haben“. Das ist keine Beschreibung, sondern eine anhand von Gesten oder Blicken einer Person gewonnene Vermutung. Wenn diese beschrieben werden, kommen Blinde auch selbst zu diesem Ergebnis.Team „Spencer“: Text Gerrit Haas, Redaktion Julia Königs Die Sprecherin Nina Machalz war für mich eine sehr schöne akustische Neuentdeckung. Nur an manchen Stellen lag mir ein bißchen zu viel Pathos in ihrer Stimme. Team „Niemand ist bei den Kälbern“: Text Petra Kirchmann, Redaktion Anke Nicolai In der mir wohl vertrauten schönen, ruhigen Stimme der Sprecherin Nadja Schulz-Berlinghoff war immer entsprechend der Stimmung im Film die perfekte Dosis Emotion, nicht zu viel, nicht zu wenig! Und jetzt noch einmal zu mir:Ich will auf jeden Fall nicht Prinzessin sein, da wäre ich doch lieber bei den Kühen.Am liebsten will ich aber ins Kino und wie das Foto zeigt, hat es mir gerade ein ganz bestimmter Bär angetan!

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Der Ausstellungsführer, dargestellt, von Lars Eidinger, steht vor einer einer Wand, an der mehrere gerahmte Bilder aufgehängt sind. Sie zeigen moderne, in der Ausstellung als "entartet" bezeichnete Kunst.

Das “Werk ohne Autor”…

…hat mich ohne Vorwarnung eiskalt erwischt! Kaum im extrem bequemen Sessel in einem der stylischen Kinosäle des Berliner Delphi Lux eingekuschelt, schoß mir durch den Kopf: „Was hätten die damals wohl mit mir angestellt? Vielleicht dasselbe wie mit Elisabeth?“ Im Frühjahr 1937 besucht die hübsche und lebenslustige junge Frau mit ihrem fünfjährigen Neffen Kurt in Dresden eine Wanderausstellung über entartete Kunst. Der Ausstellungsführer (Lars Eidinger) gibt zu den Exponaten namhafter Künstler seinen braunen Senf. Den verschärft er dann sinngemäß mit folgender Bemerkung: „Nur Betrachter mit krankhaft sehgeschwächten Augen könnten dies als Kunst bezeichnen und deren Leben müßte sowieso als nicht lebenswertes ausgemerzt werden.“ Das hat gesessen! Als Elisabeth, sehr intensiv und berührend gespielt von Saskia Rosendahl, diese Worte hört, ahnt sie noch nicht, welche grausame Wendung ihr Leben nur ein Jahr später nehmen wird. Bei Elisabeth ist es kein Augenleiden, sondern eine in einem zweifelhaften Verfahren diagnostizierte Schizophrenie. Damit fällt sie unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Dort ist die Zwangssterilisation von vermeintlich genetisch Kranken unter anderem bei Schizophrenie und erblicher Blindheit und Taubheit vorgesehen. Hilflos muß Elisabeths Familie zusehen, wie sie abgeholt, in einen Krankenwagen verfrachtet und abtransportiert wird. Dieses Drama bleibt auch dem nun sechsjährigen Kurt nicht erspart. Mir gingen ihre verzweifelten Schreie und die Brutalität, mit der sie überwältigt wird, lange nicht aus dem Kopf. Noch beklemmender ist ihr von vornherein aussichtsloser Versuch, den Leiter der Dresdner Frauenklinik, Prof. Seeband (Sebastian Koch), von der Durchführung der Zwangssterilisation abzubringen. Ganz im Gegenteil, von Elisabeths Auftritt gereizt, setzt der SS-Obersturmbannführer noch eins drauf, nämlich ein rotes Pluszeichen in ihre Akte. Das ist ihr Todesurteil. Im Film wird Elisabeth im Februar 1945 mit einigen anderen Frauen vergast. Aber mußte das wirklich sein, den qualvollen Tod der entblößten Frauen bis zum letzten Atemzug in der Gaskammer mit der Kamera einzufangen? Zumal seit 1943 vor allem systematisches Aushungern und das Verabreichen überdosierter Medikamente die Tötungsmethoden in der Erwachsenen-Euthanasie waren. Nur die Namen, aber nicht die Figuren in „Werk ohne Autor“ sind frei erfunden. Denn inspiriert hat den Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck das Leben und Wirken eines Anderen. Der 1932 in Dresden geborene Gerhard Richter gilt als Deutschlands bedeutendster zeitgenössischer Maler und genießt Weltruhm. Ich – zugegebenermaßen eine Banausin rein visueller Kunst – scheine die einzige zu sein, der dieser Künstler bis jetzt kein Begriff war. Der Figur der Elisabeth liegt das Schicksal von Richters Tante Marianne Schönfelder zugrunde. Ihr Tod ist in einer Akte der sächsischen Heil- und Pflegeanstalt Großschweidnitz, einer Tötungsanstalt für psychisch und geistig Erkrankte, auf den 16. Februar 1945 datiert. Man geht davon aus, daß sie dort elend verhungerte. Vielleicht veranlaßte auch die – wie ich finde – unnötige Abweichung von der Realität Gerhard Richter zu seiner Kritik an von Donnersmarcks Werk, hier nachzulesen: http://www.spiegel.de/kultur/kino/gerhard-richter-ueber-henckel-von-donnersmarck-er-hat-es-geschafft-meine-biografie-zu-missbrauchen-und-uebel-zu-verzerren Aber jetzt war auch im Film der Krieg vorbei und meine düsteren Gedanken verflogen. Die nächsten 20 Jahre dauerten im Kino zwei Stunden und die vergingen wie im Flug! Daß sich Kurt (Tom Schilling), inzwischen Student der Malerei, ausgerechnet in die bildhübsche Tochter des Mannes verliebt, der seine Tante in den Tod geschickt hat, hat sich nicht der Regisseur, sondern das Leben ausgedacht. Und die junge Frau, gespielt von Paula Beer, heißt auch noch Elisabeth. Gerhard Richters erste große Liebe hatte ebenfalls denselben Vornamen wie seine Tante Marianne und war die Tochter des Gynäkologen und SS-Arztes Heinrich Eufinger. Über den an Richters Biographie angelehnten Film wurde seit der Premiere in Venedig im September extrem heftig und kontrovers diskutiert. Ich habe versucht, alles vorher Gehörte auszublenden, und bin nun ein bißchen hin- und hergerissen. Tendenz aber positiv, allein schon wegen des ersten Teils! Und allen Kritikern zum Trotz ist „Werk ohne Autor“ gleich zweimal für den Oscar nominiert, herzlichen Glückwunsch! Wenn ich das richtig sehe, ist er der einzige unter den vielen Oscar-Kandidaten, der im Kino mit Audiodeskription und erweiterten Untertiteln über die Greta und Starks App erlebbar ist. Das ist eigentlich eine sehr traurige Bilanz! Viele Geschehnisse, vor allem die, die nur mit Musik unterlegt waren, hätte ich ohne Hörfilmbeschreibung nicht verstanden. Und wer sonst hätte mir die vielen Bilder und modernen Kunstwerke beschrieben? Die sehr gut gelungene Audiodeskription hat gleich zwei Autoren, Katrin Reiling und Klaus Kaminski. Redaktion führten Noura Gzara und Roger Zepp. Ganz besonders hat mich gefreut, die mir vertraute Stimme des Sprechers Andreas Sparberg zu hören! Die Audiodeskription konkurriert als eine von fünf Nominierten beim Deutschen Hörfilmpreis im März um eine Adele, meine Glückwünsche auch hierzu! Die Autorin des Blogbeitrags macht jetzt Schluß, die hat’s nämlich schon wieder erwischt, diesmal aber nur erkältungsmäßig.

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